Prosalog

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Nifl
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Beitragvon Nifl » 23.07.2007, 18:09

Bild
Foto A.P. Sandor et moi


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Hier handelt es sich um einen Faden, in dem ihr euch prosaisch zurücklehnen könnt. Lasst euren Gedanken freien Lauf. Erzählt von euren Träumen, eurem Ärger, euren Problemen, euren Sehnsüchten, euren Beobachtungen, euren Wünschen, euren Phantasien, euren Ideen, eurem Kummer, eurer Wut, eurem Tag, euren Spinnereien … "Die Wahrheit" spielt dabei selbstverständlich keine Rolle.
Fühlt euch frei.

Lasst euch von bereits verfassten Texten inspirieren, greift das Thema auf, oder schreibt einfach "frei Schnauze"… alles ist erlaubt.

Ich bin gespannt!




Kleingedrucktes:

Damit eure Kostbarkeiten behütet bleiben, müssen folgende Regeln beachtet werden:

Bitte keine Kommentare
Keine direkten Antworten (zB. Gratulationen, Beileidsbekundungen, Nachfragen etc.)
Keine Diskussionen
Kein Smalltalk oder Talk überhaupt

Geht immer davon aus, dass alle Texte Fiktion sind.



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Zuletzt geändert von Nifl am 04.08.2007, 09:08, insgesamt 1-mal geändert.
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Max

Beitragvon Max » 30.01.2008, 20:54

Du hast gewartet und hast doch den Sommer nicht unverrichteter Dinge streichen lassen. Hast auf mich gehofft und auf zwei andere, der eine war Däne. Im Cafe am Wasserturm brachst Du mit einem Mal in Tränen aus - "das habe ich nicht verdient" - und ich war unbeholfen.
Dann habe ich gewartet, zwei Monate später, am Fuß der Brücke, von der ich ein Jahr zuvor nicht gesprungen war. Wir haben die Kirche mit meinem Namen besucht und Bach gelauscht, obwohl keiner von uns religiös war (wie sich die Liebe in Beichstühlen wohl anfühlt?). Als wir zurück fuhren in die andere Hauptstadt bewunderte ich heimlich deine bloßen Beine.
Als wir beide nicht mehr warteten, lud ich dich zum Abschied zum essen ein. Im Restaurant nahe der Gracht schenkte dir jemand eine Rose. Die machte deinen Mann eifersüchtig, auf mich.

Louisa

Beitragvon Louisa » 30.01.2008, 22:46

Die meisten guten Erfahrungen habe ich erfunden, aber das stört mich nicht. Es liegt kein großer Unterschied zwischen Vorstellung und Vergangenheit, beide sind jetzt nur noch erfunden. Manchmal erscheinen mir die Träume wirklicher, als die Erinnerungen. An den Erinnerungen fehlt stets etwas. Zum Beispiel meine Einschulung. Was weiß man noch vom Tag seiner Einschulung? Was weiß ich vom Tag meiner Einschulung? Es gibt ein Foto. Ich in einem weißen Kleid vor einem Blumenbeet im Park. Auf dem Kleid schwirrten kleine gestickte Bienen. Meine Tante hat es mir aus Amerika geschickt. Wenn meine Oma von Paketen aus Amerika sprach, hätte man glauben können, sie hätte es direkt aus dem Rosinenbomber ("Das ist aus Amerika! A-me-ri-ka!").
So heldenhaft, modern und exklusiv war dieses Kleidchen.
Dazu trug ich eine goldene Uhr. Ich trug sie nur an diesem Tag und danach in meinem ganzen Leben niemals wieder eine Armbanduhr. Um die Zeit besser vergessen zu können, habe ich gedacht.

Aber das ist ein Foto, keine Erinnerung. Das Foto soll eine Brücke in die Vergangenheit bauen, aber nicht einmal diesen Moment vor dem Blumenbeet lässt es lebendig werden. Ich kann mich nicht an den Duft der Blumen erinnern.
Was ich erinnere ist meine Schultüte, weiß bemalt mit Luftballons. Darin war eine Plüschmaus, die eine Latzhose trug. Der Rest der Schultüte ist in meiner Erinnerung leer, aber sie war gefüllt. Wäre es ein Traum, könnte ich Dinge hinzuerfinden. Ich könnte sagen: In meiner Schultüte waren Münzen, Gummibärchen, Muscheln, ein Fernglas, eine Luftpumpe, Kokain und Kondome!

Aber es ist leider kein Traum, sondern eine lückenhafte Erinnerung. Ich frage mich, wie die Erinnerungen an ein gelebtes Leben aussehen mag. Erinnert man sich an lauter lückenhafte Tage, an eine einzelne Plüschmaus, die für die Einschulung steht? Oder erinnert man sich an seine Träume, die viel präziser, viel schmerzlicher und viel schöner waren, als die Wirklichkeit?

Oder ist die Erinnerung am Ende des Lebens ein einziges Gemisch aus erlogenen und erlebten Erfahrungen? - und ist die Zeit ein Gemisch aus Lügen und der Realität meines weißen Kleidchens an diesem Frühlingstag ?

Und war das, was war, überhaupt einmal oder kann man nicht auch einen Traum zur Erinnerung deklarieren und ihn damit verwirklichen?


(Kann man das, Baron von Münchhausen :smile: ?)

-Dieser Text wurde inspiriert von Amerika. A-me-ri-ka.

Nifl
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Beitragvon Nifl » 06.02.2008, 09:12

Ich bekomme heute die Fundamente für zwei Kronen gelegt, draußen ist Sauwetter (der reinste Weltuntergang) und überhaupt bin ich der Ärmste… Dabei gehöre ich zu den wenigen, unverschämten Deutschen, die gar keine Angst vorm Zahnarzt haben (finde ich geradezu lächerlich). Trotzdem bräuchte ich jetzt wohl Höhensonne. Ich fühle mich, als sei ich aus dem Raster geraten, als warte ich auf einer Position zwischen zwei fixen Knoten. Und dieses trübe Gefühl verstärkt sich noch selbst, als sei es mitgekoppelt bis es pfeift in der Befindlichkeitsgegend (wo immer die nun genau ist). Weil ich mich nämlich darüber ärgere, dass mir so ist, nur weil sich mal nicht der alltägliche Trott abspult (von Knotenstund zu Knotenstund… (worüber man ja auch immer kräftig jammert)). Dass ich mit Ende dreißig schon so eingefahren bin, ist einfach furchtbar, und ja, sehr bemittleidungswürdig, finde ich…
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Zefira
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Beitragvon Zefira » 06.02.2008, 11:24

Ich erinnere mich, dass in meiner Schultüte ganz unten in der Spitze noch ein kleines Paket Gummibärchen war. Es rührt mich noch heute, dass sich jemand (meine Mutter? mein Vater?) die Mühe gemacht hat, dieses Paket Gummibärchen in die äußerste Spitze der Schultüte zu drücken, damit um so mehr oben drauf passt. Als ich mich in umgekehrter Richtung durch die Tüte gefuttert hatte und sie schon geleert glaubte, konnte ich immer noch mit den Fingerspitzen diese Gummibärchen herauspulen. Dieses Hineinpressen ist für mich auf ewig mit dem Gefühl des Überflusses verbunden. Die Zeiten, als ich noch rauchte und so viel Tabak hatte, dass ich eine richtig dicke Wurst ins Blättchen rollen konnte. Der Anblick, wenn ich ein Paket Spinnfasern von Ebay öffne und die Fasern quellen mit explosionsartig entgegen, als habe sie der Versender mit aller Kraft in das Päckchen gequetscht. Leider ist das die Ausnahme. Die Regel ist eine Blisterpackung mit viel Styropor, in dem der eigentliche Inhalt sich ägnstlich vergräbt wie ein Wickelkind im Steckkissen. Oder die Packungen, in denen der Inhalt spazierengeht, wenn man sie schüttelt. Blindgänger. Rohrkrepierer. Taube Nüsse. Früher war überhaupt alles besser. Nur die Särge sind wahrscheinlich nach wie vor eng ... Ich werde eine Urne nehmen. XXL.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 07.02.2008, 19:42

Nach so langer Zeit

fühlt sie sich immer noch nicht heimisch. Ihr fehlt das Sicherheitsnetz, das ihre spontanen Echos auffängt, die Wand, die ihr den Rücken stärkt. Viele Gespräche hat sie geschrieben, ja, viele. Gerade diese bestärken ihre Unsicherheit, versichern ihren Zweifeln die Richtigkeit. Doch vor allem eines wird ihr verweigert. Vertrauen. Wie also soll sie sich trauen, spontan zu sein? Verließe sie das notdürftige Netz, blieben keine Löcher.

Max

Beitragvon Max » 08.02.2008, 14:09

Erinnerung an einen Sommer

Nach dem Tot der Mutter und der Einschulung im Vorjahr hatte er gedacht, dass ihm 1972 nur zwei Gefahren bevorstünden: die Mandeloperation im April und der Flug nach Bulgarien, vor dem er sich fürchtete.

Die Mandeloperation überstand er, aber er durfte danach als einziges Kind kein Eis essen. Auch erinnert er sich heute noch daran, zwei Tage nichts getrunken zu haben, weil er den Tee im Krankenhaus nicht mochte. Dann kam der Vater mit der Großmutter und er flüsterte: Ich habe solchen Durst. Die beiden holten die Schwester, die eine ganze Kanne Tee brachte.
Auf dem Flug nach Bulgarien stürzten sie wider Erwarten nicht ab. In Erinnerung geblieben ist ihm nur der ziehende Schreck im Magen, als sich das Flugzeug über der Donau nach links und rechts neigte und die Ohrenschmerzen beim plötzlichen Steigen.

Als die Gefahren überstanden waren, brach er sich im Sommer den Arm. Die Haut unter dem Gips juckte, ein Jucken, das auch nicht durch Puder oder Stricknadeln gelindert wurde. Als der Gips nach sechs Wochen wieder abkam, schnitt ihn die Säge kurz in den Arm (die Narbe war noch Jahre später zu sehen). Noch heute ist das linke Handgelenk leicht schief.

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 09.02.2008, 01:49

Nach der Verlagskonferenz und Gegenlesen eines Dreißig-Seiten-Artikels hat sich der junge Künstler an den Schreibtisch gesetzt, um die nächste Unterrichtsstunde im Kreativen Schreiben vorzubereiten. Der junge Künstler ist nicht im Hauptberuf Künstler, eigentlich noch nicht einmal im Nebenberuf; er ist Lehrer an einer Waldorfschule, Verleger und Lektor in einem Kleinverlag, der hauptsächlich Regionalia und Mundartlyrik druckt, und an zwei Abenden monatlich ist der junge Künstler auch noch Leiter eines Volkshochschulkurses zum Kreativen Schreiben. Heute abend beginnt ein neues Semester mit (wahrscheinlich) einigen neuen Autoren, und der junge Künstler lutscht am Ende des Kugelschreibers (abgeknabbert, abgestanden-metallisch schmeckend) und denkt nach, wie er diese Leute, die ihre Schnellhefter voller Gedichte vor sich hertragen wie den heiligen Gral, am besten auf die von ihm bevorzugte Linie bringt: das Thema anfassen; sinnlich, vielleicht lustvoll erfahren; darüber schreiben, diskutieren. Ihm fällt nichts ein. Der Metallgeschmack des Kugelschreiberendes breitet sich in seiner Mundhöhle aus wie eine Krankheit; Bitternis pflanzt sich fort bis in den hinteren Rachenraum. Um auf einen anderen Geschmack zu kommen, geht der junge Künstler an den Kühlschrank, prüft den Inhalt (dreieinhalb Flaschen Diät-Cola, eine Flasche Mutivitaminsaft, schon abgelaufen, eine beinahe leere Tüte Milch, eine noch zugekorkte Flasche Blauer Zweigelt) und schließt die Tür wieder. Der Anblick der vielen Plastikflaschen bringt ihn auf ein Thema, das jeden betrifft: die leeren PET-Flaschen, die der Laden nicht zurücknimmt. Klar und deutlich sieht der junge Künstler das Display am Automaten zur Rücknahme der Pfandflaschen vor sich: "Gehört nicht zum Sortiment". Er nimmt die Flasche, die der Automat ihm wieder entgegenschiebt, dreht sie herum und drückt sie ungeachtet des Hinweises "Flasche mit dem Boden zuerst einstellen" diesmal nicht ärschlings, sondern Hals voran in das Loch; der Automat drückt sie mit dem Hinweis "Gehört nicht zum Sortiment" beharrlich wieder zurück. Vermutlich ist die Flasche zu ausgebeult, als dass sie der Automat wiedererkennt. Der junge Künstler steckt sich die Flaschenöffnung zwischen die Lippen und bläst mit aller Kraft die Beulen aus der Flasche, als gälte es, einen Ballon aufzupumpen. Wenn die Flasche sich wie ein Ballon ausbeult, denkt sich der junge Künstler und öffnet erneut die Kühlschranktür, wird sie nicht mehr in die Eingaberöhre des Automaten passen. Er wird nach Personal klingeln müssen. Der junge Künstler nimmt sich die Flasche Blauer Zweigelt, den soll man eigentlich nicht so kalt trinken, aber weinwissenschaftswidrig hat der junge Künstler den Wein eiskalt am liebsten. Auf sein Klingeln wird ein Lehrling kommen, mit blondierten, in der Kopfmitte zu einem Hahnenkamm zusammengegelten Haaren. Er wird sich die aufgeblasene PET-Flasche von allen Seiten betrachten, dann ein Blöckchen aus seiner Kitteltasche ziehen, desgleichen einen Kugelschreiber (ein Anflug des widerlichen Metallgeschmacks meldet sich auf der Zunge des Künstlers) und den Betrag von 15 Cent auf dem Blöckchen notieren, um den Zettel dann abzureißen und dem jungen Künstler wie einen Ablassbrief auszuhändigen. Der junge Künstler nimmt einen Korkzieher aus der Schublade neben dem Kühlschrank und dreht ihn in den Korken der Flasche Zweigelt, während er an all die Volkshochschüler, die Kreativen Schreiber, die Besucher seiner Kurse denkt, die gerade jetzt in einem Supermarkt PET-Flaschen in den Rückgabeautomaten einfüttern. Meistens sind es Frauen zwischen 40 und 65, die seine Kurse besuchen. Alle diese Frauen, die in ihrer Freizeit Gedichte über den Klimawandel schreiben, über Arbeitslosigkeit, die Abholzung des Regenwalds, Babyklappen, ausgesetzte Haustiere und Globalisierung, alle diese Frauen stehen täglich in Supermärkten vor Rückgabeautomaten und stecken PET-Flaschen in die Röhre, die sogleich wieder zurückkommen mit dem Hinweis "Gehört nicht zum Sortiment". Damit hat er sien Thema gefunden, das ist ein Thema, das wirklich jeden bewegt und keinen kalt lässt, denkt sich der junge Künstler und merkt nicht, dass der Korkenzieher wegrutscht und die Spitze sich in die Haut seines Handrückens bohrt; sogar das tropfende Blut sieht nicht viel anders aus als Blauer Zweigelt, und erst als er die Tropfen mit der Zunge auffängt, merkt er den Unterschied am Geschmack: abgestanden-metallisch, Bitternis bis in den hinteren Rachenraum.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
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Lisa
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Beitragvon Lisa » 13.02.2008, 10:48

Heute nacht konnte mein Schlaf sich nicht in der Fernsehzeitung zurechtfinden. Der Sprecher erzählte immer das, was kommen sollte, als schon gewesen. Dabei wollte ich doch alles aufzeichen, auf Neue und auf Alte Weise. Ich bin nicht ganz sicher in welchen Zimmer dieser Versuch überhaupt stattfand, es kam mir fast vor, als wäre es so sehr ein eingerichteter Keller, dass ein Feuer darin wäre, nur weil es nach benzin und nach verbranntem Holz roch und knackte; dass es also eine Hölle war, was auch erklärt, weshalb der Empfang gestört war.
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 13.02.2008, 13:12

Die gestrigen Gedanken lassen mich nicht los. Schicksal - was ist das? Ein Weg, den mir jemand vorgezeichnet hat? Wer? Oder ist es ein Anker - so wie andere an einen Gott glauben - ein Anker, an dem ich mich festhalte, der mir die Option schenkt, mich fallenzulassen, in dem Wissen, es nicht in der Hand zu haben, weil es doch vorbestimmt ist? Ein vom Menschen erdachtes Placebo, um seine eigene Unzulänglichkeit zwielichtig begründen zu können, ein Deckmäntelchen für den Fatalismus, der Resignation die Tore öffnend, dieselbe rechtfertigend, sogar gutheißend? Mache ich es mir nicht zu leicht? Besäße ich den Glauben, mein Schicksal selbst steuern zu können, wäre da nicht konsequentes Handeln, ergo eigene Verantwortung gefordert? Dem Schicksal aber die Macht zu überlassen, würde den Weg meiner Ohnmacht ebnen, ihr Absolution erteilen, somit der weitaus bequemere Pfad; Eigenbetrug? Das Schicksal hinterfragend, bin ich wohl nicht auf dem bequemen ...

... möchte es auch nicht sein, keine Marionette des vermeintlichen Schicksals, das ich nicht zu verändern in der Lage wäre. Warum ist dennoch mein Glaube an ein solches so fest in mir verwurzelt? Es ist allerdings kein starres, sondern ein dynamisches, eines, welches mir Wege offenhält auf dem irrigen, labyrinthartigen Pfad meines Lebens, mir immer wieder Weggabelungen anbietend, die ich - zu meinem Leidwesen - meist zu spät erkenne, daher wohl der stets wiederkehrende Wunsch, die Zeit zurückdrehen zu wollen, um eben den anderen Weg einzuschlagen. Es gibt vermutlich einen direkten Weg zum Ziel, wie auch immer er aussehen mag, doch ich stelle, mein Leben revue passierend, fest, dass ich stets den schwierigeren, von Hindernissen gekennzeichneten wählte, und dies mit einer Konsequenz, die mich äußerst nachdenklich werden lässt. Sah ich den einfachen nicht? Oder trieb mich eine innere selbstzerstörerische Sehnsucht dazu, immer die Steine zu suchen, wie die Motte das Licht, in dem sie verbrennt? Bin ich eine Motte, die, sich ihrer selbst bewusst, mit klarem Verstand ins Feuer läuft oder ist es der verschleierte Verstand, der mich den Feuerlauf immer wieder inszenieren lässt? Inszenieren? Possenspiele werden inszeniert. Waren es solche? Nein. Ein bewusster Wille war stets präsent. Umso mehr drängt sich mir die Frage auf, warum ich bewusst ins Feuer lief, und das so viele Male? Wo ist der Beginn, wo die Veränderung, hat es eine solche überhaupt gegeben? Eine winzige, kaum erkennbare, kann ich wohl bejahen, für einen Kurswechsel jedoch reicht sie nicht aus, noch nicht ...

...kurzes Intermezzo durch nicht-gedankliche Aktivität. Auch vom Schicksal so bestimmt? Beschäftigt sich Fortuna mit so geringen Dingen? Oder sollte sich Fortuna nur mit den großen Fragen des Seins auseinandersetzen bzw. sie bestimmen? Stellt sich diese Frage überhaupt? Ich lache über mich selbst, über mein mir lächerlich erscheinendes Sinnieren über DIE Frage schlechthin. Wer bin ich, dass ich diese Fragen stelle, die selbst die größten Philosophen aller Zeiten nicht beantworten können.

... sicher, eine gewisse Resignation prägt mein Wesen, doch mutiert diese in ständigen Wandlungen mal in freiheitliches Fallenlassen, mal in aufflackerndes Kampfdenken. Ebenso ist die Neugierde nicht außer Acht zu lassen. Sie ist mein größter Antrieb, die Neugierde auf die weiteren Momente, die das Schicksal mir zufallen lassen wird. Was für ein Widerspruch. Schicksal und Zufall, den es nicht gibt. Es fällt einem zu, ja. Und ich lasse mich dann doch einfach fallen.

... "Zuweilen denke ich mit traurigem Vergnügen daran, daß ich, wenn dereinst in einer Zukunft, der ich nicht mehr angehören werde, diese Sätze unter Lobsprüchen überdauern, doch noch zu guter Letzt Menschen finden werde, die mich "verstehen", meine Leute, meine wahre Familie, wie geschaffen dazu, in ihrem Schoß auf die Welt zu kommen und geliebt zu werden. Doch weit davon entfernt, in dieser Familie auf die Welt zu kommen, werde ich schon seit langem verstorben sein" (Fernando Pessoa)

Himmel, wieso schrieb er immer wieder genau das, was ich denke?

Er schreibt vom 'traurigem Vergnügen'. Für viele mag es ein Widerspruch sein, nicht für mich. Es trifft es so, dass es wehtut. Genau das definiert mich, diese Ambivalenz, die darin enthalten ist. Ich vermag dieses Eigenleben wohl zu transformieren, doch erscheint mir ein eigenwilliges Eingreifen wie Zerstörung, wie eine verbotene Zone des Schicksals, in die ich meine Gedanken nicht lenken darf. Der Glaube an ein Schicksal, welches mein Leben lenkt, sitzt tief, wenn ich auch oft an ihm hadere. Bleischwer wiegen meine Gedanken in einem ebensolchen Körper. Möchte heute wieder hineingleiten in meine eigene, andere Welt, doch die fehlende Leichtigkeit macht es unmöglich. Zeit verstreichen lassen, zweiten Anlauf vorbereiten ...

Nicole

Beitragvon Nicole » 13.02.2008, 17:51

Kann man Wünsche vergraben?
Wenn man tief genug gräbt und steckt sie in das Loch, verrotten sie dann?
Oder sind sie wie Unkraut, kleine Samenkörnern, fast unsichtbar? Und sprießen mit ein bisschen Wärme und Regen plötzlich aus dem Boden, überall und in einer Fülle, das man sie einfach nicht alle ausreißen kann?
Ob vielleicht eine dicke Schicht Mulch hilft?
Eine gute Idee, ich schütte eine dicke Schicht Mulch auf mein Leben, das sieht immer so schön ordentlich aus!
Was passiert eigentlich mit den Samen unter dem Mulch?
Verrotten sie, oder tanken sie nur Kraft bis zum nächsten Lichtstrahl? Wieso kann man Lichtstrahlen nicht einfach verbieten?
Es ist so ärgerlich: ich geb’ mir solche Mühe und dann kommt so ein Lichtstrahl, ja, so einer wie Du und lässt sie wieder wachsen...Und sie waren doch so gut vergraben, tief unten!
Und Du? Du strahlst nicht einmal mit Absicht so hell, ja, Du weißt es nicht einmal. Bist einfach Du selbst, unangepasst und rücksichtslos sorglos.
Und ich? Ich merke, wie mit jedem Deiner Strahlen (und Du strahlst ja nicht mal für mich!) wieder ein Traumkorn wach wird, sich reckt und zu wachsen beginnt. Langsam an mir hoch kriecht, wie wohlriechendes Geißblatt, mit herrlichen und verführerischen Blüten. Ich steh einfach da, sehe die Farben, atme den Duft und ersticke fast daran.
Und dachte, ich wäre so clever! Hab die Wunschblüten in den Mund gestopft und runtergeschluckt, rasch, damit es auch niemand sieht... Nun liegen sie mir schwer im Magen, fühlen sich an wie Säure, die mich langsam von Innen auffrisst. Und nicht nur das, inzwischen kriechen sie in mir hoch, haben den Kopf schon erreicht. Ich merke, wie langsam die rationalen Gedanken gelähmt zu Boden sinken und die Traumblüten im Kopf wieder Farbe bekommen. Teufelszeug!

Nifl
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Beitragvon Nifl » 13.02.2008, 20:00

Nachbarschaftshilfe 2008. Da wird sich nicht mehr mit Zucker oder Mich ausgeholfen. Und man braucht auch nicht mehr klingeln und fragen. Dabei in Gesichter blicken, aus denen noch die Spiegelkontrolle starrt (wer mag das wohl sein um diese Zeit?) , nein, alles geht berührungs- und geräuschlos vonstatten. Auch mein Dank bleibt stumm. Deshalb hier und jetzt: Danke "Speedport W501V", "Default" und "WirelessABC", denn ohne euch könnte ich nun nicht im Blauen lesen. Ihr habt ein offenes Herz und Türen für Leute, die auf ihren neuen DSL Vermieter warten. Im Gegensatz zu den vielen WPA2 verschlossenen Geizkrägen, wie "FalkenbergOst" zB.. Ich stelle mir vor, dass das ein Beamter mit schütterem Haar ist, der täglich um 7:30 mit seinem zerknautschten Lederränzchen zur Bushaltestelle marschiert (außerdem hat er seine Einkommensteuererklärung bereits erledigt, trägt 7Tage die Woche das gleiche Jackett (ganz feines Karomuster) und prüft nach dem Verlassen des Hauses zweimal, ob die Haustür auch ja geschlossen ist). Wohingegen Default bestimmt eine freigebige Schönheit ist (sie würde die Tür im Bademantel öffnen … mit nassem Haar und Kerzenlicht in der Wohnung) …
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Herby

Beitragvon Herby » 13.02.2008, 22:22

Tempora mutantur...*

An der Bushaltestelle beobachtete ich heute folgende Szene:
Ein Junge, höchstens zehn, elf Jahre alt, kommt angelaufen und fragt einen älteren Herrn nach der Uhrzeit. Der sucht und kramt zunächst umständlich in beiden Mantel-, dann in den Hosentaschen, zieht schließlich ein Handy heraus und hält es dem Knirps mit der linken Hand triumphierend lächelnd vors Gesicht.
Dabei wird eine Armbanduhr sichtbar, welche die exakte Zeit anzeigt.
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*Tempora mutantur, nos et mutamur in illis - Die Zeiten ändern sich und wir ändern uns in ihnen

Gast

Beitragvon Gast » 16.02.2008, 10:21

Die Zeiten ändern sich, die Zeit nicht ... ;-)
Die Uhr läuft unablässig weiter und die Leichtigkeit des Seins, versteckt sich manchmal sehr gut.

„Soweit ist es mit mir gekommen“, dachte ich auf meinem Spaziergang, und schon hatte der Gedanke Worte. Worte, die mir wieder zu schmecken begannen, die mir nicht gleich den Fäulnisgeschmack des Widerkäuens auf die Zunge trieben und die sich zu Sätzen formten „Nachher darf ich mich belohnen. Der Anruf, vor dem ich mich seit Tagen gedrückt habe, dessen Last mir das Atmen schwer gemacht, war erledigt, bevor ich mich aufgemacht hatte. „Nachher setze ich mich an den PC und schreibe“. Eigentlich war es gar nicht schlimm gewesen.
Die Sonne schien. Wohlmöglich konnte ich dem Leben auch für mich wieder eine freundliche Seite abgewinnen.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 16.02.2008, 12:26

Gestern morgen stieg im Hunderondell unablässig ein Rüde mit hängender Zunge einer Hündin hinterher, machte sich sogar nochmal von der Leine los und kam zurückgeeilt, nachdem die Besitzerin nachhause wollte. Als ich am abend meine Wohnungstür aufschließen wollte, hörte ich eine alte Frau im Hauskeller, sie war vor ein paar Stunden beim Füttern ihrer Katze gestürzt. Die Katze saß neben der Frau, die am Boden lag, und schaute auf die verstreuten Brekkies . Ich half der Frau in ihre Wohnung, hob dort noch eine Stehlampe auf, legte den Telefonhörer auf die Gabel. Als ich dann wieder bei mir unter der Dusche stand, war mir,,als müssten sich der Hund und die Katze kennen, als würde die Welt sonst auseinanderfallen, eben weil sie es konnte.
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
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