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Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Klara
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Beitragvon Klara » 23.07.2008, 21:13

Auf

Ich habe gesehen, wie flach sein Gesicht ist. Eine Dimension fehlt. Er sitzt mir gegenüber, hängt nachlässig in diesen dürren Bürostühlen, die zu läppisch sind für seine große Statur; er ist immer so präsent, so laut; seine etwas näselnde, wie leicht angeschimmelte Stimme dröhnt durch Flure und Wände, auch wenn er gar nichts Wichtiges sagt, sondern nur „lass uns das nachher kurz besprechen“ oder „stell mir bitte den Kunden xy sofort durch“ oder „ich muss um zwölf zu einem Termin“, und ich bilde mir ein zu wissen, dass er im Büro ist, auch wenn ich ihn weder sehe noch höre: Seine Anwesenheit füllt alles aus, strahlt ab, dehnt sich aus. Wenn er nicht da ist, schrumpft der Raum, weil nicht mehr so viel davon gebraucht wird. Aber jetzt ist sein Gesicht flach, sein Körper erzählt mir nichts, seine Augenringe sind kleine Säckchen, ich sehe die Poren auf seinen Wangen wie auf einem Foto in Nahaufnahme, prüfe seine Müdigkeit, seine Kraftlosigkeit; sein linker Fuß steht still am Boden, anstatt nach meiner Wade zu schieben, sein rechtes Bein hängt richtungslos über dem linken, und sogar seine hübschen dunklen Augen haben keine Tiefe mehr für mich, sind halt einfach nur Augen. Reizlos wie ein Stück Käse, der zu lange im Kühlschrank liegt, obwohl er damals in der Auslage doch so lecker aussah, Vorfreude schenkte, Geschmacksvisionen... Er hat mich auf Eis gelegt, bevor wir glühen konnten. Und mich vorher ein bisschen glücklich gemacht. Sollte ich dankbar sein.

Ich schaue hilflos seine Flachheit an und möchte plötzlich weinen: Ich verliere meine Besessenheit, sie rinnt mir durch die Finger, und hinter der Stirn drücken träge Tränen, die nicht fließen dürfen, nicht hier, nicht jetzt, und auch später nicht, denn es gibt keinen Grund außer der Langeweile.

Natürlich reden wir über etwas Anderes, und ich kann nur vermuten, dass er mich auf eine ähnliche Art „flach“ wahrnimmt wie ich ihn, wenn überhaupt (sein großes Ego - er ist erstaunlich egozentrisch für einen Über-Vierzigjährigen! – hatte mich nicht gestört, sondern gereizt, von meinem eigenen Kram abgelenkt.) Er lacht über einen Witz von mir, ich finde aber die richtigen Worte nicht, schlimmer: brauche sie nicht! und verbiete mir zu lächeln, weil ich nicht auch noch lügen mag, das haben wir nicht verdient.

Ich registriere: Am traurigsten ist nicht, dass er nichts mehr für mich hat – noch trauriger ist, wie wenig ich spüre. Diese Abwesenheit fühlt sich an wie ein Tod, der eintritt, bevor es wirklich Leben gab. Der Geschmack, den ich nicht kosten durfte, ist gestorben, und ich bedauere: Nicht mal das Verschwinden durfte ich erleben, das Sterben begutachten, und ich möchte mich auf die Knie werfen, zu Gott beten, dass es ihn gibt und schwören, hoch und heilig schwören, dass ich das nächste Mal leben will, bevor es stirbt. Darf ich? Oh bitte, schenk mir eine neue kleine Besessenheit, lieber Gott, damit ich mein Glück wieder zu schätzen weiß. (Sie wissen immer so genau, was sie tun, die Über-Vierzigjährigen.)

Ich sage „Danke“, als er aus dem Zimmer geht, beziehe mich auf die Informationen, die er mir gegeben hat (Projekte überschneiden sich, die gesagten und die ungesagten; Projekte werden überfällig, alt und sterben). Danke. Für die Freiheit. Für die Erlaubnis. Für die Weisheit. Für den Versuch. Für den preiswerten Tod. Und vielleicht auch dafür, dass ich nicht „Flachwichser“ zu ihm sagen muss.

Trixie

Beitragvon Trixie » 24.07.2008, 15:12

Hallo Klara!

Mit viel Nicken hab ich deine kleine Geschichte gelesen. Ich habe nix zu meckern, außer bei der Einleitung. Erst sagst du, dass er flach ist und ihm eine Dimension fehlt. Dann sagst du, dass er immer "groß und stark" ist und dann sagst du wieder, dass er jetzt flach ist. Das fand ich etwas verwirrend. "Er ist immer"-"Jetzt ist er", wenn, dann müsste es doch "Er war immer" heißen?
Den Titel, hm. Habe nicht ganz verstanden, was er für einen Bezug zum Inhalt hat, aber vielleicht krieg ich das noch raus ;-). Ansonsten hab ich das sehr gerne gelesen. Finde es gut durchdacht und gekonnt gesetzt. Ich finde es auch gut, dass du nicht auffällig oft "ich" geschrieben hast, was ja bei Texten aus der Ich-Perspektive (keine Ahnung, wie da der Fachbegriff ist) oft passiert.

Lieben Gruß
Trixie

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 24.07.2008, 16:32

hallo klara,

sehr gelungen finde ich diesen kurzen text und versuche jetzt nur ein bisschen zu meckern, damit meine minderwertigkeitskomplexe nicht so groß werden (kleiner schlechter scherz, oder doch nicht?)
jedenfalls, das problem, das trixie angedeutet hat mit dem widerspruch zwischen flachem gesicht und groß und präsent habe ich nicht, weil ich es so lese, dass sie jetzt eben sieht, wie flach das gesicht ist, der körper und die statur aber trotzdem kraftvoll, groß und präsent bleiben können, das ist eben ein punkt, der nicht passt, der erste schritt auf dem traurigen entdeckungsweg sozusagen.

die angeschimmelte stimme mag ich sehr, vielleicht würde ich sie sogar noch lieber mögen ohne "wie" und auch die ganzen aneinander gereihten oder, das liest sich schön. und toll auch, wie der raum schrumpft, weil nicht mehr so viel von ihm gebraucht wird.

aber das abstrahlen, da frag ich mich schon auf wen die anwesenheit eigentlich abstrahlt und wie und wieso, also eigentlich ist mir das genug, dass er so den raum ausfüllt, dass der nach seinem weggehen schrumpft, aber das ist natürlich mein problem...


Klara hat geschrieben:
Reizlos wie ein Stück Käse, der zu lange im Kühlschrank liegt, obwohl er damals in der Auslage doch so lecker aussah, Vorfreude schenkte, Geschmacksvisionen... Er hat mich auf Eis gelegt, bevor wir glühen konnten. Und mich vorher ein bisschen glücklich gemacht.


hier glaube ich, muss es "das zu lange im Kühlschrank liegt..." heißen, weil es ist ja das Stück Käse, oder?

und im vierten absatz dieses spiel mit dem pathos, dieses im richtigen moment die kurve kriegen, und das auch noch auf eine gelungene art und weise, also das bewundere ich ja ein bisschen (ein bisschen musste ich dazuschreiben, wegen der minderwertigkeitskomplexe, du weißt schon... )

ja, und jetzt ist das nicht viel geworden mit dem meckern, merke ich gerade, nur vielleicht der titel, warum "auf" und nicht "flach" oder so? das verstehe ich auch nicht ganz.

hat aber viel spaß gemacht.
danke für das vergnügen

xanthippe

Klara
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Beitragvon Klara » 25.07.2008, 08:06

Hallo Lesende,

ich freu mich :)

Trixie, deine Verwirrung wegen des Präsens hat glaub ich Xanthippe ganz gut wegkommentiert, oder?

Xanthippe, dein Kommentar bringt mich fast ein bisschen in Verlegenheit: Du schmeichelst mir! ;-)

die angeschimmelte stimme mag ich sehr, vielleicht würde ich sie sogar noch lieber mögen ohne "wie"

oh, ich bin mir selbst noch nicht sicher, ob "angeschimmelt" das Wort ist, das es genau trifft (deshalb vielleicht auch das vorsichtige "wie"). Muss ich drüber nachdenken.

aber das abstrahlen, da frag ich mich schon auf wen die anwesenheit eigentlich abstrahlt und wie und wieso, also eigentlich ist mir das genug, dass er so den raum ausfüllt, dass der nach seinem weggehen schrumpft,

Hm. Das Abstrahlen... Vielleicht müsste ich klarer machen, dass der Kerl so eine Strahle-Wirkung hat - nicht nur auf die Ich-Erzählerin. Es gibt so Leute, die werfen einen Lichtkreis um sich... Und in diesem Kreis fühlt man sich wie verstärkt wahrgenommen, intensiviert. Spotlight auf ein Stück Leben... Scheinwerfer auf ein Stück Zeit...

à propos "Stück":
Du hast natürlich Recht mit dem KäseSTÜCK, das im Neutrum steht.
Reizlos wie ein Stück Käse, der zu lange im Kühlschrank liegt,
Inhaltlich kommt mir das Maskulinum zwar richtig vor, aber dummerweise hast du fürcht ich Recht ;-)
hat aber viel spaß gemacht.
danke für das vergnügen

Danke! Wenn ein kleiner Text so viel erreicht bei einer Leserin, bin ich glücklich.

klara


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