Die Cthulhu-Chroniken -- Episode 8 und 9 -- Im Restaurant

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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 23.12.2023, 19:42

8

Cthulhu und ich betreten ein Restaurant. Sein Einzug ist jetzt eine Woche her, und er hat beschlossen, das angemessen zu feiern. Kaum sind wir drin, eilt uns ein Kellner entgegen.

„Sie wünschen?“, fragt er und schaut mich erwartungsvoll an. Dabei schielt er leicht auf Cthulhu, der, wie immer, vor meinem Bauch auf meinen Handflächen sitzt.

Komische Frage, denke ich, es ist ein Restaurant, was soll ich schon wollen? "Wir möchten essen.", antworte ich, und überlege, wie er wohl reagiert hätte, wenn ich eine Zugfahrkarte nach Mailand verlangt hätte.

"Eine Person?"

Noch so eine überflüssige Frage, denke ich, und versuche mich, zu erinnern, ob ich nicht doch gerade „wir“ gesagt habe. Doch ehe ich antworten kann, ergreift Cthulhu das Wort. "Ja bitte! Gerne eine, die noch ein bisschen schreit und zappelt!" Dann wendet er sich an mich. "Super Laden, den kannte ich noch gar nicht!"

Ich seufze. "Einen Tisch für zwei bitte." Hoffentlich fragt der der Kellner nicht weiter nach, denke ich. Solche Fragen könnten rasch schwierig werden, und in einem kosmischen Schlund verschwindendes Servierpersonal entspricht nicht meiner Vorstellung von einem entspannten Abend.

Kurz darauf sitzen wir einander schweigend gegenüber. Anfangs habe ich noch überlegt, wie ich es interpretieren soll, dass der Kellner uns zwei Speisekarten gebracht hat, von denen eine jetzt vor Cthulhu liegt. Ich sehe im wesentlichen drei Möglichkeiten, habe es inzwischen den Versuch aufgegeben, mich zwischen ihnen zu entscheiden. Allmählich wird es langweilig.

„Und nun?“ fragt Cthulhu, dem es offenbar auch so geht.

„Keine Ahnung“, gebe ich zurück. Schweigen. „Ich glaube, die Episode ist nur dazu da, diesen flachen Witz vom Anfang irgendwo unterzubringen. Der Rest ist dann irgendwie krampfig drumherum geschrieben.“

„Ach Du Scheiße“, meint Cthulhu, „wenn es so ist, hören wir jetzt lieber auf.“
















9

„Was soll denn das jetzt?“ Cthulhu blickt sich verärgert um. Tische. Stühle. Zwei Speisekarten. „Wir sind ja immer noch hier!“

Tatsächlich sind wir noch immer in dem Restaurant.

„Stimmt. Anscheinend ist die Episode doch nicht nur für diesen flachen Wortwitz da.“

„Na toll.“ Cthulhus Tentakel zucken etwas konfus hin und her. „Und warum haben wir sie dann abgebrochen?“

„Weiß nicht so genau“, erwidere ich, „vermutlich für diesen flachen Metawitz?“

„Sofort aufhören!“, ruft Cthulhu, „Soviel Meta ist inzwischen doch nur eine Art zu sagen, dass einem nichts mehr einfällt, ohne zu sagen, dass einem nichts mehr einfällt.“

Inzwischen haben wir beide unser Essen vor uns. Auf meinem Teller liegt eine große Pizza Spinacci. Unter normalen Umständen sähe sie vermutlich lecker aus. Ich habe noch keinen Bissen davon gegessen. Stattdessen starre ich auf die Schüssel mir gegenüber, aus der Cthulhu immer wieder eine Hand voll Wasauchimmer hervorholt und in seinem Tentakelbart verschwinden lässt. Die Masse hat hat keine für mich benennbare Farbe, an ihrer Oberfläche bilden sich Blasen. Wenn Cthulhu gerade etwas länger an einem Bissen kaut, fließt sie an der von Cthulhu abgewandten Seite die Wand der Schüssel hinauf, als ob sie davonlaufen wollte. Wenn Cthulhu das sieht, schüttelt er die Schüssel und die Masse schwappt zurück; dabei platzen einige der Bläschen und es entstehen Laute. Schrille Laute, die entfernt an Hilfeschreie erinnern.

Ich beschließe, das Gespräch zu suchen.

Gar nicht so einfach.

Ich hole Luft. Offenbar will ich etwas sagen. Mir fällt aber nichts ein Also halte ich die Luft an, während ich darüber nachdenke. Als mir nach einer Minute noch immer nichts eingefallen ist, wird die Luft klappt. Ich stoße die verbrauchte Luft aus und atme schwer.

Ich versuche es erneut, mit dem gleichen Ergebnis. Vielleicht sollte ich mich entscheiden, was ich sagen will, ehe ich die Luft dafür einatme, denke ich mir.

"Schmeckt's?", frage ich schließlich, im dritten Versuch, erhalte aber keine Antwort. Der Tentakelbart hat sich in zwei Hälfte geteilt, die in regelmäßigen Abständen wie ein Theatervorhang auf- und zu schwingen. Ich bemühe mich, keinen Blick auf das zu erhaschen, was dahinter ist.

Ich beschließe, meine Smalltalk-Versuche einzustellen. „Sag mal, es gibt da etwas, was ich dich schon immer mal fragen wollte.“

Cthulhu versenkt genüsslich einen Zahnstocher in einigen der schreienden Blasen. Einige Wellen laufen durch die Tentakel. Offenbar zufrieden wendet er sich mir zu. „Na dann schieß' los!“

Ich räuspere mich. Nach dem ersten vergeblichen Versuch kommt das jetzt etwas überraschend. „Also, nach dem, was ich so über dich gelesen habe, suchst Du doch nach Anhängern, sogenannten Kultisten, die dir helfen, deine alte Macht zurück zu gewinnen, stimmt das so ungefähr?“

Die Tentakel wippen zustimmend auf und ab. Ich fahre fort. „Die machen also irgendwas für dich, feiern grausige Rituale, öffnen Dimensionstore, erwecken deine Götterkollegen...“

Cthulhu hebt beschwichtigend die Tentakel. „Für den Anfang reicht es auch, wenn sie mir eine Heimstatt verschaffen und meinen Worten lauschen.“

Scherzkeks, denke ich. Als wäre ich irgendein Kultisten-Spinner, der mit einer Kutte bekleidet, die Kapuze tief im Gesicht, mit gezücktem Dolch in den düsteren Gassen von Arkham nach Menschenopfern Ausschau hält. Ich beschließe, diesen Kommentar einfach zu übergehen.

„Aber wie willst Du eigentlich Leute dafür gewinnen? Warum sollte dir irgend jemand folgen? Du hast Ihnen doch gar nichts anzubieten, was irgend jemand wollen könnte. Dein ganzes Programm besteht darin, Tod, Zerstörung, Wahnsinn und Leid über die Menschen zu bringen. Das kann doch nichts werden."

„Wieso? Als Churchill 1940 'nichts als Blut, Mühsal, Schweiß und Tränen' versprochen hat, hat es doch auch geklappt.“

„Ja, schon“, räume ich ein, „da haben sich die Leute drauf eingelassen, weil sie hofften, durch große Opfer die Nazis zu besiegen, den Krieg zu beenden und wieder in Frieden leben zu können. Aber bei dir kommt ja danach nichts mehr.“

„Doch“, erwidert Cthulhu, „für uns schon!“

„Von mir aus. Aus purem Altruismus und dem Wunsch, den großen Alten zur Weltherrschaft zu verhelfen, wird sich dir trotzdem kein Mensch anschließen. Für die Menschheit ist davon nichts zu erwarten als die Vernichtung. Und das will doch keiner!“

„Sicher?“ Kleine Wellen laufen stoßweise durch den Tentakelbart. Kichert er etwa? „Ich denke gerade an das zweite Brett von oben in deinem DVD-Regal: '2012', 'The day after tomorrow', 'The day the earth stood still', 'Das Turiner Pferd', 'Knowing', 'Doktor Seltsam oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben', 'Don't look up', 'World War Z', 'Melancholia', '4:44 The last day on earth'...“

„'The road', 'Der jüngste Tag', 'Skyline', 'The Happening', '8 days'“, ergänze ich.

„...und noch so einige mehr. Alles Filme, die den Weltuntergang oder das Ende der Menschheit zeigen. Du scheinst so etwas also zu mögen. Und bist damit nicht allein: Fast alle davon waren Blockbuster, bis auf das Turiner Pferd. Puh, war der langweilig.“

„War er nicht!“, widerspreche ich energisch. „Bela Tarr zeigt darin mit minimalen Mitteln meisterhaft atmosphärisch dicht und beklemmend ein allgemeines Erlöschen des Lebenswillens. So ähnlich, wie es bei dir wohl auch sein wird...“

„Nee“, meint Cthulhu, „bei mir wird es schon etwas mehr Action geben. Aber ich denke, Du siehst meinen Punkt. Massenhaft Leute gehen ins Kino, um zu sehen, wie die Menschheit von einer Seuche, massenhaftem Wahnsinn, Flutwellen, Feuersbrünsten, Außerirdischen oder Meteoriten ausgelöscht wird. Im Grunde warten alle die ganze Zeit nur auf den großen Moment, wo es endlich passiert. Wenn jemand den Meteoriten aufhalten und die Erde dadurch retten würde, würde das Publikum ihn hassen.“

Ich widerspreche. „Naja, in 'Armageddon'...“

„Werden immerhin mehrere Großstädte ausgelöscht und der Hauptcharakter stirbt in einer Atomexplosion. Klar, damit rettet er den Rest der Erde, aber sei mal ehrlich: Was willst Du sehen, wenn Du dir so einen Film anschaust: Die Rettung oder den Wumms?“

„Na gut“, räume ich ein. „es lassen sich eben viele von der Wucht solcher Bilder beeindrucken. Aber im Falle einer echten Bedrohung würden die sie ja trotzdem verhindern und wollen.“

Wieder dieses Zucken in den Tentakeln. „So wie beim Klimawandel?“

„Hör doch auf! Dass es damit nicht vorwärts geht, liegt daran, dass die dazu nötigen Maßnahmen es von vielen verlangen würden, sich einzuschränken – nicht daran, dass sie die Katastrophe wollen. Und trotz allem sind wir da wirklich dran.“

Cthulhu scheint nicht überzeugt. „Hm, wenn Du meinst. Es ist noch gar nicht lange her, da haben eine ganze Reihe führender KI-Forscher einen Aufruf unterzeichnet, die Forschung auf dem Gebiet zeitweise auszusetzen; mehrere davon haben die Befürchtung geäußert, eine entsprechend starke KI könne außer Kontrolle geraten und die Existenz der Menschheit gefährden. Seit ihr da auch 'dran'?“

„Nein“, gebe ich zu, „vermutlich, weil diese Möglichkeit außerhalb von Fachkreisen kaum ernst genommen wird...“

„...was sicher auch daran liegt, dass Filme, in denen so etwas passiert, sich so einer großen Beliebtheit erfreuen. Ich kann mich diesem Urteil übrigens anschließen: Eine Auslöschung der Menschheit durch eine starke KI ist tatsächlich vollkommen ausgeschlossen.“

„Weil Du ihr zuvor kommen wirst?“, vermute ich.

„Genau.“ Ein paar Tentakel streichen gemächlich über die übrigen. „Wie dem auch sei – für den Anfang ist es sehr hilfreich, dass ein gar nicht so kleiner Teil deiner Spezies die Vorstellung des Weltuntergangs zumindest irgendwie cool findet oder alles satt hat und ihn heimlich herbei sehnt. Das macht aus ihnen zwar noch keine Kultisten, aber es macht sie – empfänglich. Für eine ganze Reihe einsamer, armseliger Gestalten, die alles dafür tun würden, ihrer Existenz einen Sinn zu geben, reicht das schon – denen gibt es richtig was, in schwarzen Kutten herumzulaufen, Silbensalat zu brabbeln, eine geheime Mission zu haben und an so etwas großem wie dem Weltuntergang mitzuarbeiten.“

„So viele könne das ja wohl nicht sein“, wende ich ein.

„Ach, Du wärest erstaunt.“ Cthulhu schaut mich mit schief gelegtem Kopf an. Vermutlich würde er jetzt die Augenbrauen hochziehen, wenn er welche hätte. Warum auch immer. „Da gibt es schon den einen oder anderen. Aber der eigentliche Trick ist, alle anderen glauben zu machen, dass ich bereits gewonnen habe oder mein Sieg unvermeidlich ist und unmittelbar bevorsteht. Sobald Leute anfangen, das zu glauben, versuchen die meisten, sich damit zu arrangieren und für sich das schlimmste zu verhindern – und die stellen sich dann lieber gut mit mir. An dieser Stelle hat man dann tatsächlich schon gewonnen. Das schöne ist, dass dieser Effekt sich selbst verstärkt, wenn genug Leute glauben, dass genug Leute glauben, dass man gewinnt, glauben Sie ebenfalls daran – und so weiter.“.

"Aha. Und dass man gewinnt, davon überzeugt man sie z.B. dadurch, dass man die eigene Größe ein bisschen übertreibt?"

"Genau", sagt Cthulhu, und schaut mich mit wogenden Tentakeln über meine Knie hinweg an.

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