Prosalog

Hier ist Raum für gemeinsame unkommentierte Textfolgen
Nifl
Beiträge: 3885
Registriert: 28.07.2006
Geschlecht:

Beitragvon Nifl » 23.07.2007, 18:09

Bild
Foto A.P. Sandor et moi


Prosafluss - Geheime Nachrichten - Flüsterpost - Prosapool - ungebunden - verbunden - Prosadialog - Prosakette - Prosa rhei - ungebunden - verbunden - Prosa - Blitzlichter - Prosalog - Wort zu Wort Beatmung - Prosafolge - ungebunden - verbunden


Hier handelt es sich um einen Faden, in dem ihr euch prosaisch zurücklehnen könnt. Lasst euren Gedanken freien Lauf. Erzählt von euren Träumen, eurem Ärger, euren Problemen, euren Sehnsüchten, euren Beobachtungen, euren Wünschen, euren Phantasien, euren Ideen, eurem Kummer, eurer Wut, eurem Tag, euren Spinnereien … "Die Wahrheit" spielt dabei selbstverständlich keine Rolle.
Fühlt euch frei.

Lasst euch von bereits verfassten Texten inspirieren, greift das Thema auf, oder schreibt einfach "frei Schnauze"… alles ist erlaubt.

Ich bin gespannt!




Kleingedrucktes:

Damit eure Kostbarkeiten behütet bleiben, müssen folgende Regeln beachtet werden:

Bitte keine Kommentare
Keine direkten Antworten (zB. Gratulationen, Beileidsbekundungen, Nachfragen etc.)
Keine Diskussionen
Kein Smalltalk oder Talk überhaupt

Geht immer davon aus, dass alle Texte Fiktion sind.



Prosafluss - Geheime Nachrichten - Flüsterpost - Prosapool - ungebunden - verbunden - Prosadialog - Prosakette - Prosa rhei - ungebunden - verbunden - Prosa - Blitzlichter - Prosalog - Wort zu Wort Beatmung - Prosafolge - ungebunden - verbunden
Zuletzt geändert von Nifl am 04.08.2007, 09:08, insgesamt 1-mal geändert.
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Benutzeravatar
Lisa
Beiträge: 13944
Registriert: 29.06.2005
Geschlecht:

Beitragvon Lisa » 26.06.2008, 11:32

Hampelmännin

Und das Handy klingelt, deine verwundete Mutter ruft an, aber du hebst nicht ab, schon seit Monaten hebst du nicht ab, dabei kannst du dich doch jetzt sogar auf etwas berufen, kannst dir sagen, wie viel Schmerz sie in sich haben muss, denn erinnere dich, neulich, auf dem Bahnsteig, als du dich so erschrocken hast, weil du meintest, sie unter den Passanten entdeckt zu haben und dir erst im Aufatmen darüber, dass sie es nicht war, auffiel, in was für einer gebückten Gestalt du sie vermutet hast und dass dies nicht ohne Grund geschah, sondern weil sie genau so steht, gekrümmt, weil deine Mutter ein gekrümmter Mensch ist. Erinnere dich, dass sich da erstmals ein Gefühl zu deiner Beobachtung einstellte und du erkanntest: Gewusst hast du von all dem schon als Kind (so wie du es vor dir behauptest hast; so wie sie es von dir verlangt hat), aber gesehen, gesehen hast du es nicht, und du deshalb davon hast sprechen müssen, dass dir die Augen aufgegangen sind, mitten in dieser Gegend, von der nicht anzugeben ist, ob du dort wohnst, aber geschäftig in ihr herumläufst.
Und während du mit dieser Erinnerung an dir rüttelst, klingelt das Handy weiter und du gehst immer noch nicht dran und dir ist zum Heulen zumute, wie es dir schon den ganzen Tag zumute ist, aber mit einem Mal fürchtest du, dass man es dir ansehen könnte, und aus Angst davor hörst du auf nach Gesichtern zu suchen, die dir zugewandt sind (dein Stundenlohn), du wendest dich ab, in den Schatten eines Plakates, in dem geht es um Bier, du fasst dir an die Stirn und da kommt dir in den Sinn: ‚Einmal, da wird ein Schiff kommen / das wird das Ufer vor dem Sturm bewahren / ein mächtiges Schiff wird es sein / es wird zerschellen’, und auch wenn das nur wenige Worte sind, so bist du für einen Moment auf heilsame Weise allein mit dir, so wie du es zuletzt als Kind gewesen bist; denn das, was dir da eingefallen ist, das ist kein Gedanke.
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Benutzeravatar
Ylvi
Beiträge: 9468
Registriert: 04.03.2006

Beitragvon Ylvi » 27.06.2008, 09:51

die falsche adresse


an der bushaltestelle sitzt ein gewöhnlicher mann. wartet. oder wartet nicht. jeden tag.
wenn oder weil ich dort entlang gehe. und irgendwann wird jedes weil zur gewissheit.

er steigt nie ein. fährt nicht fort. nicht für mich. er wird jeden tag schöner.
mein herz klopft die welt fern. wenn ich ihn erblick. jede liebe ist erstmal kitsch.

im müll landet ein brief. meine worte zwischen fauligen bananenschalen und einem angefressenen hamburger.
ich mach mir sorgen. das ketchup könnte alles ruinieren.

er ist blass. eine feige mit gummi ziert den schaukasten. mit meinem gesicht.
und ein kind sagt igitt

auf dem rückweg. ich hatte einen termin gemacht. zum überleben. komm ich wieder.
vorbei. das ist ein versprechen. für mich.

fragt nicht. sagt nichts.
seh ihn nicht an. greif in den müll.

zuhause. weiß ich nicht mehr. was ich damit will.
bügeln. einordnen. den gestank inhalieren.

ob er noch da sitzt.

ich renne. umarme ihn. er erschrickt. stößt mich fort.
mir ist als hätte ich ihn gekannt. er war doch da. als ich etwas versuchte.

Benutzeravatar
Zefira
Beiträge: 5722
Registriert: 24.08.2006

Beitragvon Zefira » 28.06.2008, 01:51

Zefira hat geschrieben:Der Wald drängte sich an die Nachbarparzelle und hauchte ihm kalte Nachtluft entgegen. Die vorderen Bäume waren klar zu erkennen; die Stämme schimmerten freundlich silbern im Mondlicht. Doch gleich dahinter war Schwärze.


Irgendwie sind alle Worte doof. Wie soll man so etwas beschreiben, ohne Worte zu gebrauchen, die Tausende von Malen gekaut und ausgespuckt wurden? Lahmgekaute Worte. Immerhin hat auch der lahmgekaute Kaugummi aus der Kindheit irgendwann ein Eigenleben entwickelt; er kaute gleichsam von selbst weiter, der Kiefer folgte nur lahm der Eigenbewegung des geschmacklosen Kaugummis. Dann haben wir es mit einem echten Robotertext zu tun. Er lebt nicht, tut aber erfolgreich so.

Wer einen Wald beschreiben will, sollte überhaupt nicht um zehn Uhr nachts hineingucken, sondern um fünf Uhr früh hineinhorchen. Das bringt mehr.

Morgenvogeltag.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Max

Beitragvon Max » 29.06.2008, 23:23

Die Europameisterschaft verlockt zu kühnen Konditionen. Ein Elektromarkt bietet 100 Euro Preisnachlass für jedes Tor, das Deutschland im Finale schießt (schränkt dann aber ein, dass die Waren vorm dem 7. Juni gekauft worden sein und mehr als 500 Euro gekostet haben müssen). Der lokale Möbelhändler will da nicht zurückstehen und bietet 5% pro Tor, auf alles!

Auch Latschenpaule lockt mit Sonderangeboten: Ein Freibier für jeden bei jedem deutschen Tor. Die Kneipe ist voll, wäre es aber vielleicht auch ohne dieses Versprechen gewesen. Die Public Viewing Plätze sind überfüllt und auch bei Latschenpaule gibt es eine Fanmeile vor einem 37 Zoll Fernseher.

Die ersten 10 Minuten scheint jeder auf ein Freigetränk zu lauern, doch die deutsche Elf spielt wirtschaftsfreundlich - Paule nimmt die ersten Bestellungen an. Dann fällt das 0:1. Während einige jetzt erst recht auf das erste deutsche Tor hoffen, brechen an der Theke, die sowieso dem Fernseher abgewandt ist, die Dämme. Paule kann kaum gegen die Bestellungen anzapfen.

In der zweiten Halbzeit machen die Geizhälse einige Spieler persönlich für ihren mangelnden Getränkekonsum verantwortlich. Am Nebentisch droht einer Michael Ballack nach einer vertanen Chance mit der Faust: "Ja, willste mer denn verdursten lassen!" schreit er, als der Ball am Tor vorbeisegelt. Doch Ballack lässt sich nicht beeindrucken, keiner der deutschen Spieler. So endet der Abend für manchen Besucher bei Latschenpaule ernüchternd. An der Theke aber wird gefeiert. Egal ob Spanier oder Deutsche, einer wird schon gewonnen haben.

Benutzeravatar
Zefira
Beiträge: 5722
Registriert: 24.08.2006

Beitragvon Zefira » 30.06.2008, 00:14

Über das Göttinger Hausschwein behauptet der Opelzoo sinngemäß: Die Rasse zeichnet sich durch ihr freundliches und geduldiges Wesen aus und wurde speziell für die Verwendung in Versuchslabors gezüchtet. Da immer mehr Versuchslabors schließen, gehört das Göttinger Hausschwein zu den aussterbenden Haustierrassen.
Ein weiches Gemüt wie meines wird durch dieses Statement tieftraurig gestimmt, ohne zu wissen, worüber eigentlich genau.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Max

Beitragvon Max » 30.06.2008, 20:37

Worauf die Göttinger Mathematiker noch heute stolz sind: Sie waren mal die besten der Welt. Als würde das abfärben über Generationen: Gauß war Göttinger, das Jahrtausendgenie, später Hilbert, Klein, Minkowski, auch Emmy Noether, die weltbeste Frau.

Dass Göttingen hügelig ist, weiß ich aus einer Anekdote über Hilbert. Des Morgens rollte er auf dem Fahrrad zum Institut ins Tal. Abend, auf dem Rückweg, wurde das Rad geschoben, von einem Doktoranden, ein anderer trug die Tasche. Diese Art Proessoren ist inzwischen ausgestorben - wie das Hörergeld der Studenten, der Talar und so manches Hausschweinrasse.

Benutzeravatar
Zefira
Beiträge: 5722
Registriert: 24.08.2006

Beitragvon Zefira » 30.06.2008, 23:21

Sie gehen untergehakt, zwei sehr Dicke; ich hinter ihnen. Der Mann wirkt von hinten kompakt und eckig, erst als er sich kurz zur Seite dreht, sehe ich den enormen Bauch und frage mich, wie er das Gleichgewicht halten kann. Die Frau schwappt gleichsam über in ihrem geblümten Hängekleid, ihre Knöchel sind geschwollen, die Sandalen schief getreten. Beide essen Eis.
Sie schauen in jedes Gehege, stellen fest: nichts drin, und lesen gewissenhaft die an den Gittern hängenden Schilder, auf denen etwa steht: Wollmilchhyäne, Ostsüdostzimbabwe, nachtaktiv, oder: Baratzenkatze, Igruan, nachtaktiv, oder: Brandfleckenkataster, Nordlaputa, nachtaktiv. Wenn ich Geld hätte, sagt sie plötzlich, dann würde ich mir so ein Gelände kaufen und Parzellen anlegen, alles mit Zaun drumrum und nichts drin. Überall Schilder hinhängen: nachtaktiv, und einen Haufen Eintrittsgeld verlangen.
Und am Eingang noch einen Streichelzoo anbieten mit ein paar knuffigen Ziegen, steuert er bei, und überteuerte Karotten verkaufen zur Fütterung.
Sie bückt sich und kratzt sich an Knöchel, wo sich eine rote Quaddel breit macht, vermutlich ein Bremsenstich. Wieder in die Senkrechte zurückzukommen, fällt ihr schwer. Sie muss mit den Händen an ihren Beinen hochklettern und schnauft.
Wir können ja bis zum Abend bleiben, meint er, heute gucken eh alle Fußball, wir hätten den ganzen Zoo für uns. Wir bleiben einfach hier, bis es dunkel wird, dann kommen die Hyänen raus. Er zeigt dabei auf ein Gehege, in dem laut Schild zwei Hyänen wohnen; die eine heißt Bombaataa, die andere Paul-Günther.
Wenn die rauskommen und uns beide sehen, dann lachen sie bestimmt. Hyänen lachen gern.
Aber heute wird es gar nicht dunkel, wendet sie ein. Wir haben Vollmond.
Der Mond bist du, sagt er und küsst sie.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Mucki
Beiträge: 26644
Registriert: 07.09.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mucki » 02.07.2008, 23:56

Die Mondgitarre

Während ihr Spiel im Hintergrund meine Sinne benebelt, reise ich nach Peking. Überall sehe ich Rikschafahrer. Sie tragen jetzt alle die gleiche schwarz/weiße Kleidung und haben ein amtliches Siegel, das sie als offiziell anerkannte staatliche Rikschafahrer ausweist. Was haben sie davon. Durch die versmogten Straßen müssen sie rennen, genauso wie bisher. Die ganze Innenstadt Pekings wurde zerfetzt und mit ihr die alten kleinen Häuschen, hinter denen sich verborgene grüne Oasen-Hinterhöfe befanden. Die kann man nicht verpflanzen. Sie sind gestorben wie die neuen Hochhäuser Sterben bedeuten. Und alles nur wegen der Olympiade. Seit sieben Jahren wird abgerissen, um Totes zu gebären.
Nein, hier will ich nicht bleiben und reise weiter auf das Land, weit weg vom Moloch.

Reis- und Bambusfelder, wo ich auch hinschaue. Der Wind flüstert mir zu: Berühre einen einzigen Halm und du wirst die wahre Stimme der Mondgitarre hören.

Benutzeravatar
Lisa
Beiträge: 13944
Registriert: 29.06.2005
Geschlecht:

Beitragvon Lisa » 03.07.2008, 20:56

Kein Mensch

Heute habe ich einem Hund das Fell gebürstet, einem Hund mit langem Haar. Ich musste also die Bürste ein paar Mal zwischendurch leerzupfen. Die Haare legte ich zur Seite, sie wehtem den Hund bis kurz vor die Nase. Der Hund schnupperte, öffnete die Augen, hob den Kopf und roch an ihnen, ganz ruhig, legte den Kopf zurück auf den Boden und schloss wieder die Augen.
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Louisa

Beitragvon Louisa » 03.07.2008, 21:57

Wenn ich meinem Hund die Haare schneide, frisst er sie und kotzt sie wieder aus.

Wenn ich einem Kind die Haare schneide, fällt es ihm schwer still zu halten. Wir haben gelernt, still zu halten.

Wenn ich mir die Haare schneiden lasse, habe ich kein Geld mehr.
Zuletzt geändert von Louisa am 07.12.2008, 00:14, insgesamt 1-mal geändert.

Mucki
Beiträge: 26644
Registriert: 07.09.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mucki » 06.07.2008, 01:03

Ich dachte

mit den Jahren
werde ich gelassener
stelle die richtigen Fragen
stehe über den Dingen
komme mir näher

* * *

Ich weiß

mit jedem Jahr
werde ich ameisiger
mehren sich verbrannte Finger
schrumpfe ich zum Gnom
entferne mich um Lichtjahre

* * *
Gut zu wissen, dass ich noch weiß, was ich dachte

Max

Beitragvon Max » 16.07.2008, 21:29

In ihren letzten Jahren vergaß Franziska von einem Augenblick auf den anderen, was sie gedacht hatte.
Gleichzeitig wurde ihre Haut pergamenten.
Das machte es für sie unmöglich sich zu verstellen. Durch Haut und Geist konnte man in ihr Inneres sehen.
Nur die erdfarbenen Leberflecken schienen sie noch ans Hier zu binden. Sie bedauerte, dass diese trotz mehrfachen täglichen Eincremens nicht verschwanden - dass auch sie selbst bleiben musste.

"Er muss doch auf mich vergessen haben!" sagte sie einmal.
"Wer?" fragte ich.
"Der Herrgott."

Nifl
Beiträge: 3885
Registriert: 28.07.2006
Geschlecht:

Beitragvon Nifl » 01.08.2008, 11:22

Gestern dachte ich dreimal an ein Buch von Günter Schulte. Eine Abhandlung über Kunst in seinen verschiedenen Formen (auch der Fotografie), ziemlich trocken und fast unlesbar (ein typisches Professorenpflichtwerk fürs Renommee). Ohne genau zu wissen, was ich nachlesen wollte… und ohne zu wissen wo und in welchem überfüllten Regal dieses dünne Büchlein versteckt ist.

Am Abend waren 27Grad im Schlafzimmer. Ich versuchte vom Winter zu träumen, aber es gelang nicht. Also öffnete ich auch den zweiten Flügel des Schlafzimmerfensters in der Hoffnung, wenigstens kalte 26,5Grad zu erreichen. Es war noch geschlossen, weil das Fenster gesichert werden muss, ohne sich gleich wieder selbsttätig zu schließen. Im Dunkeln griff ich beliebig ins Regal am Fenster… Tätärää!

Ich geriet ein bisschen ins Wanken in meiner Allnächtlichkeit, wie es immer passiert, wenn ich aufs Unwahrscheinliche der Wahrscheinlichkeit treffe. Dann ist er plötzlich da, der primitive Aberglaube, der Geist, die Verlorenheit, wie irgendwann der Tod plötzlich da sein wird.
Noch drastischer erging es mir mal beim Bücherverkauf der Heidelberger Bibliothek…. tausende Bücher in unzähligen Kartons… ich wünschte mir damals einen Band von Rose Ausländer zu finden, ohne mir jedoch realistische Chancen zu geben … beim nächsten Griff hatte ich eines in der Hand. (es ist heute noch mein Lieblingslyrikband… wenn auch total zerfleddert)
Nun werde ich mal nachlesen, was der Günter denn so Wichtiges für mich niedergeschrieben hat…
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Benutzeravatar
Zefira
Beiträge: 5722
Registriert: 24.08.2006

Beitragvon Zefira » 04.08.2008, 00:09

Wieder in der russischen Kathedrale. Wir suchen eine Ansichtskarte aus mit drei Popen, die in der Eingangstür stehen. Alles, Popen, Sträucher, Bäume, Zwiebeltürme mit Schnee bedeckt, dicke Schneeflocken in der Luft: Das ist die Kathedrale St. Nicolas in Nizza.
Der Schnee sieht gefaked aus; ich bitte meine frankophile Tochter, den Torwärter zu fragen, ob es hier tatsächlich je geschneit habe. Die Antwort, in beleidigtem Ton. "Hier schneit es jedes Jahr!"
(Seit meiner Rückkehr sitze ich hier und google mit den Suchwörtern Nizza und Schnee. Nichts.) Es könnte immerhin sein, dass es nur auf diese ganz bestimmte Kathedrale schneit. Die Vorstellung gefällt mir. Jeden Winter bekomme die Kathedrale St. Nicolas einen weißen Schopf auf ihre fünf Zwiebeltürme. Auf die Rasenflächen ringsum, die Kapelle linkerhand, wo der Thronfolger Nicolaj Alexandrowitsch begraben liegt. Auf seine Ikone, die in der Kirche zu besichtigen ist, mit roten Tropfen übersät. Alles, alles bedeckt jeden Winter eine sanfte Schicht von watteweißem Schnee. Das Bild bleibt hängen, während ich in die Kathedrale gehe, mir eine Grundrisskarte in Deutsch nehme, einen Überblick verschaffe, die Fluchtlinien suche, während mir der Schweiß an den Schenkeln herab rieselt. Wie heiß, wie heiß. Ach, Nizza.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 1 Gast