Gebet an das Licht
1.
Ich stehe wieder da, vor der Theke, ein paar Euro in der Hand, meinen Obolus für den Fährmann, der mich dafür über den Strom bringt. Nacht für Nacht, immer das Gleiche, immer über den schwarzen Strom, direkt in die Schattenwelt, in den Hades, den Tantaros, um in Freuden meine Strafe zu leben.
Ich sage „Herr Ober!“ und meine Charon den Fährmann, dem ich meinen Obulus übereiche. Ich erkenne ihn. Ich erkenne den Styx in der Zeit wieder, die dunkel vergeht und da ist das Glas, meine Fähre, die mir der Fährmann reicht.
„Denkt nur, ich sei verrückt. Denkt nur ich sei anders. Versteht mich einfach nicht. Ich kenne die Angst, die euch dazu treibt“, flüsterte ein Gott der alles versteht lachend.
2.
Ich wurde zum Minotaurus gehörnt, gekrönt, und würde gerne von Jungfrauen leben, die sich mir freiwillig zum Opfer machen, oder die man mir zum Opfer bringt, um verschont zu bleiben. Selbst die Sphinx wurde mir als Jungfrau vorgestellt. Sie stellt nun keine Fragen mehr, nicht mehr, seit jener Nacht, als ich den Nektar trank, der mir ewiges Leben verschafft für die Nacht, nicht mehr aufhören kann diesen Göttertrank zu trinken, dieses Teufelselixier von dem ich dachte, es mache mich frei von Schuld und Schuldgefühl.
Nachts bin ich im Labyrinth zuhause und kenne den Weg zu Hades und Persephone, dem Fürsten und der Fürstin der Nachtkreaturen. Und sind sie gnadenlos in ihrer Macht, so sind sie doch gegen jeden gleich in der Schattenwelt. Der Weg in die Hölle führt immer durchs Labyrinth.
Abschüssig sind die Wege im Labyrinth. Steil fallen sie ab zum Tantaros. Mich erfasst der Schwindel im Fallen, und ich falle täglich nächtlich.
Und ich dachte naiv, dass Schatten in der Nacht unsichtbar sind.
Pandora, deren Topf der Nektar entspringt, war schon vor Jahren bei mir. Ich habe sie nicht erkannt. Sie war so vertraut, so lieblich, so reizend und verführerisch, als sie kam, mich hörnte und ins Labyrinth verführte. Sie kam am Abend , ohne Dose. Sie brachte eine Flasche.
Eine Flasche, eine Flasche und noch eine Flasche.
Es war das Wasser des Lethe, dem Strom der Vergessenheit, aus dem ich seitdem trinke.
3.
Grausam erfüllt hat sich wieder die Prophezeiung des Mopsos, der unterhalb der Brust einer Göttin saß, aus der er die Zukunft sog.
Es erfüllte sich das Orakel, dass ich mir selbst geworfen habe.
4.
Ich verzichtete auf Aphrodite, die ich nie wieder sehen werde und tröste mich stets mit der Frage: Was ist denn Schönheit in der Dunkelheit der Nacht, wenn alle Katzen grau sind?
Da träume ich mir selbst die Gorgonen schön und beschwöre jedes einzige ihrer Schlangenhaare zu einem guten Gedanken, der aus deren Kopf quillt, der mich neuer Güte erreicht oder mich würgt. Ich erstarre nicht mehr, wenn ich Medusa sehe, denn ich sehe sie nur im Spiegelbild meines Glases. Ich bin Perseus, Perseus der x-te und werde sie benutzen, bevor ich sie töte, irgendwann und nutze das Glas als Schild.
5.
Es hebt sich der Tag und ich steige mit ihm aus den Tiefen der Nacht. Ich muss sie erreichen, die Brücke zum Tag, den Zustand des Lichtes, der nicht nur in meinen Augen schmerzt. Der Tag ist der Wupp, in dem ich mich sicher fühle vor den Gestalten, den Gewalten der Nacht.
Und doch ist die Freude über das Licht so groß wie die Angst davor, die Dunkelheit nicht mehr erleben zu dürfen.
An der Schwelle der Zeit kann ich mich nur schwer entscheiden, woran ich glauben, woran ich zweifeln soll.
Die Sonne bringt es an den Tag. Lass mich erwachen, Helios, Gott der Sonne, und verbiete jedem durch meine Augen in mich zu dringen.
So senke ich den Blick und versperre den Blick in mein Herz. Zu frisch sind die Spuren der Nacht. Wunden des Lasters auf der innen schwarzen Seele und Wolllust im Blut.
Ich fürchte das Licht um diese Zeit, das immer wieder die Versuche der Dunkelheit offenbart, sich in mich zu schleichen, zeigt sich als Schatten am Pranger, an der Wand, groß wie nur Schatten sein können.
Doch dann wächst die Hoffnung, dass Licht die Heilung bringt. Ich schäme mich am Tag, solange die Nachtschattenspuren sichtbar sind.
Darum, Helios!, treibe die Rosse des Wagens mit der goldenen Scheibe dem Zenit entgegen und rufe Apollon, die Lichtgestalt. Möge sein Licht mich endlich ganz durchdringen, möge das Licht über die Dunkelheit siegen, oder lass mich in ewiger Nacht.
Blende die Angst.
Verbrenne sie mit der Hitze der Sonne und zaubere ein Lächeln auf das Gesicht meines Nachbarn, damit ich zurück lächeln kann.
Dann versuche ich mein Tagewerk mit Fleiß, Verbissenheit und Verstand. Gefühllos und monoton. Ich erkenne Moral, weiß, was ich darf und spotte der Sünde. Oder wird man mich doch erkennen?
Zwinge mich zum Glauben!
Fordere meinen Mut!
Schenke mir einen starken Tag!
Lass ihn siegen über die Nacht!
Doch wenn er unterliegen muss, der Tag, wenn er flieht, gib mir die Kraft mich an ihm festzukrallen. Lass mich einen seiner Schürzenzipfel festhalten können, damit ich nie wieder ohne ihn bin.
Es zerreist mich die Nacht. Sie ist mein Tod – wenn auch ein freudiges Sterben, dass lange braucht.
Doch schenke mir den Tag, auch wenn er mich erdrückt, so sterbe ich doch sündenfrei und lebe im Himmel, nichts anderes tun als beten.
Ich liege auf geheimer Lauer, umgeben von Nebel und kann den Tag von der Nacht nicht unterscheiden, am Übergang. Es ist der Wahnsinn, sagen die Leute. Ich aber sage, es ist nur das Leben.
Schau dich an, sagen sie. Aber ich schaue nie wieder in den Spiegel. Denn einer wie ich kann sich im Spiegel nicht sehen.
6.
Es geht mir gut.
Ich fürchte nichts, solange der Tag sich nicht am Horizont zeigt. Solange kein Schimmer seiner Existenz in meine Augen sticht. Denn dann erst werde ich wieder Minotaurus und begebe mich in mein Labyrinth, in dem ich nicht verloren gehe, solange der Tag mich wieder findet.
Ich weine und meine Tränen brennen scharf auf meinen Wangen als Nachgeburt der Nacht. Und ich fürchte den Tag und ich fürchte meine Furcht am Tag vor der Nacht. Mag das Tageslicht mich endlich ganz durchdringen. Möge das Licht mich zum Leben erwecken. Ich will doch leben, möchte sehen.
7.
Niemand kann mir erklären, wie ich anders leben sollte in Gleichtakt und Gleichform und ganz ohne Nektar. Ich werde leben und unsterblich sein, in der Nacht, solange, bis ich mich selbst vergessen habe.
So trinke ich
- auf eine immer währende Nacht
- auf den Tag der ihr folgt
und finde mich im Labyrinth der Straßen, den Tiefen der Gossen, den Höhen des Tresens und lache mit Tränen ...
Gebet an das Licht
Diesen "Ausflug" in die griechische Mythologie habe ich gern gelesen, und besonders die Weise, wie er mit dem realen Leben des Hier und Jetzt verknüpft wird, finde ich gelungen.
Eine Satire, die mir einmal mehr bewußt macht, daß es im Grunde "nichts Neues unter der Sonne" gibt, wenn man es im rechten Licht betrachtet.
Gern gelesen
Gruß
Frank
Eine Satire, die mir einmal mehr bewußt macht, daß es im Grunde "nichts Neues unter der Sonne" gibt, wenn man es im rechten Licht betrachtet.
Gern gelesen
Gruß
Frank
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