Alegría
Verfasst: 26.09.2006, 00:06
Alegría (Überarbeitung vom 8.10.)
[align=right]Der Flamenco ist die Musik der gedemütigten Existenz.
(Kersten Knipp, Die Zeit vom 9.10.2003)[/align]
Wenn alle Schülerinnen den Übungsraum verlassen haben und sie allein bleibt zwischen den deckenhohen Spiegeln, dann kann sie noch immer nicht weggehen.
Die Hand an der Ballettstange, hält sie einen Fuß in der Luft. Wenn sie ihn fallen lässt, knallen Dutzende feiner Nägelchen an Hacke und Spitze auf den weißen Kunststoffboden. Sie tritt auf.
Tiriti-tan taran tan, verkündet eine Männerstimme vom Band. Die Tänzerin neigt sich, biegt die Taille und den empor gereckten Arm zum Bogen. Verharrt Sekunden lang in einer stillen, in sich gekehrten Pose. Die Gitarre schweigt.
Und setzt wieder ein mit hämmernden Akkorden, die fremde Männerstimme beschwört eine Liebe im Hafen von Cádiz, und die genagelten Absätze klopfen den Rhythmus nach. Die Tänzerin schaut nicht in den Spiegel. Stolz hebt sie das Kinn, öffnet die Hände wie Flügel.
Alegría, die Freude!
Sie hat ein paar Mal versucht, die Alegría in Formation zu tanzen. Doch das Bild, das der Spiegel zurückwirft, gefällt ihr nicht. Wenn alle ihre Schülerinnen einmütig mit den Hacken trommeln und plötzlich auf das Verstummen der Gitarre sich neigen, die Arme zum Bogen heben, ganz still werden, bevor die Gitarrenstimme in Moll umschlägt. Nein, dies ist kein Tanz für die Gruppe.
Vieles haben sie ausprobiert. In der Gruppe tanzen sie die Sevillanas, die Tangos, die Fandangos. Die Röcke wirbeln in synchronen Drehungen, die Hände schwingen gleichzeitig empor. Das letzte, was sie zusammen aufgeführt haben, war die Bulería. Der Schwindel oder Spott heißt das. Ihre Gruppe hat die Bulería ohne Musikbegleitung getanzt, nur zum Trommeln des cajon. Auch die Bulería, der Schwindel, ist ein stolzer Tanz. In der letzten Pose geht der Blick der Tänzerinnen über das Publikum hinweg. Das haben sie besonders eingeübt, und der Applaus war groß.
Alegría, die Freude, taugt nicht für den Auftritt in der Gruppe.
Wenn alle Schülerinnen gegangen sind, tanzt sie für sich die Alegría. Die Nägelchen an den Hacken trommeln auf den weißen Kunststoffboden. Die Gitarre verstummt, kein Blick fällt mehr in den Spiegel, die Tänzerin neigt die Arme still zum Bogen. Dann setzt die Gitarre wieder ein. Tiene la cara mujer, singt der Fremde. Die Füße fallen mit heftigen Schlägen, und die Nägel reißen neues Rot in den Boden, das sich nach allen Seiten verbreitet wie Risse im Eis.
Alte Fassung:
Alegría
Wenn alle Schülerinnen den Übungsraum verlassen haben und sie allein bleibt zwischen den deckenhohen Spiegeln, dann kann sie noch immer nicht gehen.
Die Hand an der Ballettstange, hält sie einen Fuß in der Luft. Wenn sie ihn fallen lässt, knallen Dutzende feiner Nägelchen an Hacke und Spitze auf den weißen Kunststoffboden. Sie tritt auf.
Tiriti-tan taran tan, verkündet eine Männerstimme vom Band. Die Tänzerin neigt sich, biegt die Taille und den empor gereckten Arm zum Bogen. Verharrt Sekunden lang in einer stillen, in sich gekehrten Pose. Die Gitarre schweigt.
Und setzt wieder ein mit hämmernden Akkorden, die fremde Männerstimme beschwört eine Liebe im Hafen von Cádiz, und die genagelten Absätze klopfen den Rhythmus nach. Die Tänzerin schaut nicht in den Spiegel, ist sich selbst genug, das Kinn stolz erhoben; die Hände geöffnet wie Flügel.
Alegría, die Freude!
Sie hat ein paar Mal versucht, die Alegría in Formation zu tanzen. Doch das Bild, das der Spiegel zurückwirft, gefällt ihr nicht. Wenn alle ihre Schülerinnen einmütig mit den Hacken trommeln und plötzlich auf das Verstummen der Gitarre sich neigen, die Arme zum Bogen emporheben, ganz still werden, bevor die Gitarrenstimme in Moll umschlägt. Nein, dies ist kein Tanz für die Gruppe.
Vieles haben sie ausprobiert. In der Gruppe tanzen sie die Sevillanas, die Tangos, die Fandangos. Die Röcke wirbeln, die Absätze hämmern synchron, die Hände schwingen empor wie Flügel. Das letzte, was sie zusammen aufgeführt haben, war die Bulería. Der Schwindel oder Spott heißt das. Ihre Gruppe hat die Bulería ohne Musikbegleitung getanzt, nur zum Trommeln des cajon. Auch die Bulería, der Schwindel, ist ein stolzer Tanz. In der letzten Pose geht der Blick der Tänzerinnen über das Publikum hinweg. Das haben sie besonders eingeübt, und der Applaus war groß.
Alegría, die Freude, taugt nicht für den Auftritt in der Gruppe.
Wenn alle Schülerinnen gegangen sind, tanzt sie für sich allein die Alegría. Die Nägelchen an den Hacken trommeln auf den weißen Kunststoffboden. Die Gitarre verstummt, kein Blick fällt mehr in den Spiegel, die Tänzerin kehrt sich in sich selbst, mit still zum Bogen geneigten Armen. Dann setzt die Gitarre wieder ein. Tiene la cara mujer, singt der Fremde. Die Füße fallen mit heftigen Schlägen, und die Nägel reißen neues Rot in den Boden, das sich nach allen Seiten verbreitet wie Risse im Eis. Sie sucht Freude.
[align=right]Der Flamenco ist die Musik der gedemütigten Existenz.
(Kersten Knipp, Die Zeit vom 9.10.2003)[/align]
Wenn alle Schülerinnen den Übungsraum verlassen haben und sie allein bleibt zwischen den deckenhohen Spiegeln, dann kann sie noch immer nicht weggehen.
Die Hand an der Ballettstange, hält sie einen Fuß in der Luft. Wenn sie ihn fallen lässt, knallen Dutzende feiner Nägelchen an Hacke und Spitze auf den weißen Kunststoffboden. Sie tritt auf.
Tiriti-tan taran tan, verkündet eine Männerstimme vom Band. Die Tänzerin neigt sich, biegt die Taille und den empor gereckten Arm zum Bogen. Verharrt Sekunden lang in einer stillen, in sich gekehrten Pose. Die Gitarre schweigt.
Und setzt wieder ein mit hämmernden Akkorden, die fremde Männerstimme beschwört eine Liebe im Hafen von Cádiz, und die genagelten Absätze klopfen den Rhythmus nach. Die Tänzerin schaut nicht in den Spiegel. Stolz hebt sie das Kinn, öffnet die Hände wie Flügel.
Alegría, die Freude!
Sie hat ein paar Mal versucht, die Alegría in Formation zu tanzen. Doch das Bild, das der Spiegel zurückwirft, gefällt ihr nicht. Wenn alle ihre Schülerinnen einmütig mit den Hacken trommeln und plötzlich auf das Verstummen der Gitarre sich neigen, die Arme zum Bogen heben, ganz still werden, bevor die Gitarrenstimme in Moll umschlägt. Nein, dies ist kein Tanz für die Gruppe.
Vieles haben sie ausprobiert. In der Gruppe tanzen sie die Sevillanas, die Tangos, die Fandangos. Die Röcke wirbeln in synchronen Drehungen, die Hände schwingen gleichzeitig empor. Das letzte, was sie zusammen aufgeführt haben, war die Bulería. Der Schwindel oder Spott heißt das. Ihre Gruppe hat die Bulería ohne Musikbegleitung getanzt, nur zum Trommeln des cajon. Auch die Bulería, der Schwindel, ist ein stolzer Tanz. In der letzten Pose geht der Blick der Tänzerinnen über das Publikum hinweg. Das haben sie besonders eingeübt, und der Applaus war groß.
Alegría, die Freude, taugt nicht für den Auftritt in der Gruppe.
Wenn alle Schülerinnen gegangen sind, tanzt sie für sich die Alegría. Die Nägelchen an den Hacken trommeln auf den weißen Kunststoffboden. Die Gitarre verstummt, kein Blick fällt mehr in den Spiegel, die Tänzerin neigt die Arme still zum Bogen. Dann setzt die Gitarre wieder ein. Tiene la cara mujer, singt der Fremde. Die Füße fallen mit heftigen Schlägen, und die Nägel reißen neues Rot in den Boden, das sich nach allen Seiten verbreitet wie Risse im Eis.
Alte Fassung:
Alegría
Wenn alle Schülerinnen den Übungsraum verlassen haben und sie allein bleibt zwischen den deckenhohen Spiegeln, dann kann sie noch immer nicht gehen.
Die Hand an der Ballettstange, hält sie einen Fuß in der Luft. Wenn sie ihn fallen lässt, knallen Dutzende feiner Nägelchen an Hacke und Spitze auf den weißen Kunststoffboden. Sie tritt auf.
Tiriti-tan taran tan, verkündet eine Männerstimme vom Band. Die Tänzerin neigt sich, biegt die Taille und den empor gereckten Arm zum Bogen. Verharrt Sekunden lang in einer stillen, in sich gekehrten Pose. Die Gitarre schweigt.
Und setzt wieder ein mit hämmernden Akkorden, die fremde Männerstimme beschwört eine Liebe im Hafen von Cádiz, und die genagelten Absätze klopfen den Rhythmus nach. Die Tänzerin schaut nicht in den Spiegel, ist sich selbst genug, das Kinn stolz erhoben; die Hände geöffnet wie Flügel.
Alegría, die Freude!
Sie hat ein paar Mal versucht, die Alegría in Formation zu tanzen. Doch das Bild, das der Spiegel zurückwirft, gefällt ihr nicht. Wenn alle ihre Schülerinnen einmütig mit den Hacken trommeln und plötzlich auf das Verstummen der Gitarre sich neigen, die Arme zum Bogen emporheben, ganz still werden, bevor die Gitarrenstimme in Moll umschlägt. Nein, dies ist kein Tanz für die Gruppe.
Vieles haben sie ausprobiert. In der Gruppe tanzen sie die Sevillanas, die Tangos, die Fandangos. Die Röcke wirbeln, die Absätze hämmern synchron, die Hände schwingen empor wie Flügel. Das letzte, was sie zusammen aufgeführt haben, war die Bulería. Der Schwindel oder Spott heißt das. Ihre Gruppe hat die Bulería ohne Musikbegleitung getanzt, nur zum Trommeln des cajon. Auch die Bulería, der Schwindel, ist ein stolzer Tanz. In der letzten Pose geht der Blick der Tänzerinnen über das Publikum hinweg. Das haben sie besonders eingeübt, und der Applaus war groß.
Alegría, die Freude, taugt nicht für den Auftritt in der Gruppe.
Wenn alle Schülerinnen gegangen sind, tanzt sie für sich allein die Alegría. Die Nägelchen an den Hacken trommeln auf den weißen Kunststoffboden. Die Gitarre verstummt, kein Blick fällt mehr in den Spiegel, die Tänzerin kehrt sich in sich selbst, mit still zum Bogen geneigten Armen. Dann setzt die Gitarre wieder ein. Tiene la cara mujer, singt der Fremde. Die Füße fallen mit heftigen Schlägen, und die Nägel reißen neues Rot in den Boden, das sich nach allen Seiten verbreitet wie Risse im Eis. Sie sucht Freude.