Lyrischer Dialog

Hier ist Raum für gemeinsame unkommentierte Textfolgen
Nifl
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Beitragvon Nifl » 11.08.2006, 17:59

Liebe Schreibfanatiker,

ich möchte hier in diesem vitalen Forum einen "lyrischen Dialog" beginnen. Lyrische Dialoge sind kooperatives Schreiben, Gedichte, die (auf-)einander aufbauen. Das können inhaltliche Bezüge sein, oder es werden Worte des "Vorschreibers" aufgegriffen, oder man übernimmt einfach nur die Stimmung.
Hierdurch entstehen unkommentierte Gedichtfolgen. Die Form bleibt dem Autoren überlassen (zB. ob gereimt oder ungereimt ...)
Würde mich über rege Beteiligung freuen!

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Zuletzt geändert von Nifl am 30.08.2006, 19:10, insgesamt 2-mal geändert.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 11.11.2011, 10:28

vom salz nicht zu reden
nenn es leben


als es im mund klumpte
und man die augen künstlich
befeuchten musste
wurde es zeit auszuspucken
nachzuschauen, wie es im strudel
hinabgezogen wurde
runter zu den ratten
geht man nicht
wie zu einem rendez-vous
allein - das lässt sich allerdings sagen
dass das gift zeitversetzt wirkt
damit man keinen bezug
mehr herstellen kann

Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

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Eule
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Beitragvon Eule » 11.11.2011, 15:05


Zeitenuhr


Salz und Brot durchs
Wüstenfenster tief
in die Gruben des
Weltalls im Ascheregen ohne
Worte am Morgen
Ein Klang zum Sprachspiel.

Nifl
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Beitragvon Nifl » 12.11.2011, 09:56

Begegnung hinterm Mond

Samt und besonders (ist alles wahr)
wie es sich löst
im Gegengift im Gegenlicht

ein Scheinschlag ritzt das Glas
umfeuchtet

Die Erzählung einer neuen Ansicht (auch das ist wahr)

Blauer Planet
von den Meeren sagst du
sind wir angeschwemmt
auf ein verstelltes Plätzchen
drehen uns hinter den Mond zurück
weil wir dort zu Hause sind
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Gerda

Beitragvon Gerda » 12.11.2011, 11:43

Die Sonne wärmt nur noch den Rücken
Vor, über und unter uns verdunsten die Meere,
schmelzen die Gletscher,
zermahlen sich Sterne zu Staub
und versteinern die Mienen.

Wir stehen schon knöcheltief in dieser Schicht
Heben die Füße beim Gehen,
bürsten unsere Hosensäume aus.
An das Ozonloch denken wir dabei nicht.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 12.11.2011, 15:29


ist alles wahr (so wahr
ich hier sitze auf einem roten Stuhl
der Weg nach rechts abbiegt
der Windhund Igor gerufen wird
und der Himmel für uns
die Vorhänge zuzieht)


das Licht färbt (vom Mond aus betrachtet
trennt uns kein Steinwurf) meine Finger
huschen schneller über die Tasten
als eine Eidechse im Backspace
verschwinden kann (irgendwo
erkennt man etwas von sich – ein Mensch
schichtet Mauern auf und wartet auf Leben)

wie ich mein Gesicht in deine Hand lege
als wäre es dort zuhaus, riechst du dich
zufrieden an meiner Schläfe, findest
den rechten Weg samtwach (zu den leicht
geöffneten Lippen) du sagst: Meer
und die Luft frischt auf

ein Hund hechtet in zusammengerecheltes
Laub (lachen hier wie da)
im Novemberschein tauchen wir
auf und ein (Worte sind Wolken
und Stein)

Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Gerda

Beitragvon Gerda » 12.11.2011, 19:17

auch liebe

zwischen wolken wünsche träumen
sorgen schreiben himmelwärts
auf leere blätter worte streuen
sie in deinen zügen lesen
und deinem schritt folgen

mit leichter hand gräser knicken
pflücken und flechten als ob
sich unsre gedanken verketten

dein lachen trinken
mich an dir reiben

Nifl
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Beitragvon Nifl » 13.11.2011, 21:28

Auf der anderen Stirnseite
steht ein weißer Stuhl (er dachte immer es bliebe ihrer)
mittlerweile ist Gras gewachsen (er streicht gelegentlich noch entlang)
sie hätte ihn gemäht haben wollen
noch vor dem Novembernebel
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Niko

Beitragvon Niko » 13.11.2011, 22:45

stühle und gras
ich habe sie immer ausgeklammert
von den themen
die überall nach mir suchten

auf ihnen schrieb ich postkarten
ließ ich gedanken fallen
und träume steigen

sie trugen mich auch
als ich selbst mich
für nicht tragbar hielt

stühle und gras
sie sagten mit mir
an den gleisrändern
wo ich im zugwind stand
das ich ein zuhause bin

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Eule
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Beitragvon Eule » 13.11.2011, 23:04

Zuhause was gehört
Die Türen zerbrochen

Fenster draußen schrien
Motoren den Himmel in

Buchstabengrau fiel das
Messer fuhr durch die

Räume der Glasblitz roch
Nach den Flecken der

Würste über die Treppen
Schwamm ein Schulheft
Aus sich heraus
Ein Klang zum Sprachspiel.

Gerda

Beitragvon Gerda » 13.11.2011, 23:20

Auf dem Hof

Sanft angestubst,
schaukelte die Schweinehälfte
an dem Holzgerüst.
Berührungsängste kannte ich nicht.

Wurde geschlachtet,
gab es frische Wurstsuppe
und für mich einen Luftballon.

Später als ich herausfand,
woraus der Ballon* gefertigt wurde,
mochte ich Suppe und Wurst nicht mehr.

(*Schweinsblase)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 14.11.2011, 01:05


in all den jahren
schichtete ich stein um stein
mit festen fugen
kreisrund blickdicht turmhoch
in all den jahren
schlachtete ich farben
sah nur die eine die keine war
sekunden währten minuten
stunden tage jahre

des schichtens des schlachtens müde
berührten meine knie den boden
fügte mich den fugen
sah nicht mehr zurück
nicht mehr nach vorn
nistete mich ein
in all den jahren

nach all den jahren
stubste mich ein wort an
das wort wurde zur frage
die frage zur antwort
die farbe die keine war
wurde leben

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 14.11.2011, 08:03


der Winter, der Winter

noch vor dem Novembernebel
wollte sie an den Gleisen stehen
(einsteigen!) jedes Jahr zieht
dieses Wetter auf, klamm
heimlich verschwinden die Züge
dann fragt sie sich wieder: Wann
kommt er, schneeleicht

Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

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Zakkinen
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Beitragvon Zakkinen » 14.11.2011, 08:43

In Laken gehüllt liefst Du noch vor Tagen
Lachend durch meine Wohnung als Gast
Dieselben Laken als letzte Hülle der Scham
Fragen sind geblieben und Du mir so fremd

Gerda

Beitragvon Gerda » 14.11.2011, 18:33

ver(s)uchung

sag mir,
wie schaff’ ich dich
aus meinen gliedern
und die gedanken fort,
einschließlich des verdachts.
ich liege schlaflos in der nacht.


sag mir,
wie nehm ich dich
für mich ganz ein,
dass du verweilen magst.
wie werde ich dich nie mehr los?
so hab ich wirre träume bloß ...


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