Die kurze Geschichte eines langen Lebens

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Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 02.07.2012, 17:33

1. (1. Januar)

Dann fing er an zu beten
Nicht weil er einsam war
eher war die Nacht zu hell
für die üblichen Lügen
Es gab nichts
was er dem Aberglauben
entgegensetzen konnte
Lieber Gott,
sagt er und kichert
mach dass auch mir ein
Buckel wächst

2. (2. Januar)

Am Morgen fiel Schnee
Lieber Gott
sagt er
willst du wohl für die Hänflinge sorgen
dann schüttelt er den Kopf
kaufte Wolle
und srickt seine Gebete
in einen Schal

3. (3. Januar)

Der Winter war zutraulich
Ab und zu suchten
Meisen im Schnee
nach etwas Essbarem
Lieber Gott
dachte er
erzähl mir etwas von der Einsamkeit
aber er sprach es nicht aus
Um laut zu reden war ihm
viel zu kalt

4. (4. Januar)

Am nächsten Morgen
fürchtet er den Widerhall
seiner Gedanken
Was wird geschehen
wenn ich von Gott träume
denkt er
Bleibt dann die Verzweiflung
für immer stehen

Schick mir Worte
lieber Gott
sagt er schließlich
die ich einer flüstern kann.


5. (05. Januar)

Es wird wohl Frühling werden
denkt er
bevor sie mir begegnet
Ich frage mich ob ich
die Worte so lange
behalten kann
Verlorene Worte

Wenn ich sie auf die richtige Weise
flüstere wird ihr das gefallen
Mein Lächeln
gibt er dem Spiegel zu verstehen
das ist mein Gebet für heute

6. (06. Januar)

Überall diese grauen Wände
denkt er
als er aus dem Fenster sieht
Eben war das Jahr noch jung
und schon sind alle Gebete zusammengefallen
Man kann keine Farbe mehr erkennen
Wenn Gott mir jetzt wirklich
einen Buckel schickt überlegt er
und ist kurz beunruhigt
Aber dann hört er Schritte im Treppenhaus
und weiß
Er wird es nicht tun.


12. Januar

Wenn Gott nun gar keine
Frauen kennt
überlegt er
sondern nur Heilige
Ich brauche eine
der meine Welt passt
Eine die damals sagt
und mich meint
Lieber Gott
sagt er
Dann setzt er den Hut auf
Und schließt die Tür
Zuletzt geändert von Xanthippe am 18.12.2012, 14:24, insgesamt 3-mal geändert.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 10.01.2013, 18:47

Hallo Xanthi,

dir gelingt es mit diesem Zyklus wirklich, in der Linie zu bleiben. Und in der gleichen Qualität. Das finde ich klasse!
Auch wird mir deine Figur immer vertraulicher. Und - so scheint es mir - auch zutraulicher, dem Leser gegenüber.
Ich finde es rührend und berührend, seinen Gedanken und Handlungen zu folgen.

Saludos
Gabriella

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nera
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Beitragvon nera » 10.01.2013, 22:43

sehr schön

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 11.01.2013, 12:36

Herzlichen Dank an euch!
Ich freue mich.
Xanthi


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