Ein Moment

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
kppw

Beitragvon kppw » 19.11.2005, 23:41

Bruder, du schliefst ein während ich noch sprach.
Nun betrachte ich stumm dein Gesicht.
Harte Schatten und Kanten wirft das Sonnenlicht auf deine weichen, entspannten Züge.
Du hattest dir das weisse Sofakissen hinter den Kopf geschoben, darauf ist der Schatten deines Profils messerscharf ersichtlich.
Es juckt mich in den Fingern, ein Blatt Papier zu holen um die Linie nach zu zeichnen.
Würde ich dich dabei wecken?
Ruhe sanft mein Bruder, oft genug hast du dich schlaflos im Bett gewälzt.

Beides zu sehen, dein friedliches Gesicht und der dunkle Schatten auf dem Kissen wühlt mich auf.

Ich könnte dich töten, ja, erschlagen, erwürgen, erstechen oder erschiessen.
Du hättest keine Chance dich zu wehren weil du schläfst.
Du weißt es auch, dass ich das tun könnte, ich bin ein Mensch.
Unbekümmert schläfst du, mir dein wehrloses Leben anvertrauend.

Mir stockt der Atem, meine Hände verkrampfen sich und ich zittere, mehr passiert nicht.

Dein Vertrauen ehrt mich, rührt mich zu Tränen.
Unter meinem gefesselten Blick bewegen sich deine Augen, sie zucken, du träumst.
Wovon wohl, grosser Bruder?
Nie werde ich es wissen, was du nun erlebst, spürst und siehst, in diesem Moment wo ich dich intensiv beobachte. Keinen Meter steh ich von dir entfernt und doch nicht und nie in deiner Welt.

hwg

Beitragvon hwg » 20.11.2005, 07:50

Guten Morgen!

Als eher oft zu kritischer Leser, wie mir nachgesagt wird, spare ich tatsächlich mit Lob. Dein Fragment , sprachlich und thematisch überzeugend, veranlasst mich jedoch zu einem aufrichtigen Bravo-Ausruf! Bin schon neugierig auf weitere Texte von Dir.

Gruß aus der Steiermark!
Zuletzt geändert von hwg am 20.11.2005, 15:15, insgesamt 1-mal geändert.

Chloe

Beitragvon Chloe » 20.11.2005, 15:08

Hallo kppw,
wofür diese Abkürzung wohl steht? :-$
Was mir an deinem Kurztext gefällt ist die Beobachtung: Niemals jemand anders - nicht einmal oder gerade nicht seinen Bruder - völlig verstehen können, weil man ein anderer ist, diesen Gedanken habe ich auch schon oft gedacht und oft dazu gefürchtet, dass man sich vielleicht auch nur viele Einigkeiten erdenkt. Wieso könnte sonst die Vergangenes und Gegenwärtiges Erleben mit ein und derselben Person so unterschiedlich auf einen Wirken? Und was bedeutet dieser Gedanke für die Liebe...nicht ur die Bruderliebe.

Ich finde das Thema des Textes könnte eine ganze lange Erzählung tragen, einzelne Aspekte sind nur "angeblitzt" (zum Beispiel das Töten-Können, das Menschsein), man könnte sie viel mehr auserzählen. Darauf wäre ich sehr gespannt! Oder ist es gerade Absicht, die Texte so fragentarisch zu gestalten?
Viele Grüße,
Chloe

kppw

Beitragvon kppw » 21.11.2005, 22:08

Hallo HWG

Vielen Dank für dein Lob, es hat mich erstaunt und gefreut.

Hallo Chloe

Kppw steht für nichts besonderes, es sind nur meine Inizialen.

Es war mein Absicht, nur eine Skizze dem Leser vorzulegen, mehr wäre vieleicht dann schon zu viel....

Herzlichen Dank für das Lesen und Kommentieren
kppw


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