Das Hinterland der Wirklichkeit
Verfasst: 18.11.2006, 21:14
Das Hinterland der Wirklichkeit
Entsprechungen II
Und der wilde Knabe brach´s Röslein auf der Heiden; Röslein wehrte sich und stach, half ihm auch kein Weh und Ach, muß es eben leiden. Röslein, Röslein, Röslein rot, Röslein auf der Heiden.( Goethe 1771)
Verführ mich hinters Licht. Zerr mir die Knöchel weiß. Mach mich schreien.
Ich versprech auch, ich werde nicht wollen.
Ich versprech auch, ich werde mich zwingen.
Mit sieben Jahren sehen wir Sabrina, wie sie am Flötenkurs ihrer Grundschule teilnimmt. Sie bekommt ein 5-Mark-Stück in die Hand gedrückt, das sie immer bis zum Unterrichtsbeginn die Gummirampe für die Rollstuhlfahrer hinunterkullern lässt. Nach ein paar Wochen wird Sabrinas Moeck-Flöte durch eine Plastikflöte ersetzt, weil sie das Mundstück kaputt gebissen hat. Die anderen lachen.
Weil ich mich wünsche, bin ich nicht.
Bei der weißen Hirschkuh werde ich schwören und du, ganz du, wirst mir trotzdem glauben. Wirst das Gewehr anlegen und zielen und schießen und treffen. Und die Enten mit ihren zurückgelassenen Nestern in den zurückgeschnittenen Weiden werden schnattern und hochstechen in den Himmel.
Ich versprech auch, ich werde nicht wollen.
Ich versprech auch, ich werde mich wehren.
Manchmal hält Sabrina ihre Hand in das veralgte Aquarium mit den nimmerkopuliermüden Guppys und lässt sie an einer Gurkenscheibe knabbern. Die Brut dieser Fische mit den roten Schwänzen und den gelben Körpern bevölkert schon seit zig Generationen den 120-Liter-Wohnzimmer-Tümpel, während die Skalare alle eingegangen sind. Die Guppys haben ihnen nach und nach ihre hübschen Brustflossen angeknabbert, dann kam der Pilz und aus die Fisch.
Wenn Sabrina da so an das Aquarium gelehnt steht, führt sie ihre Gedanken spazieren und denkt an Moritz, den sie viel lieber mag als ihren pickeligen Cousin Kevin, welcher aber der einzige ist, mit dem sie „Erfahrungen macht“. Erfahrungen machen heißt: Sabrina soll Kevins Pimmel anfassen und Sabrina tut es. Denn tut Sabrina es nicht, erzählt Kevin in der Clique herum, dass sie immer noch ihr Monchichi mit im Bett hat und dass es komisch riecht. Sabrina hasst Kevin dafür, doch noch viel mehr hasst sie sich selbst, denn sie weiß, dass sie es auch fern dieser Drohung täte. „Von der eigenen Neugier erniedrigt“. Als Sabrina dieser Satz einfiel, war sie 14, fing an Sartre zu lesen und trug schwarz. S-a-r-t-r-e buchstabiert Sabrina immer noch im Kopf mit, wenn sie den Namen in ihr ebenso schwarzes Tagebuch schreibt, um nicht das erste r zu vergessen.
Verwechselt einer der Fische Sabrinas Finger mit der Gurke, zuckt sie kurz aus ihren Träumen auf. Von ihr wird niemals jemand sagen „jetzt sei sie ja schon eine richtig kleine Frau“.
Weil ich mich wünsche, bin ich nicht.
Hinter den gelben Bäumen, welche das Niemals säumen, sind die Pfade so jung und es geht sich so leicht – nicht die Spur eines Vorgangs lastet den Gräsern an. Der See, kaum drei Schreie weiter, wird liegen wie ein Messer, wenn du mich küsst. Als sei ich gesunken nach deinem Überfall, als läge ich bleich im Farn und wüsste von nichts.
Ich versprech auch, ich werde nicht wollen.
Ich versprech auch, ich werde sterben.
Manchmal wartet Sabrina, bis es dämmert, bevor sie mit Wurst-an-vier-Beinen im Wäldchen spazieren geht. Die Ballonseide der Jogger knistert verführerisch, doch betört vom Geruch des eigenen Schweißes drehen sie steril ihre Runden. Sie werden wie die Skalare enden, denkt Sabrina dann und träumt sich an den Amazonas, hinter dessen Wasserfällen und dunklem Dschungeldickicht die Wilden sitzen und die Speere spitzen. Sabrina ist nicht hässlich. Sabrina ist nicht schön. Sabrina sieht aus wie Lieschen Müller.
Weil ich mich wünsche, bin ich nicht.
Der Kuss wird, wie er es muss, tödlich enden. Und wenn sie mich finden mit dem Fuchsjungen an meiner Seite, das sein Köpfchen auf meine bloße Brust gebettet hat, werden sie keinen Namen finden, den ich tragen kann. Doch weil ich so schön bin, wird das Stöhnen der alten Frauen und jungen Männer meine Geschichte an das Stubenfenster eines nachtwachen Dichters wehen und noch bevor mich kühl die Erde küsst wird sein Mitleid mich in Worte kleiden.
Und alle Versprechen werden gehalten sein.
Später dann, wir überspringen ein paar Jahre, was nicht ehrenrührig ist, eines gleicht dem anderen wie der Guppy dem Guppy, sehen wir Sabrina einen Kinderwagen umherschieben, wie ihre Schwester dies auch schon zum zweiten Mal tut. Nachdem sie unter dem Rauch zweier Zigaretten dem Knistern der Jogger gelauscht hat, nimmt sie das Kleine aus dem Wagen und singt ihm ein Liedchen: „Und der wilde Knabe brach´s Röslein auf der Heiden; Röslein wehrte sich und stach, half ihm auch kein Weh und Ach, muß es eben leiden. Röslein, Röslein, Röslein rot, Röslein auf der Heiden“. Manchmal schreit das Kindchen, manchmal kotzt es auf Sabrinas Polyester-Jacke, manchmal lächelt es sie aus seinen blauen Augen an. Immer aber zergeht ihm die Melodie wie Zuckerwatte auf der Zunge. Und wenn es an ihr nicht erstickt, fängt es das Wünschen an.
Es gibt nur diesen einen Weg. Von der Hundsrose gestochen über den Schmerz zu dir.
* gebetet in gebettet dank peters adleraugen
Entsprechungen II
Und der wilde Knabe brach´s Röslein auf der Heiden; Röslein wehrte sich und stach, half ihm auch kein Weh und Ach, muß es eben leiden. Röslein, Röslein, Röslein rot, Röslein auf der Heiden.( Goethe 1771)
Verführ mich hinters Licht. Zerr mir die Knöchel weiß. Mach mich schreien.
Ich versprech auch, ich werde nicht wollen.
Ich versprech auch, ich werde mich zwingen.
Mit sieben Jahren sehen wir Sabrina, wie sie am Flötenkurs ihrer Grundschule teilnimmt. Sie bekommt ein 5-Mark-Stück in die Hand gedrückt, das sie immer bis zum Unterrichtsbeginn die Gummirampe für die Rollstuhlfahrer hinunterkullern lässt. Nach ein paar Wochen wird Sabrinas Moeck-Flöte durch eine Plastikflöte ersetzt, weil sie das Mundstück kaputt gebissen hat. Die anderen lachen.
Weil ich mich wünsche, bin ich nicht.
Bei der weißen Hirschkuh werde ich schwören und du, ganz du, wirst mir trotzdem glauben. Wirst das Gewehr anlegen und zielen und schießen und treffen. Und die Enten mit ihren zurückgelassenen Nestern in den zurückgeschnittenen Weiden werden schnattern und hochstechen in den Himmel.
Ich versprech auch, ich werde nicht wollen.
Ich versprech auch, ich werde mich wehren.
Manchmal hält Sabrina ihre Hand in das veralgte Aquarium mit den nimmerkopuliermüden Guppys und lässt sie an einer Gurkenscheibe knabbern. Die Brut dieser Fische mit den roten Schwänzen und den gelben Körpern bevölkert schon seit zig Generationen den 120-Liter-Wohnzimmer-Tümpel, während die Skalare alle eingegangen sind. Die Guppys haben ihnen nach und nach ihre hübschen Brustflossen angeknabbert, dann kam der Pilz und aus die Fisch.
Wenn Sabrina da so an das Aquarium gelehnt steht, führt sie ihre Gedanken spazieren und denkt an Moritz, den sie viel lieber mag als ihren pickeligen Cousin Kevin, welcher aber der einzige ist, mit dem sie „Erfahrungen macht“. Erfahrungen machen heißt: Sabrina soll Kevins Pimmel anfassen und Sabrina tut es. Denn tut Sabrina es nicht, erzählt Kevin in der Clique herum, dass sie immer noch ihr Monchichi mit im Bett hat und dass es komisch riecht. Sabrina hasst Kevin dafür, doch noch viel mehr hasst sie sich selbst, denn sie weiß, dass sie es auch fern dieser Drohung täte. „Von der eigenen Neugier erniedrigt“. Als Sabrina dieser Satz einfiel, war sie 14, fing an Sartre zu lesen und trug schwarz. S-a-r-t-r-e buchstabiert Sabrina immer noch im Kopf mit, wenn sie den Namen in ihr ebenso schwarzes Tagebuch schreibt, um nicht das erste r zu vergessen.
Verwechselt einer der Fische Sabrinas Finger mit der Gurke, zuckt sie kurz aus ihren Träumen auf. Von ihr wird niemals jemand sagen „jetzt sei sie ja schon eine richtig kleine Frau“.
Weil ich mich wünsche, bin ich nicht.
Hinter den gelben Bäumen, welche das Niemals säumen, sind die Pfade so jung und es geht sich so leicht – nicht die Spur eines Vorgangs lastet den Gräsern an. Der See, kaum drei Schreie weiter, wird liegen wie ein Messer, wenn du mich küsst. Als sei ich gesunken nach deinem Überfall, als läge ich bleich im Farn und wüsste von nichts.
Ich versprech auch, ich werde nicht wollen.
Ich versprech auch, ich werde sterben.
Manchmal wartet Sabrina, bis es dämmert, bevor sie mit Wurst-an-vier-Beinen im Wäldchen spazieren geht. Die Ballonseide der Jogger knistert verführerisch, doch betört vom Geruch des eigenen Schweißes drehen sie steril ihre Runden. Sie werden wie die Skalare enden, denkt Sabrina dann und träumt sich an den Amazonas, hinter dessen Wasserfällen und dunklem Dschungeldickicht die Wilden sitzen und die Speere spitzen. Sabrina ist nicht hässlich. Sabrina ist nicht schön. Sabrina sieht aus wie Lieschen Müller.
Weil ich mich wünsche, bin ich nicht.
Der Kuss wird, wie er es muss, tödlich enden. Und wenn sie mich finden mit dem Fuchsjungen an meiner Seite, das sein Köpfchen auf meine bloße Brust gebettet hat, werden sie keinen Namen finden, den ich tragen kann. Doch weil ich so schön bin, wird das Stöhnen der alten Frauen und jungen Männer meine Geschichte an das Stubenfenster eines nachtwachen Dichters wehen und noch bevor mich kühl die Erde küsst wird sein Mitleid mich in Worte kleiden.
Und alle Versprechen werden gehalten sein.
Später dann, wir überspringen ein paar Jahre, was nicht ehrenrührig ist, eines gleicht dem anderen wie der Guppy dem Guppy, sehen wir Sabrina einen Kinderwagen umherschieben, wie ihre Schwester dies auch schon zum zweiten Mal tut. Nachdem sie unter dem Rauch zweier Zigaretten dem Knistern der Jogger gelauscht hat, nimmt sie das Kleine aus dem Wagen und singt ihm ein Liedchen: „Und der wilde Knabe brach´s Röslein auf der Heiden; Röslein wehrte sich und stach, half ihm auch kein Weh und Ach, muß es eben leiden. Röslein, Röslein, Röslein rot, Röslein auf der Heiden“. Manchmal schreit das Kindchen, manchmal kotzt es auf Sabrinas Polyester-Jacke, manchmal lächelt es sie aus seinen blauen Augen an. Immer aber zergeht ihm die Melodie wie Zuckerwatte auf der Zunge. Und wenn es an ihr nicht erstickt, fängt es das Wünschen an.
Es gibt nur diesen einen Weg. Von der Hundsrose gestochen über den Schmerz zu dir.
* gebetet in gebettet dank peters adleraugen