Etwaige Folgen der Außerachtlassung
Verfasst: 02.02.2007, 10:47
Etwaige Folgen der Außerachtlassung
[align=justify] 'Pflicht des Fahrgastes ist es, sich auf dem Wagen unverzüglich festen Halt zu verschaffen. Etwaige Folgen der Außerachtlassung dieser Bedingung sind selbstverschuldet.'
Immer wieder erklimmt mein Blick dieses Wortgebirge in den Niederungen der U-Bahn-Hinweistafeln.
Ein vermeintlich unscheinbarer Fingerzeig. Doch was besagt denn dies Geheiß wirklich? Bei näherem Hinsehen entbindet es nämlich die Verantwortlichen jeglicher Haftung für mögliche Personenschäden, die zum Beispiel durch defekte Bremsen entstehen könnten, oder dadurch, dass der Triebwagenführer die Bahn völlig besoffen etwaig frontal in das Schaufenster eines unterirdischen Spirituosenladens manövriert, bloß, weil sich manch' Fahrgast währenddessen nicht ordnungsgemäß an den oberen Haltegriffen festgeklammert und somit rücksichtsvoll den Mitreisenden sein bereits leicht kompostöses Unterarm-Odeur vorenthalten hatte. Und in seiner gesamten Tragweite erschließen wird sich dieses Dekret ja wohl nur einer Handvoll Verwegener, die zumindest halbwegs durch ihr 18-semestriges Grundstudium der Linguistik gestolpert und obendrein mit der Auffassungsgabe und Scharfsichtigkeit einer brütenden Seeadlerhenne gesegnet sind. Das Heer der geistigen Rosinenstütchen hingegen könnte mit dieser Formulierung möglicherweise überfordert sein. Es ist ein Leichtes, sich hier schiere Absicht der jetzt nicht mehr Verantwortlichen vorzustellen.
Denn selbst dem sprachgestähltesten und reaktionsschnellsten U-Bahn-Novizen reichte die Zeit vom Einsteigen in den Zug, über das Stempeln des Fahrscheins, das Wahrnehmen dieses Aufklebers, dem Entziffern der Buchstaben, dem Zusammenschrauben der Sinnzusammenhänge und dem Umsetzen des soeben mühsam Verinnerlichten bis zum ruckartigen Anfahren des Zuges nicht annähernd aus, um sich vor den Folgen ebenjener Außerachtlassung im Hinblick auf das persönliche und ab jetzt kostenpflichtige Wohlbefinden zu schützen, und so nimmt es nicht Wunder, dass die Omma schon beim Zurechtrücken ihrer Brille in freudiger Erwartung der Hinweise ihrer Verkehrsgesellschaft lustig durchs Kupee purzelt.
Junge Leute hingegen halten die Worte 'etwaige' und 'Außerachtlassung' vermutlich für mittelhochdeutsche Minnesänge. Während sich 'etwaige' in der Umgangssprache der Plattenbaubrut - dem Logopäden-Pop, besser bekannt als 'Rap' - schon schwerlich zungenbrecherfrei darstellen lässt, dürfte spätestens das Wort 'Außerachtlassung' in dem durch unentzifferbare Kürzel geprägten Kommunikationsschema der SMS-Generation auf gänzlich verlorenem Posten stehen. Denn 'Aßalsg' wirkt nicht nur ungelenk, das schnallt auch keine Sau. Ebenso könnte es passieren, dass sie - wenn sie 'auf dem Wagen' schulmäßig interpretierten - an der nächsten Station ausstiegen, das Dach der U-Bahn erklömmen, die weitere Fahrt dann festgekrallt an den Abkantungen des Oberbleches zwischen Tunneldecke und funkensprühenden Hochspannungsleitungen verbrächten und damit nachher tierisch vor ihrer Rotte in der Fußgängerzone herumprahlten.
Nicht, dass eine solche Art der Ausdrucksweise im Allgemeinen nicht wohlklingend und ehrenvoll daherkäme, aber am Otto-Normal-Stütchen geht diese Sinfonie wohl sang- und klanglos vorüber, was sie in diesem Fall auch soll. Man kann nur von Glück reden, wenn bei der ersten Bahnfahrt nichts passiert, man irgendwann zufällig an diesem Schildlein in Ermangelung eines anderen sehenswerten Objektes in dem ÖPNV-Pferch hängenbleibt und geistig gefestigt genug ist, die Mitteilung mit nach Hause zu nehmen und sie sich fürs nächste Mal unters Kopfkissen zu schieben.
Wer denkt sich sowas aus? Vermutlich einer jener vernebelten Geister, die auch die Englisch-, Französisch- und Spanischübersetzungen auf den Bildschirmen der neuen Geldautomaten ersonnen haben. Bei dem vorherrschenden anglo-, franko- und espanjophilen Zuwanderungsdrama hierzulande erschiene es wirklich allzu pedantisch, auf solche sprachlichen Minderheiten wie Türken und sonstige Osteuropäer einzugehen. Was natürlich auch für oben genannten Aufkleber gilt.
Auch schön: Neulich bei meiner Reise im ICE Baader-Meinhof in Höhe Papenburg, Ostfriesland, entdeckte ich beim Wasserlassen auf dem Komfort-WC des Raucherwagens folgende rührende Empfehlung:
'Bitte verlassen Sie diesen Raum so, wie Sie ihn gerne vorfinden würden.'
Im selbem Moment bedauerte ich zutiefst, nur das kleine Rückengepäck bei mir zu führen und nicht - wie zunächst beabsichtigt - meine drei Hartschalen-Übersee-Koffer, was mir aber kurz vor Reiseantritt für lediglich vier Sonnentage auf der Insel Juist doch ein wenig übertrieben vorgekommen war. Dann aber hätte ich ohne viel Federlesens mit Vollmaske, Gummianzug, Winkelschleifer und Hochdruckreiniger - alles Dinge, die ich diesen Koffern immer bei mir zu tragen pflege - in nur wenigen Stunden den Dingen zuleibe rücken können, die ich in einem solchen Raum nicht vorzufinden wünsche.
Oh, da kommt mein Bus. Wahrscheinlich werden die Bremsen bei der Anfahrt an die Haltestelle wieder dermaßen gleißend und hochfrequent quietschen, dass ich eine mittelschwere Mittelohrentzündung davontragen werde, als Folge der Außerachtlassung.
Und zwar die der sesselfurzenden Sprach- und Bremsbelag-Ingenieure, die ich hiermit herzlich grüße.[/align]
[align=justify] 'Pflicht des Fahrgastes ist es, sich auf dem Wagen unverzüglich festen Halt zu verschaffen. Etwaige Folgen der Außerachtlassung dieser Bedingung sind selbstverschuldet.'
Immer wieder erklimmt mein Blick dieses Wortgebirge in den Niederungen der U-Bahn-Hinweistafeln.
Ein vermeintlich unscheinbarer Fingerzeig. Doch was besagt denn dies Geheiß wirklich? Bei näherem Hinsehen entbindet es nämlich die Verantwortlichen jeglicher Haftung für mögliche Personenschäden, die zum Beispiel durch defekte Bremsen entstehen könnten, oder dadurch, dass der Triebwagenführer die Bahn völlig besoffen etwaig frontal in das Schaufenster eines unterirdischen Spirituosenladens manövriert, bloß, weil sich manch' Fahrgast währenddessen nicht ordnungsgemäß an den oberen Haltegriffen festgeklammert und somit rücksichtsvoll den Mitreisenden sein bereits leicht kompostöses Unterarm-Odeur vorenthalten hatte. Und in seiner gesamten Tragweite erschließen wird sich dieses Dekret ja wohl nur einer Handvoll Verwegener, die zumindest halbwegs durch ihr 18-semestriges Grundstudium der Linguistik gestolpert und obendrein mit der Auffassungsgabe und Scharfsichtigkeit einer brütenden Seeadlerhenne gesegnet sind. Das Heer der geistigen Rosinenstütchen hingegen könnte mit dieser Formulierung möglicherweise überfordert sein. Es ist ein Leichtes, sich hier schiere Absicht der jetzt nicht mehr Verantwortlichen vorzustellen.
Denn selbst dem sprachgestähltesten und reaktionsschnellsten U-Bahn-Novizen reichte die Zeit vom Einsteigen in den Zug, über das Stempeln des Fahrscheins, das Wahrnehmen dieses Aufklebers, dem Entziffern der Buchstaben, dem Zusammenschrauben der Sinnzusammenhänge und dem Umsetzen des soeben mühsam Verinnerlichten bis zum ruckartigen Anfahren des Zuges nicht annähernd aus, um sich vor den Folgen ebenjener Außerachtlassung im Hinblick auf das persönliche und ab jetzt kostenpflichtige Wohlbefinden zu schützen, und so nimmt es nicht Wunder, dass die Omma schon beim Zurechtrücken ihrer Brille in freudiger Erwartung der Hinweise ihrer Verkehrsgesellschaft lustig durchs Kupee purzelt.
Junge Leute hingegen halten die Worte 'etwaige' und 'Außerachtlassung' vermutlich für mittelhochdeutsche Minnesänge. Während sich 'etwaige' in der Umgangssprache der Plattenbaubrut - dem Logopäden-Pop, besser bekannt als 'Rap' - schon schwerlich zungenbrecherfrei darstellen lässt, dürfte spätestens das Wort 'Außerachtlassung' in dem durch unentzifferbare Kürzel geprägten Kommunikationsschema der SMS-Generation auf gänzlich verlorenem Posten stehen. Denn 'Aßalsg' wirkt nicht nur ungelenk, das schnallt auch keine Sau. Ebenso könnte es passieren, dass sie - wenn sie 'auf dem Wagen' schulmäßig interpretierten - an der nächsten Station ausstiegen, das Dach der U-Bahn erklömmen, die weitere Fahrt dann festgekrallt an den Abkantungen des Oberbleches zwischen Tunneldecke und funkensprühenden Hochspannungsleitungen verbrächten und damit nachher tierisch vor ihrer Rotte in der Fußgängerzone herumprahlten.
Nicht, dass eine solche Art der Ausdrucksweise im Allgemeinen nicht wohlklingend und ehrenvoll daherkäme, aber am Otto-Normal-Stütchen geht diese Sinfonie wohl sang- und klanglos vorüber, was sie in diesem Fall auch soll. Man kann nur von Glück reden, wenn bei der ersten Bahnfahrt nichts passiert, man irgendwann zufällig an diesem Schildlein in Ermangelung eines anderen sehenswerten Objektes in dem ÖPNV-Pferch hängenbleibt und geistig gefestigt genug ist, die Mitteilung mit nach Hause zu nehmen und sie sich fürs nächste Mal unters Kopfkissen zu schieben.
Wer denkt sich sowas aus? Vermutlich einer jener vernebelten Geister, die auch die Englisch-, Französisch- und Spanischübersetzungen auf den Bildschirmen der neuen Geldautomaten ersonnen haben. Bei dem vorherrschenden anglo-, franko- und espanjophilen Zuwanderungsdrama hierzulande erschiene es wirklich allzu pedantisch, auf solche sprachlichen Minderheiten wie Türken und sonstige Osteuropäer einzugehen. Was natürlich auch für oben genannten Aufkleber gilt.
Auch schön: Neulich bei meiner Reise im ICE Baader-Meinhof in Höhe Papenburg, Ostfriesland, entdeckte ich beim Wasserlassen auf dem Komfort-WC des Raucherwagens folgende rührende Empfehlung:
'Bitte verlassen Sie diesen Raum so, wie Sie ihn gerne vorfinden würden.'
Im selbem Moment bedauerte ich zutiefst, nur das kleine Rückengepäck bei mir zu führen und nicht - wie zunächst beabsichtigt - meine drei Hartschalen-Übersee-Koffer, was mir aber kurz vor Reiseantritt für lediglich vier Sonnentage auf der Insel Juist doch ein wenig übertrieben vorgekommen war. Dann aber hätte ich ohne viel Federlesens mit Vollmaske, Gummianzug, Winkelschleifer und Hochdruckreiniger - alles Dinge, die ich diesen Koffern immer bei mir zu tragen pflege - in nur wenigen Stunden den Dingen zuleibe rücken können, die ich in einem solchen Raum nicht vorzufinden wünsche.
Oh, da kommt mein Bus. Wahrscheinlich werden die Bremsen bei der Anfahrt an die Haltestelle wieder dermaßen gleißend und hochfrequent quietschen, dass ich eine mittelschwere Mittelohrentzündung davontragen werde, als Folge der Außerachtlassung.
Und zwar die der sesselfurzenden Sprach- und Bremsbelag-Ingenieure, die ich hiermit herzlich grüße.[/align]