Regen-Duett
(Eine abendliche Fußgängerzone in einer Kleinstadt nach Ladenschluss. Die Straßen sind leer, nur hier und da ist noch ein einzelner Passant auf dem Heimweg. Ein junger Mann betritt die Szene, zögert, hält inne.)
Er: „Die Sonne sinkt! Es naht die Zeit der Diebe
Der Dunkelheit, der Träume – und der Liebe!
Mit ihrer Kraft, die Musengunst verleiht
Habe ich wacker Vers an Vers gereiht
Und nun bin ich bereit! Heut will ich’s wagen
Zu ihr zu geh’n und es ihr vorzutragen!
(Er stockt kurz, atmet tief durch.)
Nur zu – dann bin ich ein paar Minuten da…“
(Eine junge Frau tritt um eine Ecke auf die Straße. Sie schaut auf ihr Telefon und trägt Kopfhörer, so dass sie den jungen Mann nicht bemerkt, obwohl sie nur einen knappen Meter vor ihm an ihm vorbei geht. Der Mann erstarrt in der Bewegung.)
Er: „Oh Himmel! Seh ich recht? Da ist sie ja!“
(Sie geht weiter, er, von ihr unbemerkt, folgt ihr auf dem Fuße mit großen Augen, offenem Mund und einem halben Schritt Abstand.)
Da geht sie, schwebt, wie’s nur ein Engel tut
–und ach, ich merk’s – schon schwindet mir der Mut!
Wohl übt ich meine Rede vor dem Spiegel – stundenlang!
Doch nun, da ich sie sehe, wird mir bang!
Ich spür, dass mir, der sonst doch so beredt
Vor ihr kein einzig Wort über die Lippen geht!“
(Er bleibt stehen, wendet sich halb von ihr ab und kratzt sich am Kopf.)
Er: „Wie mach ich’s nur, das ich trotzem was sagen kann?“
(Seine Miene hält sich auf, als sei er erleuchtet worden.)
Er: „Ich hab’s! Ich seh sie einfach gar nicht an!“
Ich trete vor sie, werde kurz sie grüßen
Und dann, bis ich geendet, meine Augen schließen!
Auch meine Ohr’n halt ich mir zu, denn wer nichts hört
Bleibt – wie Odysseus – selbst von Engelsstimmen unbetört.“
(Er tritt wieder hinter sie, die inzwischen stehen geblieben ist und von ihrem Telefon in den Himmel schaut. Sie verzieht das Gesicht. Er hebt kurz den Arm, wie um sie anzutippen, lässt ihn dann aber wieder sinken und setzt stattdessen, während sie mit dem Rücken zu ihm steht, ein gewinnendes Lächeln auf.)
Er: „Heda! G’rad war ich auf dem Weg zu dir nach Haus!“ (Er schließt die Augen und presst sich die Hände auf die Ohren.)
Sie (weiter mit dem Rücken zu ihm, nach oben schauend): „Was für ein Kack! Es sieht nach Regen aus!“
Er: „Und nun treff' ich dich hier! Ist das ein Zeichen?“
(Es wird dunkler. Man hört einen aufkommenden Wind.)
Sie: „Mist! Bis nach Hause wird die Zeit nicht reichen.“
Er: „...dass Himmelsmächte dem gewogen sind...“
(Man hört von fern ein Grollen.)
Sie: „Es fängt schon an zu donnern! Menschenskind...“
Er: „...der sich ein Herz fasst. Also will ich's wagen...“
Sie (wütend): „Ich könnt dem Wetterfritz eins in die Fresse schlagen!“
Er: „… dir, oh, Du süße, zarte, wunderschöne Rose,“
Sie: „Kein Wort von diesem Dreck in der Prognose!“
Er: „...nun endlich doch mein Herz zu offenbaren!“
Sie: „Verdammt noch eins! Wär' ich doch Bus gefahren!“
(Er zögert erneut, tritt von einem Fuß auf den anderen.)
Er (Zu sich, um sich Mut zu machen): Nur weiter jetzt! Solche Gelegenheit ist selten!
Sie: „Ich hab echt keinen Bock, mich zu erkälten!“
Er: „Auf denn! Schönste! Auf ein Wort! Ich will dir sagen...“
(Es donnert erneut. Zugleich setzt ein heftiger Regenguss ein.)
Sie (zuckt zusammen): „Igitt! Jetzt läuft mir Wasser in den Kragen!“
Er (mit wieder wachsendem Mut): „Dass ich, seit ich dich erstmals sah...“
Sie (zieht den Kragen hoch, um ihren Hals zu schützen): „Kalt, nass und windig! Pfui! Pfui Deibel! Bah!“
Er: „...beständig daran denke, dass wir zwei...“
Sie: „Ich hoffe nur, ich hab mein Cape dabei!“
(Sie öffnet ihre Handtasche. Zugleich setzt ein Windgeheul ein.)
Er: „...geschaffen sind, um Hand in Hand zu gehen.“
(Er verstummt, weil er den Text vergessen hat.)
Sie: „Wie? Spricht da wer? Ich kann kein Wort verstehen...“ (Sie nimmt die Kopfhörer aus den Ohren.)
(Er nimmt eine Hand vom Ohr, um seine Augen von ihrem Anblick abzuschirmen. Mit der linken holt er einen Zettel aus der Hosentasche und faltet ihn auf. Dabei bewegt er stumm die Lippen. Sie lauscht kurz in den Wind, wendet den Kopf ein wenig nach links und nach rechts, dann zuckt sie die Schultern und steckt die Kopfhörer zurück in die Ohren.)
Er: „Durch deinen Anblick, oh, Geliebte, fing…“
Sie (kramt in ihrer Tasche, wirft dabei wahllos Dinge auf die Straße): „Ich hab echt zu viel Zeug – wo ist das Ding?!
Er: „ich Feuer, wie vom Blitz ein trock'ner Scheit.“
Sie (dreht die Tasche um, so dass der gesamte Inhalt herausfällt, zum Schluss auch das Cape): „Aha – na endlich. Wurde ja auch Zeit!“
Er: „Nun fass ich meinen Mut, dir zu gestehen…“
(Sie bückt sich, um das Cape vom Boden aufzuheben. Das Cape ist in einer mit einem Reißverschluss verschlossenen Tasche eng verpackt.)
Sie (nestelt und zerrt am Cape herum, um es aufzubekommen): „Na gut, wie geht’s jetzt weiter? Hm, mal sehen…“
Er: „dass ich nun für dich brenne, wild und heiß...“
Sie: „Jetzt geht das Ding nicht auf! Was soll der Scheiß?!“
Er: „Ich würde nackt im Eise nicht erfrieren…
Sie (zerrt vergeblich weiter herum, wütend): „Wie soll man da nicht die Geduld verlieren?“
Er: „Noch in des Weltalls leerer, ew’ger Nacht“
Sie: „Was habe ich verfickt schon wieder falsch gemacht?“
Er: „solange ich mir nur dein Bild vor Augen halt‘.“
Sie (reißt heftig am Cape; es entfaltet sich mit einem Geräusch wie von reißendem Stoff. Man sieht einen klaffenden Riss im offenen Cape): „Mir reicht es jetzt!! Dann eben mit Gewalt!“
Er: „Nun ist’s heraus – doch sollst auch dies Du wissen:“
Sie (schaut auf den Riss, schlägt sich die Hand vor die Stirn): „Ich glaub es nicht! Die Naht ist eingerissen!“
Er: „Dein Glück! Dein Lachen! Das ist nun mein Streben!“
Sie: „Können Die das nicht ordentlich verkleben?!“
Er: „Ich würde alle Erdenschätze darum geben…“
Sie: „Ich reklamier das Ding! Die können was erleben!“
Er: „Und Jahre der Entbehrung, des Verzichts…“
Sie: „Naja – auch so wird’s besser sein als nichts…“
(Sie faltet das Cape weiter auf, um es sich anzuziehen.)
Er: „Gern auf mich nehmen, dass Du‘s gut hast, Liebelein!“
(Sie stülpt sich das Cape über den Kopf und verschwindet darunter.)
Sie (von unter dem Cape): „Hier irgendwo muss wohl der Kopf hinein…“
Er: „Ich will es noch mal so zusammenfassen:“
Sie (unter dem Cape, das im Wind heftig flattert): „Ach nee, das ist ein Ärmel – Dann kann das ja nicht passen!“
Er: „Dass ich von Stund' an ganz der deine bin!“
(Beim Versuch, das Cape zurecht zu ziehen, tritt sie darauf, verliert das Gleichgewicht und fällt um.)
Sie (im Fallen): „Is' doch nicht wahr! Jetzt packt's mich auch noch hin!“
Er: „Drum lasse dich vom Regen nicht verdrießen;“
(Sie verstrickt sich auf dem Boden hoffnungslos in das Cape, das sie komplett einhüllt und ist nur noch als strampelnder Sack zu sehen.)
Er: „Lässt Regenfall nicht neue Blütenblätter sprießen
(Von der Seite betritt ein Passant die Szene, der sich unter einen Regenschirm duckt.)
Er: „der schönsten Blume, die auf Erden je erblüht!“
Passant (kopfschüttelnd) „Dass einer so für einen Sack erglüht...“
Er (atmet laut durch die Nase ein, wie, um einen angenehmen Geruch zu genießen; dabei bekommt er Wasser in die Nase): „Ganz Duft! Ganz Blüte! Nicht ein einz'ger Dorn!“ (er niest)
Sie: „Verdammt, ich seh' nichts! Wo ist bei mir vorn?“
Passant (schaut überrascht, beugt sich dann neugierig über das am Boden liegende flatternde Cape): „Ich höre wohl nicht recht! Der Fetzen spricht...“
(Sie stößt eine Folge lauter, unartikulierter Flüche aus.)
Passant (prallt zurück): „...gar grauslich grob! Das gebe ich mir nicht!“ (Geht schnell ab.)
Er: „Nimm meine Hand! Dass ich an deiner Seite...“
(Sie bekommt die Füße aus dem Cape und richtet sich langsam auf.)
Er: „...so oft sie kommt, die finst’re Nacht durchschreite“
(Sie steht jetzt vor ihm, die Hände kommen aus den Ärmeln, sie beginnt, an der Kapuze zu zupfen.)
Er: „stets nah dir, bis es lieblich tagt!“
Sie (befreit ihren Kopf aus dem Cape, sieht ihn zum ersten Mal): „Geschafft! – Oh, hi! Äh... – hast Du was gesagt?“
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