Lyrischer Dialog

Hier ist Raum für gemeinsame unkommentierte Textfolgen
Nifl
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Beitragvon Nifl » 11.08.2006, 17:59

Liebe Schreibfanatiker,

ich möchte hier in diesem vitalen Forum einen "lyrischen Dialog" beginnen. Lyrische Dialoge sind kooperatives Schreiben, Gedichte, die (auf-)einander aufbauen. Das können inhaltliche Bezüge sein, oder es werden Worte des "Vorschreibers" aufgegriffen, oder man übernimmt einfach nur die Stimmung.
Hierdurch entstehen unkommentierte Gedichtfolgen. Die Form bleibt dem Autoren überlassen (zB. ob gereimt oder ungereimt ...)
Würde mich über rege Beteiligung freuen!

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Zuletzt geändert von Nifl am 30.08.2006, 19:10, insgesamt 2-mal geändert.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 27.12.2011, 22:15


und um uns Splitternacht (Augenzu) ein Bär und zwei Kanninchen

wir fliegen über einem Haus (Figuren kräuseln sich aus dem Kamin)
ein Tor mit Initialen - von jedem ein Buchstabe
wie in Kindertagen oder Geschichten
lässt das höher schlagen, wir steigen! (Albernheiten
willst du den Mond küssen oder mich?) zu Silvester
Grüßen wir (Glückauf) und waschen uns
die schwarzen Streifen von der Stirn
lassen unsere Gläser aufs Dach fallen lachen
warm (in uns hinein) auch über den Bären
der an unserer Badewanne vorbeitrudelt
wie das Sternbild der ängstlichen Kanninchen

und wir lesen in ihrem Licht (Augenauf) ohne im Schaum zu ertrinken



Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 28.12.2011, 13:34

Nackt stehen wir vor dem Haus
sehen den großen Bären über uns
die Kanninchen im Arm zittern
Buchstaben werfen Schatten auf die Gedanken
sperren sie ein

Der Rauch der langsam den Himmel verdunkelt
ist die Erinnerung an das was so nie war
Was soll uns das kümmern
Jetzt
Herausgetreten aus den Kleidern
Nackt vor dem Haus

Klara
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Beitragvon Klara » 28.12.2011, 16:51

Am Fluss

Stromabwärts ins Dunkle ins Licht
mich lauschen
Kein Wort will ich dazu, auch das

Von der Ehrfurcht
nicht. (Als ob
die Elbe das nötig hätte!)

Kein Wort will ich sagen
nur Wasser lassen
Ich wende mich ab

zum Fluss
Bei den drei dicken Bäumen
berühr ich den Stamm

Kein Wort will ich
stumm bleiben, hören
und schreiben

Gerda

Beitragvon Gerda » 29.12.2011, 09:54

im all knautscht sich
der halbmond zum beutel
seine kraterflecken erinnern
an löcher in fahlgelben käselaibern
ganz irdisch und doch unnahbar
zeigt sich der trabant dem betrachter
dessen gedanken völlig
unpoetisch und unsentimental
das jahr bilanzieren auf das neue bauen
und hoffen die liebste bei vollmond zu sehen

pjesma

Beitragvon pjesma » 29.12.2011, 11:56

ein schaltjahrvorsatz
hat viele fluchtmöglichkeiten
bei 29,531 gregorianischer häppchen
schweben so viele kommas um den punkt
ab dem ich werde:dünn, schön und bissig

entscheidungen mit lücken drohen,
wie alle jahre wieder:
hirnrissig

;-)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 29.12.2011, 23:12



nur einmal

gelingt es mir nur einmal
die geballten fäuste zu öffnen
lasse ich nur einmal
meine gefangenen frei
bleibe ich nur einmal
geduldig stehen
spüre ich nur einmal
die brise auf meiner haut
werde ich zum bambus
der vom wind gestreichelt wird





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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 29.12.2011, 23:14


ein turm ein du und ein ich und in den steinen gregorianische gesänge
(ubi nunc habitamus?) eine weitererzählung
nimmst du mich mit

wir zählten nicht die stufen nicht die minuten
als wir ankamen waren wir da
und konnten es uns nicht erklären
am nächsten tag habe ich den kopf
über die zusammenhänge der waldgebiete
geschüttelt, blätter segelten aus deinem haar


über meine schulter zeigtest du ins tal
wir sahen hinaus ließen die wände verschwinden
lichter blinzelten zwischen den ästen und
hinter den fenstern von fachwerkhäusern
saßen zwei mit schütteren mündern
an küchentischen und schlürften tee
man sah es ihnen nicht an so aus der ferne
vielleicht unterhielten sie sich auch (fließend)
ihre köpfe über bücher geneigt

es ist nicht viel, was zu berichten wäre
(ein zopfmuster der geschichten)
wir trugen winterkleider
einen selbstgestrickten schal
es wurde dunkel
ich drehte mich um

so fing es an (vier dunkle glockentöne)

nein, da schweißt du dir etwas zusammen
da waren wir schon jahre durch die wälder gezogen
schrottplätze und gärten kannten unsere gesichter
und so viele dinge waren den fluss hinauf
und hinunter gefahren, dass die hafenmeister
sich über ihre bärte strichen und zum feiern
einen Brennivín auf uns tranken sie kannten
unsere namen nicht der mit den roten haaren
dachte an eine frau und ein schaukelndes licht

(aber auch das waren du und ich)




Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 01.01.2012, 17:46


entflechten zopf für zopf
in gerade glatte strängen
weich und doch geschmeidig
zopfmuster des lebens

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 12.01.2012, 09:21

eine weitererzählung,
ein zopf,
ein hin -und her,
zahlenspiele
dann
wenig später
glatte gedanken
über unebene flächen
geraden
auf denen wir liegen
bleiben
im fluss nichts
als steine

Gerda

Beitragvon Gerda » 12.01.2012, 10:16

steine, quer und schwer
im fluss
du musst
hinübersteigen aufwärts
dem gipfel entgegen

bald wird es kalt
der wind frischt auf
die sonne im sinken begriffen

es gelten andere zahlen als jene
die dir deine uhr zeigt

scarlett

Beitragvon scarlett » 12.01.2012, 21:15

deine uhr zeigt morgen
und du
du lebst noch gestern
krückst dich durch
den tag als wär er
ein kalenderblatt

Niko

Beitragvon Niko » 12.01.2012, 21:22

kalenderkrücken baue ich mir
durch die jahre
zeiten sich die momente
eingeschlossen
in meine herzschatulle

Mucki
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Beitragvon Mucki » 12.01.2012, 23:57




scatulamensch

hab so viel gehütet
hab so viel gesammelt
lauter kleine schätze
in lauter kleinen schatullen
wohl behütet wohl bewahrt

intarsiengräber




Gerda

Beitragvon Gerda » 13.01.2012, 09:12

sammler und jäger

gehütet die schätze
sortiert und katalogisiert
stets auf dem neuesten stand
hatte er urlaub nicht gekannt

nun tritt er unfreiwillig eine reise an
mitnehmen kann er nichts


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