Reisebericht: über H. nach Utopia

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Flammenfreundin

Beitragvon Flammenfreundin » 29.04.2015, 16:07

I

Gebrauchsfertig seit ihrer Geburt
ungetauft, aber benannt,
stiehlt sich Flammenfreundin aus allen Lebenslagen davon.

Kein Traum bleibt.
Leere Verpackungen, entsorgungswürdig
trägt sie die marginale Seele umher.

Versengte, zündelnde Lippen und Brüste.
Augen, die Flammenblüten industrieller Feuer.
Hände.
Hände und Finger, fiebrig und rußig wie Kohle und Glut.
Füße, irgendwie. Oder das Haar.
Ein lieblicher Rest von Körper.

Ascheflocken im Wind.

Und ihr?
Geht im Sommer Grillanzünder kaufen und Steaks.
Ladet die besseren Freunde ein, lacht bei Bier und plumpen Flirts.
Streift selig nachhause durch eure schattigen Gassen,
hinterlasst auf dem Grillplatz Verpackungen,
Müll. Erinnerungen. Irgendwas.
Und

vergesst sie.

Weil schon Zigarettenstummel genügen
euer Haus in Brand zu setzen.



II

Lider stauen die Tränen.

Im Schlaf brechen Ängste den Träumen die Glieder,
schlimmer als Sorgen,
die tags der Hoffnung schon lange den Hals umdrehen.

Kinderknautschgesicht,
so faltig die Anmut des Grauens. Versiert die Pose des kleinen Gräuels.
Keine Tränchen, Schluchzen - ohne Hall,
ohne Befund oder Grund, ohne Gewähr oder Chance auf Liebe, oh Flammenfreundin!

Deine graue Miniatur begräbst du unter den Laken.
Dein einziger Raum, ein Bett ohne Ufer.
Selten scheinst du Inhalt von Männergesprächen.
Selten.

Dein Pendant.

Dein Du, so fehlerfrei. Dein du, es bleibt verloren.

Spiegelverrückt
zwitscherst du ein eigenes Lied.


III

In der alten Welt stillt die Zeit ihre Monotonie.

Zwischen den windstichigen Liedern der Spieluhr,
dem Bestaunen des eigenen Nabels, Brausepulver
und abgehalfterten Puppen,

zeigt Flammenfreundin den Waisen die Zähne -
eine Lücke prangt ganz vorn.

Die Waisen schicken sie schnell ins Exil.
Super-Mario-Land.
Ein einsamer Spielplatz.
Orte der Sehnsucht.

Die Waisen lesen die Bild.
Die Waisen langweilt das Feuer -
mit Talkshows und Pizzabaguette, mit zuckender Braue,
äschern sie sich stetig ein.

Flammenfreundin, Kind unter vielen,
schenkt der Vater, der Stümper, drei Dinge.

Ringlein, Spindel und Haspel aus Gold.

Nifl
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Geschlecht:

Beitragvon Nifl » 30.04.2015, 09:27

Hallo Flammenfrau,

ein wunderbarer Titel, der mich gleich angelockt hat. Dieses "über H." ist genial, weil er dem Praktischen eine Traumnote gibt, aber trotzdem praktisch ist. Die Form des Textes stößt mich etwas ab, befürchte sofort endlose bedeutungsschwangere Arien. Ich bin wohl verseucht. In Fließtext hätte ich mich lieber eingefunden.
Ich finde dann einige starke Wendungen. I scheint mir weniger gelungen. Da ist mir zu viel Druck dahinter, zu viel Aufdringlichkeit, zu viel Dramatico, und gegen Ende heftige moralische Wertungen, wenn auch linksbündig. Aber II beginnt gleich stark, zieht mich wieder rein. Die Staudämme, die gebrochenen Glieder und die Beerdigung der grauen Miniatur unter dem Laken finde ich großartig. Auch III wartet mit originellen Bildern auf, eine stillende Zeit, windstichige Lieder, Zahnlücken zeigen und das märchenhafte Ende. Aber auch hier wieder viel Sozialkritikgetingel, laut und unzweifelig, politisch und ausgelutscht entschuldigend. Ich würde diese ganze Schreistarrhalsigkeit rausnehmen oder ausweiten, der Flammenfraufigur ein Gesicht geben, vom allgemein sein wollen hin zum Charakter.
In jedem Fall ein versprechendes Debüt.
Gruß
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Flammenfreundin

Beitragvon Flammenfreundin » 30.04.2015, 16:24

Hallo Nifl,

schön, dass du dich doch dazu durchringen konntest dir diese vielleicht "verseuchte" Form zur Brust zu nehmen.
Deine Kritik weiß ich zu schätzen. Nachdem ich diese drei Texte schon in einem anderen Literaturforum veröffentlicht habe u. sie auch schon einer Überarbeitung unterzogen habe, wirft deine Lesart eine neue Sichtweise auf die "Flammenfreundin". Auch wenn ich nun vorerst irritiert bin und mich in meiner Meinung bestärkt fühle, dass ich noch einiges zu lernen habe.
Zu I: Ja, ich kann mir vorstellen, dass I etwas gewollt wirkt. tatsächlich hatte ich seit längerem nichts in dieser Art geschrieben.
II: Ja, ich danke dir.
II: Es tut ein wenig weh, wenn du es so auffasst, als sei es gesellschaftskritisch. Das war nicht, nicht im aller geringsten meine Intension. Oh Mann... mir ging es darum eine persönliche Erfahrung schreibend zu verwerten. Wenn ich zu allgemein geworden bin, nun, dann muss ich mir etwas überlegen und eben weiter dran arbeiten.
Ansonsten danke ich dir, wie bereits gesagt

S.


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