Lagerhalle der Selbstsicherheit
Verfasst: 23.01.2006, 09:23
Der Unterricht ruft. Ohne jeden Pünktlichkeitsdruck schlendert Timo gemütlich den leicht besiedelten Schulflur entlang. Lächelnd begrüßt er hie und da bekannte Gesichter. Niemand kann ihm etwas anhaben, bis Jen wieder erscheint und ihn mit ihren begehrenden, und dennoch defensiv, schüchternen Blicken in den Bauch schlägt. Ihm bietet sich die einmalige Chance. Sein Mut allerdings reicht wie so oft nicht einmal für ein winziges Lächeln. Mit gesenktem Kopf eilt er zum Unterricht. Schließlich darf er nicht zu spät kommen. Schließlich muss er etwas lernen. Nichts als Ausreden…
Der Lehrkörper startet parallel zum Gong sein monotones Geschwafel. Timo hatte sich selbst versprochen das Unterrichtsgeschehen aufmerksam zu verfolgen, doch er sieht keinen Ausweg im Kampf gegen sein brodelndes Unterbewusstsein und beginnt einen willkürlichen Punkt im Raum zu fixieren...
Es klopft an der Tür. In freudiger Erwartung öffnet der Lehrer und verkündet lauthals der gesamten Klasse: "Dieser unmotivierte Psycho hat es gar nicht anders verdient!" Die hereinstürmende Jen ignoriert die Worte des Lehrers und steuert Timo an; mit dem Seil über ihrer Schulter. Außergewöhnliches Geschick und unerreichte Geschwindigkeit bieten Timo nicht den Hauch einer Chance sich zur Wehr zu setzen. Nun festgebunden an seinen Stuhl, befördert sie ihn ohne mit der Wimper zu zucken als Trophäe auf den Lehrertisch. Reibungslos - als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Die Klasse bricht, Timo betrachtend, in verachtendes Gelächter aus. Jen jedoch schaut ihn traurig an. Das Licht erlischt auf einen Schlag. Dunkelheit und Stille erfüllen den Raum - sekundenlang - bis die sensationshungrige Gesellschaft ihre Feuerzeuge zückt. Jen nimmt das glühende Hufeisen, um es Timo bewusst und zielgenau mehrfach in die Brust zu rammen. Beschleunigt durch Tränen läuft sein Blut ihre Wangen hinunter. Jen schaut ihn verzweifelt an. Sie greift hinein in die markierte Gegend. Ihn überrascht das nicht. Sie reißt ihm heraus, die unverschämt, eigenwillige Apparatur, ... tonangebend. Es klebt, tropft und hört nicht auf zu pochen. "Sei endlich still! Hör endlich auf!", denkt er sich. Jen schaut ihn vorwurfsvoll an...
Sein Banknachbar berührt Timo vorsichtig und holt ihn mit den nachfolgenden Worten endgültig in die Realität zurück: "Hey, pass lieber auf! Dem Lehrer entgeht keine Sekunde deiner auffällig intensiven Apathie!"
Am nächsten Tag herrscht zu früher Stunde viel Betrieb in den Gängen seiner Schulkatakomben. Sie rennen, drängeln, quasseln quer durcheinander. Er steht vor dem Lehrerzimmer, wartend auf einen Nachschreibetermin. Am Ende des Ganges erblickt er Jen, wie mit Röntgenaugen. Eine Erscheinung die seines gleichen sucht. Sein pumpender Motor scheint augenblicklich stehen zu bleiben. Von Paralyse erfasst, ist er folgerichtig nicht mehr in der Lage unterstützend Platz zu machen, wenn sich jemand an ihm vorbei schlängeln will. Von Paralyse erfasst, ist er nicht mehr in der Lage das anschließende Gemurmel jener verärgerten Schüler wahrzunehmen. Seine Sinne verselbstständigen sich trotz Gegenwehr und lenken seine komplette Aufmerksamkeit auf das Mädchen am anderen Ende des Ganges. Jen macht einen traurigen, ja fast verzweifelten Eindruck. In diesem Moment ward ihm mehr als je zuvor klar, dass er sich von seinen Fesseln endlich befreien musste. Wie sollte er sonst jemals den Weg aus seiner eigenhändig geschaufelten Sackgasse finden. Die Zeit war reif für einen radikalen Umbruch. Der Gedanke an die Bescherung schien ihn mit einer gehörigen Portion Mut zu beflügeln.
Wie oft hat er das potentielle Szenarium einer direkten Konfrontation abspielen lassen? Material für ein komplettes Drehbuch. Wie oft hat er sich den Kopf zerbrochen? Von ihr geträumt? So viele Fragen, die er gelagert hatte, um diese ihr irgendwann stellen zu dürfen. Material für eine ganze Ehe. Ein Schmunzeln bewandert sein Gesicht. Er fühlt sich hier und jetzt dazu bereit all dies abzurufen. Endlich in der Hand. Der Schlüssel für seine Lagerhalle der Selbstsicherheit. Der Zutritt würde ihm nicht länger verwehrt bleiben. Gleich würde er sie Fragen, ob sie nach der Schule ein wenig Zeit für ihn hätte. Ja, und dann würden sie, ganz egal wo, alles weitere bereden...
Sie setzt einen Fuß nach dem anderen in seine Richtung. Das leichte Pochen ihrer Schritte - blitzsauber herausgefiltert aus dem Wirrwarr von Stimmen, Geräuschen, Kinetik. Sie scheint ihn sogar direkt anzusteuern, mit einem lächeln auf dem Gesicht. Das leichte Pochen ihrer Schritte - längst übertönt von seinem nun rasenden, stark pulsierenden, linken Mittelpunkt. Eine ohrenbetäubende Dröhnung, verursacht durch diese unverschämt, eigenwillige Apparatur, ...tonangebend. "Sei endlich still! Hör endlich auf!", denkt er sich. Sein Schlüssel...ein Knopfdruck...wild zirkulierendes Wasser...klappernd durch ein ewig langes Rohr! "Plumps"!
Sie steht vor ihm. Verunsichert durch seinen krankhaft anmutenden Gesichtsausdruck, schaut sie ihn an...beginnt ihre Lippen zu bewegen. Ihre zarte Stimme kommt nicht im Ansatz gegen seinen dröhnenden, wild um sich schlagenden Motor an.
Mit gesenktem Kopf zieht er vorbei an ihr und am rennenden, drängelnden, quasselnden und zudem außerordentlich ohrenbetäubendem Durcheinander. Erdrückendes Gemäuer...seine Schulkatakomben! Neid dem Schlüssel gegenüber, der sich kürzlich verabschiedet hatte!
Der Gong ertönt - die nächste Stunde steht an.
Eine gestresste Frau mit einem Termin auf den Lippen stürmt aus dem Lehrerzimmer. Alles was sie vorfindet ist ein Mädchen, zusammengekauert am Boden sitzend, beide Hände vors Gesicht gedrückt.
Der Lehrkörper startet parallel zum Gong sein monotones Geschwafel. Timo hatte sich selbst versprochen das Unterrichtsgeschehen aufmerksam zu verfolgen, doch er sieht keinen Ausweg im Kampf gegen sein brodelndes Unterbewusstsein und beginnt einen willkürlichen Punkt im Raum zu fixieren...
Es klopft an der Tür. In freudiger Erwartung öffnet der Lehrer und verkündet lauthals der gesamten Klasse: "Dieser unmotivierte Psycho hat es gar nicht anders verdient!" Die hereinstürmende Jen ignoriert die Worte des Lehrers und steuert Timo an; mit dem Seil über ihrer Schulter. Außergewöhnliches Geschick und unerreichte Geschwindigkeit bieten Timo nicht den Hauch einer Chance sich zur Wehr zu setzen. Nun festgebunden an seinen Stuhl, befördert sie ihn ohne mit der Wimper zu zucken als Trophäe auf den Lehrertisch. Reibungslos - als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Die Klasse bricht, Timo betrachtend, in verachtendes Gelächter aus. Jen jedoch schaut ihn traurig an. Das Licht erlischt auf einen Schlag. Dunkelheit und Stille erfüllen den Raum - sekundenlang - bis die sensationshungrige Gesellschaft ihre Feuerzeuge zückt. Jen nimmt das glühende Hufeisen, um es Timo bewusst und zielgenau mehrfach in die Brust zu rammen. Beschleunigt durch Tränen läuft sein Blut ihre Wangen hinunter. Jen schaut ihn verzweifelt an. Sie greift hinein in die markierte Gegend. Ihn überrascht das nicht. Sie reißt ihm heraus, die unverschämt, eigenwillige Apparatur, ... tonangebend. Es klebt, tropft und hört nicht auf zu pochen. "Sei endlich still! Hör endlich auf!", denkt er sich. Jen schaut ihn vorwurfsvoll an...
Sein Banknachbar berührt Timo vorsichtig und holt ihn mit den nachfolgenden Worten endgültig in die Realität zurück: "Hey, pass lieber auf! Dem Lehrer entgeht keine Sekunde deiner auffällig intensiven Apathie!"
Am nächsten Tag herrscht zu früher Stunde viel Betrieb in den Gängen seiner Schulkatakomben. Sie rennen, drängeln, quasseln quer durcheinander. Er steht vor dem Lehrerzimmer, wartend auf einen Nachschreibetermin. Am Ende des Ganges erblickt er Jen, wie mit Röntgenaugen. Eine Erscheinung die seines gleichen sucht. Sein pumpender Motor scheint augenblicklich stehen zu bleiben. Von Paralyse erfasst, ist er folgerichtig nicht mehr in der Lage unterstützend Platz zu machen, wenn sich jemand an ihm vorbei schlängeln will. Von Paralyse erfasst, ist er nicht mehr in der Lage das anschließende Gemurmel jener verärgerten Schüler wahrzunehmen. Seine Sinne verselbstständigen sich trotz Gegenwehr und lenken seine komplette Aufmerksamkeit auf das Mädchen am anderen Ende des Ganges. Jen macht einen traurigen, ja fast verzweifelten Eindruck. In diesem Moment ward ihm mehr als je zuvor klar, dass er sich von seinen Fesseln endlich befreien musste. Wie sollte er sonst jemals den Weg aus seiner eigenhändig geschaufelten Sackgasse finden. Die Zeit war reif für einen radikalen Umbruch. Der Gedanke an die Bescherung schien ihn mit einer gehörigen Portion Mut zu beflügeln.
Wie oft hat er das potentielle Szenarium einer direkten Konfrontation abspielen lassen? Material für ein komplettes Drehbuch. Wie oft hat er sich den Kopf zerbrochen? Von ihr geträumt? So viele Fragen, die er gelagert hatte, um diese ihr irgendwann stellen zu dürfen. Material für eine ganze Ehe. Ein Schmunzeln bewandert sein Gesicht. Er fühlt sich hier und jetzt dazu bereit all dies abzurufen. Endlich in der Hand. Der Schlüssel für seine Lagerhalle der Selbstsicherheit. Der Zutritt würde ihm nicht länger verwehrt bleiben. Gleich würde er sie Fragen, ob sie nach der Schule ein wenig Zeit für ihn hätte. Ja, und dann würden sie, ganz egal wo, alles weitere bereden...
Sie setzt einen Fuß nach dem anderen in seine Richtung. Das leichte Pochen ihrer Schritte - blitzsauber herausgefiltert aus dem Wirrwarr von Stimmen, Geräuschen, Kinetik. Sie scheint ihn sogar direkt anzusteuern, mit einem lächeln auf dem Gesicht. Das leichte Pochen ihrer Schritte - längst übertönt von seinem nun rasenden, stark pulsierenden, linken Mittelpunkt. Eine ohrenbetäubende Dröhnung, verursacht durch diese unverschämt, eigenwillige Apparatur, ...tonangebend. "Sei endlich still! Hör endlich auf!", denkt er sich. Sein Schlüssel...ein Knopfdruck...wild zirkulierendes Wasser...klappernd durch ein ewig langes Rohr! "Plumps"!
Sie steht vor ihm. Verunsichert durch seinen krankhaft anmutenden Gesichtsausdruck, schaut sie ihn an...beginnt ihre Lippen zu bewegen. Ihre zarte Stimme kommt nicht im Ansatz gegen seinen dröhnenden, wild um sich schlagenden Motor an.
Mit gesenktem Kopf zieht er vorbei an ihr und am rennenden, drängelnden, quasselnden und zudem außerordentlich ohrenbetäubendem Durcheinander. Erdrückendes Gemäuer...seine Schulkatakomben! Neid dem Schlüssel gegenüber, der sich kürzlich verabschiedet hatte!
Der Gong ertönt - die nächste Stunde steht an.
Eine gestresste Frau mit einem Termin auf den Lippen stürmt aus dem Lehrerzimmer. Alles was sie vorfindet ist ein Mädchen, zusammengekauert am Boden sitzend, beide Hände vors Gesicht gedrückt.