Das einzige Ziel: unterwegs sein, bis ich ankomme.
Die Versuchung der Füllwörter: füllt meinen Füller.
Warum Reiche arm sind: Sie haben Caterer, Leute, die ihnen Wein organisieren, Therapeuten, die ihre Tränen weglecken, denen sie aber ansonsten am Arsch vorbeigehen (und umgekehrt) und buchen stundenweise Jungs, die nackt für sie kochen (3000 € pro Abend).
Berückend: Glanz an der nur scheinbar unscheinbaren Wolke
Ein Haus mit Efeu am Steiß: wie eine Trauer, die nicht sein darf
Die Wirklichkeit: Jede Menge Spitzen, die mit dem Glück auch die Angst bringen.
Geräusche des Friedens: Gras malmende Pferde, Gluckern, Schnarchen, alles Unbeabsichtigte, Tinte auf Papier (ganz leise), Verlegenheitsseufzer, Kinderlachen, muhende Kühe, die sich von Kirchenglocken nicht stören lassen, Einsingen und das Stimmen von Instrumenten, das Rascheln von Laub, Umblättern in Lyrikbüchern, Gute-Nacht-Sagen, Guten-Morgen-Sagen, gar nichts sagen
Dasein: die ununterdrückbare Rührung beim Anblick von Vieh, Tieraugen von Nahem, Bewegungen weit weg; jedes Schaf, und sei es noch so weit entfernt, aus dem Fenster eines Fahrbaren erspäht, erinnert mich an eine Zeit, die ich gar nicht kennen kann, tröstet mich mit einem Trost, der alle Waffen strecken lässt, den Widerstand gegen Freude, den Vorbehalt gegen Glück löst es in wehmütiges Wohlgefallen auf; jedes Pferd zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht, das mich nie mehr verlässt, manchmal reicht auch eine Birke, ein Blatt, die tiefer in die Seele greifen als jedes Wort, nur Musik könnte mehr, aber Musik, von Menschen gemacht, will rühren, das Blatt, die Birke, das Schnauben des Pferdes geschieht.
Wo Armut wächst: hinter vermüllten Containern die Ratten, an kleinstädtischen Bushaltestellen so genannter strukturschwacher Gebiete, in Mündern, deren Zähne nicht lügen (die fehlenden und die schiefen), in abgelatschten Schuhen (im Winter zu dünn, im Sommer zu warm), im Klang genuschelter Halbsätze, bei Netto an der Kasse in der Miniwodkaflasche, im plastikeingeschweißten, eigenmarkigen Restewürstchen.
Der Teufel: scheißt auf den größten Haufen, aber die Not scheißt länger, weiter höher, begräbt nie sich selbst, nie den Teufel.
Trotzdem: Wenn du nicht wegschaust, erkennst du zwischen den Schatten ein Unterstörbares, wie ein Licht, das keine Fassung hat noch braucht.
Es ist: die Würde des Lebens, sie lässt sich nicht ersticken, versteckt sich nur vor dem Blick der Verachtung. Du kannst sie hervorlocken, indem du schaust und sagst: ein Mensch.
Die Traurigkeit von anderen: legt sich über meine eigene, so dass ich darin verschwinde. Ich bin dann nicht mehr da, sondern werde gebraucht – ein doppeltes Ausweichen. Der Andere weicht mir aus, verdrängt mich mit sich. Und ich weiche mir selbst aus, mit seiner Hilfe.
Männer, die älter werden: reden im Bett von Vertrauen und Zeit, die sie bräuchten. Ich nicke dann scheinbar verständnisvoll, aber ich weiß nicht, was sie meinen und bin enttäuscht, weil ich in dem Moment weder Vertrauen noch Zeit brauche, sondern einen Mann, der nicht so viel redet.
Missbrauch: Der Typ steckt vertraulich den Vornamen seiner Frau in meinen Kopf, erzählt von Alltag mit Campingwagen, Enkeln, Früchten im Garten, dem Tau auf der Wiese. Befremdet mich mit seinem Heim, kommt mir nah, wo Ferne geboten wäre, zerrt mich in sein Leben mit schmutzigen Worten, die er geil findet und mich nicht meinen können, nur sollen. Einmal lädt er mich sogar ein in sein Haus, da ist seine Frau unterwegs, ich soll mich sozusagen dazwischen schleichen, zwischen Hecken und Uhrzeiten. Er sucht den Kitzel, redet sich ein, in mich verknallt zu sein, von einer billigen Sehnsucht nach mehr naschend und behauptend, es sei eine Ehre für mich, ich sei erst die zweite, der er das anbiete. Schon auch witzig, wie sehr Männer auch dann noch von sich selbst überzeugt sind, wenn sie keinen mehr hochkriegen. Irgendwie süß und irgendwie blöd. Ich lehne natürlich ab.
Reviere: müssen klar sein.
Je älter ich werde: desto ungeduldiger reagiere ich auf Gerede (mein eigenes inklusive).
Eigene Texte vorlesen: fast so intim wie singen.
Vorsatz: Ich mach mir meine kleine Welt so groß, dass ich reinpasse.
Im Zug: ein Glücksort, der kein Ort ist, sondern Bewegung mit dieser übergroßen Liebe überall, legt sich auf traumschlaffe Winterhäuser auch dann, wenn Schnee ausbleibt, spiegelt sich im noch so grauen Himmel, wächst auf bräunlich überschwappenden Feldern, in denen ein daheimgebliebener Storch pickt und offen lässt, ob er gewitzt der Klimakrise trotzt oder ihr demnächst unbeachtet zum Opfer fällt.
Jeder Vogel: kennt die Luft besser als ich. Jedes Blatt: weiß mehr vom Leben.
Am Lagerfeuer: sprühen die Funken, jemand reicht eine Gitarre (oder hole ich sie mir mutig selbst?), frei wie nie zuvor, singe ich (fast) ohne Scham, verbringe Zeit in Gemeinschaft ohne Scham, mache Fehler ohne Scham, bin genau richtig ohne Scham. Auf meiner Hand entdecke ich anderntags eine klitzekleine Blase, die hat die Glut hinterlassen. Ich trage sie heim wie eine Trophäe, ein Freudenmal.
Die letzten Stunden des jäh alt gewordenen Jahres: verrinnen. Oder tun das nur Minuten? Sekunden jedenfalls nicht, die fließen nicht, die verpuffen, verschwinden – Stunden sind zählflüssiger als es für ein Rinnsaal erforderlich wäre. Die Bauart von Zeit ist keine von Architekten, die Versuche, sie mittels absurder Einheiten zu kontrollieren/gefügig zu machen, scheitern am Ende alle - ach, alles alte Gedanken, die kommen im alten Jahr wie gerufen. Ich fliehe vor der Berliner Feierratlosigkeit in ein Städtchen zu sehr nahen Verwandten, mit denen ich höchstens Erinnerungen teile, nun auch ein Abendessen, ein Stück brotige Gegenwart, an der wir kauen, bis endlich die Sekunden heruntergezählt werden können, die Raketen am Himmel feierlich bunte Sterne versprühen, das Knallen klingt weicher dort, gemäßigt, gebändigt. Als hätte man sowohl die Vergangenheit als auch die Zukunft und alle akuten Dämonen im Griff.
An Silvester: sehne ich mich nach allen, die ich, nach allem, was ich nicht kenne, die/was meine Rettung wären, und am meisten nach Sehnsuchtslosigkeit, so dass ich, bevor es losgeht, verloren bin in einem Verlust, der unlogisch ist wie jeder Verlust, weil es ihn, wie jeden Verlust, gar nicht geben kann und genau deshalb trotzdem gibt.
Das Neue Jahr: rast auf mich zu wie eine Lawine, reißt mich mit, noch bevor es mich packt, hat kein Interesse an Rückblick, will keine Erinnerungen wälzen oder Bilanzen analysieren, will nicht wissen, was wann wie schiefging, und durch wen.
Der Schnee: fehlt. Regen ist kein Ersatz, nur nass.
Man muss: manchmal schnell sein, aber meistens nicht.
Jahresvorsatz: Der Einschlafphase widerstehend notieren, wenn mir etwas einfällt, ein Satz, ein Wort, ein Gedankengefühl, anstatt mir einzubilden, dass ich anderntags noch wisse, was ich für wissenswert gehalten haben werde – denn es würde fort sein, es ist immer fort, wenn man zur falschen Zeit faul ist.
Die jedem Schreiben innewohnende Gefahr: geschwätzig zu werden.
Und: zu viel sagen zu wollen. Man muss nicht alles sagen, das Wichtige ergibt sich bzw. lässt sich eh nicht vermeiden.
Das Wichtigste beim Schreiben: weglassen.
Notizen vom letzten Tag des Jahres (in der Bahn)
große klasse, liebe klara! ein text, den ich selbst gern geschrieben hätte, wobei meiner (natürlich) ganz anders ausgefallen wäre, aber viele dinge daraus teile ich, zb die sehnsuchtsgedanken an silvester, oder das mit dem vorlesen und singen ... wohingegen ich diese aussage: "brauche vertrauen und zeit" eher frauen zuschreiben würde, aber das nur am rande, subjektiv, u vielleicht nur klischee?
ganz besonders teile ich den vorsatz fürs neue jahr, das phänomen ist mir so vertraut. und immer wieder (!) der irrwitzige glaube, der gedanke sei ja auf jeden fall am nächsten morgen noch da.
toller text, feine, treffende bilder, spricht mich sehr an. und klingt so, als wäre er so aus dir herausgeflossen, durch den gefüllten füller.
ganz besonders teile ich den vorsatz fürs neue jahr, das phänomen ist mir so vertraut. und immer wieder (!) der irrwitzige glaube, der gedanke sei ja auf jeden fall am nächsten morgen noch da.
toller text, feine, treffende bilder, spricht mich sehr an. und klingt so, als wäre er so aus dir herausgeflossen, durch den gefüllten füller.
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