Beobachtungen
Verfasst: 27.11.2006, 17:18
Beobachtungen*
Innenstadt, Fußgängerzone
17. November 2006,
ca. 18 Uhr.
Kunstschneeromantik, Budenglanz und Hüttenzauber;
„Glühweinstraße“ überfüllt, kollektiver gemischter Chorgesang, innbrünstig, aber leicht kakophon, schwere Zungen: „… ich bin so toll, ich bin der Anton aus Tirol.“
Modeschmuck im unvermeidlichen „Designerlook“, es folgen Kochlöffel, Kartoffelstampfer und Co., dicht gefolgt von Heizdecken neben elektrischem Fußmuff aus Fell von glücklichen Schafen;
Fettschwaden; Backfisch und Calamares schwitzen brüderlich im Teigmantel, ihr Fritteur sieht aus, als wäre er selbst auch schon fast gar; Nordseekrabben in miraculösem Dip, rettungslos eingequetscht in blasse Brötchenhälften, dazwischen welken Salatblätter dekorativ vor sich hin.
Nebenan dezente Eleganz und lukullische Extravaganz: Spitzkerzen auf rubinrotem Wachstuch, Deckenkandelaber der Epoche „Spätes Woolworth“; gestoßenes Eis in Kübeln, San Pelegrino für durstige Marktpilger, Austern an Moet et Chandon, foie gras de canard trufée benetzt mit Taittinger, Tranchen von der Flugentenbrust; zwei tierliebende Damen der Gucci Fraktion gönnen ihren Nerzen einen verfrühten Ausgang, halten dabei Small Talk mit der alten Witwe Clicquot und goutieren Beluga, amuse geul für den kleinen Hunger zwischendurch. Angesichts der ihn umgebenden Dekadenz ist der Hummer Thermidor rot angelaufen.
Über allem schwebt beharrlich ein musikalischer Quilt: Andrérieureggaepoppschlagersalsagittiunderika;
Stolpere über Kabelstränge auf dem Pflaster, Lebensadern des Festkommerzes. Stelle mir vor, wie es wäre, sie zu kappen: plötzliches Dunkel und gnädige Stille. Schön!
Kinderwagentroika im Schritttempo, glänzende Äugelchen, stimmgewaltiges Schnullerterzett, Arien in Schissmoll, glücklich plaudernde Mütter, Folge: Rückstau von mehreren Metern;
Kerzenstand geschlossen, wahrscheinlich zu warm für das Wachs;
dahinter Mittelalter: Bier, Met, Feurige Johanna und Ritterfurz, Geigenhansel zwischen Korbmacher und Feuerschlucker; Sauereyen vom Spieß;
biege links ab in die Gasse der kulinarischen Völkerverständigung: Prager Schinken, chinesische Bratnudeln, Krakauer Würstchen, Pizza Romanesca, Argentinisches Hüftsteak. Für Gutbürgerliche: Grünkohl mit Pinkel, Sauerkraut mit Kassler;
ich trete auf frittierte Kartoffelstäbchen mit Mayo.
Drei Jugendliche, bierflaschengeschmückt, Aufdruck „Fan – Club Voll Blau“ auf ihren Anoraks, lallend.
Jahreszeitlich adäquate Körperdekoration: rote Nikolauszipfelmützen mit Blinklämpchen in Saum und Bömmel, silbern funkelnde Eiskristalle als keck wippender Kopfschmuck, Engelsflügel zum Umschnallen und Abheben; alles sehr preiswert.
Plötzlich artifizielles Glockengeläut unter schweigendem Kirchturm, geballtes Festambiente in einer Holzhüttenfiliale des Ganzjahresweihnachtsbedarfsmutterhauses von Käthe W. ob der Tauber: Tanz um den goldenen Baum zu „Stille Nacht, Heilige Nacht“; Lurexlametta zwischen Cloisonnékugeln über Luxusstall mit beheizbarer Krippe, falls Ochs und Esel abhanden gekommen sein sollten, oder Wellnesskrippenwiegebett für den neugeborenen Erlöser und seine erschöpfte Mutter mit batteriebetriebenen Schaukelbewegungen; Liebhaber des christlichen Landhausstils schlendern vom Erzgebirge über Oberbayern ins Engadin.
Zum Schluss noch einen (liquiden Schuss Exotik) für den Weg: Lumumba, Vulcano, Bombalino;
Ein Mann, schwankend, erleichtert sich auf zwei Tannenbäume, die in einer unbeleuchteten Ecke liegen; immerhin pinkelt er nur, hätte schlimmer kommen können.
Alle Jahre wieder?
Alle Jahre früher!
*Die Änderungen erfolgten auf Anregungen Lisas, der ich herzlich danke.
Innenstadt, Fußgängerzone
17. November 2006,
ca. 18 Uhr.
Kunstschneeromantik, Budenglanz und Hüttenzauber;
„Glühweinstraße“ überfüllt, kollektiver gemischter Chorgesang, innbrünstig, aber leicht kakophon, schwere Zungen: „… ich bin so toll, ich bin der Anton aus Tirol.“
Modeschmuck im unvermeidlichen „Designerlook“, es folgen Kochlöffel, Kartoffelstampfer und Co., dicht gefolgt von Heizdecken neben elektrischem Fußmuff aus Fell von glücklichen Schafen;
Fettschwaden; Backfisch und Calamares schwitzen brüderlich im Teigmantel, ihr Fritteur sieht aus, als wäre er selbst auch schon fast gar; Nordseekrabben in miraculösem Dip, rettungslos eingequetscht in blasse Brötchenhälften, dazwischen welken Salatblätter dekorativ vor sich hin.
Nebenan dezente Eleganz und lukullische Extravaganz: Spitzkerzen auf rubinrotem Wachstuch, Deckenkandelaber der Epoche „Spätes Woolworth“; gestoßenes Eis in Kübeln, San Pelegrino für durstige Marktpilger, Austern an Moet et Chandon, foie gras de canard trufée benetzt mit Taittinger, Tranchen von der Flugentenbrust; zwei tierliebende Damen der Gucci Fraktion gönnen ihren Nerzen einen verfrühten Ausgang, halten dabei Small Talk mit der alten Witwe Clicquot und goutieren Beluga, amuse geul für den kleinen Hunger zwischendurch. Angesichts der ihn umgebenden Dekadenz ist der Hummer Thermidor rot angelaufen.
Über allem schwebt beharrlich ein musikalischer Quilt: Andrérieureggaepoppschlagersalsagittiunderika;
Stolpere über Kabelstränge auf dem Pflaster, Lebensadern des Festkommerzes. Stelle mir vor, wie es wäre, sie zu kappen: plötzliches Dunkel und gnädige Stille. Schön!
Kinderwagentroika im Schritttempo, glänzende Äugelchen, stimmgewaltiges Schnullerterzett, Arien in Schissmoll, glücklich plaudernde Mütter, Folge: Rückstau von mehreren Metern;
Kerzenstand geschlossen, wahrscheinlich zu warm für das Wachs;
dahinter Mittelalter: Bier, Met, Feurige Johanna und Ritterfurz, Geigenhansel zwischen Korbmacher und Feuerschlucker; Sauereyen vom Spieß;
biege links ab in die Gasse der kulinarischen Völkerverständigung: Prager Schinken, chinesische Bratnudeln, Krakauer Würstchen, Pizza Romanesca, Argentinisches Hüftsteak. Für Gutbürgerliche: Grünkohl mit Pinkel, Sauerkraut mit Kassler;
ich trete auf frittierte Kartoffelstäbchen mit Mayo.
Drei Jugendliche, bierflaschengeschmückt, Aufdruck „Fan – Club Voll Blau“ auf ihren Anoraks, lallend.
Jahreszeitlich adäquate Körperdekoration: rote Nikolauszipfelmützen mit Blinklämpchen in Saum und Bömmel, silbern funkelnde Eiskristalle als keck wippender Kopfschmuck, Engelsflügel zum Umschnallen und Abheben; alles sehr preiswert.
Plötzlich artifizielles Glockengeläut unter schweigendem Kirchturm, geballtes Festambiente in einer Holzhüttenfiliale des Ganzjahresweihnachtsbedarfsmutterhauses von Käthe W. ob der Tauber: Tanz um den goldenen Baum zu „Stille Nacht, Heilige Nacht“; Lurexlametta zwischen Cloisonnékugeln über Luxusstall mit beheizbarer Krippe, falls Ochs und Esel abhanden gekommen sein sollten, oder Wellnesskrippenwiegebett für den neugeborenen Erlöser und seine erschöpfte Mutter mit batteriebetriebenen Schaukelbewegungen; Liebhaber des christlichen Landhausstils schlendern vom Erzgebirge über Oberbayern ins Engadin.
Zum Schluss noch einen (liquiden Schuss Exotik) für den Weg: Lumumba, Vulcano, Bombalino;
Ein Mann, schwankend, erleichtert sich auf zwei Tannenbäume, die in einer unbeleuchteten Ecke liegen; immerhin pinkelt er nur, hätte schlimmer kommen können.
Alle Jahre wieder?
Alle Jahre früher!
*Die Änderungen erfolgten auf Anregungen Lisas, der ich herzlich danke.