Lyrischer Dialog

Hier ist Raum für gemeinsame unkommentierte Textfolgen
Nifl
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Beitragvon Nifl » 11.08.2006, 17:59

Liebe Schreibfanatiker,

ich möchte hier in diesem vitalen Forum einen "lyrischen Dialog" beginnen. Lyrische Dialoge sind kooperatives Schreiben, Gedichte, die (auf-)einander aufbauen. Das können inhaltliche Bezüge sein, oder es werden Worte des "Vorschreibers" aufgegriffen, oder man übernimmt einfach nur die Stimmung.
Hierdurch entstehen unkommentierte Gedichtfolgen. Die Form bleibt dem Autoren überlassen (zB. ob gereimt oder ungereimt ...)
Würde mich über rege Beteiligung freuen!

Bild
Zuletzt geändert von Nifl am 30.08.2006, 19:10, insgesamt 2-mal geändert.

Max

Beitragvon Max » 16.06.2010, 22:55

Regen

Irgendein Tropfen hat den Weg gefunden
durch das Fenster
die Wand hinab
dann noch einer

Der Verfall stinkt


Ich schaue zu
noch

Zeit
weiter zu ziehen

Mucki
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Beitragvon Mucki » 18.06.2010, 00:19


Viel besser

Lange sitzt er schon da.
Beobachtet rote Skorpione.
Ach, könnt' ich so krabbeln wie sie.
Seehunde strecken ihre Bäuche
genießerisch in die Sonne.
Ach, könnt' ich es ihnen gleichtun.
Er gibt Acht, im Schatten zu bleiben,
schaut betreten zu seinen Kameraden.
"Komm schon zurück, du Dummerchen,
dort kannst du den Ozean nicht heben!"
Mit einem Satz springt er in die Fluten.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 19.06.2010, 21:10

Der rote Skorpion sitzt schon lange da. Wie ein Agent,
irgendwo zwischen dem Fleisch,
der auf seinen Aktivierungs- (oder Deaktivierungs-?)anruf wartet.


I. hat mir erzählt,
sie schaue sich Videos von Hobbypianisten auf YouTube an,
in denen man nur die Hände und Arme sieht.
Und dann spinnt sie sich zusammen, wer da spielt (natürlich für sie,
auf eine ferne Liebesform).
Sie tragen Pullover, T-Shirt, Hemden, haben schwarze Haare auf den Armen oder jünglingglatte Haut;
was auch immer, es deutet die Sanftheit von jemanden an,
der etwas ausrichten kann,
an ihr, sie nämlich.

Es gibt auch Frauen, die spielen, aber von ihnen dererlei Ausschnitte anzuschauen,
kann sie nicht ertragen. Da stürzen Namen auf sie ein (Julia, Nele, ...),
deren Gesichter man googeln kann.

Ausdrucken, ausschneiden, vor die eigenen Augen und Stirn kleben. Sich streicheln lassen,
von einer Hand, die das richtige tut,
weil sie, I., nicht gemeint ist.

Da lieber Männer erfinden, die nicht streicheln können,
in diese unmögliche Bewegung legt sich I. schlafen
und ihr Haar fällt ruhig.

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 20.06.2010, 23:24

.



Frühlingsbrise

Opa sitzt im Garten, rege
Nur sein Haar




.
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

Klara
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Beitragvon Klara » 21.06.2010, 11:14

Gefrorene Milch

Der Sommer
wiegt am schwersten: Zu jung
fürs rote Eisen und
alt für die Zukunft
vor der Zeit
durch Rost gefallen
warte ich auf den Prall
oder den nächsten Grund
nicht zu leben:
in einer Zwischenzeit, die nicht endet

Die Kinder sind größer und werden
an meinem Vergehen
gefüttert mit Kraft all die Jahre
hab ich sie gefunden
verbarg mich darin
Nun ist mir die Zuständigkeit für die Farben abhanden gekommen
und was am lautesten fehlt
bin ich

Ohne Andockstellen die Fühler
Ohne Antwort die wenigen wie die vielen
Worte, fließt mein Salz
nur im inneren Zirkel, gelöst
in einem Meer, das getrunken wird wie ein langsamer Tod
hänge ich
mit der Wäsche am Ständer
kein Tuch, sondern feuchtes Trocknen
um krude Vernähtes:
ein Teufelskreisel (verlorenes Spielzeug
kein Pfand)
Was mir schmeckt, tut mir weh
Und der Duft – dieser Duft! –
schüttelt längst verbrauchte Hoffnung von den Zweigen
reicht mir ein Morgen
mit dem ich nichts anfangen kann

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 25.06.2010, 19:43

Wer pustet

Ich verbarg mich in der Torte,
die mir Schmerzen bereitete

Die Augen in den Kerzen,
Richtung Kirsche gedrückt
(Kind, da kommen die Flammen her)
sang ich, auf dass der Zucker rosten möge

Happy Birthkey to you, Happy Birthkey to you

Zum Hinausessen zu feig
(ist so verpönnt)
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

scarlett

Beitragvon scarlett » 25.06.2010, 21:25

Tortenträume
verzuckern die Schmerzen
(wer redet sie mir ein?)

Flammenaugen
verzieren das Dunkel

und ich esse mich hinaus
in den rostigen Tag

Mucki
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Beitragvon Mucki » 26.06.2010, 15:58

es gebührt

dunkel ziert sich nicht
säureträume ächzen
ketzerkerzen blühen
es gebührt
das dunkel zu flammen
augen tapfer zu reißen

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 30.06.2010, 08:45

leere wem leere gebührt (ROAARRR)

der löwe, mit welchem sich der held maß
ist längst an altersschwäche gestorben
wasser dringt in die metapher ein

was für ein jammer,
den keiner hört
(ohren längst mutiert)
seit der paarung von hochhaus und birke.


hinter den schläfen pocht manchmal noch etwas
dann stellen wir ein tellerchen mit milch auf den boden
für die katz


Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Nifl
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Beitragvon Nifl » 01.07.2010, 22:15

Nimmt es den Bildern aus
rund und sauber
lächelt wie ein Modell (das erschreckt mich)
ein Fisch ohne Innereien
küsst mich in der Bahn
trägt Koffer auf dem Kopf
der oberste wird schwarz bleiben
aber mit jedem Meter kleiner
schrittsicher kleiner
träumt sich nicht so einfach davon
(und ich? Tausendmal wollte ich wieder dort einschlafen wo es schön war)
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Max

Beitragvon Max » 03.07.2010, 22:26

Alle Plätze belegt
auch in diesem Zug
Doch Halt
am Ende des Wagons
ist noch dieses eine Abteil

Als ich es öffne
sitzt da eine Fischfamillie
Vater, Mutter und drei Barbenkinder
auf dem Weg ans Meer

Ich wundere mich
nur kurz
Es ist ja Ferienbeginn

Mucki
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Beitragvon Mucki » 04.07.2010, 00:59

hör nicht auf

lass den zug fahren
erzähl mir mehr
erzähl mir mehr über uns
über unsere fehler
immer die gleichen fehler
ja ich weiß
weiß um jeden einzelnen
erzähl mir mehr
über unseren bittersüßen schrott
ich will es hören
so lange bis ich satt bin
du hungrig wirst
bis der zug abgefahren ist
erzähl mir alles
hör nicht auf
lass uns all unsere fehler noch mal
durchlieben

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 04.07.2010, 09:42

tausendmal sollte ich ein modell sein (das erschreckt mich)
oder: man kann einen see nicht hinunterschlucken


ein fischkopf mit augen so tief
irgendwo lag das in den worten
muss es gewesen sein, dass er
mich schaute und es ihm
pochte unterm schillern
verblassten die zahlen
aus den studien der liebe

(an einem punkt fiel ich
˘ hinab ˘ hinab ˘ hinab ˘
klingt das nicht als würde man fliegen?
darüber möchte ich eine fermate setzen)

aus einer erinnerung:
wahrscheinlich war es
weil sein mund offen stand
öffnete ich auch meinen
wir unterhielten uns wohl eine zeitlang
schien es gar als küssten wir uns
über das gewesene hinweg
ahnte ich, wie wenig es brauchte

wenn ich all meine schönheit ablegte
sähe ich die zukunft
, sagte er plötzlich
reckte seine aufzeichnungen in die höhe
mir entgegen, als wäre es sein kreuz
in meinem fall läge der aufprall nah
und somit sei seine abkühlung zwingend
das wäre abzulesen.

das unterstrich er mit einer geste:
einem punkt.

(dieses l. wort hallt nach
ich bewundere die akustik des himmels)

Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Max

Beitragvon Max » 10.07.2010, 18:29

Was wir verloren

Das Brot mit der guten Leberwurst
der groben
das am nächsten Tag ganz hart war
den Bären
der Thomas hieß
den aber nur für einen Tag

Ein wenig Selbstvertrauen
die Mutter
das Endspiel um die Fußball-Europameisterschaft

Dann lange nichts
Jedenfalls nichts
was wir bemerkten

Nur einen Kuss
einen einzigen
ein wenig Liebe

Nur den Glauben
an einen Gott
und an dich
und an mich


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