fenestras blühblog

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fenestra
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Beitragvon fenestra » 14.05.2012, 18:26

Einen Blühblock im Mai zu beginnen ist eigentlich ein hoffnungsloses Unterfangen – im Blühmonat schlechthin – es wird nicht möglich sein, die Natur schreibend wieder einzuholen. Flieder blühduftet betäubend, Roßkastanien und Vogelbeere wetteifern um Insekten, der Taschentuchbaum wirft weiße Fetzen herum und der Star unseres Gartens, der Blauregen, krönt wie ein riesiger Springbrunnen einen Wäschepfahl. Am Meisenkasten sind bereits häufige Ein- und Ausflüge zu beobachten, offensichtlich ist der Nachwuchs geschlüpft. Der Zilpzalp zählt und zählt. Wahrscheinlich die Tage, bis sein Nachwuchs sich endlich aus dem Ei geschält hat. Nur wo ist das Nest? Ich habe es noch nicht entdeckt. Dafür weiß ich, dass die Dohle im Schuppenschornstein gebaut hat. Sie denkt allerdings, ich hätte es nicht bemerkt und gibt sich heimlich.

Einer meiner liebsten Blütenbäume hat mich dieses Jahr im Stich gelassen. Was ihm wohl fehlt? Ich habe ihm vor Jahren dieses Gedicht gewidmet:



blühstück


birnbaum dein blühstück
verdient allen bienenapplaus

in löwengezähnte szene setzt du dein kleid

wirfst es premieren-erfahren
auf gräsernen teppichen aus

raffst deine ringe
& stundest zum fruchten die zeit

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fenestra
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Beitragvon fenestra » 09.06.2012, 13:28

Hagel nicht. Dafür Regen, Regen, Regen. Und jetzt legt die Vegetation erst richtig los - ein Drängen, ein Ranken, Spreizen, Klimmen und Kriechen. Zum Beispiel auf dem Kräuterbeet:


kräuterbeet, verwunschen


allerhand herbal bei fuß
eibisch leibt im frauenmantel
dosten dürstet überfluss
gierig wuchert giersch alantel

herzgespannt ysop so krause
minze bläut lavandula
rose mariniert in pause
wermutstropft calendula

bissbegierig gilbt galgant
krause minze münzt die wege
um – salbadert beiderhand
wermut beifußt das gehege

baldrian mohnt nachts ums haus
eib-alante samen fliehen
flugs vor minzenläufern kraus
comfrey - lass die wurzeln ziehen!


Na, wieviele Pflanzen wuchern auf diesem Beet? ;)
Zuletzt geändert von fenestra am 09.06.2012, 20:24, insgesamt 1-mal geändert.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 09.06.2012, 13:38

Genial, fenestra!
fenestra hat geschrieben:Na, wieviele Pflanzen wuchern auf diesem Beet? ;)

genau das habe ich mich auch sofort gefragt. *kicher*
Sind es 18?

Angetane Grüße
Gabi (Nicht-Biologin)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 09.06.2012, 19:57

Nachtrag:
Ich war neugierig. *lach*
Folgende konnte ich finden:
herbal gilt nicht, da es einfach Kräuter bedeutet:

Beifuß
Eibisch
Frauenmantel
Dosten (= Oregano)
Giersch
Alante
Herzgespann (total verrückt *g*)
Ysop
krause Minze
Lavendel --> Tippfehler, muss Lavandula heißen bei dir!
Rose
Wermut
Calendula
Galgant
Sal(baum)
Baldrian
Mohn
Eib(e)
Comfrey

also 19 Stück.

Stimmt das???

Schmunzelgruß
Gabi

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fenestra
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Beitragvon fenestra » 09.06.2012, 20:23

Wow, Gabi, in dir steckt ja eine Kräuterhexe! ;) Fast alles, wie ichs gedacht hatte:

S1
Beifuß
Eibisch
Frauenmantel
Dost
Giersch
Alant

S2
Herzgespann
Ysop
Krauseminze
Lavendel (hast Recht, muss lavandula heißen)
Rosmarin (man könnte aber die Rose vielleicht noch dazu zählen)
Wermut
Calendula (also Ringelblume)

S3
Galgant
Salbei (was meintest du mit Salbaum? Salix? Sadebaum?)

S4
Baldrian
Mohn
Comfrey (also Beinwell)

An die Eibe dachte ich nicht, sondern nochmals an den Eibisch, aber warum nicht? Zählt man Eibe und Rose mit, sinds sogar 20. So ist das im verwunschenen Garten - man weiß selbst gar nicht, was alles darin wächst.

Viele Grüße aus dem Kräutergedichtdickicht
fenestra

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Beitragvon Mucki » 09.06.2012, 20:48

Juchhu! Da hab ich ja wirklich fast alle erwischt.
Sal, siehe hier:

http://de.wikipedia.org/wiki/Salbaum

Aber der wächst in Indien, nicht in Deutschland.
Mit dem Rosmarin haste natürlich raffiniert gemacht:
rose mariniert
Ich ahnte, dass dieses "mariniert" etwas zu bedeuten hatte, war aber abgelenkt durch die komplett ausgeschriebene Rose. *g*

Liebe Grüße
Gabi

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fenestra
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Beitragvon fenestra » 20.10.2012, 23:09

Neulich hatte eine kleiner Ortschaft einen "Tag des offenen Gartens" ausgerufen. Dort haben mich zwei Gärten besonders beeindruckt und ich habe versucht, diese Eindrücke - und auch den Gegensatz zwischen diesen Gärten - in Worte zu fassen.


zwei gärten sah ich heute der gartengeister zwei


der erste war ganz rhododendron, rosen, salomonen und engelsfigurengleich auf gehächselten pfaden und natursteinplatten im schatten bei erlesenen rabatten zu bewandern während pausbackige faune gläserne kugeln über rechteckige becken bliesen und in fein zieselierten volieren kanarienvögel nachtigallen imitierten

der zweite war spontangeblümt aus pflasterritzen besummt von mauerbienen und tönern bisweilen hölzern bestapelt zinnkannen-, wannengefüllt weidenruten beflochten ummauert wenngleich bröckelnd von spinnen überwoben durchzogen von hexenpfaden die eigens durchs wiesengras zu treten waren um mit beerenversuchungen umwucherte walnussbäume zu erwischen hinter scheunentorentischen vor nahtlos vorrückendem waldesdunkel


der erste unter ehrwürdigen eichen und blutbuchen
wäre als garten gering genannt - park war er
ausweis des fleisses ornament der hingegebenen zeit
verzeichnis aller schattendaseinsblumen
sanft lenkender hände gefügiges gebilde

der zweite im kreis der alten heuerhäuser und scheunen
als garten ewig unverstanden
gänzlich ohne rasenkanten fluss des blühens und vergehens
versuch des festhaltens im welken
eingeständnis von unlenkbarkeit und glaube an den zufall im zerfall


im ersten empfängt man besucher
im zweiten bleibt man selbst ein ewiger gast

Gerda

Beitragvon Gerda » 21.10.2012, 06:52

Oh, wie schön, liebe Jutta, du hast die Gärten nicht nur bebildert, deine Beschreibung ist atmosphärisch dicht, beim Lesen habe ich das Gefühl, als sollte ich in diesen zweiten Garten mit "eingesponnen" werden, um von dort den ersten mit Respekt zu betrachten.
Dankeschön, dass du das gepostet hast. :smile:

PS Als ich vor einger Zeit dein "Kräuterbeet verwunschen" :daumen: las, was mir nach wie vor gut gefällt, wollte ich eigentlich etwas dazu geschrieben haben. Aber wie es manchmal so geht ...

Heute ein Nachklapp dazu:

Zitronenmelisse rankt beflissen
Neben Schnittlauch, Petersilie.
Basilikum steht andernorts.
Die Gartenschelle läutet nicht,
gedeiht rechts von der Pimpernelle.


Liebe Grüße
Gerda

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fenestra
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Beitragvon fenestra » 22.10.2012, 13:00

Danke, liebe Gerda. Das Eingesponnensein kann man jetzt besonders spüren, finde ich. Altweibersommerfäden, buntes Laub rundum, Samenstände, die Ahnung des sich Einigelns für den Winter - einfach herrlich, dieser Herbst!

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 22.10.2012, 14:03

Hallo Fenestra,

die ersten beiden Prosaabschnitte fließen so klingend und rhythmisch und poetisch, dass sich bei mir eine Erwartungshaltung aufbaut, dass das im lyrischen Teil noch stärker ausgebaut wird. Da stockt und ruckelt es dann aber für mich ziemlich. War das so beabsichtigt?

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Renée Lomris

Beitragvon Renée Lomris » 22.10.2012, 16:58

diese Gärten leben und die Fäden laufen regelrecht zusammen: Altweibergespinst, lange Samenschleifen, Spinnennetze glänzen, ein Herbst wie ihn der Wein, der Most und die Kartoffel lieben ... sehr schön diese Ernte ...
liebe Grüße
Renée

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fenestra
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Beitragvon fenestra » 22.10.2012, 18:23

Danke euch beiden! Wär schön, solche Gärten mal gemeinsam zu begehen und zu bedichten.


Da stockt und ruckelt es dann aber für mich ziemlich.


Wo denn genau, liebe Flora? Ich finde die Strophen 3 und 4 sogar ausgereifter, als die ersten beiden. Der letzte Zweizeiler als Resumé fällt in seiner Kürze vielleicht ein bisschen heraus.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 22.10.2012, 21:13

Hallo Fenestra,

vielleicht finde ich auch einfach deinen Rhythmus nicht? Ich habe es mal gexXt :o) um das irgendwie fassbar zu machen. Schon in der ersten Zeile kommt mir das "und blutbuchen" angehängt vor und irgendwie darauf pochend, wie eine Mauer, gegen die mein Lesen läuft. .-) Schau mal ob du anders betonst.

der erste unter ehrwürdigen eichen und blutbuchen
x Xx xx Xxxx Xx X XXX
wäre als garten gering genannt - park war er
Xx x Xx xX xX - XXX
ausweis des fleisses ornament der hingegebenen zeit
Xx x Xx XxX x XxXxx X
verzeichnis aller schattendaseinsblumen
xXx Xx XxXxXx
sanft lenkender hände gefügiges gebilde
X Xxx Xx xXxx xXx

der zweite im kreis der alten heuerhäuser und scheunen
x Xx x X x Xx XxXx x Xx
als garten ewig unverstanden
x Xx Xx XxXx
gänzlich ohne rasenkanten fluss des blühens und vergehens
Xx Xx XxXx X x Xx X xXx
versuch des festhaltens im welken
xX x Xxx x Xx
eingeständnis von unlenkbarkeit und glaube an den zufall im zerfall
Xxxx x xXxx x Xx x x Xx x xX

im ersten empfängt man besucher
x Xx xX x xXx
im zweiten bleibt man selbst ein ewiger gast
x Xx X x x x Xxx X

Aber auch von der Sprachgestaltung macht es mir vor allem nach dem schönen Schwung der ersten Abschnitte, schwer, es wirkt auf mich "gedrechselter", als der erste Teil, und verliert für mich dadurch seine Natürlichkeit, die Lebendigkeit, die Gärten :), die in den ersten Abschnitten so herrlich aufblühen und aus den Zeilen wachsen. Ich muss mich anstrengen, um die Inhalte zu sortieren, manches mehrmals lesen.
sanft lenkender hände gefügiges gebilde
Solche Zeilen machen es für mich unheimlich "steif" und distanziert ... tot.
Das kann natürlich bewusst so eingesetzt sein, aber ich sehe den Grund hier nicht. Erst dachte ich, dass es auch sprachlich diesen Park-Garten aufgreifen soll, aber der Ton, die Sprache ändert sich dafür in der zweiten Strophe nicht deutlich genug? Kurz blitzt der Ton der ersten Prosaabschnitte für mich auf im "als garten ewig unverstanden / gänzlich ohne rasenkanten" aber dann wir der fluss auch noch benannt und ich "höre" ihn einfach nicht mehr. :a050:

Kannst du damit etwas anfangen?

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

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fenestra
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Beitragvon fenestra » 22.10.2012, 22:26

Liebe Flora,

ich glaube, du hast diesen Text einfach missverstanden, es soll kein Gedicht sein, auch die unteren Absätze nicht. Es ist lyrische Prosa, von daher habe ich keinerlei metrische Regelmäßigkeit hineinzulegen versucht. In den ersten Abschnitten überstürzen sich die Beobachtungen aus den Gärten, man weiß gar nicht, wohin man zuerst schauen soll. Ich könnte verstehen, wenn jemand anmerkt, dass ich etwas zuviel Adjektive verwendet habe. Es ist eine Fülle der Eindrücke, ganz so, wie es in den Gärten war. In den Abschnitten 3 und 4 wird versucht, den Geist dieser beiden Gärten einzufangen. Der Betrachter sammelt sich, baut kürzere, präziser formulierte Sätze. Wenn dir das Resumé des ersten Gartens, das in S3 erfolgt, als "steif und distanziert" erscheint, mag das daran liegen, dass ich diesem Garten in der Tat distanzierter gegenüber stand, als dem zweiten. Das Steife spiegelt die Gestaltung dieses Gartens durchaus wieder. Der zweite Garten ist mein eindeutiger Favorit. Was allerdings niemand, der ebenfalls dort war, verstanden hat. Die meisten fanden, das wäre gar kein Garten. Und ich war gespannt, ob ihr diese Vorliebe heraushören würdet.

Literarisch ist dies sicher kein perfekter Text. Ich habe den LitBlog auch eher so verstanden, dass man hier auch Fragmente und Eindrücke, die man einfach teilen möchte, posten darf. Trotzdem freue ich mich natürlich auch über solche formalen Anmerkungen.

Viele Grüße
fenestra

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 22.10.2012, 22:54

Hallo fenestra,

Die meisten fanden, das wäre gar kein Garten. Und ich war gespannt, ob ihr diese Vorliebe heraushören würdet.
Ja. :)

Ich habe den LitBlog auch eher so verstanden, dass man hier auch Fragmente und Eindrücke, die man einfach teilen möchte, posten darf.
Ja, natürlich. Ich wollte auch nur dein Nachfragen nicht im Raum hängen lassen.

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)


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