Wir Feldgrauen
Früher kannte ich feldgraue Uniformen nur von Postkarten und Photos aus den Weltkriegen. Sie zeigten ernsthafte Männer bei ihrer toternsten Tätigkeit im Felde.
Und jetzt trage ich selbst feldgrau, bin selbst ein Feldgrauer und diene - zwar nicht im Felde, aber auf dem Felde. Diesen feinen Unterschied möchte ich zu meiner Ehrenrettung allerdings hervorheben!
Nein, wenn der Spargelexpress, der um fünf Uhr morgens vor dem Arbeitslosenamt Südwest hält, uns aufnimmt, sind wir noch nicht feldgrau. Aussehend wie die blauen Ameisen einst in Maos Reich besteigen wir den Shuttle in aquamarinfarbenem Drillichzeug.
Wenn unser Feldwaibel - man möge entschuldigen, daß ich unseren Vorgesetzten mit dieser Bezeichnung eines Schweizer Beamten so tituliere, sein Schwyzerdütsch legt dies aber durchaus nahe - wenn unser Feldwaibel also kurz durchzählt, ist die krankheitsbedingte Ausfallquote nur gering. Zu attraktiv sind die 100 Euro monatlich, die es für uns Arbeitslose auf die Stütze noch oben drauf gibt!
Nach halbstündiger Fahrt durch den Süden Berlins und hinein in das sich anschließende Brandenburger Umland, das ich noch von erlebnisreichen Radtouren kenne, hält der Bus irgendwo bei Beelitz. Unsere fröhliche Brigade - durch morgentliche Scherze und Aufweckmusik so richtig in Fahrt gekommen - sprintet gut gelaunt und nicht ohne Tatendrang zum Ort des Einsatzes. Als Begründung für diesen zunächst merkwürdig erscheinenden Umstand muß ich anführen, daß es zu den erwähnten 100 Euro nämlich noch eine Akkordzulage gibt.
Deshalb stehen wir motiviert und brav in Reihen im Felde und setzen gegen halb sieben den Stichel an, mit dem wir die begehrten gelblich - mitunter auch goldgelb - schimmernden Früchte aus dem Boden ans Tageslicht befördern. Und das ist "ein weites Feld", welches sich da vor uns auftut. Nicht nur Fontane hätte es real und metaphorisch so bezeichnet. Für uns ist im Wortsinn „ein weites Feld“: Reihe um Reihe, Furche um Furche.
Wenn wir nichts Schlimmes ahnend in die Arbeit versunken sind, passiert es meist schon am Vormittag: Starke Winde blasen uns den Erdstaub um die Ohren und bedecken allmählich unser Outfit. Im Nu verwandelt sich das einst leuchtende Aquamarin des Drillichs in ein häßliches Mausgrau - eben jedes Feldgrau. Wir werden zu einer amorphen Masse von Feldgrauen, niedergebeugt in unsere Tätigkeit, sind mit unserer Umgebung bald eins und von Erdschollen und Sand nur noch durch unsere Bewegungen zu unterscheiden. Von weitem oder aus der Höhe eines Flugzeugs mag man uns aus dieser Perspektive für Wühlmäuse halten, die den Boden nach Wintervorrat durchwühlen oder in verspielten Bewegungen Höhlen und Gänge buddeln. Wenn der Boden infolge von Regen matschig wird, versumpfen wir darin völlig.
Immerhin - die Arbeit kommt voran und um 11 Uhr haben wir schon einiges im Container. Die Zusatzprämie winkt. Da kann einem das Feldgrau egal sein. Wir sehen ja alle gleich aus und unterscheiden uns am Ende der Schicht nur noch durch die gewonnene Menge. Aber meist stellt sich kurz nach Feststellung dieses beglückenden Erfolgserlebnisses ein Ungemach ein, das beim besten Willen nicht loszuwerden ist und mich in meiner Erntetätigkeit ernsthaft behindert, sie gar langfristig bedroht: dieses hartnäckige Stechen! Ganz langsam aber unaufhörlich schleicht es von dem zweiten Wirbel in den dritten und weiter.
Nein - mein Wahlspruch war nie „Krümm Dich beizeiten!“ - ein Fehler, wie sich jetzt herausstellt. Dafür muß ich jetzt büßen! Ich kann die Ursache nicht beseitigen, sondern nur - so gut es geht - die Symptome bekämpfen. Blitzschnell lasse ich schon beim ersten Anzeichen den Stichel fallen und begebe mich in die Vertikale, mache sogleich die von meinem Orthopäden empfohlene Übung, indem ich das Knie des rechten Beins mit der nach hinten gestreckten linken Hand ergreife und an mich ziehe. In dieser Stellung verharre ich, bis das Stechen allmählich nachläßt und ich mich wieder krumm buckeln kann.
Mein Orthopäde - ein durchaus weitblickender Mann - verordnete mir auch für zu Hause eine ganze Serie von Streck - und Dehnübungen, die mich vor dem langsamen Verlust meiner Bückungs - und Beugungsfähigkeit bewahren sollen. Langfristig würde ich Probleme bekommen, meint er. Aber ich arbeite dagegen an. Weder die Grundaufstockung zur Stütze, noch die Prämie darf verloren gehen!
Wenn mich der Schmerz allzu sehr plagt, denke ich an die einhämmernden Worte unseres Feldwaibels bei der vorausgegangenen Schulung.
"Arbeit macht frei!" -Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!"-
"Arbeit schändet nicht!" - "Macht den Bückling!" - "Rührt Euch! Krümmt Euch! Rackert Euch ab!" - "Arbeit macht frei!" - "Arbeit macht das Leben süß!" - "Jeder kann sich hocharbeiten - durch Blut,Schweiß und Tränen hindurch!" - "Arbeit macht frei!" - "Macht Euch an die Arbeit!" - "Rührt Euch! Krümmt Euch! Rackert Euch ab!" - "Wie Eure Arbeit, so wird Euer Lohn sein!"
Diese einhämmernden aufmunternden Worte dröhnen mir dann durch den Kopf. Sie geben mir Kraft und Antrieb bis zum Ende der Schicht,verhindern jeden Anflug von Lethargie und Passivität.
Endlich 16 Uhr! Die Kontingente werden gewogen und bewertet.
Ich bin zufrieden und werde nicht für zu leicht befunden wie viele andere Kollegen. Trotz meines Leidens habe ich durch den Akkord einen schönen Zugewinn erwirtschaftet. Das wird sich auf dem Konto bemerkbar machen - bei der nächsten Überweisung. Am Ende der Schicht fühlen wir uns alle wie durchgedreht.
Durch die blasse Frühlingssonne und die Düfte des erblühenden Jahres fahren wir -erschöpft und zerarbeitet- mit den Spargelexpress zurück zum Arbeitslosenamt Südwest, wo wir noch den Abgangsstempel bekommen. Eben feldgrau und nicht mehr aquamarin verlassen wir den Shuttle und werden in diesem Outfit abgestempelt. Aber morgen erscheinen wir alle wieder im frischesten Aquamarin!
Was begehrt ein Spargelstecher nach Feierabend? Goldgelben Spargel in Sauce Hollandaise? Ich habe die Gratisgaben und Sonderkontingente auf dem Feld stets verschmäht. Helle Saucen erzeugen bei mir nur noch Aggressionen. Konditoren träumen nie von Süßkram, sondern von deftigen Würsten. Bei Fleischern dagegen ist es umgekehrt. Und so träumt der Spargelstecher nie von Spargel. Ich hole mir zur Krönung des Tages noch eine Currywurst mit einer Überdosis Chilikörnern - von der Bude nahe dem Arbeitslosenamt, die zum Glück gerade noch geöffnet hat.
Ein bischen schlafen - vorher das Drillich in Aquamarin zurechtlegen... Morgen gehts um vier wieder raus aus den Federn. Früher wurde unsere Arbeit von meist aus Osteuropa stammenden Arbeitern verrichtet - durchaus rauhe und harte Burschen, die gegen die Unwirtlichkeiten des Landlebens und die Launen der Natur besser ausgestattet sind als wir. Heute kann man - sich untereinander grau in grau anschauend - sagen „Siehe da - der feldgraue Landmann ist auch ein Landsmann!“
Wir Feldgrauen - Spargelstecherbrigade von Akademikern im Ei
Lieber Joachim Nossol,
das ist großartig. Ich war selber eine Zeit Arbeitssuchender in Berlin, allerdings ohne Anspruch auf Stütze und ohne Krankenversicherung. Selbst meine besten Freunde behaupteten steif und fest, dass es so etwas in Deutschland nicht geben könne. :???:
Die Arbeitsämter in Berlin hatten schon damals tolle Ideen, um mich in Lohn und Brot zu bringen. Unter anderem durfte ich mir erklären lassen, wie man eine Bewerbung und ein Anschreiben verfasst. Bitte fehlerfrei!
Der Witz: Ich bin studierter Literaturwissenschaftler und war nach über 200 Bewerbungen schon längst Profi im Geschäft.
Sprachlich gefällt mir eine Partizipialkonstruktion nicht so gut: "Aussehend wie die blauen Ameisen einst in Maos Reich besteigen wir den Shuttle in aquamarinfarbenem Drillichzeug."
Die Anspielungen auf Konzentrationslager finde ich ein wenig überzogen. Ob Du das wirklich stehen lassen möchtest? Schließlich ging es in den Lagern darum, die Gefangenen durch Arbeit zu töten.
Übrigens habe ich damals in Berlin verstanden, was all das bewirken soll: Wir sollen auswandern! Verlasst Deutschland, wäre der Slogan. Aber nach gestern Abend kannst Du ja noch warten, bis die WM vorbei ist.
Grüße
Paul Ost
das ist großartig. Ich war selber eine Zeit Arbeitssuchender in Berlin, allerdings ohne Anspruch auf Stütze und ohne Krankenversicherung. Selbst meine besten Freunde behaupteten steif und fest, dass es so etwas in Deutschland nicht geben könne. :???:
Die Arbeitsämter in Berlin hatten schon damals tolle Ideen, um mich in Lohn und Brot zu bringen. Unter anderem durfte ich mir erklären lassen, wie man eine Bewerbung und ein Anschreiben verfasst. Bitte fehlerfrei!
Der Witz: Ich bin studierter Literaturwissenschaftler und war nach über 200 Bewerbungen schon längst Profi im Geschäft.
Sprachlich gefällt mir eine Partizipialkonstruktion nicht so gut: "Aussehend wie die blauen Ameisen einst in Maos Reich besteigen wir den Shuttle in aquamarinfarbenem Drillichzeug."
Die Anspielungen auf Konzentrationslager finde ich ein wenig überzogen. Ob Du das wirklich stehen lassen möchtest? Schließlich ging es in den Lagern darum, die Gefangenen durch Arbeit zu töten.
Übrigens habe ich damals in Berlin verstanden, was all das bewirken soll: Wir sollen auswandern! Verlasst Deutschland, wäre der Slogan. Aber nach gestern Abend kannst Du ja noch warten, bis die WM vorbei ist.
Grüße
Paul Ost
Lieber Joachim,
das finde ich einen sehr gelungenen Text, der durch die vielen Anspielungen, besonders auf das Militär, eine interessante weitere Ebene öffnet (allerdings hat mir auch der Bezug zu Fonatne gefallen, allerdings braucht meines Erachtens der Autorennamen nicht genannt zu werden, denn wer Effi Briest kennt, kennt auch den Satz und die anderen können auch, wenn sie die Namen lesen, nicht mehr damit anfangen. Sonst klingt es auch zu "besserwisserisch").
Ich habe mich bei den Sprüchen des "Feldwaibels" gefragt, wie authentisch diese sind. Wenn sie echt sind, sollte man sie unbedingt stehen lassen, wenn nicht, ist mir der Verweis auf Konzentrationslager auch zu stark.
Bei dem ersten Teil des Titels "Wir Feldgrauen" überlege ich noch, woran er mich erinnert, mir scheint an eine Kurzgeschichte von Borchert?! Ein weites Feld wäre auch ein möglicher Titel (auch wenn das dann doppelt geklaut wäre :grin: )
Liebe Grüße,
Max
das finde ich einen sehr gelungenen Text, der durch die vielen Anspielungen, besonders auf das Militär, eine interessante weitere Ebene öffnet (allerdings hat mir auch der Bezug zu Fonatne gefallen, allerdings braucht meines Erachtens der Autorennamen nicht genannt zu werden, denn wer Effi Briest kennt, kennt auch den Satz und die anderen können auch, wenn sie die Namen lesen, nicht mehr damit anfangen. Sonst klingt es auch zu "besserwisserisch").
Ich habe mich bei den Sprüchen des "Feldwaibels" gefragt, wie authentisch diese sind. Wenn sie echt sind, sollte man sie unbedingt stehen lassen, wenn nicht, ist mir der Verweis auf Konzentrationslager auch zu stark.
Bei dem ersten Teil des Titels "Wir Feldgrauen" überlege ich noch, woran er mich erinnert, mir scheint an eine Kurzgeschichte von Borchert?! Ein weites Feld wäre auch ein möglicher Titel (auch wenn das dann doppelt geklaut wäre :grin: )
Liebe Grüße,
Max
Lieber Joachim,
ich schließe mich max und Paul an - die Beschreibungen sind detailgenau, die Darstellung gelungen. Man sollte diesen Texte an Ständen verteilen, an denen dann andere den Spargel kaufen. Inzwischen gibt es wahrscheinlich noch ganz andere "Arbeitnehmerverhältnisse", die ´Menschen machen müssen, man könnte ein Buch voll mit solchen Beschreibungen füllen.
Liebe Grüße,
Lisa
ich schließe mich max und Paul an - die Beschreibungen sind detailgenau, die Darstellung gelungen. Man sollte diesen Texte an Ständen verteilen, an denen dann andere den Spargel kaufen. Inzwischen gibt es wahrscheinlich noch ganz andere "Arbeitnehmerverhältnisse", die ´Menschen machen müssen, man könnte ein Buch voll mit solchen Beschreibungen füllen.
Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.
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