Niemals wieder

Rubrik für Theaterstücke, Szenen, Sketche, Dialoge, Hörspiele, Drehbücher und andere dramatisch angelegte Texte
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Lisa
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Beitragvon Lisa » 30.08.2006, 18:36

Niemals wieder (Oldenburg II)
Wie man sich erinnert, wenn einer einen fragt

I Wie es dazu kommt....

- einer schält Kartoffeln
- man sitzt zusammen am Fuße einer Sehenswürdigkeit
- das Glas Wein nach Bürgerjahren
- eine Saufstudentenparty im Kulturcafe zu dritt
- ( den wilden Garten wage ich nicht zu erfinden)


II Desolates Herzräuspern

Und?

Ja – Und...ach – ja...

... wenn die Furcht kam
der heiße Sprung ins Wasser

Über mir glitten die Forellen
!ungeheuer weiß lächelten ihre spitzen Zähne!
--- ungeheuer weiß...


Und?

...ach – Und...ja – also...

...über mir glitten die Forellen
und die Algen wiegte der Strom

--- !die Algen wiegte der Strom!


III Die wenigen Male einer vertieften Pupille (hinterher gefühlte Opferreprise)

5-Mark-Stücke blühten im Trüben
und meine Hand so weiß darin
ich meine, verstehst du nicht...so weiß....
Kiemen...Gott verdammt –
Kiemen, die waren noch nicht erfunden!


(Stille, vielleicht ein Arm auf der Schulter,
vielleicht ein wirklich gutes Wort – [Tränen?]; in jedem Falle
Fortfahren in erregtem Flüstern)


Ich meine ...


...dieses Glitzern
dieses unglaubliche...Glitz...- -

- - Ich gebe ja zu,
dieser Fluss,
von dem ich da erzähle,
da war eigentlich Badeverbot,
längst verschmutzt,
man ging da nur mit den Füßen rein
und auch nur, wenn der Ball
vom Freibad gleich neben dran
(da, wo man eigentlich für Eintritt war)
hineinfiel.

Und die kleinen* Bodenfliegen fand ich schon damals eklig
und die Handtücher auf den Wiesen waren grell
und am Eisstand tummelten sich die Wespen
und fürs Müllsammeln bekam man kaum 50 Pfennige
und ja...es schrie auch irgendein Kind einem anderem „Fotze“ nach...


(Der Kopf wird erhoben)


- Aber dieser Wirbel,
vom nassen Haar,
der war tatsächlich da,
der war echt!

Und so manches andere auch...

(schlucken, in Gedanken: die Sonnencreme riech ich noch heute gern, auch das nasse Gras...und die viel zu späte Heimfahrt auf dem Fahrrad, das Chlor ließ einen den Wind so besonders auf der Haut spüren und war man zuhause, so aß man, weil man das so machte, und schlief und träumte wie ein Stein)

Es WAREN Tage am Ufer des Wasserrades


IV Und danach...

- der Fernseher flackert weiter
- ach, dein Großvater war auch im Krieg
- die Gabel im Mund, durchaus bei Appetit
- natürlich steig ich in den Zug, warum sollte ich einen andern nehmen, habe ja schon das Ticket
- Ja, mir geht’s gut und dir?


*kleine in kleinen geändert, danke steyk...Tippfehler..
Zuletzt geändert von Lisa am 11.09.2006, 11:21, insgesamt 1-mal geändert.

steyk

Beitragvon steyk » 30.08.2006, 19:41

Liebe Lisa,

dein Text erinnerte mich sofort an eine Begenung im letzten Jahr, wo ich einen alten Bekannten aus der Teenagerzeit traf, den ich etwa 5 Jahre nicht gesehen hatte. Die ersten zwei Minuten sprachen wir über Neuigkeiten, dann schweiften wir ab in die guten, alten Zeiten, wie beim Treffen vor 3 Jahren davor und dem Wiedersehen davor und...und...
Nach zehn Minuten trennten sich unsere Wege wieder, weil wir uns nichts mehr zu sagen hatten.
Ich glaube, er hat die gleiche Angst vor dem nächsten Treffen wie ich.
Die Erinnerung wird eben nicht durch tote Worte wieder lebendig.

Gruß
Stefan

Gast

Beitragvon Gast » 30.08.2006, 19:54

Liebe Lisa, faszinierend nach erstmaligem Lesen, das muss ich erst Mal auf mich wirken lassen...
Auch ein außergewöhnliches Erzählgedicht, was mich für sich einnimmt.
Derart spannend und verknappt, dass ich nur staune...

Komme wieder hier vorbei
Liebe Grüße
Gerda

Louisa

Beitragvon Louisa » 30.08.2006, 20:47

Hallo Lisa!

In diesem Text gibt es wieder viele Worte und Formulierungen, die mir sehr gefallen haben. Zum Beispiel :smile: :

- ( den wilden Garten wage ich nicht zu erfinden)...
Desolates Herzräuspern...
der heiße Sprung ins Wasser...


-Dann kommen diese Füllwörter, die ich nachvolllziehen kann, die mich aber persönlich ein bisschen stören, weil ich sie auch im Gespräch ungern höre... Aber ich verstehe, dass Du das ganz authentisch einbauen wolltest...mm---Ich weiß nicht, ob das nötig ist:

Ja – Und...ach – ja...


Dann die fünf Mark-Geschichte (eine nostalgische Träne auf meine Wange :smile: !) und das "erregte Flüstern" und die Freibad-Beobachtungen (das war wirklich überall so mit dem Müll und der "Fotze"...wusstest Du übrigens, dass dieses Wort in Bayern "Ohrfeige" oder "Schnauze" bedeutet :smile: ?)

...das war wieder alles sehr schön zu lesen! Auch der letzte ABschnitt (wobei mir ein "Löffel" besser gefallen hätte) war toll. Das gefällt mir alles sehr gut!

Nur eben das eine in der Mitte. Sonst wieder ein wundervoller Oldenburg-Text (was ist das bloß für ein Kaff?)

Grüßlein, louisa

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 31.08.2006, 21:47

Liebe Lisa,

das gefällt mir wirklich gut. Aber ist das ein Erzählgedicht? Fast kommt es mir so vor, wie der Kern einer dramatischen Dichtung.

Grüße

Paul Ost

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 01.09.2006, 11:52

Hallo,

danke!

also eigentlich hatte ich ja eine ganz andere reaktione erwartet, viel negativer, nun sitz ich hier und bin erst mal leer :hut0045: .

paul...du hast natürlich recht...ich glaub auch, dass es kein richtiges Erzählgedicht ist...es scheint mir irgendwas dazwischen (ein "dramatisches gedicht" :hut0039: )...aber hier passte es noch am besten, oder was meinst du?

steyk: Ja, ich glaube, das kann ich gut verstehen...hier in dem Gedicht ist es aber noch ein bisschen (in meinen Augen schlimmer) gemeint...ALLE versuche scheitern, jedenfalls...(fast alle? jedenfalls auch viele gute...) jemandem etwas zu erzählen.-..auch sich selbst es zu erzählen...weil man lügen müsste, wo es keine lüge gibt...

gerda: danke...deine Worte klingen einfach toll und ich freu mich, falls du die zeit findest, nochmal einzutauchen...du weißt ja, dass ich das gut brauchen kann :-)

Louisa: danke :-). ja, das mich den achs und jas, muss leider bleiben...es soll ja unschön sein...aber es freut mich total, dass auch dir das gedicht gefällt, wo es doch so unschöne worte (die, die noch unschöner sind als ach :sleepy5: ) enthält und ich ja weiß, dass du das nicht so magst...das musste aber sein.

ich denke, ihr werdet einfach die kommenden Monate einige Oldenburggedichte aushlaten müssen, bis ich eines gefunden haben, was für mich es schafft, diese Stadt, in der ich aufgewachsen bin, wirklich etwas darzustellen...mal gucken, wie "sehr die Schriftstellerin es schafft, sich selbst vom Pfad der Lüge abzudrängen" :-)

Liebe grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

steyk

Beitragvon steyk » 01.09.2006, 12:46

Hi Lisa,
natürlich ist das alles schlimmer, was du beschreibst. Trotzdem kam im Moment des Lesens die Erinnerung und "Furcht" vor diesen Treffen in mir hoch.
Ich überlege, ob ich nicht über Berlin - die Stadt die ich liebe und hasse - schreiben sollte?
Ich hätte Themen, mit denen ich den Salon bis zu dem Zeitpunkt "bereichern" könnte, an dem ich die Rheuma-Finger (hoffentlich nie) nicht mehr zum tippen benutzen kann ;-)
Bin gespannt auf mehr Heimatstädtisches.

Gruß
Stefan

pandora

Beitragvon pandora » 01.09.2006, 13:48

liebe lisa, was mir wirklich imponiert, ist die gewählte form. man folgt beim lesen den einzelnen gedankenfasern, die sich irgendwie zu einem strang verdröseln und kann obendrein mit dieser "wiedertreffenmatrix" (verzeih das wort, bislang fällt mir nix besseres ein) etwas anfangen.
mich erinnert dein gedicht auch an filmsequenzen, die der zuschauer vor dem eigenen erfahrungshintergrund (zusammen-)fügt.

lg
p.

Gast

Beitragvon Gast » 10.09.2006, 02:09

Hallo Lisa,
das ist der erste Text von dir den ich lese und nun denke ich mir - ups! Mit solchen literarischen Ansprüchen kann ich natürlich nicht mithalten.
Das meine ich ehrlich. Ich muss es sicher noch ein paarmal lesen, jedenfalls finde ich die Form interessant und nach anfänglichem "Befremden" (vielleicht besser: Irritation) fühlte ich mich in deinen Text hineingezogen, er ließ mich nicht mehr los.
Bei Kapitel III dachte ich sofort an Kindheit, Verwandte (Großeltern?), die aus ihrer Jugend erzählen ... Aus deinem Kommentar entnehme ich, dass ich damit richtig lag. Merkwürdig - gerade dieser Teil sprach mich am meisten an. Vielleicht, weil er sich mit eigenen Erfahrungen deckt (wer kennt solche Erzählungen nicht).

Ah, stimmt nicht ganz mit dem "ersten Text": Gestern (oder war es vorgestern?) versuchte ich einen Romanauszug von dir zu lesen (nein, Verzeihung, ich glaube du nennst es Erzählung), war aber schon zu müde, um mich zu konzentrieren. Hole ich nach.

LG Mel

steyk

Beitragvon steyk » 11.09.2006, 09:15

Hallo Lisa,

ist mir gerade erst beim "lesen" aufgefallen:

Und die kleine Bodenfliegen fand ich schon damals eklig


kleinen ?

Gruß
Stefan

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 11.09.2006, 11:26

Lieber steyk,
natürlich danke! Ist verbessert UND kenntlich gemacht :mrgreen:

Liebe Mel,
dank steyk sehe ich gerade deinen Kommentar - wow, danke! Sowas klingt natürlich toll..."Kapitel" drei berührt dich also am meisten? Das ist ja auch quasi der brührende Teil, weil die Erinnerung herausbricht (auch wenn sie sich darüber verbraucht)

Zum Romanauszug: Falls du den Malertext meinst, der ist immer noch in Arbeit, eher lassen also :mrgreen:. Falls du den Auszug unter dem Portrait von mir meinst: achso, ja...das wird allerdings recht unverständlich sein, da es so rausgerissen wenig Sinn macht. Ist halt eher ne Leseprobe. Eines Tages werde ich diesen text aber fertig geschrieben haben :-). So oder so: Wirklich danke...tut gut :-)

Liebe grüße,
Lisa
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Gast

Beitragvon Gast » 25.09.2006, 01:36

Hallo Lisa, da bin ich noch Mal.

es ist eine Weile her, das erste Lesen.
Auch nach mehrmaligem Wiederlesen, spüre ich noch die gleiche Begeisterung wie zuvor.

Ich traue mich, zu sagen, dass du in der Lage bist, ganz außergewöhnlich gute neue Bilder zu zeichnen, die für sich allein bestehen können.

Ich habe den Eindruck, sie erzählen mir, dass doch nicht alles schon einmal ge- oder beschrieben wurde...

Kleinigkeiten, die mir auffielen, die ich gern mit dir klären würde:

- den wilden garten wage ich nicht zu erfinden...
m. E. müsste es heißen: den verwilderten
Einen wilden Garten gibt es nicht, denn Garten ist immer kuliviert und kann nur verwildern.
(Aber die Idee, dahinter ist Spitze, denn auch ich kann mich genau an den Garten erinnern)-.

der heiße Sprung ins Wasser
Man kennt den Sprung ins kalte Wasser, okay, das ist nicht gemeint, aber ist denn nicht möglichwerweise der Sprung ins heiße Wasser gemeint?
Was würde es denn bedeuten, wenn der Sprung = heiß ist?

Das desolate Herzräuspern will mir nicht so sehr gefallen, hast du einen bestimmten Grund, warum du nicht bedrücktes Herzräuspern schreibst?

Das wäre auch nach eingehender Untersuchung schon alles.

Ein großartiges Gedicht!

Liebe Grüße
Gerda

selina

Beitragvon selina » 28.09.2006, 08:18

Liebe Lisa,

den Text habe ich letzten Monat gewählt, weil er mich begeistert und in mir viele Erinnerungen an ähnliche Situationen hervorgerufen hat.
Ich hatte allerdings vergessen, etwas zu deinem Gedicht zu schreiben, was ich jetzt nachhole.

lg selina

ps. Die Hörversion ist perfekt und bringt dem Interessierten das Gedicht noch viel näher !!

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 28.09.2006, 10:49

Liebe selina,

dankeschön...das ist wundervoll zu lesen :-)

Pan: Wenn du wüsstest wie nah du da liegst mit dem Vergleich von Filmsequenzen...im Grunde sind meine ganzen Gedichte nichts anderes, da sie vom Bild und nicht vom Wort ausgehen....außerdem finde ich wiedertreffenmatrix toll! (wobei dieses Erzählen natürlich auch bei nichtwiedertreffen passieren kann, siehe fernseher, trotzdem...ja, mir gefällt das).

Liebe Gerda,
dir auch wieder besonderen Dank...

wo ich noch zaudere ist wilder/verwildeter Garten - ich meine zwar einerseits nicht 1:1 den verwilderten Garten...daher kann ich nicht verwildert nehmen, weil mir da eine Ebene verloren geht, aber wild ist es auch nicht, da hast du recht...ich muss da noch mal überlegen, das kann etwas dauern.

Die anderen beide Dinge möchte ich versuchen zu erklären....also der heiße Sprung...kennst du die glühenden Wangen von Kindern? Es ist ein Sprung in die Kühle über das Spüren der ersten Schmerzen, welches zugleich auch Lust bereitet, weil noch so viel Kraft in diesem kleinen Körper wohnt....darum heiß...natürlich als Kontrast zur Kühle des Wassers, beim eintauchen gibt es ein seelischen Zischen, so in etwa :-)

Mit der Abmerkung zu desolat hast du recht...in diesem Text muss es nun so stehen bleiben wie es ist (auch weil sonst die Opferreprise alleine wäre), das sind manchmal so Salti, die ich beim Schreiben schlage, die wahrscheinlich unangebracht sind (ich weiß es noch nicht, ob sie es sind, ich muss da noch üben)...ich brauche aber genau solche Rückmeldungen für die weiteren Gedichte. Also bitte immer anmerken, auch wenn ich sie dann im konkreten Gedicht vielleicht nicht immer ändern kann.

Danke Gerda(nken ;-))

Ganz liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
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