Aphorismen von Jules Renard und de La Rochefoucauld, kommentiert

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Quoth
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Beitragvon Quoth » 07.04.2016, 17:25

Jules Renard hat geschrieben:Um zu arbeiten, warte ich, bis mein Thema an mir arbeitet. (1900)

Oft verschwende ich Stunden damit, einen Text erzwingen zu wollen, der mir trotz aller Anstrengung nicht gelingt. Dann aber fließt er mir plötzlich wie von alleine zu. Dabei kann es zu inhaltlichen Verschiebungen kommen, die ich in der Phase des absichtlichen Schreibens nie vorgenommen hätte, auf die ich auch gar nicht gekommen wäre. Mit dem Begriff "Inspiration" kann ich nicht viel anfangen. Aber Renards Formel leuchtet mir unmittelbar ein: Das Thema muss anfangen, an mir zu arbeiten. Diese Verselbständigung dessen, was man gestalten will, ist vielleicht das Schönste an der ganzen Schreiberei.



Zitiert nach Jules Renard: Das Leben wird überschätzt. Aus den Tagebüchern ausgewählt und übersetzt von Henning Ritter. Matthes & Seitz, Berlin 2015 und nach Jules Renard: Ideen in Tinte getaucht, Tagebuchaufzeichnungen, übersetzt und ausgewählt von Hanns Grössel, Winkler, München 1986
Zuletzt geändert von Quoth am 11.06.2019, 17:10, insgesamt 2-mal geändert.
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 26.07.2018, 19:22

Die Aussage Renards erinnert mich an den Spruch:
Manchmal musst du dienen, um herrschen zu können.

Ich denke, Renard sieht den Begriff "Sklave" auch im Sinne von dienen.

Quoth
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Beitragvon Quoth » 26.07.2018, 19:57

Hallo Mucki, einen Dienst kann man kündigen, Sklaverei nicht. Pjotrs Masochismus scheint mir Renard näher zu kommen.
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Beitragvon Pjotr » 27.07.2018, 05:44

Sklaverei kann man manchmal auch kündigen: Durch Vertrag, Flucht, oder Kampf ...

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Beitragvon Quoth » 27.07.2018, 08:19

Also Kündigungen als Wahrnehmung eines einem zustehenden Rechts sind das alles nicht, Pjotr. In diesem Sinne wünsche ich uns allen, dass uns wahre Sklaverei erspart bleibt. Übrigens hat meiner Erinnerung nach Friedrich II., der sich als "erster Diener" Preußens verstand, diesen Dienst gelegentlich als Sklaverei bezeichnet ...

Jules Renard hat geschrieben:Bei der Arbeit ist es das Schwierigste, die kleine Lampe im Gehirn anzuzünden. Später brennt sie dann ganz von allein. (1901)

Nicht Regen, sondern Hitze hat sie momentan dauerhaft gelöscht ...
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Beitragvon Pjotr » 27.07.2018, 09:17

Ich meinte die Kündigung als lustige Metapher für Befreiung. Aber sobald das Wort "frei" auftaucht, stellt sich natürlich auch immer die Frage nach dem Freiheitsgrad. Freiheit ist immer ein relatives Maß.




Der Zündstoff für die Lampe im Gehirn besteht aus: Andere Gedanken.

Quoth
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Beitragvon Quoth » 28.07.2018, 21:16

Jules Renard hat geschrieben: Migräne. Manchmal will mir scheinen, mein Kopf sei klein und schwer und hänge hoch oben, weit weg von mir, am Ende meines Körpers wie eine Hagebutte an ihrem Strauch. (1901)

Ich leide zum Glück nicht an Migräne. Meine Mutter litt daran. Und fast alle Frauen, in die ich mich verliebte, litten ebenfalls daran.
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 29.07.2018, 18:19

Dies ist wohl eine persönliche Empfindung, die bei jedem anders ist.
Ich hatte früher Migräneanfälle und würde ich sie - analog zu Renard - beschreiben, würde es wohl so klingen:

Migräne. Manchmal will mir scheinen, mein Kopf wäre ein Zyklop, dessen Auge nur noch Sterne sieht, eine Splitterbombe, die nur Dunkelheit sucht.

Na ja, so ähnlich.

Quoth
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Beitragvon Quoth » 29.07.2018, 21:23

Tolle Beschreibung, Mucki.
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Beitragvon Mucki » 30.07.2018, 12:35

Danke dir, Quoth.
Leider eine aus Erfahrung. Aber wie gesagt, es erlebt wohl jeder anders. Renards Beschreibung ist sicher auch für viele zutreffend, mir persönlich jedoch zu harmlos.

Quoth
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Beitragvon Quoth » 05.08.2018, 17:23

Jules Renard hat geschrieben: Träumen, das heißt Denken beim Schein des Mondes, eines inneren Mondes. (1902)

Und das heißt: eines erinnerten Mondes. Meine Behauptung: Alle Poesie ist Erinnerung.
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Beitragvon birke » 05.08.2018, 18:39

oh, wie schön.
ja, da stimme ich dir zu, quoth :)
wie könnte es auch anders sein?
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 06.08.2018, 13:26

Ein schönes Zitat. Ja, erinnerten Mondes, stimme dir zu, Quoth. Denken an den Schein des Mondes, dessen Schein quasi nach innen leuchtet.

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Beitragvon Quoth » 07.08.2018, 11:17

Der innere Mond - das ist ein bleibendes Bild.
Jules Renard hat geschrieben:In einer Hütte Träume haben wie ein Kaiser. (1898)

Hätte Renard geschrieben "In einer Dachwohnung ...", könnte es Bildunterschrift des Armen Poeten von Spitzweg sein. Wobei ich Kaiser um ihre Träume keineswegs beneide - denken wir nur an Wilhelm II. - was mag dieser Esel schon für Träume gehabt haben!
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Beitragvon birke » 07.08.2018, 11:51

oh, das kann man ja so ohne kontext auf vielfältige weise lesen: arm sein und vom reich sein träumen. oder aber die erfüllung in der einfachheit finden. reich sein durch träume. sich in der hütte wie ein kaiser fühlen. kaiser als sinnbild vom glücklichen menschen? auf jeden fall (materiell) reichen menschen, auch mächtigen menschen. tja, was mag ein kaiser für träume haben? wirklich fraglich, ob man sich die wünschen sollte ;) aber es kommt wohl auf den kaiser an.
vielschichtiges zitat, gefällt mir!
(in einer hütte dem inneren mond lauschen, das gefiele mir auch!)
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