Laryngitis vulgaris
Verfasst: 18.06.2009, 10:58
18/VI/2009
Laryngitis vulgaris
- eine Schluckbeschwerde -
[align=justify]Und plötzlich konnte ich nicht mehr schlucken, und der Kehlkopf schmerzte wie verätzt vom Bittersalz, es steckte fest im Hals wie vollgeschissene Windeln in einem Klosyphon, wie Rohrkrepierer, ein Pfropfen aus nicht geweinten Tränen und Teer und dem Tran der Tage, verquirlt mit Kinderkreischen und Kötergekläff, dem sopranen Jammern der Mofamotörchen und dem bedrohlichen Wummern der Dieselaggregate, und unten vom Hafen mischt sich das obertonige Kreischen der Kräne dazu wie ein zischender verkalkter Tauchsieder mit Textilkabel, der alles mühsam aufbrodelt und miteinander verschmilzt.
Früher hatten wir das mit doppeltgebranntem Lösemittel gespült, mit süßrauchigem Unterdruck beseitigt, es über den Bettrand gefickt, doch jetzt wird das chronisch, und Leverkusen hat längst das Handtuch geschmissen, und der Gilb hockt in den Laken und auf den Bronchien wie ein alles erstickender Ölfilm, und unsere Scheuleder sind ausgefranst an den Rändern wie Flaggen, die zu lange im harten Wind standen, und geben den Blick frei auf die schmutziggrauen Bandenwerbungen, endlos langgestreckt wie Ozeane oder Bergketten, die hinter den Fluchtpunkten überlaufen in stillen Kaskaden und über den Weltenrand fallen, und in uns ersticken die Lieder und Farben, und die Schlagschnüre baumeln schlaff an grindigen Kalkwänden, mit denen wir uns mit kobaltblauer Kreide die Schönheit an den Himmel gezeichnet hatten und das Singen der Vögel.
Von den Türmen herunter liefern sich Bronzeglocken und Bartmuezzins ein Gefecht wie in einer Bärbel-Schäfer-Show, und BILD faltet Platzkärtchen für Sperrsitz, Rang und Empore, aus Schweinedarm, mit Jesu' Blut gedruckt, und die richtige Endziffer gewinnt einen Sodasprudler für Brackwasser, und sofafette Weiber giggeln chipsfressend und brausesaufend und diddlemausend dazu und machen sich wildbrombeerne Strähnchen in die Dummheit, und keifen so laut im Treppenhaus herum oder an offenen Fenstern, dass niemand mehr hört, wie sich das Donnern und Grollen erhebt im Nadir.
Nur eine leichte Kehlkopfentzündung, sagte die Ärztin, doch wir wussten beide, dass es etwas anderes ist.[/align]
Laryngitis vulgaris
- eine Schluckbeschwerde -
[align=justify]Und plötzlich konnte ich nicht mehr schlucken, und der Kehlkopf schmerzte wie verätzt vom Bittersalz, es steckte fest im Hals wie vollgeschissene Windeln in einem Klosyphon, wie Rohrkrepierer, ein Pfropfen aus nicht geweinten Tränen und Teer und dem Tran der Tage, verquirlt mit Kinderkreischen und Kötergekläff, dem sopranen Jammern der Mofamotörchen und dem bedrohlichen Wummern der Dieselaggregate, und unten vom Hafen mischt sich das obertonige Kreischen der Kräne dazu wie ein zischender verkalkter Tauchsieder mit Textilkabel, der alles mühsam aufbrodelt und miteinander verschmilzt.
Früher hatten wir das mit doppeltgebranntem Lösemittel gespült, mit süßrauchigem Unterdruck beseitigt, es über den Bettrand gefickt, doch jetzt wird das chronisch, und Leverkusen hat längst das Handtuch geschmissen, und der Gilb hockt in den Laken und auf den Bronchien wie ein alles erstickender Ölfilm, und unsere Scheuleder sind ausgefranst an den Rändern wie Flaggen, die zu lange im harten Wind standen, und geben den Blick frei auf die schmutziggrauen Bandenwerbungen, endlos langgestreckt wie Ozeane oder Bergketten, die hinter den Fluchtpunkten überlaufen in stillen Kaskaden und über den Weltenrand fallen, und in uns ersticken die Lieder und Farben, und die Schlagschnüre baumeln schlaff an grindigen Kalkwänden, mit denen wir uns mit kobaltblauer Kreide die Schönheit an den Himmel gezeichnet hatten und das Singen der Vögel.
Von den Türmen herunter liefern sich Bronzeglocken und Bartmuezzins ein Gefecht wie in einer Bärbel-Schäfer-Show, und BILD faltet Platzkärtchen für Sperrsitz, Rang und Empore, aus Schweinedarm, mit Jesu' Blut gedruckt, und die richtige Endziffer gewinnt einen Sodasprudler für Brackwasser, und sofafette Weiber giggeln chipsfressend und brausesaufend und diddlemausend dazu und machen sich wildbrombeerne Strähnchen in die Dummheit, und keifen so laut im Treppenhaus herum oder an offenen Fenstern, dass niemand mehr hört, wie sich das Donnern und Grollen erhebt im Nadir.
Nur eine leichte Kehlkopfentzündung, sagte die Ärztin, doch wir wussten beide, dass es etwas anderes ist.[/align]