Wer wird Murderer? Teil 2 !überarbeitet!

Rubrik für Theaterstücke, Szenen, Sketche, Dialoge, Hörspiele, Drehbücher und andere dramatisch angelegte Texte
Lyrillies

Beitragvon Lyrillies » 21.05.2010, 00:52

Sodele, wir haben den Schluss in großen Teilen neu geschrieben und sind sehr gespannt, was ihr jetzt dazu sagt. Viel Spaß.
Für alle Fälle hier nochmal der Link zu Teil 1: viewtopic.php?p=139142#p139142


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Moderator: (betont freundlich) Aaaah Frollein Lomer, bleiben Sie doch gleich hier.

M.L: Aber -

Moderator: Nein, nein Fräulein Lomer, das ist kein Problem, wir wollten Sie sowieso gerade hereinbitten.

M.L: Achso. (In ihrer braunen Handtasche kramend) Achja – Entschuldigung, einen Moment... Warten Sie... Wo ist es denn? Ich hab es gleich... Hm, ahja... ne doch nicht – ach hier! (Sie zieht einen zusammengefalteten Zettel heraus und beginnt ihn auseinander zu falten, während sie weiterbrabbelt) Ach genau das ist es ja, sooo... Huch, nein (Sie wendet den Zettel)

PR-Mensch stößt dem GA den Ellbogen in die Seite und nickt unterdrückt lachend zur Kandidatin hin.
GA: hält den Arm des PR-M. fest, sieht ihn böse an und legt einen Finger an die Lippen.
Einer der Geschworenen öffnet ein Fenster.

M.L: Herrje tut mir Leid... (Sie dreht ihn) Oh, meine Brille! (Sie beginnt erneut zu kramen) Wo ist sie? Hm, ohje... sie muss doch hier sein, ich habe sie doch nicht vergessen? Ah hier. (Sie zieht die Brille heraus und setzt sie auf, dreht den Zettel nochmals und räuspert sich)

Moderator: (Sieht auf seine Armbanduhr) Sind Sie so weit? Gut dann können wir ja jetzt anfangen. Wie wäre es, wenn Sie sich erst einmal vorstellen?

M.L: (beginnt vom Zettel abzulesen) Ähja gut, also ich bin die Mieke Lomer, ich bin gelernte Bibliothekarin, arbeite jedoch seit März letzten Jahres als Archivarin im Stadtarchiv von Bad Kleinen. Geboren wurde ich vor dreiundzwanzig Jahren am siebten August. Ich schloss die Realschule mit guten Noten ab und begann anschließend meine Ausbildung. Seitdem wohne ich alleine in einer kleinen Einzimmer-Wohnung in der Innenstadt. Ich bin ledig und habe keine Kinder. Ich sehe gerne Kochsendungen, nähe und gehe regelmäßig zur Wassergymnastik.

Moderator: (lächelnd) Vielen Dank, Fräulein Lomer. Das ist alles sehr aufschlussreich, verrät uns aber noch nicht, was am 21. April geschah...

M.L: (sucht die entsprechende Zeile und knickt das Blatt um) Ja, ok... Ich war da ja mit Daniel zusammen, zu der Zeit. Daniel Sodecker. Er war zwei Jahre älter als ich und arbeitete bei einer Softwarefirma. Er hat gut verdient und war sehr großzügig. Einmal hat er mich sogar zum Essen eingeladen in ein richtiges Restaurant, wo man vorher reservieren musste, mit roten Tischdeckchen und gekühltem Sekt... Und er war immer so freundlich zu meiner Mutter, hat ihr Blumen mitgebracht, und -

Moderator: - Und welche Rolle spielte er genau an diesem Abend im April?

M.L: Na ich hab ihn doch runtergestoßen!

Moderator: (schweigt einen Moment) Oh. Wie kam das?

M.L: Wissen Sie, vor Daniel war ich mit Alex zusammen, so ein großer, blonder... (Sie versucht sich hinter ihrer Handtasche zu verstecken und spricht leiser) Er war nie so aufmerksam wie Daniel, er hat eben ganz für seinen Sport gelebt – Boxen. Und ich kann ja auch manchmal sehr anstrengend sein, es war ja nicht seine Schuld. Und wenn man so abgelenkt und beschäftigt ist wie er, dann kann einem schon mal die Hand ausrutschen, das ist ja kein Problem, ich hätte mich wirklich mehr zurückhalten müssen... (Sie spricht immer leiser und bricht ab)

Moderator: Aber die Beziehung war ja zuende, wie also kommt Alex jetzt ins Spiel?

M.L: Ach ich bin nie ganz über ihn hinweggekommen, ich geb' es zu, aber er ist ja auch ein starker Mann. Also jedenfalls kam er mich irgendwann wieder besuchen und wollte, dass ich zu ihm zurückkomme, aber da hatte ich ja schon Daniel, und der war doch so nett, also habe ich versucht Alex nein zu sagen, aber er weiß eben was er will und hat das nicht akzeptiert. Er hat mich immer öfter besucht. Ich habe ja alles getan damit er zufrieden war und nicht wieder böse wurde weil ich zu schwach war mit Daniel Schluss zu machen. Aber er wurde doch wieder sauer und was soll ich da schon tun? Ich hab noch versucht es Daniel zu erklären aber der hat nur gesagt, das sei schon ok, er würde mich beschützen. Also bin ich wieder zu Alex gegangen und habe ihm gesagt ich würde Schluss machen, aber da war er schon böse mit mir und hat mich rausgeworfen... ich war ganz verzweifelt, das verstehen Sie doch sicher, ich musste ja irgendetwas tun, damit er mir verzeiht, dass ich so lange gebraucht habe... Also habe ich ihm durch die Tür gesagt ich würde alles für ihn tun, wirklich alles – Und er meinte dann lachend ich solle eben Daniel umbringen, das hätte ich verdient, und ich muss ja sagen, ich fand das eigentlich ein bisschen zu heftig, aber Alex weiß was er will und ich liebe ihn immernoch, das musste ich ihm doch beweisen... (Sie wird wieder leiser) Naja, das habe ich dann also getan... Daniel joggte ja jeden Abend über die Brücke am Park, da habe ich dann auf ihn gewartet und als er sein Bein am Geländer dehnen wollte -er hat nämlich eine alte Zerrung die irgendwie nie richtig heilt- ja da habe ich ihn dann angestupft und er ist gefallen...

Moderator: Tragisch. Fragen?

Staatsanwalt: Ja... Vielen Dank für ihre eindrückliche Erklärung. Darf ich mir trotzdem die Frage erlauben, wieso es weniger Stärke erfordert jemanden umzubringen als mit ihm Schluss zu machen?

M.L.: (leicht erstaunt) Ja aber Alex hat doch... Also, ich meine, ich kann doch nicht so einfach... Wie hätte ich das...

Psychologe: ...denn Daniel einfach so sagen sollen? (er wendet sich zum Staatsanwalt) Erlauben Sie mir, die Frage zu beantworten Herr Bolke. Es gibt genügend Beispiele, wo ein Vater seine ganze Familie samt Frau und Kindern umgebracht hat, nur um nicht gestehen zu müssen, dass die Familie tief in Schulden steckte. Jemanden zu enttäuschen und jemanden umzubringen erfordert ganz unterschiedliche Arten von Stärke, eine ganz andere Art von Mut. Wie so viele war es für Frau Lomer einfacher, letztere aufzubringen. Das ist kein seltener Fall. Was viel interessanter ist, ist die Frage, wie Sie Alex überhaupt erst verlassen konnten, Frau Lomer.

M.L: Also das war so: (Sie hält sich an ihrer Handtasche fest) Erst habe ich ja bei Alex gewohnt, in seiner Wohnung, das war am praktischsten, und alles war auch wirklich schön, bis dann Alex in Gefängnis musste. Die Richter sagten, er hätte angeblich eine Frau belästigt, aber das würde er natürlich nie tun – nicht mein Alex, er hatte ja mich, nicht wahr? Und ich war ja für ihn da, wenn er mal streng werden musste dann immer nur zuhause und auch nur wenn ich ihn bei seinem Sport gestört habe, aber er hätte niemals an jemand anderen, also, nie, äh, naja, die Richter haben ihn jedenfalls eingesperrt für ganze zwei Jahre! Das war sehr schlimm für mich, sehr schlimm. Meine Schwester hat sich dann um mich gekümmert, wissen, Sie, sie wohnt gar nicht so weit weg, nur zwei-drei Stunden mit dem Auto, also bin ich für die Zeit zu ihr gezogen, ja, und da habe ich dann auch Daniel kennen gelernt. Anfangs wollte ich ihn ja gar nicht beachten, weil ich doch auf Alex gewartet habe, aber er war immer so freundlich und hat mich in das Restaurant mit den roten Tischdeckchen eingeladen...

Krimi-Autor: Aha. Und danach sind Sie also einfach seelenruhig zu ihrem Alex zurückspaziert und wieder bei ihm eingezogen, ja?

M.L.: ja aber... was hätte ich denn tun sollen?

Moderator: Dazu fiele unserer geschätzten Jury sicher einiges ein, ich muss Sie trotzdem bitten, uns jetzt wieder zu verlassen. Hier entlang. (Er führt sie zur Tür)

Psychologe: Wunderbar! Ein stimmiges Gesamtbild. Die Dame ist ein ausgezeichnetes Beispiel für die Folgen falscher Erziehung. Unselbstständigkeit und Unmündigkeit unter jungen Frauen ist ein häufiges Übel unserer Gesellschaft.

GA: (aufgeregt) Ich kann Ihnen nur zustimmen! Sie ist perfekt! Eine Frau, die einem längst überholten und leider doch noch immer in den Köpfen vieler Patriarchen präsenten Klischee des „Weibes“ entspricht: jung, blond, hübsch, unterwürfig. Gegen die hier zum Vorschein kommenden faulenden Reste männlicher Herrschaft müssen wir vorgehen! Wie kann es sein, wie können wir zulassen, dass eine junge Frau die Verantwortung über sich selbst so abgibt? Ein Skandal, der an die Öffentlichkeit gebracht werden muss.

Krimi-Autor: (klopft zustimmend auf den Tisch, daraufhin sehen ihn alle erwartungsvoll an) Ehm, ja, ja, ich fand sie auch sehr gut!

Moderator: (nickt in die Runde und vergewissert sich, dass keiner mehr etwas sagen möchte) Ich darf Ihnen dann unseren letzten Bewerber für heute Abend vorstellen: Herrn Gabriel – (er stutzt, sieht auf seine Karte) Gabriel.

(Der Kandidat öffnet die Tür, verharrt einen Moment im Türrahmen, so dass man nur eine Silhouette sieht und tritt dann ein. Die Tür bleibt offen.)
Gabriel: (lange, blonde Haare nach hinten gekämmt, steht breitbeinig vor dem Mikro, die Hände lässig übereinander gelegt.) Seien Sie gegrüßt! Ein apokalyptischer Abend möge dies werden! Der Himmel brennt – ich sehe die Asche fallen... (er sieht zum rauchenden Fotografen, der schluckt und greift schnell nach einem Aschenbecher) Diejenigen unter Ihnen die noch mit einem Götterfunken Geist gesegnet sind werden gespürt haben: Ich. Bin. Gabriel! (Ein Windstoß fährt durchs offene Fenster und schlägt die Tür zu, es gibt einen lauten Knall. Alle bis auf den Krimi-Autor zucken erschrocken zusammen)

Krimi-Autor: (Steht genervt auf und schließt das Fenster, murmelt) Ein Effekt wie aus einem Groschenroman... Dafür hätte ich mich mit 16 schon geschämt.

Moderator: (nervös seine Karten sortierend) Nun -äh- Gabriel, dann erzählen Sie doch bitte, was Sie dort oben auf der Brücke getrieben hat.

Gabriel: Getrieben? Bin ich denn ein Stück Vieh wie Ihr? Nein. Nein! Ich folge einer höheren Berufung, einem höheren Schicksal, einem höheren Sinn! Seit Äonen wandle ich unter euch sündhaften Kreaturen um euch die Fäulnis aus dem Leib zu schneiden auf dass das Antlitz der Erde rein sei am Tage SEINER Wiederkehr! Und der Feind ist überall, er lauert in jedem von euch, ständig, geduckt wartend auf den rechten Augenblick um hervorzubrechen – So auch in jenem schwachen Wurm dessen Seele schon verloren war als ich ihn sah. Wie er dastand und das helle Licht in Schwärze wandelte umhüllte ihn Dunkel. Der Abglanz Gottes, die Segnung der Ebenbildlichkeit war von seinem Angesicht gewichen... (er zögert, sucht nach Worten) …Unheil lag in der Luft! Und ich tat, wie es meine Pflicht war: Ich stürzte ihn hinab, schleuderte seinen verderbten Dämonenleib gegen die Grundpfeiler der Schöpfung auf das der Widersacher sich dieses Gefäßes nicht mehr bemächtigen konnte. Und als er dort lag, mit zerschmetterten Gliedern und vom stählernen Ross überrollt, da sah ich, dass es gut war.
Ich habe eine Schlacht, nicht aber den Krieg gewonnen! Weitere werden folgen...

Moderator: (klopft ihm auf die Schulter) Sehr gut, danke. Wirklich eindrucksvoll. Ich darf Sie bitten noch einen Moment zu bleiben und uns für Fragen zur Verfügung zu stehen. (Er sieht auffordernd zur Jury)

Psychologe: (räuspert sich, schiebt den Stuhl zurück und nimmt beim Aufstehen seine Brille ab. Die linke Hand schiebt er lässig in die Hosentasche) Herr Gabriel, sie handeln also aufgrund göttlicher Weisungen. Das ist für jemanden wie mich natürlich enorm spannend. Darf ich vielleicht fragen wie Sie diese Weisungen erhalten?

Gabriel: Einfältiger Wicht. So etwas kann nur fragen, wer von so niederem Sinne ist, sich selbst das Göttliche nach dem Vorbild des Menschlichen zu denken. Ihr seid vom Vater schon so weit entfernt, dass ihr erst nötig hättet „auf ihn zu hören“. Ich aber brauche weder Ohr noch Auge um dem Willen des Allmächtigen zu genügen. Muss denn die Hand erst hören, was das Haupt von ihr verlangt? Ich bin kein Diener seines Willens, sondern Teil davon!

Journalist: (ruft aufgeregt) Sensation! Stück von Gott verhaftet! Allerdings... (er kratzt sich am Kopf) das würde sicherlich auch unsere Leser interessieren: Herr Gabriel, wie konnte es eigentlich dazu kommen? Wie kann man Gott denn überhaupt verhaften?

Gabriel: (verächtlich) Es ist dem Menschen selbstverständlich nicht gegeben, wider den Ratschluss des Herrn auch nur einen Schritt zu tun. Das ich nun bei euch bin, in euren Mauern weile, ist eine Warnung, ein letzter Mahnruf zur Umkehr vor dem nahenden Tag des jüngsten Gerichts! Nicht Stein noch Eisen vermag mich zu halten! Ich werde euch in dem Moment verlassen, da meine Pflicht getan ist.

Richter: (von einem Aktenordner aufblickend) Sajen se mal, isch hen hier ne Papier wo drin steht dat se eijentlisch Frank Büchel heisen un inne Ruhrpott jeboren sin. Mer ham uns da ja schomma kurz jesehen, se hen ja damals eenen übern Durst jetrunken un det Telefonhäuschen umjeschmissen, ne? Wie kommt et denn dat sie plötzlisch ne Engel jewordn sind?

Gabriel: Was schert mich die Vergangenheit? Die Zeit ist der Spielplatz der Sterblichen. Gott und die Seinen sind über die Zeit erhoben! Gewiss, wenn ER uns zur Erde entsendet trägt er dafür Sorge, dass die Harmonie des Kosmos dadurch keinen Schaden leidet. Erscheint einer der Unsrigen, so finden sich stets Gründe in der Sinnenwelt, dass es genau so kommen musste. Diese „Wunder“, von denen ihr so schwärmt gehen IHM sehr gegen den Geschmack. Dass ich vor Kurzem erst erschien geht also leicht damit einher, dass Ihr mich schon seit manchem Jahr zu kennen meint.

Richter runzelt die Stirn und senkt den Blick wieder auf seine Akten. Einige Sekunden Stille.

Moderator: Sehr interessant, sehr interessant. Kommen wir zur Beratungsrunde. (Er leitet Gabriel zum Ausgang und schließt die Tür)

Psychologe: (Säubert kurz seine Brille und setzt sie wieder auf) Dieser Herr Gabriel scheint sich als von einer Variante des narzisstischen Gottheitskomplexes befallen darstellen zu wollen. Das mag zunächst für unseren Zweck unpassend erscheinen, hat aber in unserer modernen Gesellschaft der allgemein herrschenden Egomanie eine gewisse -nunja- Würze, die man nicht unterschätzen sollte. Der Mensch von heute hält sich -obzwar uneingestanden- nur allzu oft für einen Sendboten Gottes oder eben diesen selbst. Allerdings möchte ich anmerken, dass einige Aussagen unseres jungen Freundes klinisch nicht völlig korrekt waren, und man ihn also nochmals ein wenig -wie sagten Sie vorhin doch gleich? Achja- „briefen“ müsste, um ein möglichst überzeugendes Bild für die Öffentlichkeit zu zeichnen. Ich möchte Ihnen dies kurz an einigen Beispielen erläutern. Aufgrund des eben bereits genannten Umstandes des Massennarzissmus -ein furchtbares Wort übrigens-

Journalist: (unterbricht den Psychologen) Ihre tiefenpsychologischen Spitzfindigkeiten interessieren doch gar nicht, die Öffentlichkeit hat davon keine Ahnung! Die Leute denken doch, eine null-acht-fuffzehn Mystery-Sendung im Fernsehen sei ein Tatsachenbericht! Insofern halten sie den Irren hier wahrscheinlich für echter als einen klinisch Korrekten mit Vorzeige-Psychose.

Kriminologe: Die Frage ist aber doch nicht, was die Menschen glauben, sondern was wir ihnen sagen wollen. Was lernen sie denn aus einem Mordfall, in dem ein Verrückter jemand unbekannten von einer Brücke gestoßen hat? Nichts! Jedenfalls nichts sinnvolles.

Krimi-Autor: Also jetzt hören Sie mir mal alle zu, der Typ ist doch völlig daneben! Wie der schon redet, das kauft ihm doch keiner ab – und das mit dem Fenster! Grauenhaft, sage ich Ihnen! Wer nutzt denn heute noch solche Effekte? Völlig überholt! Ganz abgesehen davon, dass er auch nicht gerade so aussieht wie der Mörder von heute aussehen sollte. Lange blonde Haare, ich bitte Sie! Der gehört doch maximal noch in die hinterste Kiste auf dem Speicher zwischen Edgar Wallace und Perry Rhodan!

Fotograf: (nachdenklich ins Leere starrend) Ich glaube... Das ist doch... Oder? (Er sieht auf und spricht laut zur Jury) Ist das nicht der Mensch aus der Gold-Rahm Werbung? Die mit dem Spruch? „Ein goldener Rahmen für Ihre Gesundheit!“?

(allgemeines Durcheinander bricht aus) Na klar! Der kam mir gleich bekannt vor! … Achja, na wenn das so ist … Ha! Ich wusste es! … Da hatte er kurze Haare, nicht wahr? … Ja und einen Hut, so einen komischen … Ja dann geht das natürlich nicht, den erkennt doch jeder!

Schweigen

Moderator: (reuevoll lächelnd) Wir entschuldigen uns für dieses Missgeschick, Herr Büchel hätte natürlich niemals in die Auswahlrunde gelangen dürfen.
Aber meine Herren, da er nun ausgeschieden ist, wer dann? Wer wird unseren Unbekannten umgebracht haben? Wer ist der Mörder? Ich bitte Sie nun gemeinsam mit den Geschworenen die Entscheidungsrunde zu eröffnen und den überzeugendsten Kandidaten auszuwählen!
Ich darf Sie daran erinnern, nur gemäß ihrem Eindruck zu entscheiden. Machen Sie sich keine Gedanken über allzu neugierige Journalisten, Suchseiten im Internet oder dergleichen. Unsere PR-Abteilung wird sich um die entsprechende Datenadaption kümmern (Er nickt Herrn Schieferling und Herrn Roffe zu), sodass die von Ihnen ausgewählte Version der Tat problemlos veröffentlicht werden kann.

Krimi-Autor: Also über den Chinesen, diese Frau Menshardt, den Rollstuhlfahrer und Gabriel brauchen wir ja gar nicht mehr zu reden, die sind raus.

GA: Wieso nicht der Chinese?

Krimi-Autor: Na der hat sich doch nicht einmal vorgestellt!

GA: Ja aber nur weil Sie ihn wegen ihrer dämlichen Liste aus dem Raum geschickt haben!

Krimi-Autor: Tja. (Er grinst selbstgefällig)

Schweigen.

Verteidiger: (nachdenklich) Wenn ich es mir recht überlege, sollten wir Frau Menshardt nicht einfach so abschreiben. Ihre Story hat durchaus Potential! Und diese ganze Diskussion um Sterbehilfe und Patientenverfügungen halte ich definitiv für sinnvoller als die über unselbstständige Jungfern oder spielende Schuljungen.

Staatsanwalt: Wie meinen Sie das? Die hat doch nur Unsinn gemacht, wollen Sie sie wirklich der Öffentlichkeit zumuten?

Verteidiger: Also wenn wir ihre Geschichte etwas überarbeiten und sie dazu anhalten ihre Rolle etwas weniger affektiert zu gestalten, dann lässt sich daraus durchaus noch eine Menge machen.

PR: Ja da ist etwas dran, aus der Frau könnte man mit relativ einfachen Mitteln noch einiges rausholen – allein was es ausmachen würde ihre...

Kriminologe: (Unterbricht den PR-Menschen) Ich denke nicht, dass wir jemanden wählen sollten aufgrund von Vermutungen, wozu dieser Mensch vielleicht noch fähig wäre. (An alle gewandt) Erinnern Sie sich noch an den Ripper von Rostock? Der ganze Prozess ist uns unter den Händen zerlaufen, es war ein Desaster!

Der Richter und der PR-Beauftragte nicken zustimmend

Geschworener1: (erstaunt) Dieses spektakuläre Fehlurteil?

Kriminologe: Da sehen Sie woran sich die Leute erinnern. Damals haben wir die Rolle ebenfalls einem Kandidaten übertragen, der uns zunächst nicht geeignet schien. Herr Roffe, wenn ich mich recht erinnere waren Sie beauftragt, den Herrn daran zu gewöhnen sich im Gebrauch der rechten Hand zurückzuhalten. Leider war bereits bekannt, dass die Opfer von einem Linkshänder ermordet wurden. Hat unser Mann seine Aufgabe denn gut ausgeführt?

PR: (unangenehm berührt) Nein. Er hat ständig mit Rechts unterschrieben.

Geschworener1: Aber... Wenn er nicht der echte Täter war, wieso hat die Mordserie dann aufgehört nachdem Sie ihn verhaftet haben?

PR: Na der echte wurde doch liquidiert! Schon Wochen vor der Auswahl!

Stille. Alle sehen überrascht den PR-Menschen an. Der errötet. Der Kriminologe funkelt ihn böse an. Der Richter räuspert sich.

Richter: Herr Roffe, se wissen aber schon, dat se...

PR: (springt auf) Es tut mir Leid, tut mir leid! Ich hätte das nicht sagen dürfen!

Richter: (guckt in die Runde) Mer wärn ja alle net hier, wenn mer net die Schnüss halten könnten...

Geschworener2: (ruft) Aber wieso haben Sie denn nicht den richtigen Täter genommen, wenn Sie ihn doch hatten?

Kriminologe: Das hätte keinen Sinn ergeben, er war unbrauchbar.

Geschworener2: (irritiert) inwiefern unbrauchbar?

Kriminologe: (seufzt, von oben herab, belehrend) Wissen Sie, gestraft wurde schon immer überall auf der Welt, aber der Sinn ist niemals der gleiche. In unserer Zeit nun dienen Gerichtsprozesse und Strafen vor allem folgenden Zwecken (er zählt sie an den Fingern ab): Der Kanalisierung der allgemeinen Empörung; Der Behauptung des Staates; Der Abschreckung; Und der Erziehung des Volkes. Zu nichts davon war sie (Der PR-Mensch hebt erstaunt den Kopf, der Richter hebt eine Augenbraue) zu gebrauchen. Und zu „bessern“ (er spricht das Wort mit sehr deutlicher, wenn auch distanzierter, Abscheu während er zum Psychologen hinüber schielt) war da auch nichts.

Moderator: Sie sind also der Meinung, Herr Pfeiffe, man sollte nach der tatsächlichen Präsentation eines Kandidaten gehen und nicht nach dem, was er vielleicht darstellen könnte. Bevor wir uns aber zu sehr in einen bereits abgeschlossenen Fall vertiefen, möchte ich vorschlagen, dass wir uns der aktuellen Angelegenheit zuwenden.

PR: Recht haben Sie! Ich möchte jetzt doch noch mal auf Gabriel zu sprechen kommen - ablehnendes Geraune – Jaja ich weiß, aber was ist eigentlich so schlimm daran, dass er bekannt ist? Ich meine, ein bekannter Schauspieler kann doch auch Straftaten begehen! Außerdem würden die Maskenbildner ihn doch schminken, den erkennt nachher keiner mehr.

Kriminologe: (genervt) Wir hatten uns doch bereits geeinigt, dass man aus ihm nichts lernen kann und er daher nutzlos für unsere Zwecke ist. In dieser Hinsicht wäre jeder geeigneter als der!

Krimi-Autor: (ruft laut) Auch der Chinese? (lacht)

Psychologe: (ignoriert den Krimi-Autor) Keineswegs! Sie hatten sich darauf geeinigt, Herr Pfeiffe! Wie ich bereits vorhin auszuführen versuchte, spiegelt sein Verhalten viel mehr auf überdeutliche Weise eine unserer Gesellschaft zugrunde liegende Geisteshaltung wider, die nahezu jeder in deutlicherer oder undeutlicherer Form kultiviert.

Journalist: (winkt ab) Ich weiß, wir halten uns alle für Gott! Und was sollen wir dazu schreiben? Etwa „Nehmen Sie sich nicht so wichtig – mehr Sinn für die Gemeinschaft“? Sie überschätzen unseren Einfluss Herr Psychologe! Den Egoismus werden wir nicht ausrotten können.

Psychologe: Darauf wollte ich auch nicht hinaus, mein Anliegen war vielmehr –

Krimi-Autor: (unterbricht) Merken Sie nicht, dass Sie auf verlorenem Posten stehen? Wenn Sie für Gabriel stimmen wollen dann tun Sie es doch – Sie werden der Einzige sein.

Psychologe: Jetzt hört's aber auf! Es ist wirklich erschreckend wie Sie alle hier auch schon das leiseste Anzeichen von Kompetenz im Keim ersticken! Die Mörder von heute werden also von desinteressierten Fachidioten ausgewählt, ja? Kein Wunder, dass das schief geht!

Krimi-Autor: Wenn Sie einen Fachidioten sehen wollen gucken Sie mal in den Spiegel!

(Psychologe lehnt sich mit verschränkten Armen in seinem Stuhl zurück und sieht demonstrativ zur Decke)

Moderator: Bitte bemühen Sie sich um einen sachlichen Ton, meine Herren. Es verbleiben Frau Mieke Lomer, die Herren Thomas und Winfried Mosse, Herr Francis LeRoinne, Jonathan Löwenthal und Herr Manfred Mustermann.

Krimi-Autor: Doch nicht der Mustermann! So einen durchgeknallten Bürohengst mit dubiosen Motiven können wir nicht gebrauchen! Oder ist da jemand von Ihnen anderer Meinung? (Er sieht forschend in die Gesichter)

Der Journalist kritzelt abgelenkt auf einem Blatt herum, der Richter klopft gelangweilt mit seinem Kuli auf den Tisch. Niemand sagt etwas.

Geschworener1: (räuspert sich, selbstbewusst) Also ich bin ja sehr dafür, dass wir uns nochmal über den Jungen unterhalten. Man darf diese Computerspiele einfach nicht unterschätzen. Wenn ich mir ansehe, was mein Enkel da jeden Tag nach der Schule spielt – widerwärtig ist das! Es ist wirklich kein Wunder, dass die Jugend von heute so gewalttätig ist, ich jedenfalls wundere mich nicht über die Amokläufe, da gehen sie einfach wie im Spiel in ein Gebäude und knallen alle ab, was ist schon dabei? Sie lernen es ja nicht anders, es ist wie im Mittelalter, nur der Stärkere überlebt und das ist eben heute der mit der dicksten Knarre, und dann schießen sie sich gegenseitig ab, wie neulich im Fernsehen, da haben sie es doch wieder gezeigt.... (G1 wird leiser und verstummt schließlich ganz als er/sie die starren Blicke der Jury bemerkt)

GA: (räuspert sich) Äh, vielen Dank. Kommen wir doch mal zu Mieke Lomer. Sie war wirklich überzeugend und hat eindrucksvoll gezeigt, dass es bis zur tatsächlichen Emanzipation der Frau noch ein weiter Weg ist, mit ihrer Verhaftung würden wir die Frauen unseres Landes motivieren, sich zu wehren, Stärke zu zeigen. Es ist wirklich unerlässlich, dass wir am Frauenbild unserer Gesellschaft aktiv arbeiten!

Journalist: (schnaubt ungläubig) Motivieren? Sie glauben ernsthaft, dass es andere Frauen motiviert, wenn sie sehen müssen, dass eine, die es nicht geschafft hat sich aus der Unterdrückung zu befreien, jetzt dafür ins Gefängnis gebracht wird während ihr Freund ungeschoren davon kommt? Was ist mit unserem Gesetz zur Anstiftung zum Mord?

Kriminologe: Ich kann Ihnen nur beipflichten, Herr Schieferling. Was der Staat zur Emanzipation der Frau getan hat, ist alles, was er tun kann. Den Rest müssen wir doch den Individuen selbst überlassen. Wir können ihr Leben nicht für sie regeln. Anders sieht es mit der Gewaltverherrlichung in den neuen Medien aus. Die Tatsache, dass der Staat seine Macht hier nicht voll ausschöpft stellt uns letztendlich vor ein viel größeres Problem: Nämlich die Verwahrlosung unserer Jugend! Daher bin ich der Meinung, wir sollten uns besser mit Jonathan Löwental befassen, wie der Herr aus den Geschworenenrängen sehr richtig erkannt hat.

GA: Das ist doch alles Unsinn! Was hat der Staat denn schon getan? Sehen Sie etwa eine einzige Frau in unserem Gremiun? Und wie viele sehen hinten auf den Rängen bei den Geschworenen? Hm? Was tut der Staat? Es ist eine Schande! Und genau das können wir mit dem Fall von Mieke Lomer zeigen! Wir können uns der Jugend nicht sinnvollerweise zuwenden, solange die Probleme der Elterngeneration diese noch nachhaltig beeinflussen! Erst müssen wir uns um die Frauen kümmern, bevor wir auch nur versuchen können, ihre Kinder zu bessern.

PR-Mensch: Das ist doch egal, ob wir zuerst die Eltern oder die Kinder erziehen sollten, wichtig ist, wer besser ankommt! Ich sage, wir nehmen den Jungen!

Journalist: Meinen Sie nicht ein naives kleines Blondchen mit stark devoten Neigungen ist da besser geeignet? Sex sells? Hm? (Er zwinkert zum GA rüber)

Der GA springt auf und wirft wütend eine Tasse nach dem Journalisten. Er verfehlt ihn deutlich. Der Journalist duckt sich erschrocken weg. Einer der Sicherheitsleute geht schnell herüber, drückt den GA sanft aber bestimmt wieder auf seinen Platz und flüstert ihm was ins Ohr. Der GA beruhigt sich wieder, der Richter hat sich währenddessen vorgebeugt und blickt den GA kritisch an.

Fotograf: (Kaugummikauend) Äh, ich finde den Kleinen auch besser, die Frau hat so grässlich helle Haare und auch noch so helle Haut, da muss ich immer so viel nachbearbeiten...

Geschworener3: Aber wir können doch einen Minderjährigen nicht einfach so unschuldig ins Gefängnis stecken!

Kriminologe: Tun wir ja auch nicht! Wir stecken niemanden ins Gefängnis! Wer auch immer am Ende gewählt wird, wird in der Maske etwas zurecht gemacht, dann werden ein paar Fotos geschossen, er oder sie kommt in alle Zeitungen, wird verurteilt, abgeführt und geht danach wieder nach Hause.

Geschworener3: Wie nach Hause?

Kriminologe: (genervt) Na wohin denn sonst? Es liegt ja nichts gegen die Menschen vor!

Geschworener3: Aber es wird doch am Ende einer wegen Mordes verurteilt?

Kriminologe: Ja aber der Schauspieler doch nicht! Jeder Bewerber hier hat sich eine Geschichte ausgedacht und derjenige, den er darin spielt, der wird am Ende verurteilt. Das heißt konkret, es wird eine öffentliche Verkündung geben, es werden Interviews geführt, ein paar hitzige Debatten losgetreten und so weiter und so fort bis sich das Interesse der Öffentlichkeit wieder beruhigt hat. Und wenn doch noch mal jemand mit dem Gewinner sprechen will, nimmt der eben kurz seine Rolle noch mal an, lässt sich in einer Zelle im Gefängnis befragen und geht danach seelenruhig wieder an die Arbeit.

Geschworener3: (kleinlaut) Achso.

Moderator: Was denken denn unsere anderen Jury-Mitglieder? Herr Bolke? Herr Kurtz? (Er sieht auffordernd zum Staatsanwalt und dem Verteidiger)

Staatsanwalt: Ich stimme für die Zwillinge! Dem Herrn Kurtz müssen mal ein Paar Manieren beigebracht werden! (Er grinst zum Verteidiger)

Verteidiger: Ha! Dann wähle ich die auch! Ihnen werd' ich's zeigen, Herr Bolke! (Er lacht zurück)

Moderator: (wartet kurz, niemand sagt etwas) Nun gut, kommen wir zur Abstimmung! Meine Damen und Herren Geschworenen, liebe Jury, vor sich sehen sie jeweils einen gelben Zettel. Ich möchte Sie nun bitten, ihre Stimme abzugeben. Kreuzen sie einfach ihren Favoriten an, falten Sie den Zettel einmal und werfen Sie ihn hier in die Urne neben mir.
Wenn jeder seine Stimme abgegeben hat, werden wir unverzüglich zur Auswertung schreiten.

Es folgt allgemeines Papiergeraschel, nach und nach geht jeder nach vorne und gibt seinen Zettel ab. Nachdem alle gewählt haben, öffnet der Moderator die Urne, und fängt für sich auf einer für die Wähler und Kandidaten unsichtbaren Flipchart (für die Zuschauer sichtbar!) an die Zettel auszuwerten. Dazu macht er neben jedem Namen eine Strichliste. Während der Auswertung werden die (nun abgeschminkten und umgezogenen) Kandidaten zurück in den Raum geholt und stellen sich an der Seite auf: Der Rollstuhlfahrer Francis LeRoinne steht jetzt ohne jede Gehhilfe sympathisch lächelnd am Rand, neben ihm der Chinese Li Wang, jetzt ausschließlich noch an seinen leicht asiatisch anmutenden Augen erkennbar. Daneben Jonathan Löwenthal, im rosa Lacoste-Hemd mit gebügelter Hose, und Mieke Lomer im rockigen Motorrad-Outfit. Die anderen sehen aus wie zuvor.

Francis LeRoinne: (flüstert) Entschuldigung... Wer sind Sie eigentlich?

Li Wang: (grummelig) Der Chinese... Und Sie?

F. LR: Der Rollstuhlfahrer.

Sie wenden sich wieder der Auswertung zu. Die nähert sich ihrem Ende. Das Licht wird gedimmt, und als die Auszählung beendet ist ertönt ein kurzer, dramatischer Ton.

Moderator: Meine Damen und Herren, wir haben einen Gewinner! Einer unserer Kandidaten hat es geschafft, mit großer Mehrheit haben Sie ihn zum Mörder gewählt. Wer es ist – das verrate ich Ihnen gleich. Zunächst einmal auf Platz vier, mit einer Stimme: Gabriel! Der apokalyptische Gesandte Gottes! Applaus! (Gabriel tritt vor und verneigt sich gekonnt, er lächelt. Nachdem der Applaus abgeflaut ist spricht der Moderator weiter) Auf Platz drei, mit insgesamt drei Stimmen: Unser deadly-double, die Zwillinge, Thomas und Winfried Mosse! (Es wird wieder geklatscht, die beiden verbeugen sich simultan) uuuund auf Platz zwei, mit ganzen vier Stimmen: (er legt eine Kunstpause ein) Mieke Lohmer! (Sie springt auf, ruft laut „Yeah!“ lässt sich schwungvoll auf die Knie fallen und schlittert ein Stück auf das Publikum zu) Und nun meine Damen und Herren: Die spannende Frage, wer hat es geschafft, wer ist derjenige welcher – wer ist Der Mörder? (Ein Trommelwirbel ertönt, der Moderator holt tief Luft und ruft dann laut) Kevin Hilsoff!! (Jonathan springt auf, reißt überrascht die Arme nach oben und freut sich lautstark, während heftiger Applaus ertönt. Seine Mitstreiter drehen sich übertrieben lächelnd zu dem Jungen um und gratulieren und umarmen ihn.)

Moderator: (nachdem der größte Tumult abgeflaut ist) Meine Damen und Herren, liebe Kandidaten, wir danken Ihnen für ihre Teilnahme, für ihr Engagement und ihre Aufopferung. Wir danken außerdem den Geschworenen für ihren gemeinnützigen Einsatz und ihre Entscheidungshilfe und natürlich unserer Jury für ihre harte Arbeit und die Findung eines passenden Mörders! Danke! Vielen Dank und damit möchten wir uns verabschieden. Fall gelöst!
(Die Kandidaten gehen ab)

Moderator: (nun etwas leiser) Jonathan, bitte hier entlang (Er führt ihn zu einer kleineren Tür, an der bereits zwei Männer in Polizeiuniform warten).

Vorhang zu.

Vorhang auf.

Auf der Toilette: Es gibt mehrere Kabinen, alle sind geschlossen. An den Pissoirs stehen ein Geschworener und der Kriminologe.

Geschworener4: (Sein Gesicht unsicher mal halb dem Kriminologen zuwendend, mal wieder abwendend. Schließlich:) Entschuldigung?

Kriminologe: (grunzt auffordernd)

Geschworener4: Dürfte ich sie mal etwas fragen?

Kriminologe: Ja bitte?

Geschworener4: Was ist denn eigentlich mit dem echten Täter?

Kriminologe: Haben Sie vorhin nicht zugehört? Nichts, niemand interessiert sich für ihn.

Geschworener4: Aber was ist, wenn er noch mal zuschlägt?

Kriminologe: Das ist sehr unwahrscheinlich. In einem Fall wie diesem besteht so gut wie keine Wiederholungsgefahr, und dann ist es auch nicht schlimm den Täter laufen zu lassen – außerdem, nach meinen Informationen deutet sowieso alles auf einen Unfall hin.

Geschworener4: Und weshalb veranstalten wir dann überhaupt diesen Zirkus?

Der Kriminologe wendet sich ab und schließt den Reißverschluss.

Kriminologe: Weil wir den Leuten nicht einfach sagen können, dass es ein Unfall war – sie glauben an einen Täter, einige wollen ihn ja sogar selbst gesehen haben. Sie brauchen diesen Täter gewissermaßen um das Gefühl der Unsicherheit in Griff zu kriegen, das durch den Vorfall entstanden ist. Mit Kevin haben sie jemanden, dem sie die Schuld geben können.

Geschworener4: Aber ist es denn richtig einem Unschuldigen die Schuld eines anderen aufzubürden?

Kriminologe: Sie sind mir einer! als ob Schuld etwas wäre, was am Menschen klebt! Moralische Schuld ist ein metaphysisches Märchen. Das was wir Schuld nennen ist ein gesellschaftliches Konstrukt! Denken Sie doch nur mal an die Hexenprozesse: wenn die Ernte schlecht war hat man einfach irgendeinem Unschuldigen die Schuld in die Schuhe geschoben und ihn verbrannt. Schuldzuweisungen geben uns den Eindruck, wir hätten die Kontrolle über eine Welt, in der wir eigentlich hilflos sind.

Geschworener4: Aha! Sie sagen „irgendeinem Unschuldigen“ - aber dann muss Schuld doch etwas anderes sein als Sie behaupten, wie könnten Sie sonst sagen, die Frauen seien unschuldig gewesen?

Auch der Geschworene schließt seine Hose und folgt dem Kriminologen zu den Waschbecken. Sie waschen sich die Hände.

Kriminologe: (seufzt genervt) Aus heutiger Sicht sind sie unschuldig! Aber ich sehe schon, Sie sind ein unverbesserlicher Romantiker. Also nehmen wir das Märchen der moralischen Schuld mal an: Selbst vor Gottes Gerichtshof kann ein Unschuldiger, also in unserem Fall Jonathan, problemlos diese Schuld übernehmen, immerhin beruht das ganze Christentum auf der Idee so eines Ereignisses! Unsere aufgeklärte Strafpraxis ist den ganzen veralteten Einstellungen von Gerechtigkeit und Schuld weit überlegen! Deshalb veranstalten wir diesen „Zirkus“!

(Der Kriminologe wendet sich ab und öffnet die Tür)

Kriminologe: Sie sehen, es ist in keiner Hinsicht schlechter, sondern in vieler Hinsicht besser es so zu machen wie wir.

Der Kriminologe geht aus dem Raum, die Tür fällt zu. Der Geschworene bleibt für einen Moment hinter ihm zurück.

Geschworener: Aber es ist nicht die Wahrheit...

Der Geschworene verlässt die Toilette. Kurze Zeit später kommt der Richter aus einer der Kabinen und geht zum Waschbecken. Er blickt in den Spiegel und seufzt: „Was ist Wahrheit?“ bevor er sich hinunterbeugt um seine Hände zu waschen.

Vorhang.

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 17.06.2010, 18:11

Hallo Lyrillies, hallo Merlin :-)

Jetzt habe ich mal ruhige fünf Minuten mit dieser neuen Version verbracht... gefällt mir eigentlich gut, alles ist stimmig aufeinander bezogen. Einzig der doch sehr "bücherne" Ton, in dem geredet wird (sehr viele Nebensätze etc), irritert mich manchmal und lässt den Text fern erscheinen.

Ferdigruß!

PS Die Zeichensetzung könnte eine Drübersicht ziemlich gut gebrauchen ;-)
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 17.06.2010, 21:27

Hallo Ferdi,
fünf Minuten! Sieh lieber mal nach, ob du damit nicht einen neuen Schnellleserekord aufgestellt hast! :-)
Freut mich, dass es jetzt ein harmonisches Ganzes bildet. Der Tonfall wurde auch schon von anderen moniert und ist vermutlich zum größten Teil meine Schuld :pfeifen: . Ich denke, für einige der Figuren, die sich einer betont gewählten und gelehrten Ausdrucksweise bedienen (etwa der Kriminologe) ist es ganz in Ordnung, zu "reden wie ein Buch", auch wenn zwischen "elaboriert" und "büchern" sicher noch eine feine, aber klare Trennlinie verläuft. Da werden wir uns beizeiten noch darum kümmern, die Sätze für einige einfacher, für andere mehr nach echtem gebildeten Sprechen klingen zu lassen.
Die Interpunktion können wir bei der Gelegenheit dann auch gleich korrigieren.
Vielen Dank für deine Anmerkungen!
Merlin


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