Aida in Steinbach an der Werre

Rubrik für Theaterstücke, Szenen, Sketche, Dialoge, Hörspiele, Drehbücher und andere dramatisch angelegte Texte
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Cicero
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Beitragvon Cicero » 29.01.2012, 15:00

Aida in Steinbach an der Werre
Handylog für einen Generalintendanten

"Landestheater Grafenau, Doktor Brunner ... Ja, ich bin es, der Intendant ... Ach, Sie sind es, Herr Kollmann, was gibt es denn? ... Sie sind schon in Steinbach, das ist schön ... Probleme, wieso Probleme? ... Die Bühne ist zu klein für die Kulissen? ... Das verstehe ich nicht! Die Pyramiden zu hoch? ... Dann lassen Sie sie einfach weg ... Ich lasse Ihnen da völlig freie Hand, schließlich sind Sie der Bühnenmeister ... Schütten Sie wenigstens ein bisschen Sand auf die Bühne, damit es ein wenig nach Ägypten aussieht ... Die Palmen sind auch zu groß? Kinder, Kinder, da wollen die kleinen Städte immer große Oper, aber in ihre Kulturhäuser passt gerade mal die Augsburger Puppenkiste ... Stellen Sie wenigstens zwei Kakteen an die Rampe, etwas Grün macht sich immer gut ... Der Orchestergraben ist auch zu klein? Was ist denn musikalisch überhaupt möglich? ... Der Generalmusikdirektor auf der Blockflöte? ... Das ist mir ein wenig zu dünn, musikalisch ... Na, ja, kleines Keyboard, damit kann ich leben ... Wieso ist denn die Aida indisponiert? Hat im Bus wegen der Klimaanlage ihre Stimme verloren? ... Kollmann, man kann nur etwas verlieren, was man mal gehabt hat ... Der Tenor singt aus dem Off? Ja, wieso denn das? ... Die Auftrittsgassen zu schmal? Das kommt davon, wenn man immer dem Pavarotti nacheifert, nein, nicht beim Singen, beim Essen ... Kein Platz für die Elefanten beim Triumphmarsch? ... Wie viele sind denn vor Ort? Vier? Ich habe doch schon vor Wochen gesagt, maximal zwei Elefanten mitnehmen ... Nein, die Tiere werden dem Publikum nicht vorenthalten ... Errichten Sie vor dem Theater einen Streichelzoo ... Aber doch nicht für das Publikum, Kollmann, für die Elefanten ... Nein, den Triumphmarsch können wir nicht ausfallen lassen, das ist doch der Höhepunkt der Oper ... Wenn die Bühne zu klein ist, dann wird er als Open-Air-Veranstaltung nach der Vorstellung auf dem Hauptplatz von Steinbach nachgereicht ... Ach, Steinbach hat gar keinen Hauptplatz? Da folgt ja Katastrophe auf Katastrophe ... Moment, Kollmann, ich habe da eine glänzende Idee, es wird Zeit, dass Steinbach ein großes, neues Theater bekommt ... Wir disponieren um. Ich schicke Ihnen schnellstens die Schauspieltruppe nach Steinbach, Sie setzen sich mit der Feuerwehr vor Ort in Verbindung, Punkt 20 Uhr wird das alte Kulturhaus abgefackelt, und vor dem brennenden Hintergrund spielen wir `Biedermann und die Brandstifter`, also, Kollmann, frisch ans Werk."

:-)
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 30.01.2012, 23:30

Hi Cicero,

der "Alltagswahnsinn" eines Intendanten. Finde ich herrlich überzogen, sehr einfallsreich an Details und dazu noch so schön bildhaft.
Habe ich sehr amüsiert gelesen. :daumen:

Saludos
Gabriella

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 31.01.2012, 00:15

Er soll es mal machen wie die Mainzer Oper. Die haben kein Geld für Bühnenbild etc., also stellen sie einen Sessel in die Ecke, richten einen Scheinwerfer drauf, lassen die Sänger im Casual-Look an der Rampe singen und nennen das Neuen Minimalismus.

Grimmige Grüße
Zefira (hat den Text genossen)
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
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Cicero
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Beitragvon Cicero » 31.01.2012, 13:22

Hallo Gabriella und Zefira,

herzlichen Dank für Eure Rückmeldung, schön, dass Euch mein kleiner "Handylog" zum Schmunzeln brachte. ;o)

Liebe Grüße
Cicero
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Gerda

Beitragvon Gerda » 07.02.2012, 11:37

Hallo Cicero,

ich finde es köstlich, sehr lebensecht beschrieben.
Natürlich wollen kleine Bühnen auch großARTige Sachen spielen. Sie müssen ums Publikum buhlen, was sonst in die nächst größere Stadt fährt, in der man etwas besseres als Provinztheater zu sehen bekommt.

Dein Text regt bei allem Amusement aber auch zum Nachdenken über den Kultur-Wahnsinn an ...

Es gibt Lösungen, ganz sicher auch für kleine Bühnen. Sie sollten sich die "richtigen" Stücke heraussuchen, damit besonders glänzen (harte Arbeit) und nicht in den Wettbewerb gegen große Bühnen treten. "Nische" heißt hier, wie andernorts oft auch, das Zauberwort.

Liebe Grüße
Gerda

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Cicero
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Beitragvon Cicero » 07.02.2012, 14:55

Hallo Gerda,

herzlichen Dank für Deine Rückmeldung, mit dem Kultur-Wahnsinn sprichst Du mir aus der Seele. ;o)

Die richtige "Nische" finden, ambitionierte Ensemble-Pflege und ein Spielplan, der das Abo nicht in die Flucht schlägt, damit kann ein kleines Theater sicher punkten.

Liebe Grüße aus der "Provinz"
Cicero
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