Die wüste Braut
Verfasst: 13.10.2006, 18:53
Die wüste Braut
Die Straße schien ohne Ende schnurgerade durch die Wüste zu führen. Er hatte keine Ahnung, wie er hierher gekommen war oder wohin er eigentlich ging. Es musste Wochen hersein, dass er von zu Hause aufgebrochen war.
Nach einer für ihn nicht abschätzbaren Zeitspanne (er hatte sehr bald aufgehört, die Tage zu zählen) sah er am Straßenrand plötzlich einen Meilenstein im Staub stehen. 943 stand darauf. Es war merkwürdig, von den Steinen 1 bis 942 war nichts zu sehen gewesen. Aber vielleicht war dieser Stein auch einfach nur vom Himmel gefallen. Er zuckte die Schultern und ging weiter.
Irgendetwas musste einen Teil seines Gehirns einfach ausgeknipst haben wie eine Schreibtischlampe. Hätte er noch klar denken können, hätte er sich wohl gewundert, wie er wochenlang ohne Nahrung, ohne Wasser und ohne Schlaf, ohne auch nur einmal Halt zu machen, in glühender Hitze durch die Wüste wandern konnte, ohne auch nur das geringste Problem.
Ein paar Tage später kam er an ein Schild. „Café Sin Azucar 200m“ stand darauf. Darunter ein Pfeil, der nach rechts in die Wüste hineinwies. Er dachte nach. Aber warum eigentlich nicht? Ein bisschen Gesellschaft konnte nicht schaden. Also folgte er dem Pfeil.
Der Weg war jetzt schwieriger, da er durch den heißen Sand waten musste, in dem er ständig einsank. 200 Minuten später stand er vor einem prächtigen Gebäude. Es sah aus wie ein europäisches Rokokoschlösschen, ganz in zartem Rosa und strahlendem Weiß gehalten. Über dem Eingangsportal stand in dunkelbrauner Schnörkelschrift Café Con Poquito Leche. Was das andere ja nicht unbedingt ausschloss.
Das Schlösschen war von einem kühlen, schattigen Tannenwäldchen umgeben, der Vorplatz war mit Kies bestreut, es standen Fahrradständer dort, an einem Seitenfenster wurde Eis am Stiel verkauft, auf einem Spielplatz in der Nähe vergnügten sich Kinder.
Als er jetzt das Portal durchschritt, verspürte er schon eine leichte Müdigkeit. Vor der Tür zum Café selber empfing ihn ein Diener in etwas altmodischem Gewand, er mochte aus einem Wiener Caféhaus des 18. Jahrhunderts stammen, was auch sein vornehm knochenbleicher Teint, seine ungewöhnlich großen schwarzen Augen, die Glatze, dieses breite Grinsen in seinem hohlwangigen Gesicht, und nicht zuletzt sein starker Akzent vermuten ließen.
„Wie hätten's denn gern ihren Kaffee, der Herr?“
„Also, um ehrlich zu sein – am liebsten schwarz. Wäre das möglich?“
„Aber nein, da sind's hier falsch. Können's denn nicht lesen?“
„Oh ... äh ...Verzeihung.“
„Macht nix. Da müssen's halt noch 3°25'7'' nach Westen gehn, dann kommen's zum Café Negro, gell.“
„Dankeschön.“
„Keine Ursache. An schönen Tag noch.“
Das Café Negro schien schon von weitem der krasse Gegensatz zum Café Con Poquito Leche zu sein. Es ähnelte mehr einem Saloon aus dem Wilden Westen und fügte sich daher auch problemlos in das Wüstenbild ein. Als er jedoch näher kam, hatte er den Eindruck, dass er sich wohl verlaufen haben musste, denn über dem Eingang stand Whisky. Vor dem Haus waren ein paar Pferde geparkt, und an einem Pfosten lehnte ein Cowboy, der gelangweilt an einem trockenen Grashalm kaute.
„Entschuldigen Sie, ich suche das Café Negro, aber ich muss mich wohl verlaufen haben. Können Sie mir weiterhelfen?“
„Yeah.“
„Äh ... und ... wo ist das Café Negro?“
„Is nich mehr.“
„Bitte?“
„War früher mal hier. Musste schließen, als die Rindergewerkschaft die Milchabnahmepflicht für Cafés durchgesetzt hat. Jetz is hier das Whisky.“
„Ähm ...das heißt also, hier gibt es nur Whisky, ja?“
Der Cowboy starrte ihn an, als käme er von einem anderen Stern.
„So 'ne bescheuerte Frage hat hier noch niemand gestellt.“
„Tja, also ... das ist mir natürlich peinlich ... gibt es hier vielleicht auch irgendwo ein ... Cerveza?“
„Yeah. Aber ich würd da nich hingehn. Is'n verflucht übler Schuppen.“
„Wo ist es denn?“
„Also, bitte, wenn Sie meinen ... 70 Gramm nach links.“
Er ging weiter, mittlerweile verspürte er auch Durst. 70 Gramm später kam er an ein Backsteingebäude, an dem mit leuchtender Neonschrift in schwungvollem Schriftzug Cerveza stand. Als er die Tür öffnete, dröhnte ihm laute Rockmusik entgegen.
Drinnen war es Nacht. Lichter blinkten durch die verräucherte Luft, an der Theke und an den Billardtischen hingen zwielichtige Gestalten in engen Jeans und Cowboystiefeln. Einen Moment lang überlegte er, ob er hier nicht besser einfach nach dem Agua fragen sollte, aber dann verwarf er den Gedanken wieder. Im Augenblick war er einfach zu erschöpft dazu, seinen Marsch fortzusetzen.
Ein wenig zögernd ging er zur Bar und setzte sich auf einen freien Hocker. Der Typ auf dem Hocker neben ihm gähnte und schnitzte sich mit seinem Springmesser gelangweilt Ornamente in den Unterarm.
„Hey, Kumpel, was darf's sein?“
„Ein ... ein Bier, bitte.“
Der Barkeeper nickte und ging eines zapfen. Er atmete auf. Wenn er jetzt versehentlich einen Gin Tonic verlangt hätte, wäre das wahrscheinlich sein Ende gewesen. Er hoffte, dass es nur die farbigen Lichter waren, die den anderen Gästen der Bar dieses gespenstische Aussehen verliehen.
Plötzlich schob sich von links eine falsche Blondine an ihn heran.
„Hey, Süßer.“
Als er ihr Gesicht ganz nah vor Augen hatte, konnte er sehen, dass sie mindestens eine halben Zentimeter Make-up aufgelegt hatte.
„Haste mal Feuer für mich?“
Er war sich nicht sicher, wie er reagieren sollte. Verlegen sah er nach unten und tastete sein Taschen ab. Er fand tatsächlich ein nagelneu aussehendes Feuerzeug, obwohl er sich sicher war, keines mehr besessen zu haben, seit er sich das Rauchen abgewöhnt hatte. Er gab ihr Feuer. Sie inhalierte und blies ihm den Rauch direkt ins Gesicht. Ihre Brüste hatte sie unterdessen dekorativ auf der Theke drapiert. Der Mann auf dem Hocker neben ihm unterbrach seine künstlerische Tätigkeit für einen Augenblick und meinte zu der Blonden:
„Mensch, Lola, lass den doch in Ruhe. Siehste nich, dass das 'ne Karotte is?“
Er verschluckte sich fast an dem Bier, das der Barkeeper ihm mittlerweile hingestellt hatte.
„Der hätte am besten ins Agua Sin Gas gehen sollen.“ Der Mann kicherte und widmete sich wieder seinem Zeitvertreib.
„Hör nicht auf Sal, Süßer“, meinte sie mit ihrer rauchigen Stimme, „er is nur eifersüchtig. Wie heißt du denn überhaupt? Ich bin Lola, L-O-L-A, Lola, wie in dem Song, weißt du?“
„Aha, hm ... Scheiße! Ich hab's vergessen!“
„Was hast du vergessen?“
„Na ... wie ich heiße.“
Der Mann, den Lola Sal genannt hatte, brach in brüllendes Gelächter aus.
„Hey, Leute, habt ihr das gehört? Die Weichgurke da hat ihren eigenen Namen vergessen!“
Jetzt lachte das ganze Lokal, und er wünschte, er wäre auf der Stelle unsichtbar.
„Hey, Süßer, wo biste denn plötzlich hin?“
Er sah sie verständnislos an. „Aber ich bin doch hier, wo ich schon die ganze Zeit sitze.“
„Ich seh dich aber nicht.“
„Haste jetzt vielleicht auch noch vergessen, wiede aussiehst?“ fragte Sal, immer noch lauthals lachend.
Er blickte an sich herunter. Er war tatsächlich unsichtbar. Aber er war trotzdem noch da, das konnte er fühlen. Verwirrt griff er nach seinem Bierglas.
„Hey!“, Lola schrie auf. „Kuck mal, da is ja deine Hand!“
Er sah hin, und wirklich, seine rechte Hand und sein Arm bis ca. zehn Zentimeter unterhalb der Schulter waren wieder zu sehen.
„Wie kommt das?“
Auf einmal fiel es ihm ein wie das Dach eines Abbruchhauses. Er stand von seinem Hocker auf und trat einen Schritt zur Seite.
„Ey, da biste ja wieder! Hab mir schon Sorgen gemacht, Süßer. Weißte jetzt auch wieder, wiede heißt?“
Er dachte angestrengt nach und schüttelte den Kopf.
„Na, macht nichts, ich werde dich einfach Al nennen, okay?“
Er zuckte die Schultern. „Meinetwegen.“
Er setzte sich zurück auf den Hocker und war sofort wieder teilweise unsichtbar.
„Hör doch auf mit dem Blödsinn, Al“, säuselte Lola. „Lass uns lieber nach oben gehn.“
Sie packte ihn an seiner noch sichtbaren linken Hand und zog ihn mit sich zu einer Treppe hinter der Theke. Er ließ es sich widerstandslos gefallen. Jetzt war ihm ohnehin schon alles egal.
Das Zimmer, in das sie ihn führte, war klein, schäbig und roch irgendwie muffig.
„Mach's dir bequem.“
Er setzte sich aufs Bett und sah ihr beim Ausziehen zu. Sie hatte einen Körper, als hätte sie jemand aus einem Hochglanzmagazin ausgeschnitten, perfekt, einfach zu perfekt. Irgendwie wirkte alles an ihr unecht. Es passte zu dem übertriebenen Make-up und den blondierten Haaren. Wahrscheinlich waren sogar ihre Zähne falsch.
„So, und jetzt du.“ Sie ging auf ihn zu, drückte ihn sanft aufs Bett und begann, ihn ebenfalls auszuziehen. Dabei spürte er ihren Atem auf seinem Gesicht. Er war eiskalt und roch irgendwie nach Verwesung. Trotz allem schaffte sie es auf unerklärliche Weise, ihn zu erregen.
Als er schließlich in sie eindrang, war es ein scheußliches Gefühl, als stieße er in einen Haufen trockenen Sand. In diesem Moment ging ihm ein Licht auf, aber es war bereits zu spät. Die Wüste hatte ihn unentrinnbar in ihren Fängen und würde ihn nicht mehr loslassen, bis sie den letzten Tropfen Lebensenergie aus ihm herausgesaugt hätte.
Die wüste Braut (Zweite Fassung mit großem Dank an Magic und Nifl)
Die Straße führte ohne Ende schnurgerade durch die Wüste. Er hatte keine Ahnung, wie er hierher gekommen war oder wohin er eigentlich ging. Es musste Wochen her sein, dass er von zu Hause aufgebrochen war.
Nach einer für ihn nicht abschätzbaren Zeitspanne (die Tage verschwammen in seinem Kopf zu einem einzigen, nie enden wollenden) sah er am Straßenrand plötzlich einen Meilenstein mit der Zahl 943 im Staub stehen. Seltsam, von den Steinen 1 bis 942 hatte er nichts gesehen. Aber vielleicht war dieser Stein einfach vom Himmel gefallen. Er zuckte mit den Schultern und ging weiter.
Irgendetwas hatte einen Teil seines Gehirns einfach ausgeknipst wie eine Schreibtischlampe. Hätte er noch klar denken können, hätte er sich wohl gewundert, wie er wochenlang ohne Nahrung, ohne Wasser und ohne Schlaf, ohne auch nur einmal Halt zu machen, in glühender Hitze durch die Wüste wandern konnte, ohne dass ihn seine Kräfte verließen.
Ein paar Tage später gelangte er an ein Schild mit der Aufschrift „Café Ohne Zucker 200m“. Darunter ein Pfeil, der nach rechts von der Straße weg mitten in die Wüste hineinwies. Warum eigentlich nicht? Ein bisschen Gesellschaft konnte nicht schaden.
Der Weg wurde beschwerlicher, da er ständig im heißen Sand einsank. 200 Minuten später stand er vor einem prächtigen Gebäude. Es sah aus wie ein europäisches Rokokoschlösschen, ganz in zartem Rosa und strahlendem Weiß gehalten. Über dem Eingangsportal stand in dunkelbrauner Schnörkelschrift Café Mit Wenig Milch. Was das andere ja nicht unbedingt ausschloss.
Schattige Tannen umstanden das Schloss und sein Vorplatz war mit Kies bestreut. Es gab Fahrradständer, an einem Seitenfenster wurde Eis am Stiel verkauft, auf einem Spielplatz in der Nähe tobten Kinder.
Als er das Portal durchschritt, verspürte er schon eine leichte Müdigkeit. Vor der Tür zum Café selber empfing ihn ein Diener in etwas altmodischem Gewand. Er mochte aus einem Wiener Kaffeehaus des 18. Jahrhunderts stammen, was auch sein vornehm knochenbleicher Teint, seine ungewöhnlich großen schwarzen Augen, die Glatze, dieses breite Grinsen in seinem hohlwangigen Gesicht, und nicht zuletzt sein Wiener Dialekt vermuten ließen.
„Wie hätten's denn gern Ihren Kaffee, der Herr?“
„Also, um ehrlich zu sein – am liebsten schwarz. Wäre das möglich?“
„Aber nein, da sind's hier falsch. Können's denn nicht lesen?“
„Oh ... äh ...Verzeihung.“
„Macht nix. Da müssen's halt noch 3°25'7'' nach Westen gehn, dann kommen's zum Café Schwarz, bittschön.“
„Dankeschön.“
„Keine Ursache. An schönen Tag noch, habedieehre.“
Das Café Schwarz schien schon von Weitem der krasse Gegensatz zum Café Mit Wenig Milch zu sein. Es ähnelte mit seiner Veranda und den hölzernen Schwingtüren am Eingang mehr einem Saloon aus dem Wilden Westen und fügte sich unauffällig in das Wüstenbild ein. Als er jedoch näher kam, hatte er den Eindruck, sich verlaufen zu haben. Über dem Eingang stand Whisky. Vor dem Haus waren ein paar Pferde geparkt. An einem Pfosten lehnte ein Cowboy, der gelangweilt an einem trockenen Grashalm kaute.
„Entschuldigen Sie, ich suche das Café Schwarz. Können Sie mir weiterhelfen?“
„Yeah.“
„Äh ... und ... wo ist das Café Schwarz?“
„Is nich mehr.“
„Bitte?“
„War früher mal hier. Musste schließen, als die Rindergewerkschaft die Milchabnahmepflicht für Cafés durchgesetzt hat. Jetz is hier das Whisky.“
„Ähm ...das heißt also, hier gibt es nur Whisky, ja?“
Der Cowboy starrte ihn an, als käme er von einem anderen Stern.
„So ne bescheuerte Frage hat hier noch niemand gestellt.“
„Tja, also ... das ist mir natürlich peinlich ... gibt es hier vielleicht auch irgendwo ein ... Bier?“
„Yeah. Aber ich würd da nich hingehn. Is'n verflucht übler Schuppen.“
„Wo ist es denn?“
„Also, bitte, wenn Sie meinen ... 70 Gramm nach links.“
Er ging weiter, mittlerweile verspürte er Durst. 70 Gramm später stand er vor einem kantigen, schmutzig wirkenden Backsteingebäude, an dem mit leuchtendblauer Neonschrift in schwungvollem Schriftzug Bier stand. Als er die Tür öffnete, dröhnte ihm laute Rockmusik entgegen.
Drinnen war es dunkel bis auf die bunten Lichter, die durch die verräucherte Luft blinkten, an der Theke und an den Billardtischen hingen zwielichtige Gestalten in engen Jeans und Cowboystiefeln. Einen Moment lang überlegte er, ob er hier nicht besser einfach nach dem Wasser fragen sollte, aber dann verwarf er den Gedanken wieder. Er war zu erschöpft dazu, seinen Marsch fortzusetzen.
Ein wenig zögernd ging er zur Bar und setzte sich auf einen freien Hocker. Ein Typ neben ihm gähnte und schnitzte sich mit seinem Springmesser lustlos Ornamente in den Unterarm.
„Hey, Kumpel, was darf's sein?“
„Ein ... ein Bier, bitte.“
Der Barkeeper nickte. Er atmete auf. Wenn er jetzt versehentlich einen Gin Tonic verlangt hätte, wäre das wahrscheinlich sein Ende gewesen. Er hoffte, dass es nur die farbigen Lichter waren, die den anderen Gästen der Bar dieses gespenstische Aussehen verliehen.
Plötzlich schob sich von links eine falsche Blondine an ihn heran.
„Hey, Süßer.“ Ihre Stimme war rauchig wie die Luft um sie herum.
Sie musste mindestens einen halben Zentimeter Make-up aufgelegt haben.
„Haste mal Feuer für mich?“
Verlegen tastete er seine Taschen ab. Er fand tatsächlich ein nagelneues Feuerzeug, obwohl er sich sicher war, keines mehr besessen zu haben, seit er sich das Rauchen abgewöhnt hatte. Er gab ihr Feuer. Sie inhalierte und blies ihm den Rauch direkt ins Gesicht. Ihre Brüste hatte sie unterdessen dekorativ auf der Theke drapiert. Der Schnitzer unterbrach seine künstlerische Tätigkeit für einen Augenblick und meinte zu der Blonden:
„Mensch, Lola, lass den doch in Ruh. Siehste nich, dass das ne Karotte is?“
Er verschluckte sich fast an seinem Bier.
„Der hätte am besten ins Wasser Ohne Kohlensäure gehen sollen.“ Kichernd widmete er sich wieder seinem Zeitvertreib.
„Hör nich auf Sal, Süßer“, meinte sie, „er is nur eifersüchtig. Wie heißte denn überhaupt? Ich bin Lola, L-O-L-A, Lola, wie in dem Song, weißte?“
„Aha, hm ... Scheiße! Ich hab's vergessen!“
„Was haste vergessen?“
„Na ... wie ich heiße.“
Sal brach in brüllendes Gelächter aus.
„Hey, Leute, habt ihr das gehört? Die Weichgurke da hat ihren eigenen Namen vergessen!“
Jetzt lachte das ganze Lokal. Er wünschte, er wäre auf der Stelle unsichtbar.
„Hey, Süßer, wo biste denn plötzlich hin?“
Er sah sie verständnislos an. „Ich bin doch hier, wo ich schon die ganze Zeit sitze.“
„Ich seh dich aber nich.“
„Haste jetzt vielleicht auch noch vergessen, wiede aussiehst?“ fragte Sal, immer noch lauthals lachend.
Er blickte an sich herunter. Tatsächlich, er war unsichtbar, aber trotzdem noch da, das konnte er fühlen. Verwirrt griff er nach seinem Bierglas.
„Hey!“ Lola schrie auf. „Kuck ma, da is ja deine Hand!“
Un wirklich, seine rechte Hand und der halbe Arm waren wieder zu sehen.
„Wie kommt das?“
Auf einmal fiel es ihm ein wie das Dach eines Abbruchhauses. Er stand von seinem Hocker auf und trat einen Schritt zur Seite.
„Ey, da biste ja wieder! Hab mir schon Sorgen gemacht, Süßer. Weißte jetzt auch wieder, wiede heißt?“
Auch angestrengtes Nachdenken half nichts.
„Na, macht nix, ich werde dich einfach Al nennen, okay?“
Er zuckte mit den Schultern. „Meinetwegen.“
Als er sich wieder setzte, wurde er erneut teilweise unsichtbar.
„Hör doch auf mit dem Blödsinn, Al“, säuselte Lola. „Lass uns lieber nach oben gehn.“
Sie packte ihn an seiner noch sichtbaren rechten Hand und zog ihn mit sich zu einer Treppe hinter der Theke. Er ließ es widerstandslos geschehen. Jetzt war ihm ohnehin alles egal.
Das Zimmer, in das sie ihn führte, war klein, schäbig und roch muffig.
„Mach's dir bequem.“
Er setzte sich aufs Bett und sah ihr beim Ausziehen zu. Sie hatte einen Körper wie aus einem Hochglanzmagazin ausgeschnitten, perfekt, einfach zu perfekt. Alles an ihr wirkte unecht. Es passte zu dem übertriebenen Make-up und den blondierten Haaren. Wahrscheinlich waren sogar ihre Zähne falsch.
„So, und jetzt du.“ Sie ging auf ihn zu, drückte ihn sanft auf die Matratze und begann, seine Hose zu öffnen. Dabei spürte er ihren Atem auf seinem Gesicht. Er war eiskalt und roch nach Verwesung. Trotz allem schaffte sie es auf unerklärliche Weise, ihn zu erregen.
Als er schließlich in sie eindrang, fühlte es sich scheußlich an, als stieße er in einen Haufen trockenen Sandes. In diesem Moment wurde ihm alles klar. Zu spät. Die Wüste hatte ihn unentrinnbar in ihren Fängen und würde ihn nicht mehr loslassen, bis sie den letzten Tropfen Lebensenergie aus ihm herausgesaugt hatte.
Die Straße schien ohne Ende schnurgerade durch die Wüste zu führen. Er hatte keine Ahnung, wie er hierher gekommen war oder wohin er eigentlich ging. Es musste Wochen hersein, dass er von zu Hause aufgebrochen war.
Nach einer für ihn nicht abschätzbaren Zeitspanne (er hatte sehr bald aufgehört, die Tage zu zählen) sah er am Straßenrand plötzlich einen Meilenstein im Staub stehen. 943 stand darauf. Es war merkwürdig, von den Steinen 1 bis 942 war nichts zu sehen gewesen. Aber vielleicht war dieser Stein auch einfach nur vom Himmel gefallen. Er zuckte die Schultern und ging weiter.
Irgendetwas musste einen Teil seines Gehirns einfach ausgeknipst haben wie eine Schreibtischlampe. Hätte er noch klar denken können, hätte er sich wohl gewundert, wie er wochenlang ohne Nahrung, ohne Wasser und ohne Schlaf, ohne auch nur einmal Halt zu machen, in glühender Hitze durch die Wüste wandern konnte, ohne auch nur das geringste Problem.
Ein paar Tage später kam er an ein Schild. „Café Sin Azucar 200m“ stand darauf. Darunter ein Pfeil, der nach rechts in die Wüste hineinwies. Er dachte nach. Aber warum eigentlich nicht? Ein bisschen Gesellschaft konnte nicht schaden. Also folgte er dem Pfeil.
Der Weg war jetzt schwieriger, da er durch den heißen Sand waten musste, in dem er ständig einsank. 200 Minuten später stand er vor einem prächtigen Gebäude. Es sah aus wie ein europäisches Rokokoschlösschen, ganz in zartem Rosa und strahlendem Weiß gehalten. Über dem Eingangsportal stand in dunkelbrauner Schnörkelschrift Café Con Poquito Leche. Was das andere ja nicht unbedingt ausschloss.
Das Schlösschen war von einem kühlen, schattigen Tannenwäldchen umgeben, der Vorplatz war mit Kies bestreut, es standen Fahrradständer dort, an einem Seitenfenster wurde Eis am Stiel verkauft, auf einem Spielplatz in der Nähe vergnügten sich Kinder.
Als er jetzt das Portal durchschritt, verspürte er schon eine leichte Müdigkeit. Vor der Tür zum Café selber empfing ihn ein Diener in etwas altmodischem Gewand, er mochte aus einem Wiener Caféhaus des 18. Jahrhunderts stammen, was auch sein vornehm knochenbleicher Teint, seine ungewöhnlich großen schwarzen Augen, die Glatze, dieses breite Grinsen in seinem hohlwangigen Gesicht, und nicht zuletzt sein starker Akzent vermuten ließen.
„Wie hätten's denn gern ihren Kaffee, der Herr?“
„Also, um ehrlich zu sein – am liebsten schwarz. Wäre das möglich?“
„Aber nein, da sind's hier falsch. Können's denn nicht lesen?“
„Oh ... äh ...Verzeihung.“
„Macht nix. Da müssen's halt noch 3°25'7'' nach Westen gehn, dann kommen's zum Café Negro, gell.“
„Dankeschön.“
„Keine Ursache. An schönen Tag noch.“
Das Café Negro schien schon von weitem der krasse Gegensatz zum Café Con Poquito Leche zu sein. Es ähnelte mehr einem Saloon aus dem Wilden Westen und fügte sich daher auch problemlos in das Wüstenbild ein. Als er jedoch näher kam, hatte er den Eindruck, dass er sich wohl verlaufen haben musste, denn über dem Eingang stand Whisky. Vor dem Haus waren ein paar Pferde geparkt, und an einem Pfosten lehnte ein Cowboy, der gelangweilt an einem trockenen Grashalm kaute.
„Entschuldigen Sie, ich suche das Café Negro, aber ich muss mich wohl verlaufen haben. Können Sie mir weiterhelfen?“
„Yeah.“
„Äh ... und ... wo ist das Café Negro?“
„Is nich mehr.“
„Bitte?“
„War früher mal hier. Musste schließen, als die Rindergewerkschaft die Milchabnahmepflicht für Cafés durchgesetzt hat. Jetz is hier das Whisky.“
„Ähm ...das heißt also, hier gibt es nur Whisky, ja?“
Der Cowboy starrte ihn an, als käme er von einem anderen Stern.
„So 'ne bescheuerte Frage hat hier noch niemand gestellt.“
„Tja, also ... das ist mir natürlich peinlich ... gibt es hier vielleicht auch irgendwo ein ... Cerveza?“
„Yeah. Aber ich würd da nich hingehn. Is'n verflucht übler Schuppen.“
„Wo ist es denn?“
„Also, bitte, wenn Sie meinen ... 70 Gramm nach links.“
Er ging weiter, mittlerweile verspürte er auch Durst. 70 Gramm später kam er an ein Backsteingebäude, an dem mit leuchtender Neonschrift in schwungvollem Schriftzug Cerveza stand. Als er die Tür öffnete, dröhnte ihm laute Rockmusik entgegen.
Drinnen war es Nacht. Lichter blinkten durch die verräucherte Luft, an der Theke und an den Billardtischen hingen zwielichtige Gestalten in engen Jeans und Cowboystiefeln. Einen Moment lang überlegte er, ob er hier nicht besser einfach nach dem Agua fragen sollte, aber dann verwarf er den Gedanken wieder. Im Augenblick war er einfach zu erschöpft dazu, seinen Marsch fortzusetzen.
Ein wenig zögernd ging er zur Bar und setzte sich auf einen freien Hocker. Der Typ auf dem Hocker neben ihm gähnte und schnitzte sich mit seinem Springmesser gelangweilt Ornamente in den Unterarm.
„Hey, Kumpel, was darf's sein?“
„Ein ... ein Bier, bitte.“
Der Barkeeper nickte und ging eines zapfen. Er atmete auf. Wenn er jetzt versehentlich einen Gin Tonic verlangt hätte, wäre das wahrscheinlich sein Ende gewesen. Er hoffte, dass es nur die farbigen Lichter waren, die den anderen Gästen der Bar dieses gespenstische Aussehen verliehen.
Plötzlich schob sich von links eine falsche Blondine an ihn heran.
„Hey, Süßer.“
Als er ihr Gesicht ganz nah vor Augen hatte, konnte er sehen, dass sie mindestens eine halben Zentimeter Make-up aufgelegt hatte.
„Haste mal Feuer für mich?“
Er war sich nicht sicher, wie er reagieren sollte. Verlegen sah er nach unten und tastete sein Taschen ab. Er fand tatsächlich ein nagelneu aussehendes Feuerzeug, obwohl er sich sicher war, keines mehr besessen zu haben, seit er sich das Rauchen abgewöhnt hatte. Er gab ihr Feuer. Sie inhalierte und blies ihm den Rauch direkt ins Gesicht. Ihre Brüste hatte sie unterdessen dekorativ auf der Theke drapiert. Der Mann auf dem Hocker neben ihm unterbrach seine künstlerische Tätigkeit für einen Augenblick und meinte zu der Blonden:
„Mensch, Lola, lass den doch in Ruhe. Siehste nich, dass das 'ne Karotte is?“
Er verschluckte sich fast an dem Bier, das der Barkeeper ihm mittlerweile hingestellt hatte.
„Der hätte am besten ins Agua Sin Gas gehen sollen.“ Der Mann kicherte und widmete sich wieder seinem Zeitvertreib.
„Hör nicht auf Sal, Süßer“, meinte sie mit ihrer rauchigen Stimme, „er is nur eifersüchtig. Wie heißt du denn überhaupt? Ich bin Lola, L-O-L-A, Lola, wie in dem Song, weißt du?“
„Aha, hm ... Scheiße! Ich hab's vergessen!“
„Was hast du vergessen?“
„Na ... wie ich heiße.“
Der Mann, den Lola Sal genannt hatte, brach in brüllendes Gelächter aus.
„Hey, Leute, habt ihr das gehört? Die Weichgurke da hat ihren eigenen Namen vergessen!“
Jetzt lachte das ganze Lokal, und er wünschte, er wäre auf der Stelle unsichtbar.
„Hey, Süßer, wo biste denn plötzlich hin?“
Er sah sie verständnislos an. „Aber ich bin doch hier, wo ich schon die ganze Zeit sitze.“
„Ich seh dich aber nicht.“
„Haste jetzt vielleicht auch noch vergessen, wiede aussiehst?“ fragte Sal, immer noch lauthals lachend.
Er blickte an sich herunter. Er war tatsächlich unsichtbar. Aber er war trotzdem noch da, das konnte er fühlen. Verwirrt griff er nach seinem Bierglas.
„Hey!“, Lola schrie auf. „Kuck mal, da is ja deine Hand!“
Er sah hin, und wirklich, seine rechte Hand und sein Arm bis ca. zehn Zentimeter unterhalb der Schulter waren wieder zu sehen.
„Wie kommt das?“
Auf einmal fiel es ihm ein wie das Dach eines Abbruchhauses. Er stand von seinem Hocker auf und trat einen Schritt zur Seite.
„Ey, da biste ja wieder! Hab mir schon Sorgen gemacht, Süßer. Weißte jetzt auch wieder, wiede heißt?“
Er dachte angestrengt nach und schüttelte den Kopf.
„Na, macht nichts, ich werde dich einfach Al nennen, okay?“
Er zuckte die Schultern. „Meinetwegen.“
Er setzte sich zurück auf den Hocker und war sofort wieder teilweise unsichtbar.
„Hör doch auf mit dem Blödsinn, Al“, säuselte Lola. „Lass uns lieber nach oben gehn.“
Sie packte ihn an seiner noch sichtbaren linken Hand und zog ihn mit sich zu einer Treppe hinter der Theke. Er ließ es sich widerstandslos gefallen. Jetzt war ihm ohnehin schon alles egal.
Das Zimmer, in das sie ihn führte, war klein, schäbig und roch irgendwie muffig.
„Mach's dir bequem.“
Er setzte sich aufs Bett und sah ihr beim Ausziehen zu. Sie hatte einen Körper, als hätte sie jemand aus einem Hochglanzmagazin ausgeschnitten, perfekt, einfach zu perfekt. Irgendwie wirkte alles an ihr unecht. Es passte zu dem übertriebenen Make-up und den blondierten Haaren. Wahrscheinlich waren sogar ihre Zähne falsch.
„So, und jetzt du.“ Sie ging auf ihn zu, drückte ihn sanft aufs Bett und begann, ihn ebenfalls auszuziehen. Dabei spürte er ihren Atem auf seinem Gesicht. Er war eiskalt und roch irgendwie nach Verwesung. Trotz allem schaffte sie es auf unerklärliche Weise, ihn zu erregen.
Als er schließlich in sie eindrang, war es ein scheußliches Gefühl, als stieße er in einen Haufen trockenen Sand. In diesem Moment ging ihm ein Licht auf, aber es war bereits zu spät. Die Wüste hatte ihn unentrinnbar in ihren Fängen und würde ihn nicht mehr loslassen, bis sie den letzten Tropfen Lebensenergie aus ihm herausgesaugt hätte.
Die wüste Braut (Zweite Fassung mit großem Dank an Magic und Nifl)
Die Straße führte ohne Ende schnurgerade durch die Wüste. Er hatte keine Ahnung, wie er hierher gekommen war oder wohin er eigentlich ging. Es musste Wochen her sein, dass er von zu Hause aufgebrochen war.
Nach einer für ihn nicht abschätzbaren Zeitspanne (die Tage verschwammen in seinem Kopf zu einem einzigen, nie enden wollenden) sah er am Straßenrand plötzlich einen Meilenstein mit der Zahl 943 im Staub stehen. Seltsam, von den Steinen 1 bis 942 hatte er nichts gesehen. Aber vielleicht war dieser Stein einfach vom Himmel gefallen. Er zuckte mit den Schultern und ging weiter.
Irgendetwas hatte einen Teil seines Gehirns einfach ausgeknipst wie eine Schreibtischlampe. Hätte er noch klar denken können, hätte er sich wohl gewundert, wie er wochenlang ohne Nahrung, ohne Wasser und ohne Schlaf, ohne auch nur einmal Halt zu machen, in glühender Hitze durch die Wüste wandern konnte, ohne dass ihn seine Kräfte verließen.
Ein paar Tage später gelangte er an ein Schild mit der Aufschrift „Café Ohne Zucker 200m“. Darunter ein Pfeil, der nach rechts von der Straße weg mitten in die Wüste hineinwies. Warum eigentlich nicht? Ein bisschen Gesellschaft konnte nicht schaden.
Der Weg wurde beschwerlicher, da er ständig im heißen Sand einsank. 200 Minuten später stand er vor einem prächtigen Gebäude. Es sah aus wie ein europäisches Rokokoschlösschen, ganz in zartem Rosa und strahlendem Weiß gehalten. Über dem Eingangsportal stand in dunkelbrauner Schnörkelschrift Café Mit Wenig Milch. Was das andere ja nicht unbedingt ausschloss.
Schattige Tannen umstanden das Schloss und sein Vorplatz war mit Kies bestreut. Es gab Fahrradständer, an einem Seitenfenster wurde Eis am Stiel verkauft, auf einem Spielplatz in der Nähe tobten Kinder.
Als er das Portal durchschritt, verspürte er schon eine leichte Müdigkeit. Vor der Tür zum Café selber empfing ihn ein Diener in etwas altmodischem Gewand. Er mochte aus einem Wiener Kaffeehaus des 18. Jahrhunderts stammen, was auch sein vornehm knochenbleicher Teint, seine ungewöhnlich großen schwarzen Augen, die Glatze, dieses breite Grinsen in seinem hohlwangigen Gesicht, und nicht zuletzt sein Wiener Dialekt vermuten ließen.
„Wie hätten's denn gern Ihren Kaffee, der Herr?“
„Also, um ehrlich zu sein – am liebsten schwarz. Wäre das möglich?“
„Aber nein, da sind's hier falsch. Können's denn nicht lesen?“
„Oh ... äh ...Verzeihung.“
„Macht nix. Da müssen's halt noch 3°25'7'' nach Westen gehn, dann kommen's zum Café Schwarz, bittschön.“
„Dankeschön.“
„Keine Ursache. An schönen Tag noch, habedieehre.“
Das Café Schwarz schien schon von Weitem der krasse Gegensatz zum Café Mit Wenig Milch zu sein. Es ähnelte mit seiner Veranda und den hölzernen Schwingtüren am Eingang mehr einem Saloon aus dem Wilden Westen und fügte sich unauffällig in das Wüstenbild ein. Als er jedoch näher kam, hatte er den Eindruck, sich verlaufen zu haben. Über dem Eingang stand Whisky. Vor dem Haus waren ein paar Pferde geparkt. An einem Pfosten lehnte ein Cowboy, der gelangweilt an einem trockenen Grashalm kaute.
„Entschuldigen Sie, ich suche das Café Schwarz. Können Sie mir weiterhelfen?“
„Yeah.“
„Äh ... und ... wo ist das Café Schwarz?“
„Is nich mehr.“
„Bitte?“
„War früher mal hier. Musste schließen, als die Rindergewerkschaft die Milchabnahmepflicht für Cafés durchgesetzt hat. Jetz is hier das Whisky.“
„Ähm ...das heißt also, hier gibt es nur Whisky, ja?“
Der Cowboy starrte ihn an, als käme er von einem anderen Stern.
„So ne bescheuerte Frage hat hier noch niemand gestellt.“
„Tja, also ... das ist mir natürlich peinlich ... gibt es hier vielleicht auch irgendwo ein ... Bier?“
„Yeah. Aber ich würd da nich hingehn. Is'n verflucht übler Schuppen.“
„Wo ist es denn?“
„Also, bitte, wenn Sie meinen ... 70 Gramm nach links.“
Er ging weiter, mittlerweile verspürte er Durst. 70 Gramm später stand er vor einem kantigen, schmutzig wirkenden Backsteingebäude, an dem mit leuchtendblauer Neonschrift in schwungvollem Schriftzug Bier stand. Als er die Tür öffnete, dröhnte ihm laute Rockmusik entgegen.
Drinnen war es dunkel bis auf die bunten Lichter, die durch die verräucherte Luft blinkten, an der Theke und an den Billardtischen hingen zwielichtige Gestalten in engen Jeans und Cowboystiefeln. Einen Moment lang überlegte er, ob er hier nicht besser einfach nach dem Wasser fragen sollte, aber dann verwarf er den Gedanken wieder. Er war zu erschöpft dazu, seinen Marsch fortzusetzen.
Ein wenig zögernd ging er zur Bar und setzte sich auf einen freien Hocker. Ein Typ neben ihm gähnte und schnitzte sich mit seinem Springmesser lustlos Ornamente in den Unterarm.
„Hey, Kumpel, was darf's sein?“
„Ein ... ein Bier, bitte.“
Der Barkeeper nickte. Er atmete auf. Wenn er jetzt versehentlich einen Gin Tonic verlangt hätte, wäre das wahrscheinlich sein Ende gewesen. Er hoffte, dass es nur die farbigen Lichter waren, die den anderen Gästen der Bar dieses gespenstische Aussehen verliehen.
Plötzlich schob sich von links eine falsche Blondine an ihn heran.
„Hey, Süßer.“ Ihre Stimme war rauchig wie die Luft um sie herum.
Sie musste mindestens einen halben Zentimeter Make-up aufgelegt haben.
„Haste mal Feuer für mich?“
Verlegen tastete er seine Taschen ab. Er fand tatsächlich ein nagelneues Feuerzeug, obwohl er sich sicher war, keines mehr besessen zu haben, seit er sich das Rauchen abgewöhnt hatte. Er gab ihr Feuer. Sie inhalierte und blies ihm den Rauch direkt ins Gesicht. Ihre Brüste hatte sie unterdessen dekorativ auf der Theke drapiert. Der Schnitzer unterbrach seine künstlerische Tätigkeit für einen Augenblick und meinte zu der Blonden:
„Mensch, Lola, lass den doch in Ruh. Siehste nich, dass das ne Karotte is?“
Er verschluckte sich fast an seinem Bier.
„Der hätte am besten ins Wasser Ohne Kohlensäure gehen sollen.“ Kichernd widmete er sich wieder seinem Zeitvertreib.
„Hör nich auf Sal, Süßer“, meinte sie, „er is nur eifersüchtig. Wie heißte denn überhaupt? Ich bin Lola, L-O-L-A, Lola, wie in dem Song, weißte?“
„Aha, hm ... Scheiße! Ich hab's vergessen!“
„Was haste vergessen?“
„Na ... wie ich heiße.“
Sal brach in brüllendes Gelächter aus.
„Hey, Leute, habt ihr das gehört? Die Weichgurke da hat ihren eigenen Namen vergessen!“
Jetzt lachte das ganze Lokal. Er wünschte, er wäre auf der Stelle unsichtbar.
„Hey, Süßer, wo biste denn plötzlich hin?“
Er sah sie verständnislos an. „Ich bin doch hier, wo ich schon die ganze Zeit sitze.“
„Ich seh dich aber nich.“
„Haste jetzt vielleicht auch noch vergessen, wiede aussiehst?“ fragte Sal, immer noch lauthals lachend.
Er blickte an sich herunter. Tatsächlich, er war unsichtbar, aber trotzdem noch da, das konnte er fühlen. Verwirrt griff er nach seinem Bierglas.
„Hey!“ Lola schrie auf. „Kuck ma, da is ja deine Hand!“
Un wirklich, seine rechte Hand und der halbe Arm waren wieder zu sehen.
„Wie kommt das?“
Auf einmal fiel es ihm ein wie das Dach eines Abbruchhauses. Er stand von seinem Hocker auf und trat einen Schritt zur Seite.
„Ey, da biste ja wieder! Hab mir schon Sorgen gemacht, Süßer. Weißte jetzt auch wieder, wiede heißt?“
Auch angestrengtes Nachdenken half nichts.
„Na, macht nix, ich werde dich einfach Al nennen, okay?“
Er zuckte mit den Schultern. „Meinetwegen.“
Als er sich wieder setzte, wurde er erneut teilweise unsichtbar.
„Hör doch auf mit dem Blödsinn, Al“, säuselte Lola. „Lass uns lieber nach oben gehn.“
Sie packte ihn an seiner noch sichtbaren rechten Hand und zog ihn mit sich zu einer Treppe hinter der Theke. Er ließ es widerstandslos geschehen. Jetzt war ihm ohnehin alles egal.
Das Zimmer, in das sie ihn führte, war klein, schäbig und roch muffig.
„Mach's dir bequem.“
Er setzte sich aufs Bett und sah ihr beim Ausziehen zu. Sie hatte einen Körper wie aus einem Hochglanzmagazin ausgeschnitten, perfekt, einfach zu perfekt. Alles an ihr wirkte unecht. Es passte zu dem übertriebenen Make-up und den blondierten Haaren. Wahrscheinlich waren sogar ihre Zähne falsch.
„So, und jetzt du.“ Sie ging auf ihn zu, drückte ihn sanft auf die Matratze und begann, seine Hose zu öffnen. Dabei spürte er ihren Atem auf seinem Gesicht. Er war eiskalt und roch nach Verwesung. Trotz allem schaffte sie es auf unerklärliche Weise, ihn zu erregen.
Als er schließlich in sie eindrang, fühlte es sich scheußlich an, als stieße er in einen Haufen trockenen Sandes. In diesem Moment wurde ihm alles klar. Zu spät. Die Wüste hatte ihn unentrinnbar in ihren Fängen und würde ihn nicht mehr loslassen, bis sie den letzten Tropfen Lebensenergie aus ihm herausgesaugt hatte.