Hoffmann (überarbeitet)

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 21.06.2006, 14:31

Diotima hat mich - ohne es zu wissen - an eine alte Geschichte erinnert. Es handelt sich um eine Art Paralleltext. Wer kennt die Vorlage?

Es war einer der ersten Tage des neuen Jahres, als ich erschöpft aus dem Zug stieg und direkt dort am Bahnhof Zoologischer Garten in einer der Bäckereien einen Kaffee bestellte. Ich war gerade mit dem Zug aus Weimar eingefahren und stand noch unter dem Eindruck meiner kurzen Reise. Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg waren von einer Eisschicht bedeckt gewesen. Inmitten der Saale, der Elbe und der Havel hatten sich Eisinseln gebildet und so manche Bank, die im Sommer einen schönen Ausblick von der Uferpromenade ermöglicht hätte, stand nun mitsamt der dazugehörigen Mülltonne im Wasser. Schrebergärten hatten sich in Eisgärten verwandelt, und die weiten Wiesen und Felder waren mit Schnee bedeckt. Auf den Ästen der alten Bäume lastete schwer der Schnee. Weit und breit war kaum ein Mensch zu sehen, auch nicht in den kleinen Ortschaften mit Namen wie Güsow oder Kirchmöser, Wulfen oder Apolda, die meine Bummelzüge durchquerten. Sie hielten an jedem Bahnhof an, ob nun jemand einstieg oder nicht, und der Regionalzug in Brandenburg verkündigte jede nahende Haltestelle sogar mit einer unerträglichen, synthetischen Volksmelodie, deren Ursprung ich jedoch nicht ganz zu ergründen vermochte. Sie erinnerte mich ein wenig an Das Wandern ist des Müllers Lust, doch schien die Melodie eine andere, mir unbekannte zu sein. Es fuhren kaum Leute mit der Bahn. Die Wirtschaftskrise hatte den Osten Deutschlands fest im Griff, und wenn die Menschen Reisen mussten, dann fuhren sie normalerweise mit dem Auto. Die Bahn hatte gerade die Preise angezogen und die günstigen IR-Züge gestrichen. Auch denjenigen, den ich zuvor immer genommen hatte.
So war ich jetzt zum ersten Mal in diesem frühen Jahr des neuen Jahrtausends mit einem Bummelzug durch das eiserstarrte Land gefahren. Die Temperaturen hatten nachts in den letzten Tagen bis zu zwanzig Grad unter Null erreicht. Mir gefiel diese Kälte sehr gut. Die Luft war klar und rein. Dennoch, als ich jetzt am Bahnhof Zoo in einem dieser Läden einer Bäckereikette saß und einen viel zu teuren Kaffe bestellen wollte, um mich aufzuwärmen und an die zahlreichen griesgrämigen Menschen zu gewöhnen, war es mir, als sei auch in den Deutschen, die ich um mich herum wahrnahm, etwas erstarrt. Ich hörte wie über den nahenden Krieg gesprochen wurde, der schon eine abgemachte Sache zu sein schien. Man sprach über die sinkenden Aktienkurse, die steigenden Arbeitslosenzahlen, die drohenden Streiks im öffentlichen Dienst und die zunehmende steuerliche Belastung.
Ich hatte schon einige Minuten freundlich – wenn auch wahrscheinlich leicht melancholisch – lächelnd die Verkäuferin angeschaut, aber sie schien nicht reagieren zu wollen, obwohl weit und breit kein anderer Kunde zu sehen war. Jetzt erst kam ein weiterer, sah meinen erwartungsfrohen und hoffnungslosen Blicke und sagte, indem er sich die Mütze vom Kopf nahm: „Die werden hier immer unfreundlicher in diesem Land. Vor ein paar Jahren, da war das noch ganz anders. Bitte schön hier, bitte sehr da! Wissen Sie, was mit denen los ist?“ Ich lächelte nur etwas vorsichtig. In Berlin wusste man nie, ob man es mit einem Irren zu tun hatte oder etwa mit einem geschäftigen und selbstbewussten Menschen. Ich hatte es aufgegeben, zu warten, bis die Verkäuferin mich wahrnehmen würde und rief laut: „Einen Kaffee, bitte!“ Der Mann neben mir rief: „Für mich auch einen Kaffee.“ Die Frau hinter der Theke machte ein finsteres Gesicht, sprach jedoch kein Wort und bereitete den Kaffee vor. Es schien, als hätte man ihre Verachtung nur dadurch geweckt, dass man bei ihr etwas bestellen wollte. Um nicht mit dem Mann neben mir reden zu müssen, las ich in der Zeitung – von der ich wusste, dass sie vor kurzem zahlreiche feste Redakteure entlassen hatte – von einer ostdeutschen Familie, die durch unglückliche Umstände hoch verschuldet ihr Gasthaus aufgeben mussten. Die Zeitung war schlechter geworden, der Artikel wimmelte nur so vor sachlichen und formalen Fehlern und dennoch war ihr Preis erst vor kurzem angehoben worden. Ich ließ das Blatt sinken und schaute lieber wieder auf die Passanten: Geschäftsleute in dunklen Anzügen oder strengen Kostümen, junge Mädchen in langen taillierten Mänteln, ihre Haaren zu einfachen Zöpfen zusammengebunden, pubertierende Jungen mit Hosen, die in den Kniekehlen zu liegen kamen, alte Damen mit großen Koffern, die sie an ausklappbaren Griffen durch den Bahnhof zogen. Ein Mann mit blondem schütterem Haar verkaufte eine Obdachlosenzeitung, mit einem netten Lächeln, auch wenn die potentiellen Kunden schon längst weitergegangen waren, ohne sich nach ihm umzuschauen. Touristen aus aller Welt liefen durch die Bahnhofshalle: Japaner, Afrikaner, Amerikaner mit großen Rucksäcken, Kanadier, die sich vor allem durch die Aufnäher ihrer Landesflaggen von ihren Nachbarn unterschieden. Und während ich dort in dem Café saß, meinen kleinen Kaffee trank und nur gelegentlich in die Tageszeitung blickte, war ich fast zufrieden. Die Menschen, die an mir vorüberliefen, Damen in ihren Reisekostümen, die jungen Rucksacktouristen mit ihren Gitarren, ließen in mir ein Gefühl aufkommen, als wäre es mir möglich, einen Roman zu schreiben oder zumindest eine Kurzgeschichte. Ich betrachtete einen schlanken jungen Mann mit einem elegant geschnittenen langen Mantel und leicht gelockten, dunklen Haaren und versuchte mir vorzustellen, warum er wohl hier in Berlin am Bahnhof war, ob er verreisen wollen würde oder nur ein paar Minuten wartete, da gleich seine Freundin aus einer anderen Stadt einfahren würde. „Sie haben diesen jungen Mann entdeckt!“ sagte plötzlich neben mir ein kleiner Mann mit einem leichten Buckel. Er war ungefähr fünfunddreißig Jahre alt, hatte strahlende, blaugrüne Augen und einen scharfen Blick, mit dem er mich aufmerksam musterte. Sein Anzug wirkte ein wenig altmodisch, war dunkelblau, und unter dem Jackett trug er ein weißes Hemd mit Rüschen. Seinen langen schwarzen Mantel legte er neben sich auf einen Stuhl, nachdem er sich, ohne weiter zu fragen, neben mir niedergesetzt hatte. „Ja“, sagte ich, ohne mir genau darüber im Klaren zu sein, warum ich ihm antwortete. „Ein sehr interessanter junger Mann“, bemerkte er und fuhr sofort fort: „Ich glaube er besucht hier in der Stadt seinen Onkel. Er hat wahrscheinlich vor kurzem erst sein Abitur absolviert, mit lauter Einsern in allen Fächer und weiß jetzt nicht so genau, was er mit seinem Leben anfangen soll. Sein Onkel ist Oberregierungsrat, war jedoch in jüngeren Jahren auch einmal ein wenig künstlerisch veranlagt. Auf dem Dachboden seines großen Hauses in Grunewald liegt vielleicht sogar noch sein Roman, den er während seines Studiums in den Abendstunden geschrieben und danach einfach in einer Schublade verschlossen gehalten hatte, bis er, nach einigen Umzügen zwischen alten Papieren in einer Umzugskiste verstaut, dort gelagert worden war. Die Seiten des Romans sind wahrscheinlich schon vergilbt, die Tinte verblichen und kaum noch leserlich. Selbst der Onkel, der Regierungsrat, weiß gar nicht mehr genau, was er da einmal geschrieben hat. Der junge Mann hat sich in Konstanz in Jura eingeschrieben und hat jetzt vielleicht noch ein paar Tage, bevor das Wintersemester in die zweite Runde geht. Aber der eigentliche Grund für seinen Besuch ist ein anderer. Der Onkel hat eine Stieftochter im Haus, Adele mit Namen, ein schlankes Mädchen mit wachen grünen Augen, einem zierlichen Hals und lustigen schwarzen Locken. Sie ist die Tochter einer italienischen Opernsängerin, der Frau des Oberregierungsrates. Diese war zuvor mit einem Operndirektor und Kammermusikmeister verheiratet, der jedoch – schon vor langer Zeit – unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen ist.“
Der Mann war gar nicht mehr zu bremsen: „Wieso hat den Adele so lustige schwarze Locken“, fragte ich ihn, um überhaupt etwas zu sagen, „wenn doch ihr Vater verstorben ist?“
„Das fragen Sie mich noch?“ Der Mann schien ernsthaft beleidigt zu sein. „Das liegt ja wohl ganz an Ihnen, sich da eine sinnvolle Geschichte auszudenken.“ Er wirkte ein wenig fahrig, auch etwas ungeduldig, und in seinen Augen hatte er ein leichtes Flackern. Seine Wangen, das bemerkte ich erst jetzt, waren ein wenig eingefallen. Es schien, als hätte er in den letzten Tagen, ja vielleicht sogar Wochen, nicht genug zu essen bekommen.
„Möchten Sie vielleicht auch ein Brötchen essen, mit Käse oder Schinken? Ich habe einen mörderischen Hunger“, sagte ich, um ihn zum Mitessen zu bewegen. Aber mein altruistischer Anfall stieß auf regen Widerstand.
„Ich esse nicht. Ich esse nie und brauche auch gar nichts zu essen. Wenn alle jungen Menschen heutzutage so verfressen sind wie Sie, dann muss man sich ja gar nicht wundern, wenn immer mehr gefräßige Bücher herausgegeben werden, in denen kein einziger Satz mehr von wahren Gefühlen erzählt. Bücher, in denen einfach nur dahin geschrieben wird, und Bücher, in denen langweilige Gelehrte ihre elenden Theorien an die Leute bringen wollen, und Bücher die sich über Hunderte von Seiten mit Nichtigkeiten beschäftigen.“
„Schreiben Sie denn?“ fragte ich, um seinen Ausbruch zu unterdrücken, denn die anderen Leute in der Bäckerei drehten sich schon zu uns um.
„Was? Wie? Ich …“, er schaute sich gehetzt um, „ich habe jetzt keine Zeit mehr. Ich muss weiter.“ Er sprang auf und war auch schon verschwunden, ehe ich etwas erwidern konnte. Auch der junge Mann war schon gegangen, vermutlich, um sich mit Adele zu treffen und in die Deutsche Staatsoper zu gehen. Ich stand auch auf und ging zur S-Bahn Kundenzentrale, um mir eine neue Monatskarte zu kaufen. Ich würde die nächsten Wochen hier in Berlin leben müssen, um eine wissenschaftliche Arbeit zu schreiben. Das waren nun wirklich keine herrlichen Aussichten und daher lief ich etwas betrübt auf dem Bahnsteig auf und ab, wo ich auf die S-Bahn wartete.

Einige Tage später hatte es einen Wetterwechsel gegeben, der die eisige Winterkälte in ein feuchtes Novembergrau verwandelte. Es war zwar noch relativ früh am Abend, aber im Januar wurde es schon um vier Uhr nachmittags dunkel. Ich lief über die Straße Unter den Linden, weil ich keine Lust hatte, den Bus zu nehmen. Ich wäre viel zu früh in meiner einsamen Wohnung angekommen und davor graute es mir. Schon vor der Humboldt-Universität fiel mein Blick auf einen gewaltigen Schwarm von schwarzen Vögeln, die über der Berliner Mitte kreisten. Es mussten an die zehntausend Krähen sein, die in Wogen aufstiegen und sich dann auf dem Dach der ausgehöhlten Fassade des Palastes der Republik niederließen. Ich blieb stehen und schaute mir das Spektakel an. Fast unheimlich war es, dass all diese Vögel beinahe keinen Laut von sich gaben. Als ich weiterging, bemerkte ich, dass einige der Krähen sich auch in den kahlen Bäumen hinter dem Dom niedergelassen hatten, auf beiden Seiten der Spree. Jetzt hörte ich auch ihr Krächzen, wenn auch sehr leise, vom Lärm der Straße, den Motoren der Autos, Busse, Bahnen und Flugzeuge übertönt. Auf der rückwärtigen Seite des Palastes der Republik wandte ich mich noch einmal um. Ich sah, dass tatsächlich die meisten Krähen auf dem Dach des entkernten, ehemals staatstragenden Gebäudes saßen, wie ein Heer von Gargylen, dass auf den Angriffsbefehl wartete, um bei Signal, die gesamte entkräftete Hauptstadt zu zerstören. Gegenwehr hätte es nicht gegeben. Die wenigen Menschen, die auf den Straßen unterwegs waren, sahen müde und erschöpft aus. Gereizt blickten sie auf den Boden, sprachen kaum untereinander und hielten sich die Mantelkrägen mit rot gefrorenen Fingern gegen den kalten Wind zusammen. Ich spürte, wie mir ein Schauer den Nacken hinablief und wunderte mich nicht zum ersten Mal über meine düstere und unglückliche Stimmung. „Ja, die sehen schon wie ein furchtbares, angriffsbereites Heer von finsteren Raben aus“, sagte plötzlich direkt neben mir eine vertraute Stimme. Es war der absonderliche Mann aus der Bahnhofsbäckerei. Er sah müde aus und seine Haare waren wirr und zerzaust, als wäre er erst eben gerade aufgestanden. Meine Stimme war noch etwas rau, denn ich hatte den ganzen Tag über noch mit keinem Menschen gesprochen. „Es sind doch wohl Nebelkrähen“, sagte ich, „oder bestenfalls Dohlen.“ Ich hatte wohl zu leise geredet, denn er verzog sein Gesicht zu einer Grimasse und hielt sich eine Hand an sein rechtes Ohr. „Glauben Sie wirklich, dass das Raben sind“, sagte ich nun etwas lauter. „Ja, ganz gewiss sogar. Eine Armee von Raben, die von einem Zauberer herbeigerufen wurden. Er sitzt in seiner Villa in Zehlendorf und hadert mit der Welt. Seine jüngste Tochter, Friedericke mit Namen, ist von ihrem Freund verlassen worden und sitzt nun unglücklich in ihrem Zimmer. Sie schaut den ganzen Tag nur noch fern und isst nicht mehr. Der Zauberer will nun die Raben auf die ganze Stadt hetzen, wenn der junge Mann sich nicht wieder mit ihr zusammentut.“ Ich wusste nicht so genau, wie ich auf diesen Schwachsinn reagieren sollte, sagte also einfach: „Ach so, das erklärt natürlich einiges. Ich hätte gedacht, diese großen Schwärme kommen vielleicht in die Stadt, weil es hier im Winter einfach mehr zu essen gibt, als auf den Feldern in Brandenburg.“ Er schaute mich wieder mit seinem durchdringenden Blick an. „Nun, so ein Unsinn“, versetzte er, „ich frage mich, was so junge Leute wie sie eigentlich heutzutage so alles für einen Mist lernen.“ Ich wollte mich entschuldigen und erklären, dass wir im Biologieunterricht vornehmlich etwas über die Photosynthese und die Genetik gelernt haben und fast nichts über Krähen und andere rabenartige Vögel, doch der komische Kauz war schon in die Spandauer Straße abgebogen, und ich sah, wie er in einem atemberaubendem Tempo davonlief, wobei er ab und zu ein wenig hüpfte und zwar so als würde ihn ein innerer Drang dazu treiben, denn eigentlich gab es dafür keinen Anlass.

Als ich ihn das dritte Mal traf, es war nun schon Ende Januar, lief ich gerade durch Prenzlauer Berg. Es war abends, der Himmel war bedeckt und nur wenige Menschen waren auf den Straßen. Er stand plötzlich vor mir, sah fast verhungert aus, mit seinen eingefallenen Wangen, seinen dünnen Beinen und seinem irren, wenn auch intensiven Blick. „Ich muss Ihnen etwas zeigen“, rief er, als wären wir die besten Freunde und hätten uns gestern erst das letzte Mal gesehen. „Folgen Sie mir“, rief er nun etwas lauter und lief auch schon voraus. Ich hatte Schwierigkeiten, ihm zu folgen, denn er lief sehr schnell, wenn auch leicht gebückt. Ab und an tat er einen Sprung, mitten im Lauf, so als müsse er über eine Wurzel oder einen hohen Bordstein springen. An einem unsanierten Altbau in der Rykestraße hielt er vor einer mit Antikriegsplakaten beklebten Tür an. Das Haus war in ein Gerüst gekleidet und unten an der Wand lehnten Fahrräder. Er öffnete die Tür und schlüpfte blitzschnell in den Eingang. Nur kurz winkte er mir, ihm zu folgen und schon haspelte er die steile hölzerne Treppe empor. Gelegentlich gibt es solche Altbauten noch in Berlin, Häuser in denen seit über hundert Jahren die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Die Treppe und das Geländer waren aus dunklem, massivem Holz. Über mehrere Etagen folgte ich ihm, jede Stufe schien unter unseren Schritten zu knarren. Im vierten Stock blieb er stehen und öffnete eine Tür, die sich mit einem Quietschen öffnete. Er führte mich durch ein Vorzimmer, dessen Einrichtung ich kaum erkennen konnte, denn es war sehr dunkel. Nur ein wenig Mondlicht fiel durch die hohen Fenster, die jedoch zum größten Teil mit Vorhängen abgehängt waren. In einem angrenzenden Raum wies er hastig auf ein altes Biedermeiersofa mit einem grün-weiß gestreiften Bezug. „Warten Sie hier, ich bin gleich wieder da.“ Der Raum war abgesehen von dem Sofa und einem wuchtigen alten Schreibtisch mit einem Stuhl vollkommen leer. Als er zurückkam, trug er in einer Hand einen siebenarmigen Leuchter mit brennenden Kerzen, in der anderen Hand hielt er einen Stapel beschriebenes Papier. Er begann sofort damit, mir vorzulesen und ich vergaß im Laufe der Geschichte, wo ich war und was ich eigentlich genau wollte. An den genauen Inhalt seiner Erzählung kann ich mich nicht mehr erinnern. Es ging um einen jungen Mann, der in Berlin, dem Hungertod nahe, an einem Manuskript über einen Schriftsteller schrieb. Die einzige ihm bekannte Person war ein wunderschönes junges Mädchen. Die Tochter eines angesehenen Richters am Landgericht, die jedoch nur selten die Zeit hatte, sich mit dem jungen Schriftsteller zu treffen. Einmal, als ihren Eltern vereist sind, gelingt es ihr, ihn zu sich nach Hause einzuladen. Die beiden essen Tiefkühlpizza und reden über ihr Leben und ihre Liebe zueinander, als plötzlich die Eltern der beiden wiederkehren. Der Vater, wutentbrannt, verbietet dem jungen Schriftsteller das Haus und droht ihm mit der Polizei und so irrt der junge Mann nun ganz alleine durch die große unwirtliche Stadt. Vielleicht klingt die Geschichte ein wenig langweilig und bedeutungslos, ja sogar unplausibel, aber die ruhige Stimme, in der mir der Mann vorlas, hatte eine fast magische Wirkung auf mich. Er hatte, wie ich jetzt bemerkte, einen leicht süddeutschen Akzent. Vielleicht stammte er aus Heidelberg. Die Erzählung endet mit dem traurigen Tod des jungen Mannes. Er wandert vor lauter Einsamkeit in die Brandenburgische Winternacht und ersäuft sich in einem Ausläufer der Havel. Als das Mädchen von seinem Tod erfährt, verliert sie den Verstand und muss fortan in einer betreuten Wohngemeinschaft wohnen, wo um ihretwillen ein Zivildienstleistender nach dem anderen den Verstand verliert.
Nachdem der Mann geendet hatte, stand er auf und lief in den Nebenraum. Es raschelte ein wenig und nach ein paar Augenblicken kam er wieder zurück. Als ich ihn so vor mir stehen sah, er hatte sich wohl ein Taschentuch geholt, um seine Tränen fortzuwischen, da hatte ich fast das Gefühl, in die Augen von E. T. A. Hoffmann zu blicken. „Seid Ihr es?“ fragte ich daher schüchtern.
Zuletzt geändert von Paul Ost am 03.07.2006, 23:41, insgesamt 1-mal geändert.

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Beitragvon Lisa » 25.06.2006, 11:57

Lieber Paul,
ich habe jetzt ein paar Tage gewartet, ob mir die Antwort noch einfällt...aber auf die literarische Vorlage komme ich nicht, ich scheine den text nicht zu kennen...(was mir natürlich ziemlich peinlich ist)...ich habe natürlich die ganzen Hinweise auf Hoffmanns Leben und Schreiben bemerkt, aber den Werkbezug, oder sind es gar Bezüge, nicht gefunden. Ich muss zugeben, dass ich von Hoffmann auch noch nicht genug gelesen habe (dafür aber den Topf ganz oft :-$ ), ich kenne einige Erzählungen (Bergwerke zu Falun, Sandmann, einige andere), Die E. des Teufels, den Topf natürlich, gerade lese ich Kater Murr...am liebsten werden mir wohl noch die Serapion-Brüder sein, da von habe ich schon so viel gehört...aber das war es auch schon...kennst du das, wenn EIN Buch schon so perfekt für einen geschrieben scheint, dass die anderen nicht drängen gelesen zu werden, denn man weiß: Die Nähe kann nicht mehr größer werden...

NUn bin ich gespannt auf einen Tipp oder deine Lösung!

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 25.06.2006, 16:13

Liebe Lisa,

der Titel der Geschichte ist der Name eines berühmten Komponisten. Hoffmann schrieb sie 1809 (?) in Berlin, als er gerade ziemlich abgebrannt war. Wenn ich mich recht entsinne, war es sein erstes schriftstellerisches Werk.

Der Komponist ist heutzutage wahrscheinlich ebenso berühmt wie der Maler Hummel. Es ist also nicht Mozart, den Hoffmann ja auch verehrte.

Wenn mir ein Werk von einem Autor gefällt, muss ich gleich auch alle anderen lesen. Du weißt ja, wie wir Männer so sind. Da capo. Und immer mehr desselben! :grin:

Grüße

Paul Ost

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Beitragvon Lisa » 26.06.2006, 14:32

Lieber Paul,
aha, dank recherche weiß ich nun, dass das Gluck gewesen sein muss. ich wiederum kenne nur den kreiselnden kreisler,der gefällt mir als Figur viel besser...

ja, das mit dem Amadeus weiß ich wohl...spannend, ich denke letztlich wäre Hoffmann wohl lieber (schaute er nun von einer Wolke herab) ein berühmter Musiker geworden. Was hältst du eigentlich von ihm? und welches Buch schätzt du?
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Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 26.06.2006, 15:40

Liebe Lisa,

Hoffmann habe ich immer gerne gelesen. Der Ritter Gluck ist eine seiner kürzeren Erzählungen. Du könntest sie Dir mal im vorbeilesen antun. Sie ist gleichzeitig eine meiner liebsten Hoffmann-Geschichten.

Diese Geschichte ist im Aufbau und vom Inhalt der vom Ritter Gluck sehr ähnlich. Einschließlich der Begegnung mit dem Geist.

Rüdigar Safranskis Hoffmann-Biographie fand ich besonders lehrreich. Er hat sich ja mit Schopenhauer noch einmal gesteigert, um dann Richtung Nietzsche und Schiller zunehmend zu verflachen.

Zu meiner Geschichte hast Du übrigens nichts gesagt. :sad:

Grüße

Paul Ost

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Beitragvon Lisa » 03.07.2006, 09:32

Lieber Paul,
nun endlich zu deiner schönen Geschichte:

ich finde sie würde sich nahtlos in Rüdiger Safrankis Biographie einfügen, die ich natürlich auch gelesen habe und großartig finde. Nietzsche und Schopenhauer habe ich übersprungen, aber den Schiller habe ich (für 5 Euro, gab es beim Amt für politische Bildung!), allerdings erst angelesen.

Sind die Augen von Hoffmann nachweislich grün-blau? das fände ich spannend zu wissen :grin: :-$ .

Ansonsten: So ein treffen würde ich auch gerne mal beschreiben, noch lieber natürlich erleben, es ist wundervoll gechildert und Hoffmann eigenet sich dafür ja auch ungemein, ein Kautz muss er trotz aller Schönheit wirklich gewesen sein. Mich wundert, dass du gar nicht den Alkohol mit ins Spiel gebracht hast.

Deine geschichte hat mich dazu gebracht, bald den Gluck zu lesen, wer dieses Buch kennt, wird sicher noch tiefer in den Bann deiner geschichte gezogen, weil tausenderlei Details ihm entgegenblühen, aus Hoffmanns Leben habe ich viele erkannt, aber auch neues gelernt (zum Beispiel über sein Sofa). Seine Frau hat er wohl abgelegt?

Ich finde den Text wirklich ganz zauberhaft, wenn ich darf, lege ich mir den Ausdruck in meine Hoffmann-Bücher?

ich finde es auch spannend, dass dem Protagonisten nicht viel passiert, er kommt gerade von Reisen und schreibt unwillig in berlin an seiner abschluss- oder doktorarbeit, trotzdem empfängt man die Stimmung von ihm.

Ein paae davon (nur beim zweiten Lesen, kein genaues Prüfen) gibts auch:

Formale Anmerkungen (die Kommentare habe ich stichwortartig gemacht, sie sollen nicht besserwisserisch oder unfreundlich klingen, falls sie das dadurch tun):
Das Wandern ist des Müllers Lust – Anführungsstriche, kursiv?


Die Bahn hatte gerade die Preise angezogen und die günstigen IR-Züge gestrichen. Auch denjenigen, den ich zuvor immer genommen hatte.
Warum nur ein Zug? Die Reise scheint mehrere Stationen zu haben...



Aktiekurse - Aktienkurse

Jetzt erst kam einer – vielleicht besser: ein weiterer?


Erwartungsfrohen – das Wort kenne ich nicht, erwartungsvollen? Ansonsten einfach weiterlesen und nicht über meinen Wortschatz nachdenken :-)

Vor ein paar Jahren, da war das noch (ganz) anders.


Bitte schön hier, bitte sehr da! Wissen sie, was mit denen los ist?“

: „Einen Kaffee bitte!“ – Einen Kaffee, bitte – auch bei fließender Betonung, oder?

junge Mädchen in langen taillierten Mänteln und mit ihren Haaren in einfachen Zöpfen zusammengebunden, - vielleicht: junge Mädchen in langen taillierten Mänteln, ihre Haare zu einfachen Zöpfen zusammengebunden

ODER:




pubertierende Jungen mit Hosen, die in den Kniekehlen zu liegen kamen – grammatisch korrekt??

gelockten dunklen Haaren – für mich eher: gelockten, dunklen Haaren

strahlende blaugrüne Augen – hier das gleiche


Abitur absolviert – kennt Hoffmann diesen Ausdruck?


, mit lauter Einsern (ebenso hier, waren sehr gute Noten Einser zu der Zeit?

Auf dem Dachboden seines großen Hauses in Grunewald liegt vielleicht sogar noch sein Roman, den er während seines Studiums in den Abendstunden geschrieben hatte und danach einfach in einer Schublade verschlossen gehalten hatte – das hatte nach geschrieben würde ich streichen



Der Onkel hat eine Stieftochter im Haus, Adele mit Namen, ein schlankes Mädchen mit wachen grünen Augen, einem zierlichen Hals und lustigen schwarzen Locken. Sie ist die Tochter einer italienischen Opernsängerin, der Frau des Oberregierungsrates. Diese war zuvor mit einem Operndirektor und Kammermusikmeister verheiratet gewesen – hier könnte man das gewesen auch streichen.



Seine Wangen, dass bemerkte ich erst jetzt – das

wenn immer mehr gefräßige Bücher herausgegeben werden, in denen kein einziger Satz mehr von wahren Gefühlen berichtet – statt berichtet vielleicht besser erzählt.




„Schreiben Sie denn?“ fragte ich, um seinen Ausbruch zu unterdrücken, denn die anderen Leute in der Bäckerei hatten sich schon nach uns umgedreht – besser vielleicht: <<<drehten sich schon zu uns um<<<, das kann ja auch sein und klingt besser.



Ich würde die nächsten Wochen hier in Berlin leben müssen, um eine wissenschaftliche Arbeit zu schreiben. Das waren nun wirklich keine herrlichen Aussichten und daher lief ich auch etwas betrübt auf dem Bahnsteig auf und ab, wo ich auf die S-Bahn wartete – wieso das auch?





schon um vier Uhr nachmittags dunkel. Ich lief über die Straße Unter den Linden – kursiv oder in Anfürhungsstriche?



weil ich keine Lust hatte, den Bus zu nehmen. Ich wäre viel zu früh in meiner einsamen Wohnung angekommen, und davor graute es mir. --- Komma vor und weg



Schon vor der Humboldt-Universität fiel mein Blick auf einen gewaltigen Schwarm von schwarzen Vögeln, die über der Berliner Mitte – kursiv, Anführungsstriche

kreisten. Es mussten an die zehntausend Krähen sein (viel zu viel :-) )


Palastes der Republik – s.o. (kommt mehrmals vor)


Als ich weiterging bemerkte ich, dass einige der Krähen sich – Komma nach weiterging


wie ein Heer von Gargylen, dass auf den Angriffsbefehl wartete, um bei Signal, die gesamte entkräftete Hauptstadt zu zerstören. – hier ginge auch warten, was ich besser fände.


Es war der Mann aus der Bahnhofsbäckerei. – welcher der beiden, das würde ich durch ein Adjektiv genauer angeben

Eine Armee von Raben – geht auch Raaben, schöner? (kommt öfter vor)

komische Kauz – tautologie...



Als ich ihn das dritte Mal traf, es war nun schon Ende Januar, da
lief ich – das da würde ich streichen.




Es war abends, der Himmel war bedeckt und nur wenige Menschen waren auf den Straßen. Er stand plötzlich vor mir, sah fast verhungert aus – diese Beschreibung ist eine Wiederholung

„Ich muss Ihnen etwas zeigen“ – mir ist aufgefallen, dass du Ihnen als Anrede groß schreibst, „Sie“ aber nicht.


dunklem massivem Holz, dunklem, massiven Holz oder: dunklem Massivholz



die sich mit einem quietschen öffnete - Quietschen


Der Raum war abgesehen von dem Sofa und einem massiven alten Schreibtisch mit einem Stuhl ganz leer. – besser fände ich: vollkommen leer oder ähnliches



Als er zurückkam trug er in einer Hand einen siebenarmigen Leuchter mit brennenden Kerzen,- Komma nach zurückkam, oder?

in der anderen Hand hielt er einen Stapel von beschriebenem Papier. – besser: einen Stapel beschriebenes Papier



Irgendwann gelingt es ihr, als ihren Eltern vereist sind, ihn zu sich nach Hause einzuladen. – hier würde ich irgendwann zu einmal machen und den Satz umstellen



Die Erzählung endete mit dem traurigen Tod des jungen Mannes. Er war vor lauter Einsamkeit – zuvor wird die Erzählung im Präsens geschildert..ab hier in vergangenheit


Als der Mann geendet hatte, stand er auf – als steht mit gleichzeitigkeit ( als –hatte – stand geht nicht)
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 03.07.2006, 19:38

Liebe Lisa,

vielen Dank für Deinen ausführlichen Kommentar. Und ich dachte schon ich hätte Ferien! :grin: Nun werde ich mich mal da durcharbeiten.

Eigentlich bin ich ganz froh, dass kein Alkohol vorkommt. Schließlich ist das ja auch eine Geschichte über mich. Hätte ich in Berlin auch noch mit dem Trinken angefangen, wäre ich wahrscheinlich im Hinterhaus verrottet, wie mein Nachbar unter mir.

Aber es stimmt schon, Hoffmann muss ganz ordentlich gepichelt haben. Schlimmer war da übrigens noch Jean Paul, der ließ sich gegen Ende seines kurzen Lebens gleich einen ganzen Bierwagen in sein Hotel kommen. Es heißt, ohne einen Krug Bier auf dem Tisch hätte er keine Zeile schreiben können.

Grüße

Paul Ost

P.S.: Hoffmanns Augenfarbe ist unbekannt. Es gibt sehr widersprüchliche Informationen, die von schwarz bis blau reichen. Meine Augenfarbe ist dagegen kein Geheimnis, deshalb habe ich sie verliehen.

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Beitragvon Lisa » 06.07.2006, 10:09

Lieber Paul,

dabei habe ich von Jean Paul eimal einen Satz gehört, der gar nicht danach klang, dass Gehirnzellen verloren gegangen sind - sehr sehr bewunderungswürdig für seine Zeit. Das mit dem Bierwagen gibt natürlich nochmal einen Skurrilitätspunkt mehr!

Das mit der Augenfarbe wusste ich gar nicht, ich vermute sie wässrig blau bis dunkelblau, auf jedenfall blau. Eine schöne Umsetzung, ihm deine eigene Augenfarbe zu verleihen. Ich bin gespannt, was für geheimnisse noch alle in dem Text schlummern.

Vielleicht schreibe ich auch mal so eine Geschichte, das hat mich sehr begeistert, dieses fiktive Treffen. Wie es wohl wäre, wenn Hoffmann eine Frau träfe?
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 06.07.2006, 11:11

Liebe Lisa,

sei vorsichtig! Hoffmann soll ja ein Schwerenöter gewesen sein! Also spreche ich hier - mit den Worten eines weisen Mannes - die Warnung aus: "Mit Gedanken spielt man nicht, meine Kleine!"

Was Jean Paul angeht, hatte dieser wohl genug Hirnzellen, um einige davon zu ersäufen. Gegen Ende seines Lebens wohnte er allerdings in einem Gasthof. Seine Familie konnte ihn nicht ertragen, denke ich mal. Er hasste Möbel und lag am liebsten auf dem Boden. Warum? Er war so dick, dass er in keinen Stuhl gepasst hätte. Aber seine Briefe! Zahlreiche seiner Zeitgenossen, honorige Menschen wie Fichte und Hegel waren neidisch auf ihn, weil es ihm oft genug gelungen war, sich mit adeligen Frauen zu verloben.

Grüße

Paul Ost

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Beitragvon Lisa » 09.07.2006, 15:02

Was Jean Paul angeht, hatte dieser wohl genug Hirnzellen, um einige davon zu ersäufen. Gegen Ende seines Lebens wohnte er allerdings in einem Gasthof. Seine Familie konnte ihn nicht ertragen, denke ich mal. Er hasste Möbel und lag am liebsten auf dem Boden. Warum? Er war so dick, dass er in keinen Stuhl gepasst hätte. Aber seine Briefe! Zahlreiche seiner Zeitgenossen, honorige Menschen wie Fichte und Hegel waren neidisch auf ihn, weil es ihm oft genug gelungen war, sich mit adeligen Frauen zu verloben.


Es ist schon wundersam, welches feine Wesen im Inneren schlummern kann. Bei so extremen Gegensätzen ist das vielleicht noch nicht einmal das Tragischste. Bei unauffällige Menschen mit Schätzen im Innersten ist es vielleicht doch noch schlimmer (denn nicht alles lohnenswerte ist augenscheinlich).

Ich habe mir Jean Paul immer als schlank und schlagfertig vorgestellt, ein wenig wie Heine, nur romantischer.
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
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