Der schwermütige Seehund

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Mucki
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Beitragvon Mucki » 08.09.2006, 13:01

Zweite Fassung von Magic, 18.09.2006

Der schwermütige Seehund

Es war einmal ein schwermütiger Seehund. Traurig lag er auf dem Strand hinter einem großen Felsen, der ihm den Blick auf das Meer versperrte. Mit leeren Augen starrte er in die Ferne. Wehmütig erinnerte er sich, wie er früher mit seinen Freunden in den Wellen getobt hatte, dabei riesige Wasserfontänen entstanden. Pure Lebensfreude, ja damals. Müde wandte er sich im staubigen Sand hin und her, als eine Träne über sein Gesicht kullerte. Sie blieb an seiner Nase hängen und musterte ihn eindringlich.

"Sag mal, warum liegst du hier so träge herum? Du bist ja schon ganz vertrocknet. Wieso tummelst du dich nicht im Meer?", fragte die Träne.

Ungläubig schaute er sie an.
“Vor langer Zeit habe ich mich hierher verirrt. Ich weiß nicht mehr, wo das Meer ist. Niemals werde ich dorthin zurückfinden!", brummte er trübsinnig und kratzte sich mit der rechten Flosse über eine wundgeriebene Stelle am Bauch.

"Du bist ein dummer Seehund!", meinte die Träne.
"Und du bist eine Nervensäge. Verschwinde! Du schenkst mir Hoffnung, wo keine ist. Hier gibt es nur Felsen, Sand und sonst gar nichts!", rief er trotzig. Die Träne lachte ihn schallend aus.

"Und frech bist du auch noch!", brüllte er wütend, wobei er sich aufbäumte, um das Lästermaul loszuwerden. Doch, sie ließ sich einfach nicht abschütteln.

"Du hartnäckiges Biest!", schimpfte der Seehund.
"Da musst du dich schon höher aufrichten! Aber, das kannst du ja gar nicht, so lange, wie du dich hier schon faul im Selbstmitleid suhlst!", rief die Träne und hielt sich den Bauch vor Lachen.

Jetzt wurde es dem Seehund aber zuviel. Mit einem Satz richtete er sich zu seiner vollen Größe auf und blieb, völlig überwältigt, stehen.

"Das kann doch nicht wahr sein! Nein, das kann einfach nicht wahr sein!", schrie er in einem fort, als er, direkt hinter dem Felsen, das Meer sah.

"Begreifst du jetzt? Statt zu kämpfen, hast du dich aufgegeben, bist derart erstarrt, dass du nicht mehr fähig warst, deinen Blickwinkel zu verändern. Aber nun hast du es geschafft!", rief die Träne und verwandelte sich in tausend Freudentränen.
"Worauf wartest du noch, na los!“, trällerten sie im Chor.

Mit einem gewaltigen Satz sprang der vor Glück heulende Seehund ins Meer, tauchte hinunter auf den Grund und schoss pfeilschnell wieder hinauf, unermüdlich, den ganzen Tag lang, bis er sich selig einfach treiben ließ in seinem wiedergewonnenen Leben, das er nie verloren hatte.

© Gabriella Marten Cortes




Der schwermütige Seehund

Es war einmal ein schwermütiger Seehund. Traurig lag er auf dem trockenen Strand hinter einem großen Felsen und starrte mit leeren Augen auf das große weite Meer in der Ferne. Wehmütig erinnerte er sich, wie er früher wild in den herrlichen Wellen getobt, die höchsten Sprünge mit purer Lebensfreude vollführt, riesige Wasserfontänen erschaffen hatte. Eine Träne kullerte über sein sandiges Gesicht. Sie blieb an seiner Nase hängen und betrachtete ihn aufmerksam.

"Sag mal, warum liegst du hier am Strand und tobst nicht in deinem Element herum?", fragte sie.

Überrascht schaute er die Träne an.
"Wie soll ich das denn machen? Das Meer ist doch unendlich weit von mir entfernt. Niemals werde ich dorthin finden. Sieh doch nur die riesige Hürde, die da zwischen mir und dem Meer liegt!", meinte er trübsinnig.

"Du bist ein dummer Seehund!", sagte die Träne.
"Und du bist eine lästige Nervensäge. Geh weg. Schenke mir keine Hoffnung, wo es keine gibt!", rief er trotzig. Die Träne lachte ihn schallend aus.

"Und frech bist du auch noch!", brüllte er wütend, wobei er sich aufbäumte, um die lästige Träne loszuwerden. Doch, sie ließ sich einfach nicht abschütteln.

"Du hartnäckiges Biest!", schimpfte der Seehund.
"Da musst du dich schon höher aufrichten, damit ich verschwinde! Aber, das kannst du ja gar nicht, so lange, wie du schon faul hier herumliegst!", rief die Träne und hielt sich den Bauch vor Lachen.

Jetzt wurde es dem Seehund aber zuviel. Mit einem Satz richtete er sich zu seiner vollen Größe auf und blieb, völlig überwältigt und fassungslos, stehen.

"Das kann doch nicht wahr sein! Nein, das kann einfach nicht wahr sein!", schrie er immer und immer wieder, als er, direkt hinter dem großen Felsen, das Meer sah. Er traute seinen Augen nicht, konnte es einfach nicht glauben.

"Verstehst du jetzt, du dummer Seehund, du? Ich bin direkt aus deiner Seele zu dir gekommen, du hast mit aller Kraft versucht, gegen dich selbst anzukämpfen, so sehr, dass du erstarrt bist und nicht mehr fähig warst, deinen Blickwinkel zu verändern. Aber jetzt endlich hast du es geschafft!", rief die Träne fröhlich und verwandelte sich in tausend Freudentränen.

"Worauf wartest du noch? Na los, auf geht's!", trällerten die Freudentränen im Chor.

Mit einem gewaltigen Satz sprang der vor Glück heulende Seehund ins Meer, erzeugte gigantische Wasserfontänen, tauchte hinunter auf den Meeresgrund und schoss pfeilschnell wieder hinauf, unermüdlich, den ganzen Tag lang, bis er sich selig einfach treiben ließ in seinem wiedergewonnenen Leben, das er nie verloren hatte.

© Gabriella Marten Cortes
Zuletzt geändert von Mucki am 05.10.2006, 12:19, insgesamt 4-mal geändert.

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 08.09.2006, 22:46

Hallo magic

Das ist eine sehr schöne Geschichte und sie lässt sich gut lesen. Und die hintersinnige Aussage lässt sich auf manch zweibeinigen Zeitgenossen übertragen, wie es ja nun mal bei einer Fabel sein sollte.

Irgendwie habe ich mich beim Lesen immer wieder gefragt, wie der Seehund in diese unglückliche Lage geraten war. Du schreibst zwar, er hat gegen sich angekämpft, aber warum er das getan hat, bleibt offen. Vielleicht kannst du dir da noch was einfallen lassen?

MfG

Jürgen

Mucki
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Beitragvon Mucki » 09.09.2006, 13:21

Hallo Jürgen,

Das ist eine sehr schöne Geschichte und sie lässt sich gut lesen. Und die hintersinnige Aussage lässt sich auf manch zweibeinigen Zeitgenossen übertragen, wie es ja nun mal bei einer Fabel sein sollte.


Danke dir. Ja, die darin enthaltene Aussage lässt sich wohl auf viele Menschen übertragen. Das ist meine Intention.

Irgendwie habe ich mich beim Lesen immer wieder gefragt, wie der Seehund in diese unglückliche Lage geraten war. Du schreibst zwar, er hat gegen sich angekämpft, aber warum er das getan hat, bleibt offen. Vielleicht kannst du dir da noch was einfallen lassen?



Das habe ich absichtlich offen gelassen. Warum ist ein Mensch depressiv, isoliert sich, versperrt sich selbst die Sicht, wie dieser Seehund es tut? Das kann so viele Gründe haben. Wichtig ist mir hier, dass der Seehund eben mit eigener Kraft (die Träne aus seiner Seele oder im übertragenen Sinne auch seine "innere Stimme"), herauskommt aus der Isolation, den Weg sieht, um aus der selbstgeschaffenen Isolation herauszufinden, indem er seinen Blickwinkel ändert.
LG
Magic

Nihil

Beitragvon Nihil » 09.09.2006, 20:27

Eine Fabel, auf zweibeinige Zeitgenossen übertragbar? Und ich habe geglaubt, dass es sich hierbei wirklich nur um einen schwermütigen Seehund handelt - tse tse .. Ihr seid aber auch wirklich hintergründig! :mrgreen:


mfg

Nihil

Mucki
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Beitragvon Mucki » 09.09.2006, 22:56

Hallo Nihil,

Eine Fabel, auf zweibeinige Zeitgenossen übertragbar? Und ich habe geglaubt, dass es sich hierbei wirklich nur um einen schwermütigen Seehund handelt - tse tse .. Ihr seid aber auch wirklich hintergründig!



:totlach:

ja, so ist das, wenn man mit Metaphern schreibt. Der Seehund hätte genauso gut eine Amöbe sein können und meint dennoch den homo sapiens;-)
LG
Magic

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 11.09.2006, 01:19

Ja, so sind Fabeln nunmal, Nihil :o)

Sehr schön rund geschrieben, fabel-hafter Tiefgang. Einzig ein 'schüttelte' in Absatz 5 ist doppelt, das ziehen wir ab.

Bin gespannt auf meer von dir :o)

Tom.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

steyk

Beitragvon steyk » 11.09.2006, 16:58

Hallo Magic

endlich habe ich deine Geschichte gelesen. Die Idee finde ich sehr gut, die Umsetzung läßt aber noch einige Wünsche übrig, da du, wie schon bei „Das höchste Gut“ zu viele Adjektive benutzt – und ich bin ja nicht der Erste, der das festgestellt hat.

Du hast dazu in deiner Antwort (Das höchste Gut) geschrieben:

Zitat: „Die vielen Adjektive, hm. Ich möchte damit beschreiben, Bilder zeichnen, so dass der Leser es sich besser vorstellen kann. Wenn ich sie weglasse, würde m.E. etwas Wichtiges fehlen. Ich könnte vielleicht hier und da eines weglassen, aber, ob das die Geschichte verbessert?“

Es geht nicht nur ums weglassen. Klar, einige Adjektive sind überflüssig, wie z.B. „das große weite Meer.“ Das Meer ist groß, weiß man. Außerdem taucht das Wort nur kurz davor schon auf: „der große Felsen“.
Es reicht auch, wenn man die Größe des Felsens einmal betont und muß es am Ende nicht wiederholen.
Umschreibe deine Bilder, ohne immer nur groß, klein, dick, dünn etc. zu benutzen.

Ich will deine Geschichte jetzt gar nicht vollständig „auseinanderpflücken“ (wie es nihil ausgedrückt hat), sondern nur an einem Beisspiel zeigen, wie es anders geht. Den Rest überlasse ich deiner Phantasie, über die du mit Sicherheit verfügst.


Es war einmal ein schwermütiger Seehund. Traurig lag er auf dem trockenen Strand hinter einem großen Felsen und starrte mit leeren Augen auf das große weite Meer in der Ferne.


Beispiel:
Es war einmal ein schwermütiger Seehund. Traurig lag er auf dem Strand hinter einem großen Felsen, der ihm den Blick auf das Meer versperrte, und starrte mit leeren Augen in die Ferne.

Ich habe mit diesem Satz gleichzeitig einen Widerspruch beseitigt, den ich gefunden habe.

Du schreibst: „Traurig lag er auf dem trockenen Strand hinter einem großen Felsen und starrte mit leeren Augen auf das große weite Meer in der Ferne.“

Ein paar Zeilen tiefer heißt es: „Wie soll ich das denn machen? Das Meer ist doch unendlich weit von mir entfernt. Niemals werde ich dorthin finden. Sieh doch nur die riesige Hürde, die da zwischen mir und dem Meer liegt!"

Wenn er mit leeren Augen auf das Meer starrt, dann sieht er es natürlich – würde es also auch finden.
Also muß der Felsen die Sicht auf das Meer versperren und der Seehund starrt in die Ferne.

Im Gegensatz zu „Das höchste Gut“ finde ich diese Geschichte hier für Kinder geeignet und lehrreich. Wenn du die Sache mit den Adjektiven „in die Reihe“ bekommst, wird sie sogar richtig gut.

Liebe Grüße
Stefan

Mucki
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Beitragvon Mucki » 11.09.2006, 17:08

@ Tom, das eine geschüttelte ist raus. Danke dir!

@ Stefan, jou, ich und die Adjektive *g* Oki, werde die Geschichte daraufhin noch einmal überprüfen. Danke auch dir sehr herzlich:)
LG
Magic

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 12.09.2006, 16:48

Liebe Magic,
ich habe schon gemerkt, dass du eine total Nette bist und dass du dich hier shr gut einbringst, das find ich alles richtig toll- ---

----trotzdem muss ich hier zu der Fabel sagen, dass ich mich sehr sehr schwer mit ihr tue - ich habe auch den anderen text von dir gelesen (das höchste Gut), den find ich etwas ausgereifter, auch nicht ganz so, entschuldige, ja, ich muss es sagen, kitschig, aber die Grundkomponente bleibt auch da erhalten. ich kann nifl schon verstehen, warum er fragt, ob dies ein Text für KInder sei (ohne das abwertend zu meinen ), denn so klingen diesen beiden Texte auch für mich - Kindern werden auch oft in Geschichten solche emotionalen Weisheiten über das Leben vermittelt - ob sie sie letzlich verstehen, weiß ich nicht.


Die Träne, die spricht, der Seehund, das Meer...und dann der transportierte Inhalt, der durch die Bilder noch bedeutungsschwangerer wirkt. Für mich hat deine Geschichte keinen Verweis auf die Realität, der für mich greifbar ist. Die Aussage wird durch den Stil der Geschichte nicht in mein Herz transportiert. Für mich verliert die Aussage, die zwar wahr, aber auch schon sehr sehr oft verpackt wurde, auch auf solche Art wie hier, duch die Überhöhung der Gleichnishaftigkeit und ihrer Süße ihre Kraft. Und zwar vollständig.

Ich weiß, das war vermutlich meine härteste Kritik überhaupt hier im Forum (und es gibt ander egeschichten hier, wo ich das gleiche sagen müsste) und ich habe nicht einmal sprachlich-formal argumentiert, das ist alles ok soweit, bleibt also, dass die Geschichte letzlich wohl nur nicht meinen Geschmack trifft - aber das muss ich einfach aufgrund der vielen positiven Rückmeldungen sagen: Meine Vorstellung von Prosa ist das nicht...

Trotzdem natürlich
lieb grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 12.09.2006, 16:59

Hallo Lisa,

es ist nunmal so, dass die Geschmäcker verschieden sind. Und das ist ja auch gut so! Stell dir mal vor, alle mögen das Gleiche, wäre stinklangweilig *g*
Also, ich hab mit deiner Kritik kein Problem:-) Und, wer weiß, vielleicht wird dir die eine oder andere Geschichte von mir ja gefallen, da ich ja nicht nur Märchen oder Fabeln schreibe, sondern z.B. auch Zeitkritisches.
Saludos
Magic

Mucki
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Beitragvon Mucki » 18.09.2006, 18:24

Ihr Lieben,

ich habe mich heute mal daran gemacht und eure vielen tollen Kommentare verarbeitet. Die neue Fassung steht oben.

Ist es jetzt ok?

Saludos
Magic


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