Ein Sommer lang, ein Leben...

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scarlett

Beitragvon scarlett » 13.11.2006, 15:35

(Überarbeitete Fassung)

Ein Sommer lang,
ein Leben...


Als sie in jener eisigen Dezembernacht den Zug bestiegen hatte, leichtfüßig und mit wehenden Gedanken, um zum ersten Mal die Landesgrenze zu überschreiten, war er nicht bei ihr.
Er hatte sich schon Tage vorher von ihr verabschiedet, leise und umständlich.
Auch auf dem Fest mit all ihren Freunden ließ er sich danach nicht mehr blicken, sie fragte nicht nach dem Warum.
Er blieb in seinem Land, das bald nicht mehr das ihre sein sollte, in seiner Sprache, die sie nur geliehen hatte, blieb zurück in der Dunkelheit, die sie mit jedem gefahrenen Kilometer hinter sich ließ. Wenn auch staatenlos und frei, so hoffte sie doch, daß am Ende der langen Nachtfahrt Licht auf sie warten würde. Auf ihn hingegen wartete nichts als der rumänische Alltag des Jahres 1981.

„Möchten Sie noch etwas trinken?“– Die Stimme der Stewardess holte sie aus ihren Erinnerungen. Sie blickte auf die Uhr. Gut eine Stunde Flugzeit trennte sie noch von dem Land, das sie vor einem Vierteljahrhundert mit einem one-way-ticket verlassen hatte und das mittlerweile ein anderes geworden war. So zumindest konnte man es den Medien und vielen Augenzeugenberichten entnehmen. Trotzdem hatte sie beschlossen, sich ihm aus sicherem Abstand zu nähern. Nicht zuletzt, weil sie die Grenze nie wieder überschreiten wollte, dieses grausame Stückchen Niemandsland, an dem mit kehliger Stimme bewaffnete Milchgesichter den Sozialismus sicherten. Nun also kam sie „von oben“ –
Sie lächelte unwillkürlich, als ihr bewußt wurde, wie sehr die Redensart der Siebenbürger Sachsen, jener Volksgruppe, der auch sie angehörte, in diesem Fall wortwörtlich zutraf: reiste man nämlich nach Deutschland aus, dann sagte man „nach oben“ und nach Rumänien fuhr man dementsprechend „hinunter“.

Sie machte es sich so gut es ging in dem engen Sitz der Maschine bequem und lauschte noch eine Weile dem Klappern der Servierwagen sowie dem gleichmäßigen, ruhigen Brummen der Motoren. Ab und an streiften Wortfetzen ihr Ohr, mal in dem breiten, etwas schwerfälligen Deutsch ihrer ehemaligen Landsleute, dann wieder im Dialekt, den sie zwar verstand, jedoch nicht beherrschte und vereinzelt auch in der Sprache, in der sie einst zu Hause war. Mit jedem verstandenen Wort begann ihr Herz heftiger zu schlagen.
„Alexandru“, flüsterte sie und spürte, wie sich ihre Gedanken in der blauen Tiefe verloren, aus der allmählich die vertrauten Bilder wieder aufstiegen...

Es war die Liebe zum Wort, zur Sprache, die sie beide zusammengeführt hatte.
Sie lebte damals am Ende einer kleinen, schmutzigen Industriestadt, die nur durch einen mit dichten Hecken und Bäumen bewachsenen Graben getrennt war vom angrenzenden, vorwiegend von deutschstämmigen Sachsen bewohnten Dorf.
Leben an der Grenze...
Täglich mußte sie diese überqueren, um in die deutsche Schule des Dorfes zu gehen.
Hinter den Wohnblocks erstreckten sich die Felder und Wiesen bis zu den Wäldern des siebenbürgischen Hochlandes. Die Tristesse des Städtchens schien sich hier, an ihrem Rande, aufzulösen.

Es war an einem dieser Tage, an dem der Sommer sich plötzlich und mit aller Macht über Mensch und Natur stülpte. Die Luft vibrierte, der schwere Duft blühender Akazien lag auf den leuchtenden Wiesen, aus denen roter Mohn verheißungsvoll winkte.
Sie war fünfzehn, kam gerade von der Schule und da saß er, ein Junge aus der Nachbarschaft, den sie früher kaum wahrgenommen hatte, auf der Bank vor ihrem Wohnblock. Sie blieb vor ihm stehen.
„Ich lese gerade ´ Sie tanzte nur einen Sommer ´, und du?“ Neugierig neigte sie den Kopf, um den Titel des Buches zu erkennen, das jetzt geschlossen auf seinen Knien lag. In seinen schwarzen, ernsten Augen jagten sich die Sonnenstrahlen, winzige kleine Punkte, die immer wieder aufblitzten, sobald er sprach. Alexandru sprach gern und viel.
Er war neunzehn, stand kurz vor dem Abitur und empfahl ihr Tolstoi.
Und – er war Rumäne.

Seine Eltern betrieben eine Bodega in der Unterstadt, neben der Arztpraxis ihrer Mutter. Sein Vater war oft schon mittags mehr mit dem Trinken als dem Bedienen der Gäste beschäftigt, seine Mutter, eine kleine, eher unscheinbare aber energische Frau, schmiß den Laden meist allein. Alexandru half beinahe täglich aus und nicht selten mußte er den betrunkenen Vater nach Hause bringen, um danach wieder in der Kneipe zu arbeiten. Scheinbar mühelos verband er das mit dem Lernen und dem Anspruch auf ein Medizinstudium, dessen schwere Aufnahmeprüfung ihm nach dem Abitur noch bevorstand. Und ebenso mühelos schien er die Scham wegzustecken, die ihm bis unter die Haarwurzeln brannte. Sie spürte das, sah es in seinen Augen, niemals jedoch sprachen sie darüber.

Sie trafen sich nun täglich. Nur die Sonn- und Feiertage waren leere Tage, die vor allem sie mit der Familie verbringen mußte. Undenkbar, es den Rumänen am Feiertag gleichzutun oder sich gar zu ihnen zu gesellen, fröhlich und lärmend wie diese die Wiesen zu bevölkern, im Freien zu essen und zu trinken. Da half kein Betteln, kein Jammern: der rumänischen Osternacht mußte sie ebenso fern bleiben wie Alexandru ihren Festen oder Verwandtschaftsbesuchen. Die Toleranz des Anderen, Fremden endete, sobald es zu nahe heranrückte. Daß die deutsche Minderheit, wo immer dies möglich war, lieber unter sich blieb, war ein offenes Geheimnis.

Da ihr Bekanntenkreis am Ort ausschließlich aus Rumänen sowie einigen versprengten Ungarn bestand, fiel die beginnende Freundschaft und gegenseitige Zuneigung zunächst nicht weiter auf. Man traf sich mit den anderen zum Volleyball und zum Reden, war albern und erkundete neugierig die Grenzen des Kindseins und des Frühsommers. Hoffnung leuchtete in ihren Augen wie die Sonne, die nicht nur ihre Umgebung in ein eigens Licht tauchte, wabernd, heiß. Doch immer häufiger gingen sie ihre eigenen, geheimen Wege, auf denen ihnen die anderen nicht folgen konnten. Mit ihm betrat sie eine Welt, von deren Existenz sie vorher nicht geahnt hatte. Da war plötzlich jemand, der sie verstand, sie als erwachsen betrachtete und für den vor allem Bücher kein Fremdwort waren. Er brachte ihr rumänische Dichtung näher, half ihr so manches Mal über die Schwierigkeiten des Teenager – Daseins hinweg und vertiefte sich ganz nebenbei immer öfter in die von ihrer Mutter geliehenen Medizinbücher.



„Was willst du denn mit dem Rumänen? Der ist kein Umgang für dich“.
Mit zunehmendem Argwohn jedoch verfolgte die Familie die sich anbahnende Entwicklung, vor allem ihre Mutter, deren Bekanntheitsgrad in dem kleinen Ort es den beiden zusätzlich schwer machte. Sie standen unter Beobachtung, der sie sich aber immer wieder geschickt zu entziehen wußten: entweder tauchten sie unauffällig in der Gruppe unter oder durchstreiften die Umgebung auf einsamen Wegen. Auf einem dieser zahllosen Spaziergänge hatten sie irgendwann auch die kleine Quelle entdeckt, die danach des öfteren ihr verschwiegener, magischer Treffpunkt war.
Die Tränen kamen später...

„Du kannst nicht küssen“.
Auch heute noch, nach all den Jahren, versetzte ihr die Erinnerung an diesen Satz einen Stich.
Immer wieder war sie Alexandru ausgewichen, obwohl schon längst verliebt.
Sie lagen inmitten von Margeriten und Mohn, das Schachspiel war zusammengeklappt, der Sommer summte bereits sein Hochlied.
Zitternd vor Wut und Scham war sie damals einfach aufgesprungen und davongelaufen, er hatte Mühe, sie einzuholen. Diesmal jedoch entkam sie ihm nicht...
Nie wieder hatte sie danach jemanden mit so fein geschwungenen, sinnlichen Lippen getroffen.
Leben an der Grenze...

Keiner im Sachsendorf wußte von ihrem rumänischen Freund – sprach sie von ihm, nannte sie ihn einfach „Alexander“. Auf keinem der Bälle konnte er dabei sein, ohne sie und ihre Familie zu kompromittieren und nur unter strengen Auflagen erhielt sie die Erlaubnis, mit ihm und seinen Freunden die mit Bravour bestandene Medizinprüfung zu feiern. Zumindest hatte die Aussicht, daß er Arzt werden würde, ihn einigermaßen akzeptabel gemacht. Leistung nämlich wurde von ihrer Familie hoch anerkannt und auch ihm gegenüber bei den jetzt allmählich gestatteten Besuchen immer wieder betont.
Was er dabei wohl dachte und empfand?

Dann kam der Herbst. Und mit ihm die Zeit der Briefe, des Wartens und der Eifersucht.
Nicht nur er hatte den kleinen Ort gegen eine Universitätsstadt eingetauscht, auch sie besuchte das Gymnasium einer anderen Stadt. Neue Wege, neue Erfahrungen, neue Lieben...
Und doch gelang es ihnen, all dies Neue in ihre Freundschaft durch die Jahre mit einzubinden. Das Vertrauen, die Nähe stellten sich sofort ein, wenn sie einander in den Ferien wiedersahen, um wie früher die endlosen Wälder und Wiesen zu durchstreifen. Allein die Liebe kauerte vergessen in irgendeiner dunklen Ecke, andere, scheinbar leuchtendere schoben sich davor...

„Aus welchem Anlaß fliegen Sie denn nach Rumänien? Haben Sie dort noch Verwandtschaft?“, fragte plötzlich der Mann neben ihr.
Etwas verwundert blickte sie ihn an, da er bisher keinerlei Interesse an einer Konversation gezeigt hatte. Aufgefallen war ihr nur, daß er offensichtlich unter Flugangst litt und, als könnte er diese damit bannen oder zumindest unter Kontrolle halten, schaute er alle paar Minuten auf seine Uhr.
Nein, sie habe dort niemanden mehr, noch vor der Wende sei einer nach dem anderen ausgereist, antwortete sie.
Die Einladung zu einer Literaturveranstaltung habe sie angenommen mit der Absicht, alten Spuren zu folgen.
Sie lächelte. Den langjährigen Freund erwähnte sie dabei nicht. Das Gespräch verebbte.

Erst als die räumliche Distanz zwischen ihnen zu groß geworden war, als sie schon längst in Deutschland lebte und die Briefe immer seltener wurden, begann sie schmerzhaft zu begreifen, daß ihre gemeinsame Zeit unwiderruflich vorbei war. Es gab mehr als nur die eine Grenze zu überwinden, das Leben hatte sich und sie verändert. Tagsüber war der Verlust kaum spürbar, doch nachts hörte sie seine weiche Stimme, sein Lachen, sah die Sonnensprenkel in seinen Augen und erträumte sich ihre Gespräche. Der erste Mohn rührte sie jedes Jahr aufs Neue.

Als irgendwann ein Brief mit seiner Hochzeitsanzeige kam, hatte sie sich für ihn gefreut. Wie viele Jahre war das jetzt her? Sie erinnerte sich nur, daß am Abend der Spielfilm „Der Liebhaber“ ausgestrahlt wurde. Sie verfolgte, innerlich aufgewühlter als ihr bewußt war, wie die Hauptperson die Weite des Indischen Ozeans auf einem Dampfer überquert, um nach Frankreich zurückzukehren und unter der Last ihrer Erinnerungen und einer leichtfertig verspielten Liebe schließlich zusammenbricht.
Da erst weinte auch sie, heftiger als je zuvor.
Hatte sie ihn vielleicht doch geliebt, ihren kleinen Rumänen?

„Meine Damen und Herren, legen Sie bitte die Sicherheitsgurte an, wir befinden uns im Landeanflug auf Sibiu.“
„Man wird Sie sicher erwarten, oder?“, fragte ihr nervöser Nachbar.

Der Brief, den sie Alexandru vor ihrer Abreise geschrieben hatte, war ohne Antwort geblieben. Es wäre nicht das erste Mal, daß Postsendungen nach Rumänien dort nie ankamen. Vielleicht verbrachte er auch gerade ein paar Tage irgendwo am Schwarzen Meer, wie jedes Jahr, schließlich war Sommer und Urlaubszeit. Schlagartig wurde ihr bewußt, daß sie sich auf ein Wagnis mit äußerst ungewissem Ausgang eingelassen hatte. Unruhig bohrten sich jetzt ihre Blicke in das Zifferblatt der Uhr.
„Ich weiß es nicht“, flüsterte sie dem Mann zu und fügte in Gedanken hinzu: „Wie kann ich das wissen?“.

Warmes Licht schlug ihr entgegen, als sie die Maschine verließ und langsam über das Rollfeld zum Flughafengebäude ging. Sie ließ sich Zeit, sehr viel Zeit, jeden einzelnen Schritt bewußt auf diesen Boden setzend, den zu betreten sie so lange gezögert hatte. Umgeben von flirrenden Sommerdüften tauchte sie ein in das Stimmengewirr vertrauter Sprache und fühlte: ich bin angekommen.
Erstaunlich schnell und freundlich wurden die Einreiseformalitäten erledigt. Ja, es hatte sich tatsächlich etwas verändert in diesem Land, das einst als das finsterste Europas gegolten hatte.

Sie nahm ihren Koffer, trat ins Freie und – da war er.
Etwas abseits, die Haare vom aufkommenden Wind zerzaust, lehnte er an einer Straßenlaterne, den Blick auf den Flughafenausgang geheftet. Sein Lachen umarmte sie bereits, während sie noch auf ihn zuging. Mit jedem Schritt ein Jahr durchqueren, dachte sie, mehr trennte sie nicht voneinander.
Als sie dann endlich vor ihm stand, suchte sie in seinem Gesicht nach den Spuren, die diese Zeit hinterlassen hatte und fuhr zärtlich jede einzelne mit ihren Fingern nach. Welche Geschichten sich wohl dahinter verbargen, wie viele glückliche Augenblicke und wieviel Leid? Sie schloß die Augen.
Seine Hand ergriff liebevoll die ihre und leise sagte er:
„Laß uns gehen, der Mohn blüht“.


scarlett, 2006





(Erste Fassung)
Seine Eltern betrieben eine Bodega in der Unterstadt, neben der Arztpraxis ihrer Mutter. Sein Vater war oft schon mittags mehr mit dem Trinken als dem Bedienen der Gäste beschäftigt, die Mutter, eine kleine, eher unscheinbare aber energische Frau schmiß den Laden meist allein. Alexandru half beinahe täglich aus und nicht selten geschah es, daß er den betrunkenen Vater nach Hause bringen mußte, um danach wieder in die Kneipe zurückzukehren, um die Mutter zu unterstützen. Scheinbar mühelos verband er das mit dem Lernen und dem Anspruch auf ein Medizinstudium, dessen schwere Aufnahmeprüfung ihm gleich nach dem Abitur noch bevorstand. Und ebenso mühelos schien er die Scham wegzustecken, die ihm bis unter die Haarwurzeln brannte. Sie spürte das, sie sah es in seinen Augen, niemals jedoch sprachen sie darüber.

Sie trafen sich nun täglich. Nur die Sonn- und Feiertage waren leere Tage, die vor allem sie mit der Familie verbringen mußte. Undenkbar, es den Rumänen am Feiertag gleichzutun, sich gar zu ihnen zu gesellen, fröhlich und lärmend wie diese die Wiesen zu bevölkern, im Freien zu essen und zu trinken. Da half kein Betteln, kein Jammern: der rumänischen Osternacht mußte sie ebenso fern bleiben wie er ihren Festen oder Verwandtschaftsbesuchen. Die Toleranz des Anderen, Fremden endete, sobald es zu nahe heranrückte. Man blieb unter sich.

Da ihr Bekanntenkreis am Ort ausschließlich aus Rumänen sowie einigen versprengten Ungarn bestand, fiel ihre Freundschaft und gegenseitige Zuneigung zunächst nicht weiter auf. Man traf sich mit den anderen zum Volleyball und zum Reden, war albern. Neugierig erkundete man die Grenzen des Kindseins und des Frühsommers. Hoffnung leuchtete in ihren Augen wie die Sonne, die nicht nur ihre Umgebung in ein eigens Licht tauchte, wabernd, heiß. Doch zunehmend häufiger gingen sie ihre eigenen Wege, auf denen ihnen die anderen nicht folgen wollten oder nicht zu folgen vermochten. Mit ihm an ihrer Seite betrat sie eine Welt, von deren Existenz sie vorher noch nicht einmal geahnt hatte. Da war plötzlich jemand, der sie verstand, sie als erwachsen betrachtete und für den vor allem Bücher kein Fremdwort waren. Er brachte ihr rumänische Dichtung näher, half ihr so manches Mal über die Schwierigkeiten des Teenager – Daseins hinweg und vertiefte sich nebenbei immer öfter in die von ihrer Mutter geliehenen Medizinbücher.

„Was willst du denn mit dem Rumänen? Der ist kein Umgang für dich“.
Mit zunehmendem Argwohn jedoch verfolgte die Familie allmählich die sich anbahnende Entwicklung, vor allem die Mutter, deren Bekanntheitsgrad in dem kleinen Ort es den beiden zusätzlich schwer machte. Sie standen quasi unter Dauerbeobachtung, der sie sich aber trotzdem immer wieder geschickt zu entziehen wußten.
Die Tränen kamen später...

„Du kannst nicht küssen“.
Auch heute noch, nach all den Jahren, versetzte ihr die Erinnerung an diesen Satz einen Stich.
Immer wieder war sie ihm ausgewichen, obwohl schon längst verliebt.
Sie lagen inmitten von Margeriten und Mohn, das Schachspiel war zusammengeklappt, der Sommer summte bereits sein Hochlied.
Zitternd vor Wut und Scham war sie damals einfach aufgesprungen und davongelaufen, er hatte Mühe, sie einzufangen. Diesmal jedoch ließ er sie nicht los...
Nie wieder hatte sie danach jemanden mit so fein geschwungenen, sinnlichen Lippen getroffen.
Leben an der Grenze...

Keiner im Sachsendorf wußte von ihrem rumänischen Freund, sprach sie von ihm, nannte sie ihn einfach „Alexander“. Auf keinen der Bälle konnte sie ihn mitnehmen, ohne sich und ihre Familie zu kompromittieren, nur unter strengen Auflagen erhielt sie die Erlaubnis, mit ihm und seinen Freunden die mit Bravour bestandene Medizinprüfung zu feiern. Zumindest hatte die Aussicht, daß er Arzt werden würde, ihn einigermaßen akzeptabel gemacht.
Was er dabei wohl dachte und empfand?

Dann kam der Herbst. Und mit ihm die Zeit der Briefe, des Wartens und der Eifersucht.
Nicht nur er hatte den kleinen Ort gegen eine Universitätsstadt eingetauscht, auch sie besuchte das Gymnasium einer anderen Stadt. Neue Wege, neue Erfahrungen, neue Lieben...
Und doch gelang es ihnen, all dies Neue in ihre Freundschaft durch die Jahre mit einzubinden. Das Vertrauen, die Nähe stellten sich sofort wieder ein, wenn sie einander in den Ferien wiedersahen, um wie früher die endlosen Wälder und Wiesen zu durchstreifen. Allein die Liebe kauerte vergessen in irgendeiner dunklen Ecke, andere, scheinbar leuchtendere schoben sich davor...

„Aus welchem Anlaß fliegen Sie denn nach Rumänien? Haben Sie dort noch Verwandtschaft?“, fragte plötzlich der Mann neben ihr.
Etwas verwundert blickte sie ihn an, da er bisher keinerlei Interesse an einer Konversation gezeigt hatte. Aufgefallen war ihr nur, daß er offensichtlich unter Flugangst litt und, als könnte er diese damit bannen oder zumindest unter Kontrolle halten, schaute er alle paar Minuten auf seine Uhr, was sie ziemlich komisch fand.
Nein, sie habe dort niemanden mehr, einer nach dem anderen habe das Land verlassen, das sei noch vor der Wende gewesen, antwortete sie.
Die Einladung zu einer Literaturveranstaltung habe sie angenommen mit der Absicht, alten Spuren zu folgen. Sie lächelte. Den langjährigen Freund erwähnte sie dabei nicht. Das Gespräch verebbte.

Erst als die räumliche Distanz zwischen ihnen zu groß geworden war, als sie schon längst in Deutschland lebte und die Briefe immer seltener wurden, begann sie schmerzhaft zu begreifen, daß ihre gemeinsame Zeit unwiderruflich vorbei war. Es gab mehr als nur die eine Grenze zu überwinden, das Leben hatte sich und sie verändert. Tagsüber spürte sie den Verlust kaum, doch nachts hörte sie seine weiche Stimme, sein Lachen, sah die Sonnensprenkel in seinen Augen und erträumte sich ihre Gespräche. Der erste Mohn rührte sie jedes Jahr aufs Neue.

Als irgendwann ein Brief mit seiner Hochzeitsanzeige kam, hatte sie sich um seinetwillen gefreut. Am Abend sah sie den Film: „Der Liebhaber“. Sie verfolgte, innerlich aufgewühlter als sie es jemals zugegeben hätte, wie die Hauptperson die Weite des Indischen Ozeans auf einem Dampfer überquert, um nach Frankreich zurückzukehren und unter der Last ihrer Erinnerungen und der leichtfertig verspielten Liebe schließlich zusammenbricht. Da erst weinte auch sie, heftig wie nie zuvor.
Hatte sie ihn vielleicht doch geliebt, ihren kleinen Rumänen?

„Meine Damen und Herren, legen Sie bitte die Sicherheitsgurte an, wir befinden uns im Landeanflug auf Sibiu“
Nun war sie es, die unruhig auf die Uhr schaute.
„Sie werden sicher erwartet, oder?“, fragte ihr nervöser Nachbar.

Vor der Reise hatte sie Alexandru geschrieben, wußte aber nicht, ob der Brief ihn rechtzeitig erreicht hatte. Vielleicht war er auch verreist, schließlich war Sommer. Sie hatte sich auf dieses Wagnis eingelassen, ohne zu wissen, was sie erwarten würde.
„Ich weiß es nicht“, flüsterte sie dem verdutzten Mann zu und fügte in Gedanken hinzu: „Wie kann ich das wissen?“.

Warmes Licht schlug ihr entgegen, als sie die Maschine verließ und langsam über das Rollfeld zum Flughafengebäude ging. Sie ließ sich Zeit, sehr viel Zeit, jeden einzelnen Schritt bewußt auf diesen Boden setzend, den sie so lang nicht betreten hatte. Flirrende Sommerdüfte legten sich um sie, sie tauchte ein in das Stimmengewirr vertrauter Sprache und fühlte: das heißt es wohl, angekommen zu sein.
Erstaunlich schnell und freundlich wurden die Einreiseformalitäten erledigt. Ja, es hatte sich tatsächlich etwas verändert in diesem Land, das einst als das finsterste Europas gegolten hatte.

Sie nahm ihren Koffer, trat ins Freie und – da war er.
Etwas abseits, die Haare vom aufkommenden Wind zerzaust, lehnte er an einer Straßenlaterne, den Blick auf den Flughafenausgang geheftet. Sein Lachen umarmte sie bereits, als sie noch auf ihn zuging. Mit jedem Schritt ein Jahr durchqueren, dachte sie, mehr trennte sie nicht voneinander. Dann stand sie vor ihm, suchte in seinem Gesicht nach den Spuren, die diese Zeit hinterlassen hatte und fuhr liebevoll jede einzelne mit ihren Fingern nach. Sie schloß die Augen.
Seine kleine Hand suchte die ihre und leise sagte er:
„Laß uns gehen, der Mohn blüht“.

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Mit besonderem Dank an Maxl!


scarlett, 2006

edit Lisa: Auf Wunsch von scarlett überarbeitete Fassung eingestellt :-)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 13.11.2006, 16:52

Liebe scarlett,

eine sehr schöne Fortsetzung zu Teil 1 hast du geschrieben und bist deinem Stil treu geblieben.
Wenn du magst, gehe ich ausführlich in deinen Text, doch dafür brauche ich etwas Zeit, und diese sitzt mir gerade etwas im Nacken;-)
Saludos
Gabriella

scarlett

Beitragvon scarlett » 13.11.2006, 17:12

Liebe magic,

danke! und ja, wenn du Zeit hast, würde ich mich natürlich über Anmerkungen freuen.

Mit lieben Grüßen,

scarlett

Mucki
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Beitragvon Mucki » 13.11.2006, 19:14

Liebe scarlett,

bin mit meinen Anregungen fett geschrieben drin. Wortwiederholungen habe ich einfach nur markiert.
Saludos
Gabriella


scarlett hat geschrieben:Seine Eltern betrieben eine Bodega in der Unterstadt, neben der Arztpraxis ihrer Mutter. Sein Vater war oft schon mittags mehr mit dem Trinken als dem Bedienen der Gäste beschäftigt, (umständlich formuliert) die Mutter, eine kleine, eher unscheinbare aber energische Frau, schmiß den Laden meist allein. Alexandru half beinahe täglich fast jeden Tag aus und nicht selten musste er den betrunkenen Vater nach Hause bringen, geschah es, daß er den betrunkenen Vater nach Hause bringen mußte, um danach wieder in der Kneipe zu arbeiten. die Kneipe zurückzukehren, um die Mutter zu unterstützen. (Kann weg, da es schon vorher da steht) Scheinbar mühelos verband er das ("das" zu lapidar formuliert) mit dem Lernen und dem Anspruch auf ein Medizinstudium, dessen schwere Aufnahmeprüfung ihm gleich nach dem Abitur noch bevorstand. Und ebenso mühelos schien er die Scham wegzustecken, (Hier meinst du die Scham wegen dem betrunkenen Vater, müsste weiter oben rein) die ihm bis unter die Haarwurzeln brannte. Sie spürte das, sie sah es in seinen Augen, niemals jedoch sie sprachen sie jedoch niemals darüber.

Sie (Hier würde ich die Namen der beiden einfügen, dann sparst du die WHs von "Sie") trafen sich nun täglich. Nur die Sonn- und Feiertage waren leere Tage, die vor allem sie mit der Familie verbringen mußte. (Wieso nur sie? Es geht ihm doch genauso?)Undenkbar, es den Rumänen am Feiertag gleichzutun, sich gar zu ihnen zu gesellen, fröhlich und lärmend wie diese die Wiesen zu bevölkern, im Freien zu essen und zu trinken. Da half kein Betteln, kein Jammern: der rumänischen Osternacht mußte sie ebenso fern bleiben wie er ihren Festen oder Verwandtschaftsbesuchen. Die Toleranz des Anderen, Fremden endete, sobald es zu nahe heranrückte. (den letzten Halbsatz exakter ausdrücken. Und wieso "es"? Das Fremde?) Man blieb unter sich.

Da ihr Bekanntenkreis am Ort ausschließlich aus Rumänen sowie einigen versprengten Ungarn bestand, fiel ihre Freundschaft und gegenseitige Zuneigung zunächst nicht weiter auf. Man Sie trafen sich traf sich mit den anderen zum Volleyball, und zum Reden, zum Rumalbern. (wobei ich hier ein anders Wort für Rumalbern oder albern suchen würde) war albern. Neugierig erkundeten sie man (warum das distanzierte "man"?) die Grenzen des Kindseins und des Frühsommers. Hoffnung leuchtete in ihren Augen wie die Sonne, die nicht nur ihre Umgebung in ein eigenes Licht tauchte, wabernd, heiß. Doch zunehmend häufiger (zunehmend häufiger klingt nicht gut, anders schreiben) gingen sie ihre eigenen, geheimen Wege, auf denen ihnen die anderen nicht folgen wollten oder nicht zu folgen konnten. [b](Wenn du "konnten" schreibst, hast du beides drin)[/b] vermochten. Mit ihm an ihrer Seite betrat sie eine Welt, von deren Existenz sie vorher noch nicht einmal geahnt hatte. Da war plötzlich jemand, der sie verstand, sie als erwachsen betrachtete und für den vor allem Bücher kein Fremdwort waren. Er brachte ihr rumänische Dichtung näher, half ihr so manches Mal über die Schwierigkeiten des Teenager – Daseins hinweg (wie gestaltete sich das? Nenne Beispiele) und vertiefte sich nebenbei immer öfter (nebenbei immer öfter klingt nicht gut, vielleicht: nutzte bald jede Gelegenheit, sich in die ....) in die von ihrer Mutter geliehenen Medizinbücher.

„Was willst du denn mit dem Rumänen? Der ist kein Umgang für dich“.
Mit zunehmendem Argwohn jedoch verfolgte die Familie allmählich (kann weg, da "allmählich" bereits in "zunehmenden" steckt) die sich anbahnende Entwicklung, vor allem die (ihre Mutter?) Mutter, deren Bekanntheitsgrad in dem kleinen Ort es den beiden zusätzlich schwer machte. Sie standen quasi unter ständiger Beobachtung, Dauerbeobachtung, der sie sich aber trotzdem immer wieder geschickt zu entziehen wußten.(Wie taten sie das? Hatten sie geheime Verstecke oder schickten sich Zettelchen?)
Die Tränen kamen später...

„Du kannst nicht küssen“. (Hier würde ich die Szene beschreiben, in der er das sagt, wirkt etwas herausgerissen, verloren, ohne Kontext)
Auch heute noch, nach all den Jahren, versetzte ihr die Erinnerung an diesen Satz einen Stich.
Immer wieder war sie ihm ausgewichen, obwohl schon längst verliebt.
Sie lagen inmitten von Margeriten und Mohn, das Schachspiel war zusammengeklappt, der Sommer summte bereits sein Hochlied.
Zitternd vor Wut und Scham war sie damals einfach aufgesprungen und davongelaufen, er hatte Mühe, sie einzufangen. einzuholen. Diesmal jedoch ließ er sie nicht los...
Nie wieder hatte sie danach jemanden mit so fein geschwungenen, sinnlichen Lippen getroffen.
Leben an der Grenze...

Keiner im Sachsendorf wußte von ihrem rumänischen Freund. , sSprach sie von ihm, nannte sie ihn einfach „Alexander“. Auf keinen der Bälle konnte sie ihn mitnehmen, ohne sich und ihre Familie zu kompromittieren, nur unter strengen Auflagen (wie sahen diese Auflagen aus? Musste sie jemand begleiten?) erhielt sie die Erlaubnis, mit ihm und seinen Freunden die mit Bravour bestandene Medizinprüfung zu feiern. Zumindest hatte die Aussicht, daß er Arzt werden würde, ihn einigermaßen akzeptabel gemacht. (Holprig formuliert)
Was er dabei wohl dachte und empfand? (Hm, woher weiß sie, dass er einigermaßen akzetabel wurde und er dies auch wusste? Anhand von Äußerungen ihrer Familie ihm gegenüber?)

Dann kam der Herbst. Und mit ihm die Zeit der Briefe, des Wartens und der Eifersucht.
Nicht nur er hatte den kleinen Ort gegen eine Universitätsstadt eingetauscht, auch sie besuchte das Gymnasium einer anderen Stadt. Neue Wege, neue Erfahrungen, neue Lieben...
Und doch gelang es ihnen, all dies Neue in ihre Freundschaft durch die Jahre mit einzubinden. (Wie gelang es ihnen?) Das Vertrauen, die Nähe stellten sich sofort wieder ein, wenn sie einander in den Ferien wiedersahen, um wie früher die endlosen Wälder und Wiesen zu durchstreifen. Allein die Liebe kauerte vergessen in irgendeiner dunklen Ecke, andere, scheinbar leuchtendere (leuchtendere was?) schoben sich davor...

„Aus welchem Anlaß fliegen Sie denn nach Rumänien? Haben Sie dort noch Verwandtschaft?“, fragte plötzlich der Mann neben ihr.
Etwas verwundert blickte sie ihn an, da er bisher keinerlei Interesse an einer Konversation gezeigt hatte. Aufgefallen war ihr nur, daß er offensichtlich unter Flugangst litt und, als könnte er diese damit bannen oder zumindest unter Kontrolle halten, schaute er alle paar Minuten auf seine Uhr, was sie ziemlich komisch (hier würde ich ein anderes Wort für "komisch" schreiben) fand.
Nein, sie habe dort niemanden mehr, einer nach dem anderen habe das Land verlassen, das sei noch vor der Wende gewesen, antwortete sie.
Die Einladung zu einer Literaturveranstaltung habe sie angenommen mit der Absicht, alten Spuren zu folgen. Sie lächelte. Den langjährigen Freund erwähnte sie dabei nicht. (Dies kannst du sie ruhig im Dialog sagen lassen) Das Gespräch verebbte.

Erst als die räumliche Distanz zwischen ihnen zu groß geworden war, als sie schon längst in Deutschland lebte und die Briefe immer seltener wurden, begann sie schmerzhaft zu begreifen, daß ihre gemeinsame Zeit unwiderruflich vorbei war. Es gab mehr als nur die eine Grenze zu überwinden, das Leben hatte sich und sie verändert. (Der letzte Halbsatz ist holprig) Tagsüber spürte sie den Verlust kaum, doch nachts hörte sie seine weiche Stimme, sein Lachen, sah die Sonnensprenkel in seinen Augen und erträumte sich ihre Gespräche. Der erste Mohn rührte sie jedes Jahr aufs Neue.

Als irgendwann ein Brief mit seiner Hochzeitsanzeige kam, hatte sie sich um seinetwillen gefreut. Am Abend sah sie den Film: „Der Liebhaber“. Sie verfolgte, innerlich aufgewühlter als sie es jemals zugegeben hätte, wie die Hauptperson die Weite des Indischen Ozeans auf einem Dampfer überquert, um nach Frankreich zurückzukehren und unter der Last ihrer Erinnerungen und der leichtfertig verspielten Liebe schließlich zusammenbricht. Da erst weinte auch sie, heftig wie nie zuvor.
Hatte sie ihn vielleicht doch geliebt, ihren kleinen Rumänen?

„Meine Damen und Herren, legen Sie bitte die Sicherheitsgurte an, wir befinden uns im Landeanflug auf Sibiu“
Nun war sie es, die unruhig auf die Uhr schaute.
„Sie werden sicher erwartet, oder?“, fragte ihr nervöser Nachbar.

Vor der Reise hatte sie Alexandru geschrieben, wußte aber nicht, ob der Brief ihn rechtzeitig erreicht hatte. Vielleicht war er auch verreist, schließlich war Sommer. Sie hatte sich auf dieses Wagnis eingelassen, ohne zu wissen, was sie erwarten würde.
„Ich weiß es nicht“, flüsterte sie dem verdutzten Mann zu und fügte in Gedanken hinzu: „Wie kann ich das wissen?“. (Hier dachte ich, dass sie zu seiner Hochzeit fährt, vielleicht vorher einen zeitlichen Hinweis schreiben)

Warmes Licht (unklar, warum "Warmes Licht"?) schlug ihr entgegen, als sie die Maschine verließ und langsam über das Rollfeld zum Flughafengebäude ging. Sie ließ sich Zeit, sehr viel Zeit, jeden einzelnen Schritt bewußt auf diesen Boden setzend, den sie so lang nicht betreten hatte. Flirrende Sommerdüfte legten sich um sie, sie tauchte ein in das Stimmengewirr vertrauter Sprache und fühlte: das heißt es wohl, angekommen zu sein. (würde ich direkter schreiben, im Sinne von: ich bin angekommen o.ä.)
Erstaunlich schnell und freundlich wurden die Einreiseformalitäten erledigt. Ja, es hatte sich tatsächlich etwas verändert in diesem Land, das einst als das finsterste Europas gegolten hatte.

Sie nahm ihren Koffer, trat ins Freie und – da war er.
Etwas abseits, die Haare vom aufkommenden Wind zerzaust, lehnte er an einer Straßenlaterne, den Blick auf den Flughafenausgang geheftet. Sein Lachen umarmte sie bereits, als sie noch auf ihn zuging. Mit jedem Schritt ein Jahr durchqueren, dachte sie, mehr trennte sie nicht voneinander. Dann stand sie vor ihm, (vielleicht besser: als sie endlich vor ihm stand ...) suchte in seinem Gesicht nach den Spuren, die diese Zeit hinterlassen hatte und fuhr liebevoll jede einzelne mit ihren Fingern nach. (Ihr Gefühl dabei beschreiben) Sie schloß die Augen.
Seine kleine (anderes Wort für "kleine" schreiben, etwas sinnliches z.B.) Hand suchte die ihre. und lLeise sagte er:
„Laß uns gehen, der Mohn blüht“.

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Mit besonderem Dank an Maxl!


scarlett, 2006

scarlett

Beitragvon scarlett » 14.11.2006, 16:47

Liebe Gabriella,

ich bin dran - und danke nochmals herzlich für deine Hilfe!

Grüße,

scarlett

Mucki
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Beitragvon Mucki » 14.11.2006, 17:22

gern geschehen, liebe scarlett ;-)
bin gespannt auf deine Überarbeitung.
Saludos
Gabriella

scarlett

Beitragvon scarlett » 15.11.2006, 20:50

Da ich auch im ersten Teil noch was verändert habe, poste ich die gesamte Geschichte nun nochmal.

Liebe Magic, einiges von deinen Vorschlägen blieb - obwohl durchaus einsichtig - unberücksichtigt (rein Inhaltliches), weil es sonst den Rahmen sprengen würde. Ich hoffe, es paßt trotzdem.
Für nochmalige Rückmeldung, v a was das Sprachliche anbelangt, bin ich nach wie vor dankbar.

Viel Spaß beim Lesen!

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Ein Sommer lang,
ein Leben...

Als sie in jener eisigen Dezembernacht den Zug bestiegen hatte, leichtfüßig und mit wehenden Gedanken, um zum ersten Mal die Landesgrenze zu überschreiten, war er nicht bei ihr.
Er hatte sich schon Tage vorher von ihr verabschiedet, leise und umständlich.
Auch auf dem Fest mit all ihren Freunden ließ er sich danach nicht mehr blicken, sie fragte nicht nach dem Warum.
Er blieb in seinem Land, das bald nicht mehr das ihre sein sollte, in seiner Sprache, die sie nur geliehen hatte, blieb zurück in der Dunkelheit, die sie mit jedem gefahrenen Kilometer hinter sich ließ. Wenn auch staatenlos und frei, so hoffte sie doch, daß am Ende der langen Nachtfahrt Licht auf sie warten würde. Auf ihn hingegen wartete nichts als der rumänische Alltag des Jahres 1981.

„Möchten Sie noch etwas trinken?“– Die Stimme der Stewardess holte sie aus ihren Erinnerungen. Sie blickte auf die Uhr. Gut eine Stunde Flugzeit trennte sie noch von dem Land, das sie vor einem Vierteljahrhundert mit einem one-way-ticket verlassen hatte und das mittlerweile ein anderes geworden war. So zumindest konnte man es den Medien und vielen Augenzeugenberichten entnehmen. Trotzdem hatte sie beschlossen, sich ihm aus sicherem Abstand zu nähern. Nicht zuletzt, weil sie die Grenze nie wieder überschreiten wollte, dieses grausame Stückchen Niemandsland, an dem mit kehliger Stimme bewaffnete Milchgesichter den Sozialismus sicherten. Nun also kam sie „von oben“ –
Sie lächelte unwillkürlich, als ihr bewußt wurde, wie sehr die Redensart der Siebenbürger Sachsen, jener Volksgruppe, der auch sie angehörte, in diesem Fall wortwörtlich zutraf: reiste man nämlich nach Deutschland aus, dann sagte man „nach oben“ und nach Rumänien fuhr man dementsprechend „hinunter“.

Sie machte es sich so gut es ging in dem engen Sitz der Maschine bequem und lauschte noch eine Weile dem Klappern der Servierwagen sowie dem gleichmäßigen, ruhigen Brummen der Motoren. Ab und an streiften Wortfetzen ihr Ohr, mal in dem breiten, etwas schwerfälligen Deutsch ihrer ehemaligen Landsleute, dann wieder im Dialekt, den sie zwar verstand, jedoch nicht beherrschte und vereinzelt auch in der Sprache, in der sie einst zu Hause war. Mit jedem verstandenen Wort begann ihr Herz heftiger zu schlagen.
„Alexandru“, flüsterte sie und spürte, wie sich ihre Gedanken in der blauen Tiefe verloren, aus der allmählich die vertrauten Bilder wieder aufstiegen...

Es war die Liebe zum Wort, zur Sprache, die sie beide zusammengeführt hatte.
Sie lebte damals am Ende einer kleinen, schmutzigen Industriestadt, die nur durch einen mit dichten Hecken und Bäumen bewachsenen Graben getrennt war vom angrenzenden, vorwiegend von deutschstämmigen Sachsen bewohnten Dorf.
Leben an der Grenze...
Täglich mußte sie diese überqueren, um in die deutsche Schule des Dorfes zu gehen.
Hinter den Wohnblocks erstreckten sich die Felder und Wiesen bis zu den Wäldern des siebenbürgischen Hochlandes. Die Tristesse des Städtchens schien sich hier, an ihrem Rande, aufzulösen.

Es war an einem dieser Tage, an dem der Sommer sich plötzlich und mit aller Macht über Mensch und Natur stülpte. Die Luft vibrierte, der schwere Duft blühender Akazien lag auf den leuchtenden Wiesen, aus denen roter Mohn verheißungsvoll winkte.
Sie war fünfzehn, kam gerade von der Schule und da saß er, ein Junge aus der Nachbarschaft, den sie früher kaum wahrgenommen hatte, auf der Bank vor ihrem Wohnblock. Sie blieb vor ihm stehen.
„Ich lese gerade ´ Sie tanzte nur einen Sommer ´, und du?“ Neugierig neigte sie den Kopf, um den Titel des Buches zu erkennen, das jetzt geschlossen auf seinen Knien lag. In seinen schwarzen, ernsten Augen jagten sich die Sonnenstrahlen, winzige kleine Punkte, die immer wieder aufblitzten, sobald er sprach. Alexandru sprach gern und viel.
Er war neunzehn, stand kurz vor dem Abitur und empfahl ihr Tolstoi.
Und – er war Rumäne.

Seine Eltern betrieben eine Bodega in der Unterstadt, neben der Arztpraxis ihrer Mutter. Sein Vater war oft schon mittags mehr mit dem Trinken als dem Bedienen der Gäste beschäftigt, seine Mutter, eine kleine, eher unscheinbare aber energische Frau, schmiß den Laden meist allein. Alexandru half beinahe täglich aus und nicht selten mußte er den betrunkenen Vater nach Hause bringen, um danach wieder in der Kneipe zu arbeiten. Scheinbar mühelos verband er das mit dem Lernen und dem Anspruch auf ein Medizinstudium, dessen schwere Aufnahmeprüfung ihm nach dem Abitur noch bevorstand. Und ebenso mühelos schien er die Scham wegzustecken, die ihm bis unter die Haarwurzeln brannte. Sie spürte das, sah es in seinen Augen, niemals jedoch sprachen sie darüber.

Sie trafen sich nun täglich. Nur die Sonn- und Feiertage waren leere Tage, die vor allem sie mit der Familie verbringen mußte. Undenkbar, es den Rumänen am Feiertag gleichzutun oder sich gar zu ihnen zu gesellen, fröhlich und lärmend wie diese die Wiesen zu bevölkern, im Freien zu essen und zu trinken. Da half kein Betteln, kein Jammern: der rumänischen Osternacht mußte sie ebenso fern bleiben wie Alexandru ihren Festen oder Verwandtschaftsbesuchen. Die Toleranz des Anderen, Fremden endete, sobald es zu nahe heranrückte. Daß die deutsche Minderheit, wo immer dies möglich war, lieber unter sich blieb, war ein offenes Geheimnis.

Da ihr Bekanntenkreis am Ort ausschließlich aus Rumänen sowie einigen versprengten Ungarn bestand, fiel die beginnende Freundschaft und gegenseitige Zuneigung zunächst nicht weiter auf. Man traf sich mit den anderen zum Volleyball und zum Reden, war albern und erkundete neugierig die Grenzen des Kindseins und des Frühsommers. Hoffnung leuchtete in ihren Augen wie die Sonne, die nicht nur ihre Umgebung in ein eigens Licht tauchte, wabernd, heiß. Doch immer häufiger gingen sie ihre eigenen, geheimen Wege, auf denen ihnen die anderen nicht folgen konnten. Mit ihm betrat sie eine Welt, von deren Existenz sie vorher nicht geahnt hatte. Da war plötzlich jemand, der sie verstand, sie als erwachsen betrachtete und für den vor allem Bücher kein Fremdwort waren. Er brachte ihr rumänische Dichtung näher, half ihr so manches Mal über die Schwierigkeiten des Teenager – Daseins hinweg und vertiefte sich ganz nebenbei immer öfter in die von ihrer Mutter geliehenen Medizinbücher.



„Was willst du denn mit dem Rumänen? Der ist kein Umgang für dich“.
Mit zunehmendem Argwohn jedoch verfolgte die Familie die sich anbahnende Entwicklung, vor allem ihre Mutter, deren Bekanntheitsgrad in dem kleinen Ort es den beiden zusätzlich schwer machte. Sie standen unter Beobachtung, der sie sich aber immer wieder geschickt zu entziehen wußten: entweder tauchten sie unauffällig in der Gruppe unter oder durchstreiften die Umgebung auf einsamen Wegen. Auf einem dieser zahllosen Spaziergänge hatten sie irgendwann auch die kleine Quelle entdeckt, die danach des öfteren ihr verschwiegener, magischer Treffpunkt war.
Die Tränen kamen später...

„Du kannst nicht küssen“.
Auch heute noch, nach all den Jahren, versetzte ihr die Erinnerung an diesen Satz einen Stich.
Immer wieder war sie Alexandru ausgewichen, obwohl schon längst verliebt.
Sie lagen inmitten von Margeriten und Mohn, das Schachspiel war zusammengeklappt, der Sommer summte bereits sein Hochlied.
Zitternd vor Wut und Scham war sie damals einfach aufgesprungen und davongelaufen, er hatte Mühe, sie einzuholen. Diesmal jedoch entkam sie ihm nicht...
Nie wieder hatte sie danach jemanden mit so fein geschwungenen, sinnlichen Lippen getroffen.
Leben an der Grenze...

Keiner im Sachsendorf wußte von ihrem rumänischen Freund – sprach sie von ihm, nannte sie ihn einfach „Alexander“. Auf keinem der Bälle konnte er dabei sein, ohne sie und ihre Familie zu kompromittieren und nur unter strengen Auflagen erhielt sie die Erlaubnis, mit ihm und seinen Freunden die mit Bravour bestandene Medizinprüfung zu feiern. Zumindest hatte die Aussicht, daß er Arzt werden würde, ihn einigermaßen akzeptabel gemacht. Leistung nämlich wurde von ihrer Familie hoch anerkannt und auch ihm gegenüber bei den jetzt allmählich gestatteten Besuchen immer wieder betont.
Was er dabei wohl dachte und empfand?

Dann kam der Herbst. Und mit ihm die Zeit der Briefe, des Wartens und der Eifersucht.
Nicht nur er hatte den kleinen Ort gegen eine Universitätsstadt eingetauscht, auch sie besuchte das Gymnasium einer anderen Stadt. Neue Wege, neue Erfahrungen, neue Lieben...
Und doch gelang es ihnen, all dies Neue in ihre Freundschaft durch die Jahre mit einzubinden. Das Vertrauen, die Nähe stellten sich sofort ein, wenn sie einander in den Ferien wiedersahen, um wie früher die endlosen Wälder und Wiesen zu durchstreifen. Allein die Liebe kauerte vergessen in irgendeiner dunklen Ecke, andere, scheinbar leuchtendere schoben sich davor...

„Aus welchem Anlaß fliegen Sie denn nach Rumänien? Haben Sie dort noch Verwandtschaft?“, fragte plötzlich der Mann neben ihr.
Etwas verwundert blickte sie ihn an, da er bisher keinerlei Interesse an einer Konversation gezeigt hatte. Aufgefallen war ihr nur, daß er offensichtlich unter Flugangst litt und, als könnte er diese damit bannen oder zumindest unter Kontrolle halten, schaute er alle paar Minuten auf seine Uhr.
Nein, sie habe dort niemanden mehr, noch vor der Wende sei einer nach dem anderen ausgereist, antwortete sie.
Die Einladung zu einer Literaturveranstaltung habe sie angenommen mit der Absicht, alten Spuren zu folgen.
Sie lächelte. Den langjährigen Freund erwähnte sie dabei nicht. Das Gespräch verebbte.

Erst als die räumliche Distanz zwischen ihnen zu groß geworden war, als sie schon längst in Deutschland lebte und die Briefe immer seltener wurden, begann sie schmerzhaft zu begreifen, daß ihre gemeinsame Zeit unwiderruflich vorbei war. Es gab mehr als nur die eine Grenze zu überwinden, das Leben hatte sich und sie verändert. Tagsüber war der Verlust kaum spürbar, doch nachts hörte sie seine weiche Stimme, sein Lachen, sah die Sonnensprenkel in seinen Augen und erträumte sich ihre Gespräche. Der erste Mohn rührte sie jedes Jahr aufs Neue.

Als irgendwann ein Brief mit seiner Hochzeitsanzeige kam, hatte sie sich für ihn gefreut. Wie viele Jahre war das jetzt her? Sie erinnerte sich nur, daß am Abend der Spielfilm „Der Liebhaber“ ausgestrahlt wurde. Sie verfolgte, innerlich aufgewühlter als ihr bewußt war, wie die Hauptperson die Weite des Indischen Ozeans auf einem Dampfer überquert, um nach Frankreich zurückzukehren und unter der Last ihrer Erinnerungen und einer leichtfertig verspielten Liebe schließlich zusammenbricht.
Da erst weinte auch sie, heftiger als je zuvor.
Hatte sie ihn vielleicht doch geliebt, ihren kleinen Rumänen?

„Meine Damen und Herren, legen Sie bitte die Sicherheitsgurte an, wir befinden uns im Landeanflug auf Sibiu.“
„Man wird Sie sicher erwarten, oder?“, fragte ihr nervöser Nachbar.

Der Brief, den sie Alexandru vor ihrer Abreise geschrieben hatte, war ohne Antwort geblieben. Es wäre nicht das erste Mal, daß Postsendungen nach Rumänien dort nie ankamen. Vielleicht verbrachte er auch gerade ein paar Tage irgendwo am Schwarzen Meer, wie jedes Jahr, schließlich war Sommer und Urlaubszeit. Plötzlich wurde ihr bewußt, daß sie sich auf ein Wagnis mit äußerst ungewissem Ausgang eingelassen hatte. Unruhig bohrten sich jetzt ihre Blicke in das Zifferblatt der Uhr.
„Ich weiß es nicht“, flüsterte sie dem Mann zu und fügte in Gedanken hinzu: „Wie kann ich das wissen?“.

Warmes Licht schlug ihr entgegen, als sie die Maschine verließ und langsam über das Rollfeld zum Flughafengebäude ging. Sie ließ sich Zeit, sehr viel Zeit, jeden einzelnen Schritt bewußt auf diesen Boden setzend, den zu betreten sie so lange gezögert hatte. Umgeben von flirrenden Sommerdüften tauchte sie ein in das Stimmengewirr vertrauter Sprache und fühlte: ich bin angekommen.
Erstaunlich schnell und freundlich wurden die Einreiseformalitäten erledigt. Ja, es hatte sich tatsächlich etwas verändert in diesem Land, das einst als das finsterste Europas gegolten hatte.

Sie nahm ihren Koffer, trat ins Freie und – da war er.
Etwas abseits, die Haare vom aufkommenden Wind zerzaust, lehnte er an einer Straßenlaterne, den Blick auf den Flughafenausgang geheftet. Sein Lachen umarmte sie bereits, während sie noch auf ihn zuging. Mit jedem Schritt ein Jahr durchqueren, dachte sie, mehr trennte sie nicht voneinander.
Als sie dann endlich vor ihm stand, suchte sie in seinem Gesicht nach den Spuren, die diese Zeit hinterlassen hatte und fuhr zärtlich jede einzelne mit ihren Fingern nach. Welche Geschichten sich wohl dahinter verbargen, wie viele glückliche Augenblicke und wieviel Leid? Sie schloß die Augen.
Seine Hand ergriff liebevoll die ihre und leise sagte er:
„Laß uns gehen, der Mohn blüht“.


scarlett, 2006
Zuletzt geändert von scarlett am 17.11.2006, 08:48, insgesamt 2-mal geändert.

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Beitragvon Mucki » 16.11.2006, 00:24

Liebe scarlett,

es hat auf jeden Fall sehr gewonnen:-)
Mal schauen, was die anderen so meinen.
Saludos
Magic
P.S:
Ich würde die neue Gesamtfassung ganz nach oben stellen, der Übersicht halber.

scarlett

Beitragvon scarlett » 16.11.2006, 06:49

Liebe magic,

was meinst du mit "ganz nach oben"? Vor die Erstfassung des zweien Teils, statt dieser oder ???

Da ich heute vor 21 Uhr nicht daheim bin, könnte das vielleicht ein MOD machen???

Grüße,

scarlett

Mucki
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Beitragvon Mucki » 16.11.2006, 12:59

Liebe scarlett,

ich meinte, dass du deine neue Gesamtfassung (am Besten Teil 1 und Teil 2 davorschreiben) hier im Thread ganz oben noch einmal druntersetzt, da deine neue Fassung jetzt so mittendrin steht.
Saludos
Magic

Nachtrag: sehe gerade, sie steht ja schon oben ;-) Ja, so meinte ich es.

Gast

Beitragvon Gast » 17.11.2006, 00:31

Liebe scarlett,

wie auch schon der erste Teil flüssig erzählt, keine groben Unebenheiten, auf kleinere wird Gabriella geachtet haben.
Leider aber dann immer eintöniger werdend,bis zum Ende, das so vielen ähnlichen Geschichten gleicht, auch oder gerade weil es als offen gehalten gelten soll.
Genau da könntest du ansetzen und überlegen, wie mache ich "meine" Geschichte, die sich zwar zugetragen hat, wie manch eine andere an anderen Orten der Welt, zu dem Besonderen, zu dem, was den Leser bis zum Ende mitzieht.
Und so sehr ich den Mohn liebe, aber gerade der letzte Satz ist - verzeih - Kitsch pur.
Zu oft bemüht die zarte Blume. (In unzähligen anderen Texten und Titeln).
In deinem Text finde ich es gut, in Verbindung mit Feldern und Margeriten.
Schade, es fehlt das Salz in der Suppe.
Aber da könntest du ja vielleicht noch dran arbeiten.
Meiner Ansicht nach, dürfte kein "Happy-End" in Aussicht gestellt werden... Unwahrscheinlich ist es allemal.
Oder die Geschichte muss breiter angelegt werden, ausführlicher, mehr Inhalte, wie die Protagonisten leben usw. War die Sehsucht in beider Leben immer präsent?
Denkbar wäre auch, dass Alexadru nicht am Flughafen steht, aber der Mitreisende anbietet, die Protagonistin in ein Hotel zu bringen... ach so viel Möglichkeiten gäbe es, außer der, die du gewählt hast, und die eher an seichte Liebesgeschichten erinnert.
Ich bin gespannt.

Liebe Grüße
Gerda

scarlett

Beitragvon scarlett » 17.11.2006, 07:09

Liebe Gerda,

na das war zumindest schonungslos und hat seine Wirkung nicht verfehlt.

Auch wenn es nur "eine" Meinung ist, hat sie mich sehr getroffen, zumal du den einen Satz mit dem Kitsch nicht als dein Empfinden formuliert hast, sondern als Fakt.

Daß das Bild des Mohns nicht nur in Verbindung mit "Feldern und Margeriten" eine Bedeutung hat, müßte eigentlich schon herauszulesen zu sein. Ebenso das Bild der Grenze -
Auch hätte ich gedacht, daß allein die Sprache sich von einem Dreigroschentext etwas abhebt...
So kann man sich täuschen.

Aber gut, ich werde meine Schlüsse daraus selber ziehen.

Gruß,

scarlett

P.S. Und "übirgens, "so zugetragen" hat sich diese Geschichte nicht, ich schreibe keine Erinnerungen/Memoiren oder dgl.

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Beitragvon Lisa » 17.11.2006, 11:11

Liebe scarlett,

ich kann ehrlich gesagt in diesem Fall die Frage nicht beantworten, ob das mit dem Mohn Kitsch ist oder nicht, ich lese zu sehr deine Handschrift (ja, von der Lyrik, nebenan bis hierher :-)), zu der der Mohn einfach passt, denn für mich macht es der Kontext aus, ob etwas kitschig ist oder nicht. Zudem finde ich, dass es in diesem Fall aufgrund des "heimatlich Romantischen" passt, was ein wichtiger Kern der Geschichte ist (den er bedingt die Form der Liebe). Hört man zum Beispiel Grieg, so klingt die Musik auch auf eine Weise heimatlich wie es ein Deutscher von Deutschland gar nicht spielen könnte. Da liegt ein "wehmütiger Stolz" drin.

Was stimmt, ist, dass sich "solche Geschichten" natürlich schon sehr oft beschrieben wurden (einfach auch, weil sie viele Großeltern erlebt haben), dennoch gibt es viele Bilder, die einen schönen Rahmen weben und bei der Liebe ist das so eine Sache: Macht es der Punkt, dass es das Geschehen schon oft gab, wirkungsvoller oder langweiliger? Das ist gar nicht leicht zu beantworten!

Immerhin ist das auch deine erste Geschichte. Ich finde, dafür erzählst du richtig flüssig, voller Bilder und die Handlung ist in sich rund und auserzählt. Ich glaube nicht, dass das Ergebnis vieler erster Geschichten ist! (zum Beispiel möchtest du nicht meine erste Geschichte sehen :-)))). Auch ist der Wechsel zwischen Flugzeug/Erinnerung sehr gut geschrieben, kein Holpern, die Dialoge wirken real, das Hinein- und Hinaustauchen voll gelungen!

Es finden sich einige Sätze in der Geschichte, für die es sich lohnen würde, sie zumindest in eine einzelne Zeile zu setzen (nicht einfacher Umbruch, sondern abgesetzt), denn sie sind für mich fast eine andere Ebene als der text und muten (positiv!!) fast lyrisch an, zum Beispiel:

Leben an der Grenze...


Diesen Satz hier würde ich als Frage an die Geschichte nicht stellen: Hatte sie ihn vielleicht doch geliebt, ihren kleinen Rumänen?
Also ich kann nur sagen: Natürlich hat sie ihn geliebt! Sonst hat die Geschichte keinen Grund, warum es sie gibt - ich würde das streichen.

Das Ende, hmmm - das ist schwer. Wenn diese Geschichte für dich jetzt so enden muss, sollte das so bleiben. Aber generell finde auch ich das prognostizierte Ende etwas problematisch. Es kommt (wenn auch die Vergangenheit dafür Anlass gibt) ein bisschen aus dem Nichts, besonders die letzten Worte des Herrn rücken die Liebe in eine serh fantastische Ebene, lassen das ganze etwas unwirklich, unreal wirken. Versteh mich nicht falsch: Die Geshcichte muss kein schlechtes Ende haben, sie braucht am Ende im Grunde gar keine klare Entscheidung in eine Richtung. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass der Herr eine Frau hat und der Herr nicht mehr lebt und die Frau von ihm am Flughafen steht und die beiden sich viel zu erzählen haben oder dergleichen. Oder es steht kein Mann da, weil er nicht mehr lebt oder weil er einfach nicht gekommen ist, dann ist die innere Reise der Frau trotzdem möglich, weil sie nahand ihrer Emotionen merkt, was ihr der Mann bedeutet hat und für sich noch einmal begreift, was das eigentlich war....

Liebe scarlett, lass dir nicht den Mut nehmen! Ich finde deine erste Geschichte kann sich wirklich sehen lassen! Ob der Inhalt einen Leser anspricht oder nicht, das kommt eben auf den Leser an. Prosa bietet mehr Angriffspunkte als Lyrik, bei Prosa muss man viel hinnehmen können, aber es lohnt sich total! (ich sage das vorallem zu mir selbst ;-)).ich finde, du solltest unbedingt weitere Geschichten schreiben! Es wird sich erst mit der Zeit herausstellen, in welche Richtung das gehen wird.

Liebe Mutgrüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Gast

Beitragvon Gast » 17.11.2006, 13:54

Liebe scarlett,

mit all dem was ich geschrieben hatte, meinte ich nicht dich persönlich.
Es geht doch auch daraus hervor, dass es mir einzig um den Text geht, insbesondere um das Ende der Geschichte.
Lisa hat das sicher besser und ausschmückender geschrieben, wie du das Ende u. U. anders gestalten kannst.
Das habe ich wirklich sehr direkt angesprochen, aber wie soll ich anders schreiben, dass dies die Geschichte herunterzieht?
Bitte fühle dich nicht persönlich davon betroffen, liebe scarlaett. Inzwischen müsstest du doch meine direkte Art kennen, die nicht nur negativ ist. Was nützt denn drum herum Reden, wenn ich dem Autor des Texts nich die entscheidenen Mängel sage, wenn ich sie doch seh?
Ich schrieb doch unterschiedliche Texte betreffend doch so unterschiedlich wie auch die Texte. sind , ohne darauf zu sehen wer sie geschrieben hat.
Das deine Geschichte flüssig erzählt ist, habe ich dir geschrieben und gelobt für den ersten Teil.
Vielleicht war deine Erwartungshaltung einfach auch dadurch (durch mich) etwas zu hoch geschraubt.
Das täte mir leid.
Vielleicht kannst du ja jetzt besser mit meiner Kritik umgehen, das hoffe ich sehr.
Außerdem, so wichtig darfst du das dann doch nicht nehmen...
Kränken möchte ich dich nicht (niemanden).

Liebe Grüße und einen schönen Tag
Gerda


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