Brückenkopf
Verfasst: 03.12.2006, 11:27
REVISION 002 /Zustand 03
0:30 Uhr. Heidelberger Hauptbahnhof. Gleis 2. Ich steige aus der S-Bahn und muss mich konzentrieren gerade zu laufen. Mein Hirn scheint zu schwimmen, wie das Luftbläschen einer wackeligen Wasserwaage. Die Kopfhörer würgen Tom Waits "How's it gonna end?".
Ich frage mich das Gleiche auch mal wieder. Scheiß Alkohol. Wenn ich voll bin, neige ich zum Resümieren.
"Klassische Indologie? Wovon willst du danach leben?"
"Spießer!, Materialisten!" die eintönige Antwort. Dann ist sie gestorben. Der Tod machte mich wütend. Ich sprayte "Motherfucker Buddha" an's Unigebäude. Sie erwischten mich. Exmatrikulation. Zwei Jahre reichten die Ersparnisse meiner Mutter. Ich verließ nur zum Einkaufen meine Einzimmerwohnung. Nicht mal die Rollläden zog ich hoch.
Alles nur, weil ich mir nicht verzeihen wollte, dass ich ihr nie gesagt habe, dass, ach egal.
Mein Nachtwächterjob jetzt bei der Dresdner ist eigentlich ganz okay. Ab und an mal ein Fehlalarm, das ist's auch schon.
Natürlich will der Schlüssel nicht ins Fahrradschloss passen. Ich richte mich auf, hole tief Luft und starte einen zweiten Versuch. Na also.
Ich habe ein schlechtes Gewissen, in diesem Zustand zu fahren. Irgendwann hätte ich gern ein Fahrrad mit funktionierendem Licht, dann wird man nicht dauernd angehupt von Autos mit Xenon-Greifvogelaugen, die nur unterwegs sind, um solche wie mich zu jagen.
Der warme Fahrtwind hebt meine Stimmung. Ich rieche den süßlichen Duft des Neckars. Noch zwei, drei Kilometer bis zu meinem Bett. Auf der Neckarwiese ist noch Party.
Die Platanen zischen vorbei, so kommt es mir jedenfalls vor. Manchmal taucht unvermittelt ein Schatten auf der Straße auf und ich erschrecke, als wäre ein Schatten ein Hindernis, als besäße Schatten Raum. Da wieder einer, direkt vor mir. Er wirkt besonders plastisch. Der Schatten reißt mich aus der Spur und ich falle auf den weichen Bodendecker der Straßenrandbepflanzung.
Scheiße, was war das denn?
Schnell bin ich wieder auf den Beinen und suche mein Fahrrad. Hinten blitzen zwei Lichter auf.
Und da!
Da liegt etwas zusammengekrümmt auf der Fahrbahn. Ich blicke zwischen meinem Fahrrad und dem Wäscheknäul hin und her, kann mich nicht entscheiden. Was tun?
Dann stelle ich mein Fahrrad auf, richte zittrig den verdrehten Lenker wieder aus und denke ans Abhauen. Die Scheinwerfer nähern sich. Ich will in die Pedale treten "Nur weg hier", rutsche aber ab und stoße mir mein Schienbein. Fuck! Ich steige wieder ab und werfe das Fahrrad an die Straßenseite. Die Lichter kommen schnell näher, das Motorengeräusch wird lauter. Auf einmal renne ich los. Geradewegs zu dem dunklen Etwas, greife blind danach und schleife es von der Straße. Die letzten Meter fallen wir rückwärts auf den Randstreifen. Verdammt, das war knapp!
Ich liege auf dem Rücken. Während sich langsam mein Herzschlag beruhigt, muss ich ans Studium und an Worte von Krishna denken. Ich brabbele sie vor mich hin wie ein Durchgedrehter:
"Spirituelle Arbeit ist nie nutzlos. Sei unbesorgt, meine Freundin. Wer diese gute Arbeit verrichtet, wird kein schlimmes Ende nehmen, weder in dieser Welt noch in irgend einer jenseitigen Welt. Du musst diese tiefgründige Wahrheit erfahren: Wer nach Verwirklichung strebt, gerät nie ins Unheil!"
Das Gerettete bewegt sich. Es ist eine Frau. Sie hat schwarze Haare und lächelt.
"Schicksal eben", flüstert sie.
Mir ist plötzlich, als läge ich auf dem Eis eines zugefrorenen Sees, es knackt unter mir und ein Riss halbiert meinen Körper in Yin und Yang.
"Tut dir was weh?"
Etwas verzögert murmelt sie: "Nein, nein, alles in Ordnung"
Ich beschließe sie ein Stück weiter die Straße hoch in eine Bushaltestelle zu hieven. Auf der Bank sackt sie zusammen wie eine Marionette, der man das Führungskreuz abgeschnitten hat.
"Ich bin müde", lallt sie und kippt seitlich auf meinen Schoß. Erst ist mir die plötzliche Nähe unangenehm, doch dann genieße ich die Berührung. Ich überlege, ob ich mit meiner Hand über ihr Haar streiche, mach's dann aber doch nicht. Ein Bus kommt. Ich klemme sie unter den Arm und steige mit ihr ein. Sie scheint tatsächlich nicht verletzt zu sein, nur maßlos betrunken. "How's it gonna end? " will ich von ihr wissen. Sie schnarcht und ich steige an der Alten Brücke aus.
REVISION 001 /Zustand weiß ich nicht mehr
0:30 Uhr. Heidelberger Hauptbahnhof. Gleis 2. Ich steige aus der S-Bahn und muss mich konzentrieren gerade zu laufen. Mein Hirn schwimmt haltlos im Schädel herum. Über meine Kopfhörer würgt mir Tom Waits "How's it gonna end?" in die Ohren und ich frage mich das Gleiche auch mal wieder. Allerdings nur kurz, weil ich Katastrophen vermeiden möchte und der Film um mich herum noch schneller läuft, wenn ich solchen Gedanken nachsteige. Da passiert es auch schon. Eine Frau um die vierzig mit streng zusammengebundenem Haar, einen Rollkoffer hinter sich herziehend, taucht wie aus dem Nichts auf und unsere Schultern prallen zusammen.
"Blöder Penner!"
"Tschuldigung", nuschel ich.
Ob sie mich auch Penner genannt hätte, wenn ich nüchtern wäre, wenn ich mein Soziologiestudium abgeschlossen hätte, wenn meine Haare nicht so lang wären, wenn ich einen Anzug tragen würde, wenn, wenn, wenn... Ich denke wieder zu viel und prompt will der Schlüssel nicht ins U-Schloss meines Fahrrads passen. Also richte ich mich noch einmal auf, hole tief Luft und starte einen zweiten Versuch. Wer sagt's denn.
Ich habe immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich in so einem Zustand Fahrrad fahre, obwohl ich nie einen Führerschein besessen habe, den ich verlieren könnte. Irgendwann möchte ich mal ein Fahrrad besitzen, an dem das Licht funktioniert, dann wird man nicht dauernd angehupt von Autos mit Xenon-Greifvogelaugen, die so tun, als seien sie nur unterwegs, um Ratten wie mich zu jagen.
Der warme Fahrtwind dieser Sommernacht hebt meine Stimmung wieder. Ich rieche den süßlichen Duft des Neckars. Noch zwei, drei Kilometer bis zu meinem Bett. Auf der Neckarwiese ist noch Party wie in jeder milden Sommernacht.
Die Platanen zischen vorbei, so kommt es mir jedenfalls vor, die alten Wächter, die ich liebe. Manchmal taucht unvermittelt ein Schatten auf der Straße auf und ich erschrecke, als wäre ein Schatten ein Hindernis, als besäße Schatten Raum. Da wieder einer, direkt vor mir. Er wirkt besonders plastisch. Der Schatten reißt mich aus der Spur und ich falle auf den weichen Bodendecker der Straßenrandbepflanzung.
Scheiße, was war das denn?
Schnell bin ich wieder auf den Beinen und suche mein Fahrrad. Hinten blitzen zwei Lichter auf.
Und da! Da liegt etwas zusammengekrümmt auf der Fahrbahn.
Ich blicke zwischen meinem Fahrrad und dem Wäscheknäul hin und her, kann mich nicht entscheiden. Was tun?
Ich stelle mein Fahrrad auf, richte zittrig den verdrehten Lenker wieder aus und denke ans Abhauen. Die Scheinwerfer nähern sich.
Gerade will ich in die Pedalen treten "Nur weg hier", da greift eine eiserne Hand nach meinem Denkapparat. Das Bild meiner Mutter erscheint. Sie sagt nichts, blickt nur maßlos enttäuscht. Die schlimmste Strafe für mich, obwohl sie lange tot ist. Also steige ich wieder ab und werfe das Fahrrad zur Seite. Die Lichter kommen schnell näher, das Motorengeräusch wird lauter.
Ich renne, greife blind nach dem dunklen Etwas und schleife es von der Straße, die letzten Meter fallen wir rückwärts auf den Randstreifen. Verdammt, das war knapp!
Ich liege auf dem Rücken und danke den Sternen. Mir ist, als läge ich auf dem Eis eines zugefrorenen Sees, plötzlich knackt es unter mir und ein Riss halbiert meinen Körper in Yin und Yang. Das gerettete Fundstück bewegt sich. Ein schwarzhaariger Frauenkopf lächelt mich an.
Sie sagt leise: "Schicksal eben."
"Aaaaach, so schlimm wird's schon nicht sein!", antworte ich wohl wenig überzeugend. Ich muss sie untersuchen, vielleicht ist sie gelähmt?
"Tut dir was weh?"
Etwas verzögert murmelt sie: "Nein, nein, alles in Ordnung"
Das würde ich gerne glauben.
Ich beschließe sie ein Stück weiter die Straße hoch in eine Bushaltestelle zu hieven. Auf der Bank sackt sie zusammen wie eine Marionette, der man das Führungskreuz abgeschnitten hat.
"Ich bin müde", lallt sie und kippt seitlich auf meinen Schoß. Erst ist mir die plötzliche Nähe unangenehm, doch dann genieße ich die Berührung. Dennoch kann ich nicht ewig hier sitzen. Aber ich will sie nicht alleine lassen. Nicht jetzt in der Nacht. Ein Bus kommt. Ich klemme sie unter den Arm und steige mit ihr ein. Sie scheint tatsächlich nicht verletzt zu sein, nur maßlos betrunken. "How's it gonna end? " will ich von ihr wissen. Sie schnarcht und ich steige am Brückenkopf aus.
0:30 Uhr. Heidelberger Hauptbahnhof. Gleis 2. Ich steige aus der S-Bahn und muss mich konzentrieren gerade zu laufen. Mein Hirn scheint zu schwimmen, wie das Luftbläschen einer wackeligen Wasserwaage. Die Kopfhörer würgen Tom Waits "How's it gonna end?".
Ich frage mich das Gleiche auch mal wieder. Scheiß Alkohol. Wenn ich voll bin, neige ich zum Resümieren.
"Klassische Indologie? Wovon willst du danach leben?"
"Spießer!, Materialisten!" die eintönige Antwort. Dann ist sie gestorben. Der Tod machte mich wütend. Ich sprayte "Motherfucker Buddha" an's Unigebäude. Sie erwischten mich. Exmatrikulation. Zwei Jahre reichten die Ersparnisse meiner Mutter. Ich verließ nur zum Einkaufen meine Einzimmerwohnung. Nicht mal die Rollläden zog ich hoch.
Alles nur, weil ich mir nicht verzeihen wollte, dass ich ihr nie gesagt habe, dass, ach egal.
Mein Nachtwächterjob jetzt bei der Dresdner ist eigentlich ganz okay. Ab und an mal ein Fehlalarm, das ist's auch schon.
Natürlich will der Schlüssel nicht ins Fahrradschloss passen. Ich richte mich auf, hole tief Luft und starte einen zweiten Versuch. Na also.
Ich habe ein schlechtes Gewissen, in diesem Zustand zu fahren. Irgendwann hätte ich gern ein Fahrrad mit funktionierendem Licht, dann wird man nicht dauernd angehupt von Autos mit Xenon-Greifvogelaugen, die nur unterwegs sind, um solche wie mich zu jagen.
Der warme Fahrtwind hebt meine Stimmung. Ich rieche den süßlichen Duft des Neckars. Noch zwei, drei Kilometer bis zu meinem Bett. Auf der Neckarwiese ist noch Party.
Die Platanen zischen vorbei, so kommt es mir jedenfalls vor. Manchmal taucht unvermittelt ein Schatten auf der Straße auf und ich erschrecke, als wäre ein Schatten ein Hindernis, als besäße Schatten Raum. Da wieder einer, direkt vor mir. Er wirkt besonders plastisch. Der Schatten reißt mich aus der Spur und ich falle auf den weichen Bodendecker der Straßenrandbepflanzung.
Scheiße, was war das denn?
Schnell bin ich wieder auf den Beinen und suche mein Fahrrad. Hinten blitzen zwei Lichter auf.
Und da!
Da liegt etwas zusammengekrümmt auf der Fahrbahn. Ich blicke zwischen meinem Fahrrad und dem Wäscheknäul hin und her, kann mich nicht entscheiden. Was tun?
Dann stelle ich mein Fahrrad auf, richte zittrig den verdrehten Lenker wieder aus und denke ans Abhauen. Die Scheinwerfer nähern sich. Ich will in die Pedale treten "Nur weg hier", rutsche aber ab und stoße mir mein Schienbein. Fuck! Ich steige wieder ab und werfe das Fahrrad an die Straßenseite. Die Lichter kommen schnell näher, das Motorengeräusch wird lauter. Auf einmal renne ich los. Geradewegs zu dem dunklen Etwas, greife blind danach und schleife es von der Straße. Die letzten Meter fallen wir rückwärts auf den Randstreifen. Verdammt, das war knapp!
Ich liege auf dem Rücken. Während sich langsam mein Herzschlag beruhigt, muss ich ans Studium und an Worte von Krishna denken. Ich brabbele sie vor mich hin wie ein Durchgedrehter:
"Spirituelle Arbeit ist nie nutzlos. Sei unbesorgt, meine Freundin. Wer diese gute Arbeit verrichtet, wird kein schlimmes Ende nehmen, weder in dieser Welt noch in irgend einer jenseitigen Welt. Du musst diese tiefgründige Wahrheit erfahren: Wer nach Verwirklichung strebt, gerät nie ins Unheil!"
Das Gerettete bewegt sich. Es ist eine Frau. Sie hat schwarze Haare und lächelt.
"Schicksal eben", flüstert sie.
Mir ist plötzlich, als läge ich auf dem Eis eines zugefrorenen Sees, es knackt unter mir und ein Riss halbiert meinen Körper in Yin und Yang.
"Tut dir was weh?"
Etwas verzögert murmelt sie: "Nein, nein, alles in Ordnung"
Ich beschließe sie ein Stück weiter die Straße hoch in eine Bushaltestelle zu hieven. Auf der Bank sackt sie zusammen wie eine Marionette, der man das Führungskreuz abgeschnitten hat.
"Ich bin müde", lallt sie und kippt seitlich auf meinen Schoß. Erst ist mir die plötzliche Nähe unangenehm, doch dann genieße ich die Berührung. Ich überlege, ob ich mit meiner Hand über ihr Haar streiche, mach's dann aber doch nicht. Ein Bus kommt. Ich klemme sie unter den Arm und steige mit ihr ein. Sie scheint tatsächlich nicht verletzt zu sein, nur maßlos betrunken. "How's it gonna end? " will ich von ihr wissen. Sie schnarcht und ich steige an der Alten Brücke aus.
REVISION 001 /Zustand weiß ich nicht mehr
0:30 Uhr. Heidelberger Hauptbahnhof. Gleis 2. Ich steige aus der S-Bahn und muss mich konzentrieren gerade zu laufen. Mein Hirn schwimmt haltlos im Schädel herum. Über meine Kopfhörer würgt mir Tom Waits "How's it gonna end?" in die Ohren und ich frage mich das Gleiche auch mal wieder. Allerdings nur kurz, weil ich Katastrophen vermeiden möchte und der Film um mich herum noch schneller läuft, wenn ich solchen Gedanken nachsteige. Da passiert es auch schon. Eine Frau um die vierzig mit streng zusammengebundenem Haar, einen Rollkoffer hinter sich herziehend, taucht wie aus dem Nichts auf und unsere Schultern prallen zusammen.
"Blöder Penner!"
"Tschuldigung", nuschel ich.
Ob sie mich auch Penner genannt hätte, wenn ich nüchtern wäre, wenn ich mein Soziologiestudium abgeschlossen hätte, wenn meine Haare nicht so lang wären, wenn ich einen Anzug tragen würde, wenn, wenn, wenn... Ich denke wieder zu viel und prompt will der Schlüssel nicht ins U-Schloss meines Fahrrads passen. Also richte ich mich noch einmal auf, hole tief Luft und starte einen zweiten Versuch. Wer sagt's denn.
Ich habe immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich in so einem Zustand Fahrrad fahre, obwohl ich nie einen Führerschein besessen habe, den ich verlieren könnte. Irgendwann möchte ich mal ein Fahrrad besitzen, an dem das Licht funktioniert, dann wird man nicht dauernd angehupt von Autos mit Xenon-Greifvogelaugen, die so tun, als seien sie nur unterwegs, um Ratten wie mich zu jagen.
Der warme Fahrtwind dieser Sommernacht hebt meine Stimmung wieder. Ich rieche den süßlichen Duft des Neckars. Noch zwei, drei Kilometer bis zu meinem Bett. Auf der Neckarwiese ist noch Party wie in jeder milden Sommernacht.
Die Platanen zischen vorbei, so kommt es mir jedenfalls vor, die alten Wächter, die ich liebe. Manchmal taucht unvermittelt ein Schatten auf der Straße auf und ich erschrecke, als wäre ein Schatten ein Hindernis, als besäße Schatten Raum. Da wieder einer, direkt vor mir. Er wirkt besonders plastisch. Der Schatten reißt mich aus der Spur und ich falle auf den weichen Bodendecker der Straßenrandbepflanzung.
Scheiße, was war das denn?
Schnell bin ich wieder auf den Beinen und suche mein Fahrrad. Hinten blitzen zwei Lichter auf.
Und da! Da liegt etwas zusammengekrümmt auf der Fahrbahn.
Ich blicke zwischen meinem Fahrrad und dem Wäscheknäul hin und her, kann mich nicht entscheiden. Was tun?
Ich stelle mein Fahrrad auf, richte zittrig den verdrehten Lenker wieder aus und denke ans Abhauen. Die Scheinwerfer nähern sich.
Gerade will ich in die Pedalen treten "Nur weg hier", da greift eine eiserne Hand nach meinem Denkapparat. Das Bild meiner Mutter erscheint. Sie sagt nichts, blickt nur maßlos enttäuscht. Die schlimmste Strafe für mich, obwohl sie lange tot ist. Also steige ich wieder ab und werfe das Fahrrad zur Seite. Die Lichter kommen schnell näher, das Motorengeräusch wird lauter.
Ich renne, greife blind nach dem dunklen Etwas und schleife es von der Straße, die letzten Meter fallen wir rückwärts auf den Randstreifen. Verdammt, das war knapp!
Ich liege auf dem Rücken und danke den Sternen. Mir ist, als läge ich auf dem Eis eines zugefrorenen Sees, plötzlich knackt es unter mir und ein Riss halbiert meinen Körper in Yin und Yang. Das gerettete Fundstück bewegt sich. Ein schwarzhaariger Frauenkopf lächelt mich an.
Sie sagt leise: "Schicksal eben."
"Aaaaach, so schlimm wird's schon nicht sein!", antworte ich wohl wenig überzeugend. Ich muss sie untersuchen, vielleicht ist sie gelähmt?
"Tut dir was weh?"
Etwas verzögert murmelt sie: "Nein, nein, alles in Ordnung"
Das würde ich gerne glauben.
Ich beschließe sie ein Stück weiter die Straße hoch in eine Bushaltestelle zu hieven. Auf der Bank sackt sie zusammen wie eine Marionette, der man das Führungskreuz abgeschnitten hat.
"Ich bin müde", lallt sie und kippt seitlich auf meinen Schoß. Erst ist mir die plötzliche Nähe unangenehm, doch dann genieße ich die Berührung. Dennoch kann ich nicht ewig hier sitzen. Aber ich will sie nicht alleine lassen. Nicht jetzt in der Nacht. Ein Bus kommt. Ich klemme sie unter den Arm und steige mit ihr ein. Sie scheint tatsächlich nicht verletzt zu sein, nur maßlos betrunken. "How's it gonna end? " will ich von ihr wissen. Sie schnarcht und ich steige am Brückenkopf aus.