Die Madonna von Coìn

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Sam

Beitragvon Sam » 05.12.2007, 06:44

Die Madonna von Coìn


Zwischen Coìn und Alhaurin, auf einem kargen, von alten Olivenbäumen bewachsenen Hügel, liegt das Kloster San Angel. Eine unscheinbare Ansammlung sandgelber Gebäude, die sich um eine mäßig imposante Kirche verteilen.
Im rechten Seitenschiff des Gotteshauses, barfüßig auf einem Sockel aus Marmor stehend, befindet sich eine reizende Marienstatue. Sie ist etwa zwei Meter groß, hält die Arme leicht ausgebreitet und den Oberkörper etwas nach vorn geneigt. Ihr Gesicht gleicht dem unzähliger anderer Marienbildnisse. Mitleidend, barmherzig, ein wenig entrückt und jener fatalistischen Einfalt, mit der auch ihr erstgeborener Sohn gerne dargestellt wird. Ein bis in die kleinsten Falten des langen Gewandes hinein kunstvoll gestaltetes Schnitzwerk aus Zedernholz. Es gibt Personen, die behaupten, sie sei die schönste Marienfigur zwischen Sevilla und Alicante.

Im Vatikan interessiert diese Statue niemanden. Wohl aber der Umstand, dass aus dem Kloster San Angel in den letzten siebzig Jahren mehr als ein Dutzend Mönche spurlos verschwunden ist. Um diese Vorkommnisse zu untersuchen, wird Pater Ezequiel nach Andalusien entsandt. Als Spezialist für Übersinnliches und Unerklärliches, aber auch für Grobes und Irdisches, ist er immer zur Stelle, wenn sich irgendwo ein vermeintliches Wunder ereignet. Oder, wenn unter den Gottesdienern ein Verbrechen geschah oder geschehen muss.

Pater Ezequiel verbringt über einen Monat in San Angel, führt Gespräche, untersucht und forscht. Das Verschwinden der Mönche jedoch bleibt ein Rätsel. Jeden Abend nach der Vesper betet er in der Kirche. Meist wirft er sich vor der Marienstatue nieder.
So auch in der letzten Nacht seiner Anwesenheit in San Angel. Als er nach seiner Gewohnheit die Fußspitzen der Statue küssen will, entdeckt er eine Lache zwischen ihren Füßen. Er taucht einen Finger in die Flüssigkeit und leckt ihn ab. Blut, ohne Zweifel. Der ihm vertraute Geschmack von Eisen und Rosshaar. Aber auch etwas Fremdes darin, wie eine Melodie, die aus der Ferne versucht, das Schlagen einer Axt zu übertönen.
Pater Ezequiel schiebt seine Hand langsam unter das Gewand der Statue. Er spürt die Feuchtigkeit des Blutes und Wärme. Behutsam tastet er sich vor, dem Rinnsaal nach, das Bein hinauf bis zum Knie. Ein eigenartiger Geruch strömt in seine Nase. Nur vordergründig der von Blut und Ausfluss. Dahinter etwas, das ihn an Erde erinnert und an die Haut seiner Mutter und seiner Schwestern.
Pater Ezequiel folgt dem Duft, presst sein Gesicht in das Blut, öffnet den Mund und lässt seine Zunge wandern, vom Stein zum Knöchel, zur Wade, der Spur folgend, sie aufsaugend bis hin zur Quelle. Beinahe vollständig ist er schon unter dem Gewand der Statue verschwunden. Sein Geschlecht erhebt sich, und das erste Mal scheint es recht zu sein. Genauso recht, wie diese Mitte, in die er sich mit seiner Nase drängt. Seine Zunge folgt dem Blut, sucht immer wieder diesen Geschmack einzufangen, leckt die glattrasierte Haut, tastet sich weiter bis zur bitter schmeckenden Rosette des Afters, aus der er hofft, es möge Kot dringen, um diesen zu essen, während er sich mit eigener Hand eine Befriedigung verschafft, die so zu verspüren er sich niemals erträumt hatte. Dabei schließt sich das Gewand der Statue um seinen Körper und es ist unmöglich zu sagen, ob das Letzte, was er verspürt jener Orgasmus ist oder einfach nur eklige Todesangst.
Zuletzt geändert von Sam am 17.12.2007, 07:03, insgesamt 1-mal geändert.

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 05.12.2007, 08:48

Hallo Sam,

ein spontaner Leseeindruck: eine bewußt provokative Anklage gegen das Zöllibat, das, mit den verschwundenen Mönchen als Bild dargestellt, verschiedene Kirchenämter, Orden etc. aussterben lässt. Der Text ist sehr intensiv und wirkt durchdacht geschrieben. Er hat mich beim Lesen sehr beeindruckt.

Verbesserungsvorschläge habe ich keine.

Schönen Tag

Jürgen

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 05.12.2007, 13:27

Hallo Sam.

"Als er nach seiner Gewohnheit die Fußspitzen ..." -- Von dieser Stelle an wird der Text für mich spannend und geistanregend, dank des guten Leseflusses, des durchdachten Timings und der kontrastreichen Wortwahl.

Die ganze Einleitung vor jener Stelle, sie nimmt mehr als die Hälfte ein, wirkt auf mich so langweilig tabellarisch wie ein Reiselexikon. Ich merke übrigens mehr und mehr, dass dieses nüchterne Auflisten von Fakten ein wesentliches Stilmerkmal Deines Schreibens ist. Mehr dazu vielleicht bei nächster Gelegenheit ...


Schöne Mahlzeit allerseits

Pjotr

Nicole

Beitragvon Nicole » 05.12.2007, 13:49

Hallo Sam,

interessanter Text, mir gefällt auch die von Pjotr eben erwähnte "Einleitung" gut.

Sag, fehlt hier nicht ein Wort?
Mitleidend, barmherzig, ein wenig entrückt und jener fatalistischen Einfalt, mit der auch ihr erstgeborener Sohn gerne dargestellt wird.

Müßte es nicht heißen: "..., ein wenig entrückt und voll jener fatalistischen Einfalt..." oder "...mit jener fatalistischen Einfalt"?

Ansonsten mag ich die Idee der Priester "verschlingenden" Statue. Nach Deiner Beschreibung ist die Maria allerdings nur 2 Meter groß, da ist für mich die Vorstellung des onanierend unter dem Rock verschwindenen Mannes ein wenig schwierig...
Apropos, ich mußte übrigens bei dem Gedanken einer intim rasierten Marienstatue ziemlich schmunzeln...sehr feines Detail!

Gerne gelesen,

Nicole
Zuletzt geändert von Nicole am 05.12.2007, 19:56, insgesamt 1-mal geändert.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 05.12.2007, 19:19

Hallo Sam,

ich vermisse an diesem Text alles, was ich unter dieser Rubrik erwarte.
Entgegen den Vorkommentatoren finde ich ihn schlicht eklig, ohne dass ich erkennen könnte, zu welcher inhaltlichen Aussage diese Provokation führen soll.

Das habe ich sehr ungern gelesen.

Grüße smile

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 06.12.2007, 20:31

Lieber Sam,

die Geschichte bedient erfolgreich die Sucht, den "Druck", die/der meines Erachtens im Menschen entsteht, wenn er von metaphysischen Orientierung geprägt ist, hier bedingt durch die christliche Prägung des Abendlandes (im besonderen Maße natürlich die, der prägenden Religion noch direkt und konkret verbunden sind, aber auch die Seelenlage aller in dieser so geprägten Kultur und das meistens unbemerkt, unhinterfragt und im letzten Sinne unhintergehbar). Sie spielt mit der Aufladung, die aus solch einer Prägung resultiert. Allerdings weiß ich nicht, ob dieses Feld, gerade auf diesem Gebiet auf diese Weise nicht schon ganz schön abgegrast ist und daher das Spiel mit der Aufladung hier nicht nur bloßes Spiel bleibt (womit der Text für mich vom kritischen Text zum Unterhaltungstext mutierte). Für ein Urteil kenne ich mich in der Literatur nicht genug aus.

Der Stil der Geschichte mutet einerseits kunstmärchen-romantisch an (Mönch/Kloster/fomelhaftes Arrangement) ich muss allerdings Pjotr zustimmen, dass ich stilistisch eine Entfaltung der angestrebten Sprache auch vermisse (womit ich nicht meine, dass ich Prunk, sondern überhaupt einen ausgeführten Sprachstil vermisse). Besonders wird das für mich am Ende deutlich:

Pater Ezequiel folgt dem Duft, presst sein Gesicht in das Blut, öffnet den Mund und lässt seine Zunge wandern, vom Stein zum Knöchel, zur Wade, der Spur folgend, sie aufsaugend bis hin zur Quelle. Beinahe vollständig ist er schon unter dem Gewand der Statue verschwunden. Sein Geschlecht erhebt sich, und das erste Mal scheint es recht zu sein. Genauso recht, wie diese Mitte, in die er sich mit seiner Nase drängt. Seine Zunge folgt dem Blut, sucht immer wieder diesen Geschmack einzufangen, leckt die glattrasierte Haut, tastet sich weiter bis zur bitter schmeckenden Rosette des Afters, aus der er hofft, es möge Kot dringen, um diesen zu essen, während er sich mit eigener Hand eine Befriedigung verschafft, die so zu verspüren er sich niemals erträumt hatte. Dabei schließt sich das Gewand der Statue um seinen Körper und es ist unmöglich zu sagen, ob das Letzte, was er verspürt jener Orgasmus ist oder einfach nur eklige Todesangst.

Das ist für mich erzähltechnisch nicht anschaulich, das ist nicht erzählt (egal welcher Stil anestrebt ist, er wirkt auf mich nicht ausgeführt, sondern mehr wie ein Gerüst von Notizen, wie der Text ablaufen soll, das manche Autoren zu Beginn einer Arbeit an einem Text machen). Und das erscheint mir nicht beabsichtigt.

Ob du Blut und Fäkalien beides brauchst, weiß ich nicht, ich persönlich bin durch letzteres nicht in "erhitzteren Lesezustand" versetzt, falls das der Zweck ist und ich finde das Blutmotiv hinreichend und fände die Einsträngigkeit gut für die Klarheit der Metapher (der Ekelaspekt geht dadurch nicht verloren). (ich führe das nicht an, weil ich was gegen die Fäkalien-passage hätte).

Insgesamt lässt der Text mich zu schnell wieder los, obwohl mir die Metapher (konkret so auch noch nicht gelesen) Tragfähigkeit aufzuweisen scheint - ich glaube, mir fehlt die Sinnlichkeit. (was immer das heißt).

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Rala

Beitragvon Rala » 06.12.2007, 22:01

Hallo Sam!

Finde die Idee im Grunde nicht schlecht, aber was die Ausführung betrifft, muss ich leider auch sagen: Mit Ausnahme weniger Sätze erinnert das stilistisch mehr an einen Polizeibericht. Glaube nicht, dass das deine Absicht war, sonst hättest du ja sicher die paar Ausnahmesätze nicht reingebracht, oder? Und für einen so nüchternen Stil ist dann mE wiederum das Ende inhaltlich zu saftig ...

Aber er ist es wert, noch mal über eine andere Form der Umsetzung nachzudenken.

Liebe Grüße,
Rala

Gast

Beitragvon Gast » 10.12.2007, 00:39

Lieber Sam,

für mich werden hier zwei Aspekte vermischt.
Zum einen kommt es mir vor, als ob diese Geschichte gegen den Zölibat geschrieben sei, zum anderen gegen die Marienverehrung.

Das kann man machen, sicher, ich frage mich allerdings, wo in deinem Text, die Satire ist, (Humor habe ich erst gar nicht zu finden versucht). Es sollte doch bei aller (notwendigen) Übertreibung dem Leser möglich sein, aus den überzogen beschriebenen Vorgängen seine Schlüsse zu ziehen.

Da bleibe ich dann allerdings ratlos zurück.

Für mich gleicht die Erzähluung eher - mal abgesehen von bereits kritsierten Punkten den Stil betreffend, einer Fantasiegeschichte, die ich im Mittelalter angesiedelt sehen würde.
Möglich, dass ich damit völlig daneben liege, weil ich keine Kennerin solcher Geschichten bin, aber so würde ich es mir vorstellen, wenn sich das Phänomen nicht erklären lässt, wohin Mönche in einer Klosterkirche verschwinden.
(Hat noch etwas alttestamentarisches, von der sofortigen Bestrafung bei Freveltaten)
Ich muss gestehen, ich kann diese Geschichte nur so lesen und sie nicht als Satire ernst nehmen.
Es ist das erste Mal, dass mich einer Texte, so gar nicht erfassen kann.

Liebe Grüße
Gerda

Sam

Beitragvon Sam » 10.12.2007, 06:53

Hallo Ihr Lieben,

habt herzlichen Dank für eure Kommentare. Es war sehr interessant, eure Meinung zu dem Text zu lesen!

Ein Kritikpunkt, der bei den meisten von euch auftaucht, ist die Sprache, bzw. Gestaltung des Textes. Davor aber noch ein Wort zur smiles Kommentar. Diese Rubrik nennt sich: Kritisches, Satirisches & Humoriges. Eine solche Bennenung lässt, so glaube ich, auch Texte zu, die über das leichtverdauliche Amüsemang hinausgehen.

Was Sprache und Gestaltung angeht, so kann für mich, der Text nur so funktionieren, wie er geschrieben ist. Indem er Konflikte erzeugt und Widerspruch provoziert. Indem Dinge aufeinanderprallen. Z.B. mitteralterliches Setting mit modernem Pragmatismus. Die Verbindung zu realexistierenden Institutionen kann der Leser gerne selber herstellen.

Natürlich ist dies keine "Geschichte" die erzählt wird. Es ist eine tabellarische Auflistung (Pjotr), wie ein Polizeibericht (vielleicht?) oder ein Gerüst von Notizen (Lisa). Und es fehlt im eine gewisse
Sinnlichkeit (Lisa). Ich kann all dem nichts entgegensetzen. Für mich hieße, ein Mehrerzählen dem ganzen einen größeren "Wahrheitsgehalt" zu verleihen. Darum ging es mir aber nicht. Nicht um Wahrheit, um Nachvollziehbarkeit. Auch nicht explizit um das Zölibat oder die Marienverehrung(Jürgen & Gerda). Im Endeffekt soll der Text den Anachronismus religiöser Extase veranschaulichen und dabei so individuell auf den Leser wirken, wie es religiöse Denkmuster tun.

Mag sein, dass mir das nicht gelungen ist. Auf anderem Wege konnte ich dieses Ziel aber nicht erreichen (nicht in der Kürze).

Nochmals vielen Dank!

LG

Sam

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 10.12.2007, 10:56

Hallo Sam,

Davor aber noch ein Wort zur smiles Kommentar. Diese Rubrik nennt sich: Kritisches, Satirisches & Humoriges. Eine solche Bennenung lässt, so glaube ich, auch Texte zu, die über das leichtverdauliche Amüsemang hinausgehen.

Ja, das denke ich auch. Da ich aber weder Humor noch Satire in deinem Text entdecken konnte, betrachtete ich ihn unter dem Stichwort "Kritisches". Hier fehlt mir jedoch auch nach deiner Rückmeldung die inhaltliche Aussage. Der Text funktioniert für mich weder in Bezug auf das Zölibat, noch auf die Marienverehrung, noch hinsichtlich einem "Anachronismus religiöser Extase".

Grüße smile

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 10.12.2007, 13:50

Anachronismus religiöser Extase (Sam)

Hallo Sam,

Extase ist ja etwas sehr sinnliches, unkontrolliertes, triebliches. Und Anachronismus bedeutet hier wohl, dass diese Ekstase dem religiösen Zeitgeist widerspricht. Folgerung: An der einen Stelle wird Trieb unterdrückt, an anderer Stelle befriedigt. -- Ich habe ein ähnliches Thema ("jede vermeintliche Ersatzbefriedigung ist eine Hauptbefriedigung, es gibt keinen Ersatz") neulich in den Publicus gestellt, Deinen Verriss dazu fand ich sehr spannend; ist Dein Text hier nun ein Beispiel dafür, wie Du jenes Thema umsetzen würdest? -- Wie auch immer, mir erscheint's interessant, vor allem, weil ich immer noch auf halbem Weg bin, zu verstehen, was Du mit "Wertung" meinst. Beispielsweise sehe ich in meinem Text keine Wertung, jedenfalls nicht mehr als in Deinem Text. Darüber würde ich gerne mehr lernen; Du sagst, Dein nüchtern auflistender Sprachstil sei notwendig, damit Dein Text funktioniere. Sorgt diese Nüchternheit für Abwesenheit von besagter "Wertung"? Wenn nicht, wozu dient dieser "Pragmatismus" dann? Vielleicht zur Verdeutlichung des Widerspruchs religiöser Triebverbote? Hm, ich finde in beiden Antworten keine Notwendigkeiten ...

(Ob die Vermeidung von "Wertung" dabei eine Rolle spielt, weiß ich noch nicht, aber warum ist "Wertung" überhaupt verwerflich, Sam? Satire beispielsweise kann ohne Wertung, wenn ich das richtig verstehe, erst gar keinen Lacher erzeugen. Selbst der freundliche Loriot "wertet" diverse Charaktere.)


Cheers

Pjotr

Sam

Beitragvon Sam » 12.12.2007, 06:52

Hallo Smile

Der Text funktioniert für mich weder in Bezug auf das Zölibat, noch auf die Marienverehrung, noch hinsichtlich einem "Anachronismus religiöser Extase".

Das tut mir zwar leid, aber ich akzeptiere das natürlich. Am Ende entscheidet immer der Leser. Es freut mich, dass du dich trotzdem zu dem Text geäussert hast.


Hallo Pjotr,

du stellst immer sehr interessante Fragen und es tut mir sehr leid, dass ich im Moment so wenig Zeit habe. ( Eine Erwiderung auf deine beiden faszinierenden Kommentare zu arams "kein betreff" steht von meiner Seite auch noch aus).

In deinem Kommentar stellst du eine Verbindung zu deinem Publicus Text her (der leider keine weiteren Betrachtungen erhalten hat, was ich schade finde).
Meine Kritik betraf vor allem technische/gestalterische Aspekte des Textes. Mit Wertung meinte ich, dass der Erzähler seine Protagonisten bewertend beschreibt. Mit der Beschreibung erfolgt gleichzeitig die Einordnung. Das ist natürlich nicht verkehrt und gerade bei extrem subjektiv gestalteten Erzählpositionen (z.B. Der Fänger im Roggen von Salinger) besonders reizvoll.

Dein Text aber, und darin besteht die Verbindung zur "Madonna", ist die Beschreibung einer absurden Situation. Schnell wird dem Leser klar, dass hier extrem verzerrt gespiegelt wird. (Bei dir der Orang Utan, bei mir die Holzfigur). Solch eine Verzerrung macht für mich nur dann einen Sinn, wenn sich der Erzähler heraushält aus dem Text, wenn ich als Leser die Gelegenheit habe, in den verzerrten Bildern bekannte Konturen zu erkennen, die durch ihre Verzerrung ihren wahren Charakter offenbaren. Der Erzähler ist in erster Linie Kulissensteller, und, wenn er gut ist, Fallensteller. Am abträglichsten wäre es, wenn man sofort merkt, in welche Richtung einen der Erzähler stupsen will. Das ist dann eine harmlose Form von Meinungsfreiheitsberaubung, die der Leser meist mit Misfallen quittiert.

Ich führe mal ein Beispiel aus vorliegemdem Text an:

Ein eigenartiger Geruch strömt in seine Nase. Nur vordergründig der von Blut und Ausfluss. Dahinter etwas, das ihn an Erde erinnert und an die Haut seiner Mutter und seiner Schwestern.

Dieser Satz für sich lässt alle Möglichkeiten offen. Auch wenn er eine Richtung vorgibt (MUTTER Erde, die reale Mutter, Schwestern)
Ein einziger zusätzlicher Satz, würde hier schon eine "Wertung" einringen. So z.B.:

- Ein eigenartiger Geruch strömt in seine Nase. Nur vordergründig der von Blut und Ausfluss. Dahinter etwas, das ihn an Erde erinnert und an die Haut seiner Mutter und seiner Schwestern. An das, was ihm jahrelang einen sanften Trost bereitet hat. -

Ich hoffe, es ist nachvollziehbar, was ich meine.

Einzig an zwei Stellen habe ich eine "Bewertung" des Erzählers zugelassen. Bei der Beschreibung der Marienfigur und im allerletzten Satz. Das liegt daran, dass ein Unterschied besteht zwischen der Meinung eines Autoren zu dem, was er schreibt und dem WARUM er es schreibt. Das WARUM sollte (könnte dürfte müsste???) durchaus ersichtlich sein. Dadurch wird der Leser nicht eingeschränkt.

Nun denn, ich bin in der Verteidigung meiner Texte eher ungeschickt, hoffe aber, etwas klarer gemacht zu haben, warum ich so und nicht anders geschrieben habe.


Im Übrigen ist das Thema der "Ersatzbefriedigung" ein besonders spannendes. Ich gehe seit einiger Zeit mit der Idee für einen Essay schwanger, in dem es um das Schreiben als Kompensierung für Erlebnisdefizite geht. In der Richtung hat mir dein "Herr Doktor..." Text schon einige gute Anregungen gegeben.

Liebe Grüße

Sam

TomderTurm

Beitragvon TomderTurm » 12.12.2007, 20:19

Hallo Sam, hallo liebe Mitleser!
Seit dieser Thread läuft, mach ich mir Gedanken, ob ich mich dazu äußern soll. Ich bin ja selbst erst seit wenigen Wochen dabei, habe selbst sicherlich noch nichts gerissen. Aber der Beitrag und die bisherigen Kommentare fordern mich zu einer Stellungnahme heraus.
Ich bin mir nicht sicher, ob alle verstanden haben, was Sam da beschreibt: Ein Mönch leckt einer Frau/Statur den vaginalen Ausfluß (Menses?) von den Beinen, möchte schließlich ihren Kot essen und holt. sich dabei einen runter.
So einen Schund habe ich schon lange nicht mehr gelesen. Der einzig vernünftige Kommentar war der von Smile: Ekelig. Und ungern gelesen.
Schon von berufswegen ekele ich mich vor gar nichts. Aber diese Effekthascherei kann man nur als krasse Entgleisung bezeichnen. Jeder produziert ja mal was für die Tonne, und da gehört dies auch hinein.
Aber die weichgespülten Reaktionen hierauf, gerade von Frauen, haben mich schon erstaunt. Ich weiß nicht, ob ich hier im Salon richtig bin, ich schau mir mal die Reaktionen an, dann gehe ich wahrscheinlich doch wieder.

Thomas, ziemlich ratlos, und auch angewidert


PS Ich hab mich entschieden, bitte streicht mich aus der Mitgliederliste. Tom

Nicole

Beitragvon Nicole » 12.12.2007, 21:10

Hallo Thomas,

Da ich quasi gleichzeitig mit Dir hier eingestiegen bin, also genauso neu, erlaube ich mir, mich nun einfach mal zu äußern. Keine Ahnung, ob es hier entsprechende Benimmregeln gibt- wenn ja, sind sie mir noch nicht bekannt. Aber, so wie Dir der Kragen geplatzt ist, platz er mir gerade.
Sorry, aber eine direkte Frage: "geht's noch?" Ich kann verstehen, daß die Beschreibung, die Sam hier verwendet, nicht jedermanns Sache ist, ich steh auch nicht drauf, wenn ein Protag das Bedürfnis hat, Kot zu essen.
Und weiter? Geschrieben ist es gut, es liest sich flüssig (für mich). Soweit zum Anspruch, den ein Text in einem Literaturforum m.E.n. erfüllen sollte. Sam geht nicht so weit, ethische oder moralische Grundregeln zu verletzen. (O.k. er schrammt dran vorbei mit der Darstellung der Perversion eines kath. Priesters....aber wir wissen doch alle, das er Recht hat.)
Niemand ist gezwungen, den Text zu lesen und, sollte er nicht gefallen, diesen länger als bis zum Schlußpunkt im Kopf zu behalten. Und das wir - wir Frauen - auf diesen Text, wie Du es nennst "weichgespült" reagieren- finde ich schon fast wieder witzig.
Ich bin entspannt genug, den (mir persönlich auch missfallenden Kot) auszublenden, ich verstehe das Bild, das Sam zeichnet, das reicht mit. Ich hab mich königlich über das Bild einer intimrasierten Maria amüsiert - mein ganz persönliches Vergnügen. Und alles in allem gibt mir der Text eine Möglichkeit, ihn mit meinen eigenen Gedanken zu mischen - und meinen Inhalt daraus zu ziehen. Und wenn Sam deftige Bilder verwenden möchte, um das zu erreichen - bitte.
Ich hab kein Problem damit, das Dir der Text nicht gefällt. Ich kanns nachvollziehen und es ist okay. Das Du aber Schlüsse daraus ziehst, auf den Rest des Salons (zur Zeit also auch noch auf mich) finde ich derb, derber als jedes Bild, das Sam in seiner Geschichte verwendet hat.
Ich könnte mir auf Basis Deines Komm. auch ein Bild von Dir machen. Aber ich lasse es, es wäre nicht fair. - Vom Kommentar zu einem Text auf den dahinter stehenden Menschen zu schließen ist definitiv unter meinem Niveau.

Gruß, Nicole


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