Ein bisschen mehr Spannung
Verfasst: 16.03.2006, 21:22
„Eins zwei, cha cha cha, eins zwei, cha cha cha…“ Die Stimme des Tanzlehrers schallte durch den Raum. Er stand hinter einem Pult und hatte gerade einen seiner alten Songs aus den Achtzigern aufgelegt. Jetzt tänzelte er in die Mitte des Saals, um von dort aus ein paar seiner pseudo-witzigen Sprüche abzusondern. Ina versuchte, sich zu konzentrieren. Sie sah auf ihre Füße. „Spannung!“ sagte Mark und rüttelte an ihrem rechten Arm „Wie soll ich dich denn sonst führen?“ Ina sah ihn an. Er war groß, mindestens einen halben Kopf größer als sie. Er war kein Anfänger wie sie und die meisten anderen im Kurs, sondern ein Gastherr aus dem Tanzkreis oder der Formation. Er lächelte. Schnell senkte sie ihren Blick wieder zu Boden. „Und schau nicht so viel auf deine Füße!“ Erschrocken hob sie den Kopf. Sie war ganz rot geworden. „Okay“, stammelte sie. Über Marks Schulter hinweg sah sie sich in dem großen Wandspiegel, der die gesamte Stirnseite des Raums bedeckte. Sie sah unglaublich lächerlich aus. Sie trug ihre normalen Klamotten: eine Baggy, die uralt aussah, aber noch ziemlich neu war, ein langärmliges Camouflage-Shirt und darüber eine weite weiße Bluse. Ihre Füße jedoch steckten in silbernen Absatzschuhen. Richtigen Tanzschuhen. Ihre Mutter hatte darauf bestanden, dass sie ihre alten Turnierschuhe trug, als Glücksbringer. Sie waren am Riemen und an den Seiten mit funkelnden Strass-Steinen und Pailletten besetzt. Ina war noch nie in solchen Dingern gelaufen, ihre Füße begannen langsam weh zu tun. Außerdem erleichterten sie das Tanzen nicht gerade. Ein kurzer Blick in die Runde bestätigte Inas Verdacht: Alle anderen Kursteilnehmer trugen Turnschuhe. Sie stieß einen leisen Seufzer aus und versuchte sich wieder auf den Tanz zu konzentrieren. Ihre Hand lag längst wieder schlaff in Marks. Sie drückte ein wenig dagegen und spannte die Muskeln an. Mark nickte und lächelte ihr zu. Er schien nett zu sein. Zuerst war es Ina etwas komisch vorgekommen, mit einem Menschen, den sie vorher noch nie gesehen hatte, so auf Tuchfühlung zu gehen. Aber inzwischen fand sie die Situation überhaupt nicht mehr unangenehm. Im Gegenteil: Als die letzten Takte des Liedes erklangen, wünschte sie sich, dass es noch ein wenig länger gedauert hätte. Mark verbeugte sich vor ihr, wie sie es im Fernsehen in den alten Filmen gesehen hatte. „Du musst knicksen“, flüsterte er mit einem Augenzwinkern. Unsicher sah Ina sich um und machte schnell nach, was sie bei den anderen Mädchen sah. Den nächsten Tanz tanzte sie mit einem anderen Jungen. Ab und zu schielte sie zu Mark hinüber. Sie musste sich eingestehen, dass seine Freundlichkeit ihr gegenüber wohl nichts Besonderes gewesen war. Er lächelte allen Mädchen so zu. In der Pause ging Ina nach draußen, um ein bisschen frische Luft zu schnappen. Sie zog die hohen Schuhe aus und setzte sich auf die Treppe, die zur Eingangtür hinaufführte. Gerade hatte sie sich eine Kippe angezündet, als sie die Tür hinter sich hörte. „Hast du mal Feuer?“ fragte Mark und ließ sich neben sie fallen. „Klar“, antwortete sie und reichte ihm ihr Feuerzeug. Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander und rauchten, bis Mark seinen Kopf gegen die Mauer lehnte und fragte „Warum bist du hier?“ Ina zuckte mit den Schultern. „Weil ich tanzen will“, sagte sie und sah ihm dabei fest in die Augen. Mark lächelte. Aber das Lächeln war anders als vorher beim Tanzen. Nicht so unverbindlich, herzlicher. „Das ist ein guter Anfang. Wie alt bist du?“ „16. Und du?“ „Ich werde nächsten Monat 18.“„Tanzt du schon lange?“ „Fast drei Jahre.“ Ina zog an ihrer Zigarette „Es ist schwerer als ich es mir vorgestellt hab.“ „Das geht den meisten am Anfang so. Du gewöhnst dich dran und dann kommt es dir ganz einfach vor.“ Er warf seine Zigarette in einem hohen Bogen auf den sandigen Vorplatz. „Kommst du mit rein? Es geht bestimmt gleich weiter.“ Ina nickte, schnippte ihre Kippe mit dem Zeigefinger über das Treppengeländer und schlüpfte schnell wieder in ihre Schuhe. Dann trat sie hinter Mark in das dunkle Foyer. In der Tat waren die anderen schon wieder im Saal und hatten bereits Paare gebildet. Wie selbstverständlich nahm Mark ihre Hand und zog sie ans andere Ende der Tanzfläche. „Walzer ist ein ganz einfacher Tanz…“, brabbelte der Tanzlehrer im Hintergrund. Mark sprach den Text mit, er hatte ihn schon oft genug mit anhören müssen. „…das einzige was ihr braucht ist Spannung!“ Ina musste lachen. „Na, dann ist er ja genau richtig für uns“, grinste sie und legte ihre Hand auf Marks Schulter.