Wasserschaden

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MarleneGeselle

Beitragvon MarleneGeselle » 29.01.2006, 17:38

Wasserschaden

Von Marlene Geselle

Der Betrunkene schaffte es auch diesmal nicht, die Badezimmertür auf Anhieb zu öffnen. Hackelte zwei-, dreimal auf der Klinke herum, polterte dann in den hell gekachelten Raum.
"Hallo Knubbelchen", der Betrunkene drehte sich schwerfällig um, guckte nach links, dort wo WFR 140A seinen Platz hatte. "Jetzt sind wir beiden Hübschen ganz alleine, Knubbelchen. Klara hat es mit uns nicht länger ausgehalten. Ist abgehauen, einfach so, Knubbelchen."
Verpasste WFR 140A einen gezielten Tritt mit dem Fuß. Konnte er betrunken so gut wie nüchtern.
WFR 140A ließ warnend den Startknopf aufblitzen. <Mach das nicht nochmal, du Mistkäfer. Und erzähl mir nicht, dass sie uns verlassen hat. Ich hab sie nicht grün und blau geschlagen. Meinetwegen wohnt sie jetzt nicht im Frauenhaus.>
Der Mann kapierte nichts. Hätte auch nüchtern nichts kapiert.
"He Knubbelchen, wie gefällt dir das denn? Magst du Lila?"
Der angebrochene Farbeimer stand schon eine Woche offen im Bad und stank vor sich hin. WFR 140A sah das Wurfgeschoss kommen. Schaffte es bequem, das Bullauge zu schließen.
<Mach das nicht nochmal du Mistkäfer.> Ließ als letzte Warnung alle Leuchtdioden der Anzeige blinken. Mehr als eine Minute lang.
Die Farbe lief an WFR 140A herunter. Eine Lache bildete sich auf dem Boden. Wie lila Blut.
"He, Knubbelchen, sprichst du etwa mit mir? Macht nichts, ich hör dir überhaupt nicht zu." Der Motor brummte, erst ganz leise, fast nur ein Vibrieren. Dann immer lauter, lauter.
Der Betrunkene verließ das Bad. Mit torkelnden Schritten ging er die Treppe hinunter ins ausgebaute Kellergeschoss. Im Hobbyraum versuchte er, sich auf das alte Sofa zu legen, stolperte dabei über die eigenen Füße und landete auf dem Fußboden. Zu betrunken zum Aufstehen.
In den Stromleitungen des Hauses wisperte und knisterte es.
War der Moment gekommen? Sollte man noch warten, bis der Betrunkene endgültig eingeschlafen war?
<Der ist zu>, raunte die Stehlampe im Hobbyraum. Die Stromleitungen gaben die Nachricht an WFR 140A weiter.
Der Motor brummte nicht mehr, die roten Leuchtdioden schwiegen. WFR 140A öffnete wieder das Bullauge.
Es konnte losgehen. Der Wasserhahn öffnete sich wie von Geisterhand. Schon nach wenigen Sekunden ergoss sich ein kräftiger Schwall auf den Fußboden, wusch die lila Farbe vom Boden, spülte allen Dreck hinunter, in den Keller.
Nach einer Viertelstunde war alles vorbei. Der Wasserhahn schloss sich, wie er sich geöffnet hatte.

Hauptwachtmeister Jansen schüttelte mit dem Kopf, raufte sich die schon ziemlich grauen Haare. "Eigentlich sollte ich in zwanzig Jahren Polizeidienst ja schon alles gesehen haben, aber das da ..."
Dr. Müllerjahn, der Gerichtsmediziner, nickte zustimmend. "Da gehen die Leute hin, bauen ihre Keller aus, versiegeln und isolieren alles gegen alles. Dann ist die Hütte dicht wie eine Badewanne. Und kaum gibt's mal nen Wasserschaden, läuft alles voll. Pech für den Mann, dass der Keller keinen eigenen Ausgang hat. Durch die Türritzen wäre alles nach draußen geflossen. Pech, dass er ausgerechnet an dem Tag sternhagelvoll auf dem Fußboden seinen Rausch ausschlafen musste."
Hauptwachtmeister Jansen hatte zwischenzeitlich in seinem Notizbuch geblättert, fand nun, wonach er gesucht hatte.
"Wen wollen Sie denn anrufen, Jansen?"
Der Polizist lächelte ein bisschen traurig. „Das Frauenhaus, damit die der armen Klara Bescheid geben; sie muss sich ja um all das kümmern hier."
„Sind die Beiden eigentlich noch verheiratet, Jansen? Sie sind doch Einheimischer, soviel ich weiß.“
„Wieso?“ Der Polizeibeamte konnte dem Gedankengang des Gerichtsmediziners nicht folgen.
„Na, wegen der Erbschaft. Hier im Ländle sind wir doch in aller Regel gut versichert. Mit dem schönen Haus – und ohne den Kerl – hätte die Frau doch glatt wieder was vom Leben.“

Dr. Müllerjahn hatte das Haus als Erster verlassen. Jansen, der keinen Nachbarn ausfindig machten konnte, der den Haussitter spielte, bis die Frau des Toten kam, ging ins Bad, warf einen skeptischen Blick auf die ‚weiße Ware’.
"Komisch, die Dinger sind doch sonst so zuverlässig. Aqua-Stopp und alles Mögliche. Na, was soll’s! Kauft sich die Klara halt zuerst was Praktisches. Würde mich ohnehin wundern, wenn sie viel in Schwarz rumlaufen würde."
WFR 140A ließ belustigt den Startknopf blinken.

Maija

Beitragvon Maija » 06.02.2006, 16:57

Hallo MarleneGeselle,

Ein ernstes Thema hast du dir da ausgesucht und es macht mich immer betroffen, wenn ich über solche Dinge etwas lese.

Inhaltlich sehe ich deinen Text als gelungen an und auch an der Form finde ich nichts zu bemängeln.

Solch einen Text sollte man mehrmals lesen um eine Bewertung geben zu können.

Gruß Maija

MarleneGeselle

Beitragvon MarleneGeselle » 08.02.2006, 08:52

Hallo Maija,

vielen Dank für deinen Kommentar. Ich hoffe, du hast den Text nicht mehrmals lesen MÜSSEN, bis du ihn verstanden hast.
Ganz so ernst nehmen solltest du die Sache aber nicht, eher mit einem kleinen Augenzwinkern. :grin: Immer mehr Frauen werden heutzutage mit solchen Männnern fertig, auch wenn sie nicht auf magische Hilfe durch "Knubbelchen" rechnen können.

Es grüßt dich
Marlene


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