Wir standen nur so blöd herum

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tulpenrot
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Beitragvon tulpenrot » 02.10.2007, 09:49

Wir standen nur so blöd herum, denn keiner wusste eigentlich, wie es gekommen war. Kathi hatte sich eine Zigarette angezündet, Wolle hatte noch sein Schlüsselbund aus der Hosentasche hängen und Pierre guckte einfach nur schief über seinen Brillenrand.

Erst war es ganz still, doch dann verzog Furche ein bisschen seine Mundwinkel und gluckste dabei ganz hinten im Hals. Ein furchtbar breites Grinsen durchzog nach und nach sein ganzes Gesicht. Noch nie hatte ich ihn so gesehen.

Vielleicht war das der Auslöser für Jan, noch einmal genauer in Furches Gesicht zu schauen. Er wurde auf einmal blass. Und deshalb fing er wohl an zu lachen, um diese Blässe los zu werden. Irgendwie lachte es plötzlich aus ihm heraus. Er wusste anscheinend selber nicht, weshalb. Aber dann besann er sich schnell, denn Furches linke Hand kam langsam aus der Hosentasche hervor und zog diese seltsame Kette hinter sich her, dunkel und schmierig. Sie war ja noch nicht lange dort in der Hosentasche gewesen. Furches rechte Hand legte sich über die linke, erst der Handballen, dann ein Finger nach dem anderen, bis die ganze Hand auf der anderen und auf der Kette lag. Er hielt einen Moment inne und drückte sie dann aber nach hinten weg, sodass die Kette klirrend zu Boden fiel.

Ich wollte sie schnell aufheben, denn es war mir peinlich, dass sie da lag. Jeder konnte ja sehen, wie schmierig sie war. Und das durfte außer uns niemand. Aber Furche schob mich mit einer Hand energisch weg, beugte sich sehr bedächtig hinunter und hob sie mit der anderen Hand selber auf. Jan war noch weißer geworden. Kathi drückte gelassen ihre Zigarette aus. Pierre trat von einem Fuß auf den anderen und Wolle hatte mit seinem Schlüsselbund zu tun.

Wenn Furche nicht selber laut losgelacht hätte, also ein fürchterlich rohes Lachen ausgestoßen hätte , dann stünden wir immer noch so da. Erschrocken setzte ich mir meine Baseball - Mütze zurecht und bekam Angst, richtige Angst. Nicht nur vor Furches Lachen, auch vor Kathi. Sie hatte sich auf den Boden gehockt, und während sie so kauerte, sah ich frische rote Farbe an ihren schwarzen Stiefelschäften.

Die Ruhe der anderen machte mir auch Angst, weil Wolle sich nicht rührte, sondern wie ich, auf Kathis und dann auch Furches Schuhe schaute. Jans Gesicht war weiß wie die Wand, an die er sich gelehnt hatte. Nur Pierre stand noch aufrecht, schob die Brille zurecht und stopfte sich einen Kaugummi in den Mund. Dann beugte er sich vor, nahm die Kette vor unser aller Augen aus Furches Hosentasche und schwang sie triumphierend über seinem Kopf. Furche hatte es widerwillig geschehen lassen, aber als er sah, wie wir nun alle beschmiert waren, tröpfchenweise rot betupft, war er zufrieden.

Meine Angst kroch mit jedem Schwung der Kette über Pierres Kopf immer höher, von den Beinen über die Knie mitten in den Bauch und höher und höher und kam schließlich im Hals an. Und dort schrie die Angst einen unheilvollen Ton hinaus durch alle Straßen, in die meine befreiten Beine mich nun trugen. Der Schrei kroch in die Häuser an den Wänden entlang und bis ins Morgengrauen hinaus. Und ich schrie hemmungslos und endlos. Doch die anderen standen wohl immer noch so blöd herum und keiner wusste so richtig, wie alles gekommen war.
"Ach, wissen Sie, in meinem Alter wird man bescheiden - man begnügt sich mit einem guten Anfang und macht dem Ende einen kurzen Prozess." AST

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 08.10.2007, 21:08

Hallo Tulpenrot,

eine rauhe Straßenszene, die von Furche, einem machtsüchtigen, dominanten Brutalo, und Pierre, seinem Konkurenten, dominiert wird, bis Ich-Erzähler ihre Angst und die Unerträglichkeit der Situation herausschreit.

So ganz steige ich durch den Text aber nicht durch. Warum sind alle beschmiert, wenn Pierre die Kette schwingt? Ich dachte an so eine massive Baumarktskette und verstehe sie hier als Waffe und Symbol der Macht. Wer sie hat, hat das Sagen. Aber sondert sie eine schmierige Substanz ab, wenn sie geschwungen wird? Eine Mofakette ist schmierig, aber auch sie ergiebt nur schmutzige Hände, wenn man sie berührt.

"denn Furches linke Hand kam langsam aus der Hosentasche hervor und zog diese seltsame Kette hinter sich her, dunkel und schmierig"

Hier könnte es helfen, wenn Du die Kette näher beschreibst. Warum ist die Kette seltsam? Die Frage drängt sich beim Lesen auf.

"Und deshalb fing er wohl an zu lachen, um diese Blässe los zu werden. Irgendwie lachte es plötzlich aus ihm heraus
"

Zweimal Lachen, die Wiederholung muss nicht sein. Da findet sich bestimmt eine elegantere Lösung.

Schönen Abend

Jürgen

Sneaky

Beitragvon Sneaky » 08.10.2007, 21:46

Hallo tulpenrot,

die Frage, wo ist das Opfer abgeblieben? Die Kette verspritzt Blut auf alle, alle waren beteiligt an der Sache, nur keiner weiß so recht, wie es (der Mord/die Tat?) passiert ist, behauptet der Erzähler. Eine Eskalation, die im Schrei eines der Täter endet?

So zumindest lese ich das, mit einen Touch von Uhrwerk Orange im Hinterkopf.

Gruß

reimerle

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tulpenrot
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Beitragvon tulpenrot » 09.10.2007, 11:35

Hallo Jürgen,

danke, dass du dich des Textes angenommen hast. Ich bin selber unschlüssig, wie ich es mit der Beschreibung der Kette halten soll. In meiner Phantasie ist es eine Fahrradkette, schmierig vom Öl und schmierig von der Tat, die mit der Kette begangen wurde. Ich möchte auch wissen, ob der Leser isch zu sehr an der Unschärfe der Bescrheibung stört, ob ich also genauer werden muss, oder ob er damit zufrieden ist, wie es ist ... anscheinend also nicht.
Natürlich bedarf es noch einer Vorgschichte und einer Nachgechichte - um zu klären, was da geschah und warum .. mcih hat es bei der Abfassung eigentlich vorläufig nur gereizt, eine Stimmung zu erzeugen und sozusagen einen Lichtspot auf diese Gruppe von Jugendlichen zu werfen. Ihre Coolness, ihre Überheblichkeit, usw. in Szene zu setzen.

Hallo reimerle,
jetzt bin ich ratlos ... was ist das mit dem orangenen Uhrwerk in dienem Kopf?
Du hast Recht, da ist eien Tat geschehen, und alle waren irgendwie dabei. Und der Wegrennende, dem war das alles auf einmal zuviel, die anderen jedoch bleiben unberührt.
Das Opfer? Muss man es erwähnen?

Die Geschichte ist bisher nur ein Fragment ... soll man es fortsetzen? Ich dachte daran, es als Text im Unterricht einzusetzen und die Schüler (16-18 jährige) etwas dazu verfassen zu lassen....????


Danke für euer Lesen

Angelika
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Jürgen

Beitragvon Jürgen » 09.10.2007, 12:20

Hallo Angelika,

reimerle meint einen Roman von Anthony Burgess, der zumindest im ersten Drittel eine ähnliche Thematik wie Deine Kurzgeschichte behandelt. Lies ihn mal, wenn Du magst. Es ist ein sehr beeindruckender Roman.

Schönen Gruß

Jürgen

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tulpenrot
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Beitragvon tulpenrot » 09.10.2007, 12:25

ohh ja Danke dir, Jürgen! Ich kenne ihn nicht ...
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 09.10.2007, 13:22

Hallo Angelika,
Die Geschichte ist bisher nur ein Fragment ... soll man es fortsetzen?


ich lese die Geschichte wie ein Fragment aus einem Fragment. Forsetzen? Ja, aber vorher tätem m.E. diesem Fragment etwas mehr Details gut. Du musst ja nicht alles auflösen (dann ginge der Reiz verloren), aber ein bisschen mehr würde ich es schon ausmalen, da sich mir die gleichen (zu viele) Fragen stellen wie Jürgen und reimerle.
Saludos
Mucki

Antibus

Beitragvon Antibus » 21.10.2007, 19:27

Also ich finde nicht, dass die Geschichte nach Fortsetzung verlangt oder mehr Details. Sie ist gut so, wie sie da steht, denn sie lebt von eben jenem Unterschwelligen, Geheimnisvollen, das eben nicht bis ins Letzte erklärt ist und zu dem man sich als Leser selbst ein Bild machen kann. Eine toller Text, Tulpenrot. Schöne Grüße, Katja

Gast

Beitragvon Gast » 21.10.2007, 23:33

Liebe Angelika,

mir geht es wie Katja ... ich wollte schon viel eher zu dem Text schreiben, gut, dass ich heute erinnert worden bin.

Ich finde diese Geschichte ist Klasse geschrieben. Ein wenig unheimlich von einer Sapnnung, die auf mich als Leserin übergreift, und bei der man sich irgendwie versteift.
Mir war auch beim ersten Lesen klar, was von der Fahrradkette tropft.

Im Grunde möchte ich dazwischen gehen und das Schweigen aufbrechen, alle aufrütteln ... wenn du verstehst, was ich meine ...

Nur der Titel macht mich nicht unbedingt neugierig, ich meine da wäre vielleicht etwas in die Richtung "Gruppenzwang" - bitte nicht wörtlich - zu finden, oder was meinst du?

Liebe Grüße
Gerda


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