Lyrischer Dialog

Hier ist Raum für gemeinsame unkommentierte Textfolgen
Nifl
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Beitragvon Nifl » 11.08.2006, 17:59

Liebe Schreibfanatiker,

ich möchte hier in diesem vitalen Forum einen "lyrischen Dialog" beginnen. Lyrische Dialoge sind kooperatives Schreiben, Gedichte, die (auf-)einander aufbauen. Das können inhaltliche Bezüge sein, oder es werden Worte des "Vorschreibers" aufgegriffen, oder man übernimmt einfach nur die Stimmung.
Hierdurch entstehen unkommentierte Gedichtfolgen. Die Form bleibt dem Autoren überlassen (zB. ob gereimt oder ungereimt ...)
Würde mich über rege Beteiligung freuen!

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Zuletzt geändert von Nifl am 30.08.2006, 19:10, insgesamt 2-mal geändert.

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birke
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Beitragvon birke » 06.04.2013, 14:50

.

und sie schälen sich
aus dem schweigen
erst flüsternd dann lauthals
teilen den tau
erst zaghaft
dann strömen
die worte reißen
und das vorleben der asche
verspricht sich
die tage sind gezählt


.
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

https://versspruenge.wordpress.com/

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 06.04.2013, 14:53

Ich hol mir

Glücksküsse ab
vom Windgebraus
unter dem Äste brechen

in Sonnenglast
die den Wiener Asphalt
davonfließen lässt

im Frostgeklirr
wenn die Zähne klappern
tret ich aus dem Haus

aus Bergbächen
mit Regenbogenforellen
die stets entwischen

denn von dir krieg ich
sie ja nicht mehr
die Glücksküsse
Schreiben ist atmen

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Eule
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Beitragvon Eule » 14.04.2013, 12:02

Gestern Griebenschmalz
im Kühlschrank

igitt aus dem
Rippenfett alter
Belustigungen des

Frühlings fallen:
Pastellfarben

Regenschleier und
Wortschnipsel
Ein Klang zum Sprachspiel.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 16.04.2013, 21:48


es gibt tage
an denen ich nur
momente lebe
an denen ich keine
wortfetzen verliere
nur staunen
in die welt rufe

Peter

Beitragvon Peter » 18.04.2013, 20:52



Sie sagen: Hier sei eine Insel gewesen;
sind sich aber nicht gewiss.
Sie sagen, jemand habe Strand ins Wasser gelehnt.
Sie sprechen davon wie von einer Schlagzeile.
Denn keiner von ihnen ist jemals hinaufgegangen.
Manchmal sagen sie: Es sei jemand da gewesen.
Aber sie können sich nicht an sein Gesicht erinnern.
Auch die Insel können sie nicht beschreiben.
Sie können die Insel nicht mal verorten.
Vielleicht war sie irgendwo und gar nicht hier.
Denn sie ziehen so weit und merken sich Stellen wenig.
Einer sagt, ihn habe eine Hand berührt.
Aber vielleicht war es etwas anderes gewesen.
Sie ziehen so weit. Sie tauchen so oft.
Sie schwirren eher. Sie gehen nicht.
Sie sind schlechte Boten
und geben noch schlechter Kunde.



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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 22.04.2013, 12:13



mag sein, es lag etwas warmes in ihnen, das den weg nicht fand
eine meeresschildkröte an einem sagenverwobenen straßengraben
die sonne hing am seidenen faden, über acht räder gespannt, ach - mädchen
du bist zu leicht

aus den hohen ästen flogen raubvögel zu zeichen auf - warum
reimt es sich nicht zusammen - der untergang eines gesichtes
in dem man nicht lesen kann

nach tagen erreichte sie den saum;
es hatte keine bedeutung


Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 22.04.2013, 16:58


mein lebensfluch
die zeichen zu sehen
mich lenken zu lassen
andere hineinzuziehen
in die großen deutungen
die sie nicht ergreifen
zu ihrem fluch werden
und mir ohnmacht

Peter

Beitragvon Peter » 22.04.2013, 22:22

Als er noch ein Kind war,
mochte er das Boot lieber,
wenn es unterging.
Denn er hatte keine Furcht.

Transzendenz ist doch viel mehr.
Sie beginnt, wenn der, den wir zu kennen glauben,
den Raum verlässt.

Am Schönsten ist der Mensch,
wenn er fortgeht,
und wenn er dir angehört in solchem Maß,
dass er gar nicht fortgehen kann.

Er nimmt dich mit so weit hinaus,
dass es scheint,
du wärest dort.

Abschied
ist doch das schönste Geschenk,
das man sich geben kann.

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nera
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Beitragvon nera » 23.04.2013, 01:20

aus den hohen ästen
flogen zeichen
geraubte vögel vielleicht
oder blütenstaub
während erdkröten nachts
auf der suche waren
nach wasser und nähe

sie schenkten uns eine handvoll dunkles
geschichten und lieder
sie trugen ihre liebe zum wasser
am himmel jubelten zeichen
zwischen den ästen den wolken
getöse
-von inseln
Zuletzt geändert von nera am 23.04.2013, 23:17, insgesamt 1-mal geändert.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 23.04.2013, 11:56



abschiede sind das letzte

geschenk murmelt sie also hört er noch was sie schweigen
lichtgespräche der sommer des reifens der roten früchte
er zieht ihr das herz aus er sagt er geht
hält die schultern gerade den blick in die ferne er fühlt sich gesehen
als führte sein weg nur durch ein gemälde ja, so wäre er schön
zwischen baum busch und bergmassiv aufsteigendem nebel
er im frack und sie im wehenden kleide
mensch! sie zieht ihn an den ohren aus dem bild
rauscht die rollläden hoch stampft auf und ruft: äpfelküchle!
als könne sie ihn mit all ihrer süße überreden

Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

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Eule
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Beitragvon Eule » 23.04.2013, 19:11

geschenkt dieser kurze
augenblick zwischen nacht
und tag

geschenkt die stunde ohne
nachträge und
vorgriffe

geschenke von früh bis
später ein letztes mal
leicht zwischen den lippen
Ein Klang zum Sprachspiel.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 23.04.2013, 19:51


sie fühlt sich nicht gesehen

jeden tag diese blicke
aug in aug
lachen (lautes lachen)
viele worte
um viele dinge
(es muss ja gesagt werden)
schnelle münder
die kreisen und kreisen
um was
um wen
das wenige
so wichtige
bleibt hinter den lippen
(die nicht geschlossen sind)
und jedes mal
fühlt sie sich nicht gesehen

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nera
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Beitragvon nera » 23.04.2013, 23:25

blass-
sehen
ein vergehen wenn der spiegel
nicht mehr antwortet
das gesicht abprallt
gehen boote unter
wird jedes gemälde zum
schwarzen loch endzeitlich
vakuös

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nera
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Beitragvon nera » 23.04.2013, 23:33

abschiede sind das erste
lautete die kunde
wie inseln wie wellen
das murmelten sie
auch wenn sie die insel
nicht mehr fanden
ihre herzen raunten davon
ihren augen ins gedächtnis
ihre haut erinnerte sich an den wind
und den salzgeschmack
der sich fortflüsterte von haut zu haut
mitten ins ohr
-so schwindelig schön-


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