Prosalog

Hier ist Raum für gemeinsame unkommentierte Textfolgen
Nifl
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Beitragvon Nifl » 23.07.2007, 18:09

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Foto A.P. Sandor et moi


Prosafluss - Geheime Nachrichten - Flüsterpost - Prosapool - ungebunden - verbunden - Prosadialog - Prosakette - Prosa rhei - ungebunden - verbunden - Prosa - Blitzlichter - Prosalog - Wort zu Wort Beatmung - Prosafolge - ungebunden - verbunden


Hier handelt es sich um einen Faden, in dem ihr euch prosaisch zurücklehnen könnt. Lasst euren Gedanken freien Lauf. Erzählt von euren Träumen, eurem Ärger, euren Problemen, euren Sehnsüchten, euren Beobachtungen, euren Wünschen, euren Phantasien, euren Ideen, eurem Kummer, eurer Wut, eurem Tag, euren Spinnereien … "Die Wahrheit" spielt dabei selbstverständlich keine Rolle.
Fühlt euch frei.

Lasst euch von bereits verfassten Texten inspirieren, greift das Thema auf, oder schreibt einfach "frei Schnauze"… alles ist erlaubt.

Ich bin gespannt!




Kleingedrucktes:

Damit eure Kostbarkeiten behütet bleiben, müssen folgende Regeln beachtet werden:

Bitte keine Kommentare
Keine direkten Antworten (zB. Gratulationen, Beileidsbekundungen, Nachfragen etc.)
Keine Diskussionen
Kein Smalltalk oder Talk überhaupt

Geht immer davon aus, dass alle Texte Fiktion sind.



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Zuletzt geändert von Nifl am 04.08.2007, 09:08, insgesamt 1-mal geändert.
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 10.04.2008, 22:39

Ich habe Angst vor meiner Krankengymnastin. Sie ist ungefähr halb so alt wie ich, mindestens einen Kopf größer, kräftig wie eine Sportlerin, mit einer tiefen, schallenden Stimme. Während ich auf dem Bänkchen liege und sie mir die Finger in Nacken und Schultern bohrt, unterhalten wir uns meistens über Bücher. Sie liest hauptsächlich historische Romane, je dicker, je lieber. Ich habe erwähnt, dass ich gern Krimis lese, aber die gefallen ihr nicht, weil zu blutig und zu grausig. Ich habe nicht erwähnt, dass ich meine eigenen Versuche, historische Romane zu lesen, meistens bei der ersten Folterszene abgebrochen habe. Heute fragte sie mich, ob ich Charlotte Link, Joy Fielding, Tanja Kinkel gelesen hätte. Bei jedem "Nein" bohrten sich ihre Finger tiefer in meinen schmerzenden Nacken.
Während ich auf Madeira war, war sie auf Kuba. Sicher hat sie jede Menge Zigarren geraucht. Auf Kuba hatte es dreißig Grad mit fünfundsiebzig Prozent Luftfeuchtigkeit. Aber das macht ihr nichts aus. Ihr doch nicht. Sie war surfen.
"Wissen Sie", sagte sie heute zu mir, "Sie sind die einzige Person, die ich kenne, die spinnt."
Ich bereue schon, es erzählt zu haben. Nähere Auskünfte verweigere ich, ich darf nicht noch mehr Schwachstellen zeigen, der Nacken reicht.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Louisa

Beitragvon Louisa » 17.04.2008, 00:07

Ich werde privat :eek: ... Aber manchmal erlebe ich zur Abwechslung so einprägsame Geschichten, dass ich sie nicht für mich behalten kann, aber auch keinen Rummel darum erheben will. Deshalb dachte ich hier passt sie hinein:

Hier ist der Text wieder. Ich habe NICHT beim Wettbewerb gewonnen... Dabei habe ich es allen, die ich kenne vorher angekündigt. Schweinerei!


Der Frühling ist ein Croupier.

Davor der Frühling: „Bitte, das Liebesspiel zu machen - Rien ne va plus.“

Danach wir:

"Die Athener gewinnen."
"Die haben die besseren Waffen."

Ich liebe dieses weiße Bett. Die Nachttischlampe ist daran montiert und lugt neugierig über unsere Köpfe. Man kann sie dehnen und wegschieben, sie ist so formbar wie ein Hefeteig. Ihr Licht ist grell und lässt seinen hellen Arm noch bleicher aussehen. Dabei ist er noch keine Leiche.
Er liest keinen Satz in diesem Geschichtsbuch. Er dreht wieder einen seiner Filme. Ich komme mir mit ihm tatsächlich vor wie in einem Film und er ist auch hier der Regisseur.
Es ist seit einer halben Stunde zu Ende mit uns und ich habe meinen Stolz verloren, er hat seinen Stolz verloren, denn der Plan war mich auf dem Sofa schlafen zu lassen.

Ich habe es zehn Minuten unter der Stehlampe auf dem Sofa ausgehalten. Das Bettzeug und das Weinglas genommen und an die Schlafzimmertür geklopft. Es kam mir albern vor zu klopfen, aber ich dachte wir sind jetzt keine Liebenden mehr, sondern Freunde.

Ich liege in diesem weißen Bett, ich liege das letzte Mal darin. Die Jalousie ist herunter gelassen. Dahinter blendete sonst die Fensterfront eines Nachbarn, der die ganze Nacht 100-Watt-Glühbirnen leuchten lässt. Niemand weiß weshalb. Ich werde es nie herausfinden.

Ich hasse ihn, weil ich ihn so liebe. Weil kein anderer Mensch auf dieser Welt jetzt ein Buch über griechische Kriege lesen würde. Weil kein anderer Mensch mir mitten in der Nacht von einem Pflaumenkuchen vorschwärmt, den er noch nie gebacken hat und den er nur aus einem Kochbuch kennt, dass er nicht mehr besitzt.
Jetzt wird er sich wieder in all seiner Exzentrik durch die wilden grauen Haare streichen und mich angrinsen. Er tut es. Ich grinse zurück und seufze. Ich streichle über seinen bleichen Arm und staune über seine breite Hand.
"Mein Vater hat mal gesagt, Menschen mit breiten Händen sind kreativer."
"Soso..."
"Mein Vater hat das nur gesagt, weil er breite Hände hat."
Er grummelt ein Lachen und legt seinen bleichen Arm um mich.
"Du bist süß!"

Ich komme mir schon vor wie der Pflaumenkuchen und bin wieder besoffen von all diesem verlogenen Glück.
Ich küsse einen Leberfleck auf seiner Schulter. Wir kugeln uns übereinander. Ich küsse seinen Hals entlang und er liest hinter meinem Rücken sein Geschichtsbuch. Wenn ich jetzt eine Pistole hätte, würde ich ihn wieder erschießen. Ich wollte ihn schon mehrfach erschießen in Gedanken. Ich habe keine Ahnung, ob das eine gute Voraussetzung für eine gemeinsame Zukunft war.

Er legt sein Buch endlich fort.
Wenn wir heute Liebe machen, mache nur ich Liebe und er etwas Dummes. Er verliert dabei regelmäßig den Verstand und ich verliere ihn dann mit. Er unterhält sich dabei. Er kann aussprechen, was er nicht fühlt, aber gerne empfinden würde. Ich liebe Dich. Ich will Dich. Willst du meine Frau werden? Ich ficke Dich. Ich ficke mein kleines Mädchen. Ja. Ja. Ja. Fick mich! Fick mich, mein Schatz. Was ist? Was ist denn? – Nichts.
Einen kurzen Augenblick frage ich mich, ob er „mein Schatz“ oder „mein Schwanz“ flüstert und komme zu dem Schluss, dass es auch keinen Unterschied mehr machen würde.
Wir werden zwei Triebe.
Da ich ihn nicht erschießen kann, kratze ich ihm über den Rücken und er beißt mich, wo er mich beißen kann. Ich beiße zurück.
„Da klebt mein Blut an Deiner Wange!“ erkläre ich ihm. Er hört nichts mehr. Meine Brust wird blau. Er nagt an meinen Brustwarzen. Zum Tiger fehlen ihm nur noch die Streifen.
Schließlich, im absoluten Delirium sind wir dabei uns gegenseitig die Luft wegzudrücken. Ich habe zeitweise Angst zu ersticken. Dann denke ich, es würde auch egal sein. Ein schöner Tod.
Ich stelle mir vor, wie er nackt einen Krankenwagen ruft und erinnere mich an den Morgen, als ich die "Pille danach" brauchte.
Es war Samstagmorgen, halb sechs Uhr. Er wählte eine Arzt-Nummer aus dem Branchenbuch. Eine männliche Stimme meldete sich in der Leitung. Er erklärte:
"Guten Morgen, Regit hier. Können wir jetzt bei Ihnen vorbeikommen und uns die Pille danach abholen?"
Der Mann am anderen Ende klang müde.
"Was?"
"Wir wollen die Pille danach! Können wir schnell bei Ihnen vorbeikommen?"
"Ich habe keine Pille. Ich bin kein Arzt."
"Achso! Na, dann..."

Aber das ist eine andere Geschichte. Eine kleine Geschichte in mitten unserer großen. Ich freue mich, dass wir in den wenigen Monaten so viele kleine Geschichten gesammelt haben. Wir haben sie gesammelt wie Zeugnisse und sie in unser Gedächtnis geheftet. Ich weiß nicht, was er mit seiner Zeugnismappe anfangen wird. Vielleicht hat er gar nichts gesammelt und sich umsonst abgemüht. Ich werde meine Mappe immer mit mir tragen.

Meine Lippe schmerzt. Sie fühlt sich taub an. Das letzte Mal, als wir noch Liebende waren, habe ich im Bett den Vögeln zugehört. Den ersten Vögeln dieses Jahres und gerufen: "Es ist Frühling!" Sodass er aufwachte und fragte: "Was?" und ich wieder rief: "Es ist Frühling!" im Wissen, dass wir dem Frühling vollkommen egal sind. Wir sind dem Frühling so egal wie die Gewohnheitsspieler dem Casino, aber wir hören nicht auf, alles in ihm zu verlieren. Wenn wir einmal den Jackpot knacken, verspielen wir alles wieder.

Ich lecke über meine Lippe und schlafe ein. Ich träume.
Ich stehe vor einer großen Kirche. Einer Kathedrale. Davor drei Jongleure. Der erste jongliert mit Stühlen. Der zweite mit Zeitungen. Der dritte mit bunten Bällen. Immer wieder schaut ein Mann aus einem hohen Kirchenfenster und schreit: "Was ist das?" - Sobald er die Frage gestellt hat, hören alle Jongleure auf zu jonglieren und starren ihn an. Beim vierten Mal schaut mich der Mann mit den Stühlen an und erklärt ganz ruhig: "In der Kirche geht gleich eine Bombe hoch."
Ich weiß, dass die Kirche prall gefüllt ist. Eine Hochzeitsgesellschaft ist darin. Ich laufe durch die große Pforte und stehe im Kirchsaal. Dort gibt es keine Holzbänke, sondern Restaurant-Tische. An einem der Tische sitzt er und unterhält sich mit den anderen wie ein gesunder, gesellschaftsfähiger Mensch es tun würde. Ich starre ihn an und rufe durch den Saal: "Hallo! Hier geht gleich eine Bombe hoch!" Ich rufe diese Ansage immer wieder, aber alle Kirchenbesucher wollen mir nicht glauben. Sie warten auf die Hochzeitstorte.
Er steckt sich eine Zigarette an und grinst zu mir herüber.
"Du rauchst?"
"Immer im Sommer."
"Aha? Aber verstehst Du denn nicht, hier geht gleich eine Bombe hoch! Wir müssen hier raus!"
Er starrt mich an ohne zu antworten.

Das Kirchendach öffnet sich und eine Torte wird herunter gefahren. Darüber ein blauer Himmel. Die Torte ist gewaltig. Sie steht auf einem Holzpodest. Jeder blickt beseelt auf die Hochzeitstorte. Der Saal ist hungrig nach Liebe.
Ich weiß: Die Bombe ist in der Torte. Ich nehme ihn bei der Hand und renne mit ihm aus der Kirche. Wir schmeißen uns auf den Boden und die Kirche explodiert. Kieselsteine und Schutt rieseln uns auf die Köpfe. Um uns fliegt Staub und Stille.
Ich wache auf. Er liegt neben mir und schläft. Er hat mir im Schlaf den Rücken zugewandt. Ich beuge mich über ihn und meine Augen liebkosen sein Gesicht. Sein Mund grinst nicht mehr. Er ist entspannt und traurig. Kein Mund dieser Welt lächelt von sich aus, denke ich. Wir sind keine sozialen Delphine.
Seine große Nase belustigt mich jedes Mal. Niemand hat diesen Knubbel am Ende der Nase. Ob seine Geschwister dieselbe Nase haben? Er atmet so friedlich, als hätte er noch nicht gelebt.

Ich beende meine Liebesblicke und denke an die Pistole. Ich rufe ihm ins Ohr: "Wir haben einen Bombenanschlag überlebt! Wir haben einen Bombenanschlag überlebt!"
Er schreckt auf und sieht mich fassungslos an.
"Was für einen Bombenanschlag?"
Ich grinse.
"Das habe ich geträumt."
Er fällt wieder ins Kissen. Ich erzähle seiner dösenden Hülle meinen Traum und schleiche zur Toilette. Im Spiegel sehe ich meine Lippe an. Ich sehe aus, als hätte ich mir Botox spritzen lassen, aber nur für die Unterlippe bezahlt.
Ich wandere wieder in das weiße Bett zurück. Der Raum ist jetzt tageshell und der Film neigt sich den Schlussszenen zu. Auf seinem Keyboard liegt ein benutztes Taschentuch. Auf dem Sofa ein Haufen Kleidung. Auf dem Parkett meine Unterwäsche. Ich mache wieder Liebe und er etwas Dummes.

Beim Kaffee erklärt er mir: „Wir sind zwei Geschichten. Du bist eine Geschichte und ich bin eine Geschichte und in den seltensten Fällen gehen zwei Geschichten gut ineinander über. Das ist ganz normal. Unsere passen einfach nicht zusammen. Das ist nicht deine Schuld.“
Am Ende gewinnt immer die Bank. Der nächste Frühling wechselt den alten ab. „Bitte das Liebesspiel zu machen…“
Als die Kaffeetassen leer sind und ich weinend auf seinem Schoß sitze, will ich ihn nicht mehr erschießen, sondern küssen...Aber das sind die Gesten der Liebenden, denke ich und frage mich, ob es diese Liebenden überhaupt gibt.
Eine Umarmung ohne Liebe fühlt sich an wie eine Schwarzfahrt mit zusteigender Fahrkartenkontrolle. Man fährt im richtigen Zug und will plötzlich am liebsten aus dem Fenster flüchten.
Trotzdem umarmen wir uns vor der Tür und ich trete aus dem Haus, als wäre ich darin von einem Laster überfahren worden. Die Tür fällt nicht ins Schloss, weil das herausgebrochen wurde. Aber selbst ohne Schloss, kann ich sie nicht mehr öffnen.
Es ist Frühling! – Mir und dem Frühling ist das vollkommen egal.
Zuletzt geändert von Louisa am 20.11.2008, 00:07, insgesamt 2-mal geändert.

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 17.04.2008, 20:22

Das Wort Köhlenhydrate (gefunden in einer Bio-Klassenarbeit der Jahrgangsstufe 5) hat mich darauf gebracht, wie ich nun endlich wirksam und dauerhaft Diät halte: Ich leite meine Nahrungsaufnahme in einen Zustand des Dauerkonjunktivs über. Das heißt, ich esse keine Kohlenhydrate mehr, die machen ja dick; ich esse nur noch Köhlenhydrate, Fätte und Pröteine; ich esse oder vielmehr ich äße Kartöffelchüps, Gümmibärchen, Brätwürst mit Pömmes und Mäjö und nichts davon schlägt an, weil alles ja nur in der Möglichkeitsform steht. Sozusagen keine Nahrung, sondern das Hölögrämm von Nahrung. Schököläde, Schwärzwälder Törte, Cröissänts, Serränoschünken, die wunderbare Schäfsälämi aus dem Vögelsberg schrecken mich nicht mehr und sogar das Gläs Rötwein däzü ist kein Problem. Irgendwann bin ich selber dermaßen unwürklich möglich, dass ich mich äbends nach dem lätzten Bür auflöse. Dann bin ich endlich so dunn, wie ich schon ümmer wöllte.
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aram
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Beitragvon aram » 17.04.2008, 20:37

...und dann käm der tag, an dem mein größenwähn ausbräch, ich das rägälwärk dieses forums missächtete und den vorangehenden täxt von zäfira zum text d. m. bestümmte...

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 17.04.2008, 21:55

Ich häb den Gügelhüpf vergessen ...

:kuchen:
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 23.04.2008, 19:42

Der Ohren-Check

An deinen Ohren knabbere ich gerne herum. Manchmal zupfe ich auch an ihnen oder ziehe sie dir lang. Ich fahre mit meinem Finger am Rand entlang. Du bekommst Gänsehaut. Uiiiii. Abstehende Ohren kann ich nicht leiden, sie haben so etwas Abgehobenes. Klein müssen sie sein. Eigentlich sind die Ohren eines Mannes für mich ein wichtiges Auswahlkriterium.
Wenn Frauen lange dünne Haare haben und die Ohren da durchgucken, sehe ich weg. Geht ja gar nicht.
Und bei Tieren sind die Ohren das Wichtigste für mich. Lange Schlappohren, ob bei Hund oder Häschen, bringen mich zum Schmelzen. Oder wenn die Spitze der Ohren nach vorne klappt. Hach, da bin ich hin und wech. Runde Öhrchen wecken bei mir Mutterinstinkte, die möchte ich auf der Stelle kraulen. Egal, ob Tigerbaby oder Nilpferd.
Ja, ich glaube, ich habe einen Ohrentick ...

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 23.04.2008, 23:11

Störung der Oberleitungen

Als ich in den Zug steige, sagt der angetrunkene (wie ein Schauspielschulanwärter aussehende) Typ, der gegenüber von meinem reservierten Platz sitzt, zu dem dünnen Mädchen mit Brille und strohigem Haar neben ihm: „Ich weiß jetzt, dass ich in dich verliebt bin“, küsst sie und bläst Seifenblasen durch den Wagon. Eine zerplatzt an meiner Hose und ich komme mir mit meiner Reservierung (die ich meist sowieso nicht fähig bin einzulösen) spießig vor, obwohl die Szene der beiden nichts Magisches hat, man sieht zu unmittelbar: da ist nicht mal eine temporäre Zärtlichkeit. Den beiden ist die große Flasche Mumm-Sekt umgekippt, die sie zusammen so gut wie ausgeleert haben. Das ‚so gut wie’ ergießt sich über Tisch und Boden. Eigentlich ist mir das Szenario der beiden zu anstrengend, ich fürchte mich vor der Nähe der beiden, aber ich brauche eine Steckdose für meine alten Laptop (der Apple-Laptop des Mädchens hat die bei meinem Platz besetzt) und erinnere mich, dass ich kein Höhlenfisch mehr sein wollte, und setze mich so an den noch freien Fensterplatz am Tisch gegenüber der beiden. Der Zug steht noch im Bahnhof, er wartet auf den zweiten Zugteil, mit dem er gekoppelt werden soll, bevor es weitergeht. Nach einigen Minuten steigt ein Trupp älterer Damen ein, der Zug ist voll, sie müssen sich verteilen, können nicht alle zusammen sitzen. Eine der Damen setzt sich auf den eigentlich von mir reservierten Platz. Der Typ fragt die Dame, weshalb ihr Grüppchen unterwegs sei. Sie erzählt, dass sie zusammen die Wuppertaler Schwebebahn angesehen haben. Dieser Reiseanlass ist dem Typ Anlass genug, aufgescheucht zu werden, er fängt lauthals an, seine Theorie zu erklären, dass eine Fahrt im ICE wie ein Besuch bei Kerner sei, für den man nicht bezahlen müsse und den keiner mitbekäme, weil man ganz Deutschland sehen könne. Eigentlich führe er ja nicht ICE, sondern nur mit dem Wochenendticket, aber manchmal dann doch. Eine Frau mit einem Akzent, anhand dessen der Typ rückschließt, dass sie Russin sein muss, was ich bezweifle, es aber auch nicht besser weiß, zwei, drei Sitze weiter ruft: „Wochenendticket gibt es nicht mehr. Schon lange nicht mehr“. Der Typ zeigt sich davon unbeeindruckt und berichtet, dass er einmal 2x2 Meter-Bilder mit dem Wochenendticket transportiert habe (er sei nämlich Künstler, pflegt er ein, und das Mädchen neben ihm seine Galeristin, sie wären jetzt sechs Tage auf der art-cologne gewesen (der Stand kostete 6000€) und hätte keine Notiz voneinander genommen, erst jetzt auf der Zufahrt hätten sie was gemerkt und bei diesen Worten schmiegt sich das Mädchen an ihn) und dass er damals für verrückt gehalten worden sei. Die Damen sind amüsiert von der Angetrunkenheit des Typs, schießen Photos mit ihm, geben ihm einen Prospekt der Wuppertaler Schwebebahn. Nach 30 Minuten Verspätung ist der zweite Zugteil angekommen, angekoppelt und der Zug fährt los. Der Schaffner teilt mit: ‚Grund für die Verspätung war eine lebensmüde Person in Essen-Kettwig’. Der Typ fragt die Damen, ob sie denn auch Berlin kennten. Die Damen nicken ‚Berlin ist schön’, ruft eine aus. ‚Berlin ist nicht schön’, widerspricht der Typ. Er käme aus Siegen und hätte immer nach Köln gewollt, als er nach Berlin musste, entsprach es nicht seinen Vorstellungen einer Großstadt. Die Ostdeutschen hätten ihn gestört. Aber nach drei Jahren hätte er sie zu schätzen gewusst und jetzt würde er Berlin mögen, aber jetzt ziehe er eh nach London. Die Frau, mit dem Akzent, anhand dessen der Typ rückschließt, dass sie Russin sein muss, wirft ein, dass die Ostdeutschen gute Menschen seien. Der Typ antwortet, dass Osteuropäer die besseren Menschen seien. Die Frau verneint, alle seien gleich, nur eben anders.
Der Typ wendet sich wieder den Damen zu. Berlin sei auch Indikator für Deutschland, ein Land, dass es schwer habe aufgrund seiner Geschichte. Was man auch wieder am ICE sehen könnte, der viel dezenter designt sei als der straff und taff konzipierte TGV in Frankreich. Deutschlands Unsicherheit ließe sich daran erkennen. Ich erinnere mich nur an eine Fahrt im TGV, er schien mir uralt, klapprig und violett, das ist keine zwei Jahre her. Die Frau, mit dem Akzent, anhand dessen der Typ rückschließt, dass sie Russin sein muss, will etwas zu dänischen Designer einwerfen, hat aber vergessen, was genau die machen, doch bevor es geklärt werden kann, halten wir in Bielefeld, wo ein einarmiger Mann zusteigt und die Damen und die Frau aus. Der Typ hält das Mädchen an, mit ihrem internetverbundenem Apple-Laptop im Netz nach den dänischen Designern zu suchen. Er meint, es sei der Frau um Korbflechter gegangen. Doch die beiden finden nichts und sie verschwinden zusammen auf der Toilette. Als der Zug in Hannover hält, steigen ein Mann und eine Blinde ein, der Mann führt die blinde Frau hektisch zu ihren Plätzen. Als sie sich setzen und der Zug weiterfährt schreit die blinde Frau weinend auf. Der Mann drückt ihre Hand, die Frau schluchzt in das Hemd des Mannes, der die Augen zusammenkrampft und ein rotes Gesicht hat. Typ und Mädchen kommen nach langer Zeit wieder, setzen sich. Die blinde Frau schreit und schluchzt immer wieder. Der Typ will sich beim Mädchen anlehnen, kippt aber immer wieder nach vorne, zuletzt geht er wieder, diesmal allein, auf Toilette. Das Mädchen hört Ramstein bei YouTube, benutzt weiterhin nur einen Ohrstöpsel. Nach einer weiteren halben Stunde kommt der Typ zurück und kippt gegen das Mädchen. Das Mädchen steckt den zweiten Ohrhörer wieder in das Ohr des Typs und legt ihren weißen Schal über die Köpfe der beiden, der Typ fängt an laut ein Lied mitzusingen. Als der Zug in Berlin ankommt, sind die beiden in erster nüchterner Phase und als das Mädchen wissen will, wo sie jetzt hinfahren (zu dir oder zu mir?) und der Typ nicht mehr gewillt scheint, irgendwo zusammen hinzufahren, streiten sich die beiden, wohl das erste und letzte Mal. Ich fühle mich schlecht, weil ich das alles verfolgt habe, bishin zum Symptom es jetzt aufzuschreiben. Wie ein Schatten von einem Schatten einer Oberleitungsstörung.
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 29.04.2008, 17:56

Da war eine Welt

Sie spuckte ein Leben aus, wie eine Seifenblase. Das Leben wechselte die Farben. Mal leuchtete es in allen Spektralfarben. Mal verdunkelte es sich in grauen Tönen. In diesem Leben entwickelte sich mit der Zeit ein Zweitleben. Seine Farbe war blau. Das blaue Zweitleben nahm immer mehr Besitz des Lebens ein, übertünchte mit seinem starken Blau alle Farben des Lebens. Auch die manchmal grauen Töne konnten sich nicht dagegen wehren. Blau, blau, blau. Das Zweitleben nistete sich fest ein und wurde zum Erstleben, das Leben zum Zweitleben. Doch dann veränderte die Seifenblase ihre Form. Das Rund begann sich zu deformieren in ein blaues, quecksilberartiges Gebilde, das den Schlüssel zu seiner festen Form nie erhalten sollte.
Da war eine Welt.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 02.05.2008, 18:01

Im Zug saßen du und ich je in einem Vierersitzblock für sich und ich fragte mich, weshalb wir nicht nebeneinander saßen, denn die Plätze neben dir waren alle noch frei. Es war einer von den ganz alten Regionalbahnen, bei denen die Sitze so hoch sind, dass man nicht richtig herübersehen kann. So ging ich herüber zu dir, um dich zu fragen, aber hinter der Wand der Sitze tat sich nun ein weißes Schlafzimmer auf und du lagst in einem Bett mit einer auf dem Bauch schlafenden Frau in einem weißen Kleid. Dein einer Arm lag auf ihrer Hüfte. Ich wollte dich fragen, warum wir nicht nebeneinander sitzen könnten, aber ich spürte, dass dir der Wille abhanden gekommen war, mit mir zu sprechen, und so konnte ich auch nicht sprechen. Ich stand einen Moment da, auf Füßen, wie Kinder es tun, verließ dann das Zimmer, indem ich nach hinten wich, und saß wieder im Zug, der fuhr auf weißen Schienen, sah man nach draußen, konnte man nichts sehen, obwohl es taghell war, und keiner kannte mich.
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Peter

Beitragvon Peter » 02.05.2008, 19:19

Ich nannte sie: Die Dame mit dem Hündchen. Und wie viel Entzücken allein in dieser Benennung lag. Ein Wunder, dass ich sie so umfassen konnte, dass ich sie so nennen durfte. Ich sprach es mir mehrmals vor: Die Dame mit dem Hündchen. Die Dame mit dem Hündchen. Wir gingen einen leichten Sommerweg entlang, das Hündchen sprang uns hinterher, verlief sich oft, tauchte wieder aus den Blumen auf, und die Luft war so leicht. Die Dame war größer als ich, so schien es mir zumindest, obwohl ich mich jetzt frage, wie ich dann meinen Kopf auf ihre Schulter legen konnte, und er lag dort so geborgen. Dieser Schlaf auf den Augen, wir gingen, aber ich hätte schlafen können, ich wäre nicht gestürzt. Über irgendetwas erzählte die Frau. Vielleicht hatte ich etwas missverstanden. Ich erinnere mich so, als hätte es von ihren Worten geschneit, und tausend, klägliche, ortlos verteilte Schälchen wären durch ihre Schnee-Worte zusammengefügt worden, zu einem weißen, endlos und weiter verlaufenden Rhythmus aus sachter Steigung und sanftem Fall. Ach so, sagte ich oft. Aber war so glücklich darüber, wie einer der ins Sonnenlicht träumt. Ich hatte gar nicht oft Recht gehabt, vielleicht sogar nie. Aber dieses Nie war überhaupt das Allerschönste. Und einmal sah ich, wie das Hündchen seltsame, fast komische Figuren beschrieb, nicht nur hüpfend, dann auch im Liegen. Es kreiselte, es war etwas Lustiges dabei, als wollte es einen Engel formen in die Erde, es bewegte die Pfoten, es war ein Beispiel (für etwas), und dann war alles rund.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 07.05.2008, 01:15

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Maskenaugen

Ihre Augen zerbrechen. Ich sehe es, auch wenn sie mir mit erhobendem Haupt die falschen, die Schimmernden zeigt. Ich sehe hindurch. Etliche Schichten muss ich dabei durchbrechen. Schichten aus stahlbetonierter Abwehr. Die härteste ist ihr Stolz. Sie wird an ihrem Stolz zerbrechen. Nur weiß sie es noch nicht. Es trifft mich hart, härter als ihr Stolz, dass ich es so klar sehe und nichts, rein gar nichts dagegen tun kann. Ihre Maskenaugen verfolgen mich, bohren sich Schicht für Schicht in meine Träume, sind mein Schicksal, dem sie nicht entrinnen kann.

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Beitragvon Lisa » 16.05.2008, 07:55

Die Dame mit dem Elefäntchen

Du hast den Elefanten gereizt, bis er dich töten wollte (und Elefanten vergessen nie, sagt man doch), dass du mit dem Verrücktem, der dich jederzeit verraten, hinabstoßen kann, auf dem Heuschober des Hauses wohnen und dir dein Zuhause als Quizshow ansehen musst, mit einem halb abgenagtem Apfel in der Hand, von dem du nicht weißt, wo du ihn hinwerfen sollst, also behältst du ihn in der Hand.

Seit gestern hast du eine winzige Platzwunde am Kopf; - aus den Träumen?
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Peter

Beitragvon Peter » 19.05.2008, 23:09

Er kennt eine Frau, die hinter einer Tür wohnt. Wenn er morgens, mittags und abends an dieser Tür vorübergeht, glaubt er, dass die Frau an seine Schritte denkt. Er hat sonst kein Maß durch die Tage, als diesen Augenblick, bei dem er denkt, die Frau höre auf seine Schritte. Das Hinaufsteigen und Herabsteigen, Stufe um Stufe (nie käme er auf die Idee, zwei Stufen auf ein Mal zu nehmen), schafft ihm den Tagesraum. Lauscht die Frau, hat er selbst Gegenwart. Glaubt er die Frau abwesend, hat er selbst Abwesenheit.

Wäre daraus nicht eine Geschichte zu machen? Er trifft sie auf den Stufen, sie grüßen einander, oder grüßen einander nicht. Sie lädt ihn ein zum Kaffee? Vielleicht hat sie einen Käfig, in dem ein Vogel sitzt. Bücher liegen aufgeschlagen auf dem Tisch. Über den Tag wäre zu reden, oder über die Mieter, neben denen man seit Jahren wohnt und die man nur wenig kennt. Müssten nicht Möglichkeiten sein, viele und viele, denn was ist eine Geschichte sonst?

In Wahrheit gibt es die Frau nicht.

aram
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Beitragvon aram » 27.05.2008, 09:21

dann liegt die hoffnung, einmal abgeworfen, im schatten, den sie wirft     nach G. M. Cortes



die frau mit dem fischschwanz (mermaid d)

saß mir gegenüber, blinzelte mich an, streckte ihren kopf fröhlich näher, weißt du (das lächeln
um ihren_, ihre bitzenden_), jetzt habe ich schon füße, damals mit dir, da waren's noch
flossen


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