Auf dem Weg zu Harry
Verfasst: 19.07.2007, 08:53
Auf dem Weg zu Harry
Dem Besuch der Lesungen von Herrn Rowohlt haften anscheinend immer noch reak- bzw. revolutionäre Züge an; anders kann ich es mir nicht erklären, wieso ich mit einem Doppelwhopper im Bauch, einer Dose KöPi und einem nulldreifünfer Gebinde Delikatess-Ouzo in der Jackentasche die S1 nach Bochum Langendreer bestieg. Seit dem Abflachen meiner Black-Sabbath-Phase und der allmählichen Architektwerdung hatte ich tunlichst das Ketchup-Kleckern in Bahnhofshallen und Anreißen von Ringpull-Verschlüssen in öffentlichen Verkehrsmitteln vermieden; heute aber war ich wild entschlossen, es wieder zu tun. Nüchtern zu Harry? Ne! Ich gehe ja auch nicht mit Socken in die Wanne.
Im Zug verließ mich aber zwischenzeitlich mein Mut. Die ohnehin schon pikiert dreinblickende Dame neben mir und der junge dynamische Geschäftsmann mit der glattrasierten Dutzendfresse gegenüber strahlten ein solches Etepetete aus, dass es meiner Hand nicht gelang, das so dringend benötigte Bier aus der Tasche zu angeln. Erst, als in Essen-West eine offensichtlich stark alloholisierte Frau mit heruntergekommener und meilenweit nach Hering riechender Takelage durchs Abteil schwankte und die Mitreisenden um Almosen anschnorrte – worauf sich der Geschäftsloden zu einem entrüsteten Kopfschütteln und einem nicht minder empörten "tztztz" hinreißen ließ –, war es mit meiner Geduld vorbei. Ich ahmte sein Geräusch mittels des Bierdosenverschlusses nach, und ließ das kühle Nass deutlich hörbar in meinen Rachen gluckern. Die Heringsfrau erkannte in mir trotz trüber Augen offenbar einen Ihresgleichen und ließ mich als Einzigen unangeschnorrt. Die Pik-Dame neben mir wusste nun erst recht nicht mehr, wo sie hingucken sollte, und stieg vorsichtshalber an der nächsten Station aus. Als ich nun begann, den Kohlensäureüberschuss – mit ähnlichem Geräusch, ksssss – durch die Vorderkronen entweichen zu lassen, wurde es auch dem Luden zuviel; für ihn war in Essen-Steele Schluss. Die ganze Sitzgruppe für mich allein. Ich erwog kurz, schonmal das Anisvergorene zu verköstigen, besann mich aber eines Besseren. Zwei Stationen ohne schafft man immer. Der erste Schluck gehört grundsätzlich den Kameraden.
Und da waren sie auch schon. Ich war zwar rechtzeitig, aber am falschen Ende dem Zug entsprungen. Sie erkannten mich aus der Ferne nicht sofort, weil ich - was sie nicht wissen konnten - zufällig gleichzeitig mit Harry auf die Idee gekommen war, mein Haupthaar zu scheren. Als ich aber winkte und mit dem Ouzo wedelte, war keine Verwechslung mehr möglich.
Herby hustete anstandsgemäß nach dem ersten Schluck und verweigerte dann beharrlich jegliche weitere Aufnahme dieses Lustspenders; Jürgen war da schon etwas aufgeschlossener. Dafür versuchte er danach, durch den Briefschlitz eines autonomen Punkerladens, der gegenüber dem Veranstaltungsort lag, ins Innere desselben zu gelangen, weil er dort die Pulle Pils zu sechzig Cent im Frei-Haus-Verkauf wähnte. Sein Vorhaben gab er aber erst dann auf, als er erkannte, dass es sich bei der Beleuchtung nicht um die des Tresens und bei der im Halbdunkel nur undeutlich zu erkennenden Figur nicht um dem vermeintlichen Wirt, sondern lediglich um den Weihnachtsbaum handelte, von dem keinerlei Ausschankgebahren ausgingen.
Also Fiege-Pils mit Plopp-Verschluss vonner Bude, und Fladenbrot mit gegrillter Sucuk und Sabbersoße vom Türken. Das ist heute schon das zweite Mal, dass ich alles vollkleckere. Als ich aber Jürgens schafskäseundcaciktapezierten Mantel betrachte, relativiert sich mein Schamempfinden. Und in Bochum kennt mich eh keine Sau. Jetzt aber schnell in die Halle, Harry harren.
In der Pause - nach etlichen Kannen aus der Tüte und Gezapften von der Theke - lege ich mich noch kurz mit dem Hallenvorsteher und Kulturotto an, der uns wegen des mitgebrachten und somit verbotenen Bieres zur Rede stellt. Die Pullen sind für zuhuhausehause, weil ich gleich am Bahnhof nichts mehr bekommekomme! Er glaubt mir einfach nicht. Vor die Presse zerren werde ich ihn, jawohl! Arroganter Affe! Hab hier schon zwanzig Euro versoffen in dieser überteuerten Kulturbude! Und das bereits in der ersten Halbzeit! Ich frage ihn nach seinem Namen und kritzele ihn in mein schwarzes Notizbuch; das schindet Eindruck. Er verschwindet. Erstmal ne Pulle aufmachen.
Hab dann später im Zug die frisch erworbene Lese-CD mit Harry und Wiglaf verloren. Und dem Schaffner erklärt, dass ich gerade von meiner Scheidung käme und deswegen ausnahmsweise im Abteil rauchen müsste, worauf er mich tatsächlich gewähren ließ. Und beinahe den Heimatbahnhof dösend überfahren. Aber das ist eine andere Geschichte.
Denn jetzt muss ich erstmal zuhören. Bevor sisch mei Skrotum au no zusammeziehe tut. Prost, Harry!
Dem Besuch der Lesungen von Herrn Rowohlt haften anscheinend immer noch reak- bzw. revolutionäre Züge an; anders kann ich es mir nicht erklären, wieso ich mit einem Doppelwhopper im Bauch, einer Dose KöPi und einem nulldreifünfer Gebinde Delikatess-Ouzo in der Jackentasche die S1 nach Bochum Langendreer bestieg. Seit dem Abflachen meiner Black-Sabbath-Phase und der allmählichen Architektwerdung hatte ich tunlichst das Ketchup-Kleckern in Bahnhofshallen und Anreißen von Ringpull-Verschlüssen in öffentlichen Verkehrsmitteln vermieden; heute aber war ich wild entschlossen, es wieder zu tun. Nüchtern zu Harry? Ne! Ich gehe ja auch nicht mit Socken in die Wanne.
Im Zug verließ mich aber zwischenzeitlich mein Mut. Die ohnehin schon pikiert dreinblickende Dame neben mir und der junge dynamische Geschäftsmann mit der glattrasierten Dutzendfresse gegenüber strahlten ein solches Etepetete aus, dass es meiner Hand nicht gelang, das so dringend benötigte Bier aus der Tasche zu angeln. Erst, als in Essen-West eine offensichtlich stark alloholisierte Frau mit heruntergekommener und meilenweit nach Hering riechender Takelage durchs Abteil schwankte und die Mitreisenden um Almosen anschnorrte – worauf sich der Geschäftsloden zu einem entrüsteten Kopfschütteln und einem nicht minder empörten "tztztz" hinreißen ließ –, war es mit meiner Geduld vorbei. Ich ahmte sein Geräusch mittels des Bierdosenverschlusses nach, und ließ das kühle Nass deutlich hörbar in meinen Rachen gluckern. Die Heringsfrau erkannte in mir trotz trüber Augen offenbar einen Ihresgleichen und ließ mich als Einzigen unangeschnorrt. Die Pik-Dame neben mir wusste nun erst recht nicht mehr, wo sie hingucken sollte, und stieg vorsichtshalber an der nächsten Station aus. Als ich nun begann, den Kohlensäureüberschuss – mit ähnlichem Geräusch, ksssss – durch die Vorderkronen entweichen zu lassen, wurde es auch dem Luden zuviel; für ihn war in Essen-Steele Schluss. Die ganze Sitzgruppe für mich allein. Ich erwog kurz, schonmal das Anisvergorene zu verköstigen, besann mich aber eines Besseren. Zwei Stationen ohne schafft man immer. Der erste Schluck gehört grundsätzlich den Kameraden.
Und da waren sie auch schon. Ich war zwar rechtzeitig, aber am falschen Ende dem Zug entsprungen. Sie erkannten mich aus der Ferne nicht sofort, weil ich - was sie nicht wissen konnten - zufällig gleichzeitig mit Harry auf die Idee gekommen war, mein Haupthaar zu scheren. Als ich aber winkte und mit dem Ouzo wedelte, war keine Verwechslung mehr möglich.
Herby hustete anstandsgemäß nach dem ersten Schluck und verweigerte dann beharrlich jegliche weitere Aufnahme dieses Lustspenders; Jürgen war da schon etwas aufgeschlossener. Dafür versuchte er danach, durch den Briefschlitz eines autonomen Punkerladens, der gegenüber dem Veranstaltungsort lag, ins Innere desselben zu gelangen, weil er dort die Pulle Pils zu sechzig Cent im Frei-Haus-Verkauf wähnte. Sein Vorhaben gab er aber erst dann auf, als er erkannte, dass es sich bei der Beleuchtung nicht um die des Tresens und bei der im Halbdunkel nur undeutlich zu erkennenden Figur nicht um dem vermeintlichen Wirt, sondern lediglich um den Weihnachtsbaum handelte, von dem keinerlei Ausschankgebahren ausgingen.
Also Fiege-Pils mit Plopp-Verschluss vonner Bude, und Fladenbrot mit gegrillter Sucuk und Sabbersoße vom Türken. Das ist heute schon das zweite Mal, dass ich alles vollkleckere. Als ich aber Jürgens schafskäseundcaciktapezierten Mantel betrachte, relativiert sich mein Schamempfinden. Und in Bochum kennt mich eh keine Sau. Jetzt aber schnell in die Halle, Harry harren.
In der Pause - nach etlichen Kannen aus der Tüte und Gezapften von der Theke - lege ich mich noch kurz mit dem Hallenvorsteher und Kulturotto an, der uns wegen des mitgebrachten und somit verbotenen Bieres zur Rede stellt. Die Pullen sind für zuhuhausehause, weil ich gleich am Bahnhof nichts mehr bekommekomme! Er glaubt mir einfach nicht. Vor die Presse zerren werde ich ihn, jawohl! Arroganter Affe! Hab hier schon zwanzig Euro versoffen in dieser überteuerten Kulturbude! Und das bereits in der ersten Halbzeit! Ich frage ihn nach seinem Namen und kritzele ihn in mein schwarzes Notizbuch; das schindet Eindruck. Er verschwindet. Erstmal ne Pulle aufmachen.
Hab dann später im Zug die frisch erworbene Lese-CD mit Harry und Wiglaf verloren. Und dem Schaffner erklärt, dass ich gerade von meiner Scheidung käme und deswegen ausnahmsweise im Abteil rauchen müsste, worauf er mich tatsächlich gewähren ließ. Und beinahe den Heimatbahnhof dösend überfahren. Aber das ist eine andere Geschichte.
Denn jetzt muss ich erstmal zuhören. Bevor sisch mei Skrotum au no zusammeziehe tut. Prost, Harry!