Es war einmal gewesen – Wie die Zeit vergeht
Dass die Zeit vergeht, dass sie dahinrast und das immer schneller, je älter wir werden, erleben wir täglich: Hatten wir nicht gerade erst die Jahrtausendwende? – Schnee von gestern, das nächste Millennium steht schon vor der Tür: nur noch 994 Jahre und ich habe immer noch keine Karten für die Party vor dem Brandenburger Tor! Und wieso ist eigentlich das hellblau-braun gestreifte Hemd, das ich mir damals kaufte, heute schon wieder out? Oder schon wieder in? Und: Waren früher nicht Bundestagswahlen alle vier Jahre, wieso finden die jetzt schon nach drei Jahren statt? Ein wirklich untrügliches Zeichen dafür, dass wir uns an einem besonderen Punkt der Raumzeit befinden, an dem die Zeit einem Spaceshuttle gleich beschleunigt, aber findet sich in unserer Sprache. Kein anderer Indikator könnte deutlicher anzeigen, dass Vergangenes ein für alle mal vorüber ist, wie das phönixgleiche Wiedererstarken des Plusquamperfekts.
In der Tat: Begrüßt uns die Sekretärin am ersten Arbeitstag mit einem freundlichen „Na, wie war der Urlaub gewesen?“, so merkt man gleich, wie lange die schönste Zeit des Jahres schon vergangen ist (schließlich sind es schon zwölf Stunden, seitdem man gelandet ist) und wie urlaubsreif man sich schon wieder fühlt; melden die Nachrichten, in denen das Plusquamperfekt seit Jüngstem auch wieder fröhliche Urstände feiert, dass der Aktienmarkt heute günstig gewesen war und der DAX (vor fünf Minuten) mit 73 Punkten im Plus geschlossen hatte, so wird man sich der vertanen Chancen erst richtig bewusst: Aus, vorbei, morgen ist schon wieder ein ganz anderer Tag, mit einem ganz neuen DAX.
Doch ist die dahinfliegende Zeit möglicherweise nicht der einzige Grund für die Renaissance des Plusquamperfekts. Vielleicht ist es auch der Drang nach Vollkommenheit – auch unsere Sprache soll mehr als perfekt sein – vielleicht aber auch der Drang nach Vergangenheitsbewältigung („es war einmal die DDR gewesen“). Möglich ist aber auch, dass wir durch den Gebrauch des Plusquamperfekts nur unsere besondere Stellung im Tierreich herausstellen wollen. Eine Studie eines amerikanischen Wissenschaftlerteams fand unlängst heraus, dass selbst für Primaten komplizierte Grammatiken böhmische Dörfer sind (Science 303, S. 380 ff.). Affen kennen weder das Plusquamperfekt, noch das Futur II oder den Konjunktiv (wir sind schon einzigartig: Schimpansen beherrschen kein Plusquamperfekt, Frösche keine Integralrechnung und das Gnu kann nicht bei der Steuererklärung bescheißen).
Welchen Grund die Wiederauferstehung des Plusquamperfekts auch haben mag, zwei Probleme bleiben. Wesentliche Texte unseres Kulturguts müssen natürlich umgeschrieben werden: Angefangen von der Bibel („Am Anfang war das Wort gewesen"), über das Märchen („Es waren einmal ein Vater mit zwei Kindern gewesen“) bis hin zur Werbung („Ich war eine Dose gewesen"). Ja, selbst eine der frühen CDs der irischen Popband U2 müsste ihren Namen von War in War gewesen ändern (der Autor entschuldigt sich für diesen Kalauer). Darüber hinaus war das Plusquamperfekt ja ursprünglich (wer mag sich daran erinnern …) mal als Sprachmittel gedacht gewesen (!), um eine nicht unwichtige Zeitbeziehung zur Sprache zu bringen: Was machen wir nun in Zukunft, in dem unwahrscheinlichen Fall, dass tatsächlich einmal Bedarf bestehen sollte, den Sachverhalt einer in der Vergangenheit bereits abgeschlossenen Handlung auszudrücken? Darauf weiß das Österreichische eine verblüffende Antwort: das doppelte Plusquamperfekt. Technisch deutlich einfacher zu beherrschen als beispielsweise der doppelte Rittberger, hat es heute schon Einzug in verschiedene deutsche Dialekte gefunden: Wir hatten das Plusquamperfekt gerade vergessen gehabt, das war es auch schon wieder auferstanden gewesen.
In diesem Sinne: Bis gestern!
Wie die Zeit vergeht
lieber max,
ich hatte deine kolummne gestern schon gelesen gehabt, bevor ich wieder darauf vergessen hatte. ich war schon sehr angetan gewesen; auch geschmeichelt - wir österreicher waren ja immer schon unserer zeit voraus gewesen, nur hatte es nie jemand gemerkt gehabt. - wenn es mehr menschen rechtzeitig erkannt gehabt hätten, wären wir inzwischen schon längst weiter gekommen worden und müssteten uns nicht mehr mit derlei fragen herumgeschlagen haben müssen. - doch irgendwann, gerade mithilfe deiner gekonnt formuliert gewesenen satire, werdeten wir sagen gekonnt haben dass wir all das erfolgreich hinter uns gelassen gehabt hatten.
gehabt hatte dich wohl und guten morgen,
aram
ich hatte deine kolummne gestern schon gelesen gehabt, bevor ich wieder darauf vergessen hatte. ich war schon sehr angetan gewesen; auch geschmeichelt - wir österreicher waren ja immer schon unserer zeit voraus gewesen, nur hatte es nie jemand gemerkt gehabt. - wenn es mehr menschen rechtzeitig erkannt gehabt hätten, wären wir inzwischen schon längst weiter gekommen worden und müssteten uns nicht mehr mit derlei fragen herumgeschlagen haben müssen. - doch irgendwann, gerade mithilfe deiner gekonnt formuliert gewesenen satire, werdeten wir sagen gekonnt haben dass wir all das erfolgreich hinter uns gelassen gehabt hatten.
gehabt hatte dich wohl und guten morgen,
aram
there is a crack in everything, that's how the light gets in
l. cohen
l. cohen
Oh, wie schön, so viele Gleichgesinnte, auch mir rollen sich die Fußnägel auf, wenn jemand so spricht wie Du hier schreibst, Max. Ich habe, verzeih hatte mich köstlich amüsiert und mich an der teilweise etwas härteren Tonart gefreut, die ich von Dir noch nicht so gekannt hatte.
Liebe Grüße
leonie
Liebe Grüße
leonie
Lieber Max,
das find ich richtig gut und pointiert, mit jeder Menge Einfällen gespickt und zu einem Thema, über das ich mich nur allzu gerne lustig mache gemacht hatte.
Liebe Lachtränengrüße,
Lisa
das find ich richtig gut und pointiert, mit jeder Menge Einfällen gespickt und zu einem Thema, über das ich mich nur allzu gerne lustig mache gemacht hatte.
Liebe Lachtränengrüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.
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