Prosalog

Hier ist Raum für gemeinsame unkommentierte Textfolgen
Nifl
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Beitragvon Nifl » 23.07.2007, 18:09

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Foto A.P. Sandor et moi


Prosafluss - Geheime Nachrichten - Flüsterpost - Prosapool - ungebunden - verbunden - Prosadialog - Prosakette - Prosa rhei - ungebunden - verbunden - Prosa - Blitzlichter - Prosalog - Wort zu Wort Beatmung - Prosafolge - ungebunden - verbunden


Hier handelt es sich um einen Faden, in dem ihr euch prosaisch zurücklehnen könnt. Lasst euren Gedanken freien Lauf. Erzählt von euren Träumen, eurem Ärger, euren Problemen, euren Sehnsüchten, euren Beobachtungen, euren Wünschen, euren Phantasien, euren Ideen, eurem Kummer, eurer Wut, eurem Tag, euren Spinnereien … "Die Wahrheit" spielt dabei selbstverständlich keine Rolle.
Fühlt euch frei.

Lasst euch von bereits verfassten Texten inspirieren, greift das Thema auf, oder schreibt einfach "frei Schnauze"… alles ist erlaubt.

Ich bin gespannt!




Kleingedrucktes:

Damit eure Kostbarkeiten behütet bleiben, müssen folgende Regeln beachtet werden:

Bitte keine Kommentare
Keine direkten Antworten (zB. Gratulationen, Beileidsbekundungen, Nachfragen etc.)
Keine Diskussionen
Kein Smalltalk oder Talk überhaupt

Geht immer davon aus, dass alle Texte Fiktion sind.



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Zuletzt geändert von Nifl am 04.08.2007, 09:08, insgesamt 1-mal geändert.
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 23.04.2009, 00:27

Nicht Gesagtes

Ließe ich das Wort frei, schenkte den Gedanken dahinter Flügel, gäbe ich den Zweifeln Urlaub, spräche ich so Vieles aus. So, wie ich es meine, wirklich meine. Stieße ich auf Ohren, die hören können, müsste ich so viel nicht Gesagtes nicht zweimal denken, um es dann nicht freizulassen. Die Angst hat eine kalte Hand. Lässt die Worte einfrieren und schließlich bersten. Empfänger unbekannt. Ich möchte meine Hände so gerne wärmen, meine Worte freihändig hüpfend und liebend auf ihre Reise schicken, für die sie doch bestimmt sind.

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 25.04.2009, 00:30

Wir gingen auf dem Weg zur Buchhandlung durch eine volle Fußgängerzone. Ich sagte zu ihr: "Ich weiß nicht, ob ich warten soll, bis der neue G. als Taschenbuch kommt. Das kann noch über ein Jahr dauern, und wer weiß, ob ich dann überhaupt noch lebe." Vor mir ging ein älterer Herr. Er drehte sich um und sah mir ins Gesicht. Er sah befremdet aus, erschrocken. Wären wir beide, er und ich, Figuren in einem Buch gewesen, hätte ich ihm gesagt, er solle sich keine Sorgen machen, er sei in Sicherheit, wir seien ja nur Figuren in einem Buch.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

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Nifl
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Beitragvon Nifl » 06.05.2009, 21:15

Mein Notebooknetzteil hat einen Wackelkontakt.
Ich würde dir so gerne ein Baumhaus bauen. Auch wenn das Kitsch aus dem Bosch-Katalog wäre (lächelnde Väter mit lächelnden Kindern in karierten Holzfällerhemden) . Oben in der alten Buche mit Strickleiter, Falltür und allem Drum und Dran. Deine Arbeiten wären wichtig, damit du Spaß hast. Du dürftest mit allen Maschinen hantieren. Ich würde so tun, als wenn das selbstverständlich sei, würde mir meine Angst nicht anmerken lassen, den krummen Schnitt loben (und der Nagel ist nicht reingegangen, weil da ein dummer Ast ist), nur unauffällig und sparsam Ratschläge geben. Wir würden schöne gerade Bretter kaufen mit Nut und Feder (so viele wie wir bräuchten). Du müsstest sie nicht samt Nägeln am Wochenende auf Baustellen klauen wie ich als Kind. Als Boden nahmen wir eine alte Zimmertür und der Ofen war ein aufgeschlitzter Blechkanister von Raiffeisen, das Panoramafenster die Frontscheibe eines Opel-Rekord (die Krümmung war schwer zu verkleiden). Ich wollte aus dem Italienurlaub zurück, weil die Pläne überquollen. Kein Nagel durfte in die Eiche geschlagen werden, darauf hatte ich bestanden. Das machte die Konstruktion schwierig und meine Freunde wurden nicht müde, darauf hinzuweisen. Man kam nur herauf, wenn man klettern konnte. Da hing keine Strickleiter (das fanden wir gut, weil wir meinten, es sei eine "hohe Sicherheitsstufe") ... Ich hatte keinen Boschvater und will selbst auch keiner sein. Ich habe ja auch gar keinen Sohn. Und wenn doch, könnte ich ihm den Spaß gar nicht bieten, zementgraue Verschalungsbretter klauen zu dürfen. Mein Notebooknetzteil hat einen Wackelkontakt.
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 07.05.2009, 22:28

Er steht immer am selben Platz an einer ziemlich dunklen Stelle unter der Brücke. Aber das Glas Wein, das er in der Hand hält, leuchtet hell wie von einem inneren Licht. Es ist ein heller Roséwein. Die Flasche steht neben dem Mann auf einem Tisch, aber vom Etikett ist nur ein kleiner Teil zu sehen.
Immer, wenn Cora vorbeikommt, hält er ihr auffordernd das Glas entgegen.
In ihrer Jugend liebte sie alle möglichen Männer: Winnetou, den Gotenkönig Teja, Prinz Hamlet und viele, viele Schnulzensänger. Jetzt ist es also der Mann mit dem Weinglas. Er hat einen braunen Pullover an mit hochgekrempelten Ärmeln und wahrscheinlich eine Jeans, aber das ist nicht richtig zu sehen, weil er hinter diesem Tisch steht. Er hat dunkle Haare und einen Dreitagebart. Auf dem Kopf trägt er einen Schlapphut, der ins Genick geschoben ist. Das sieht irgendwie französisch aus, meint Cora, und deshalb muss auch der Wein ein französischer sein und am besten auch der Mann. Die Hand, die das Weinglas hält, ist nicht die Hand eines Bücherwurms, aber auch nicht die eines Bauern. Eine ganz normale Hand; aber der Griff der Fingerspitzen um den Stiel des Weinglases ist achtsam, beinahe zärtlich. Sehr französisch.
Cora nennt ihn ihren „Sommelier“. Das Wort hat sie in einem Reiseführer für Frankreich gelesen, und es gefällt ihr. Es klingt nicht nur nach Wein, sondern auch nach Schlaf; sommeil heißt Schlaf, das weiß sie noch; und es klingt auch nach Sommer: Es klingt nach Grillenzirpen und dem Rascheln von Bäumen im Abendwind; es klingt nach leisen Gesprächen und dem Klang zarter Gläser, während eine tiefe Stimme französische Worte in ihr Ohr raunt. Das hat etwas Einschläferndes. In ihrer Unterführung verpasst Cora manchmal das grüne Licht an der Ampel und wird von einem sehr deutschen Hupkonzert aus dem Halbschlummer gerissen.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Max

Beitragvon Max » 08.05.2009, 22:54

Eine Anekdote: George Lukas gibt ein Interview in München. Zum Schluss verabschiedet er sich mit seinem legendären Gruß: May the force be with you. Die Simulatandolmetscherin ist offenkundig nicht mit Star Wars vertraut und übersetzt: Am 4. Mai bin ich wieder bei Euch.
Zuletzt geändert von Max am 09.05.2009, 14:10, insgesamt 2-mal geändert.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 09.05.2009, 01:09

Inspiration

Letzte Nacht lieferten sich das lange Palettmesser und die kurze Dreizackspachtel ein Duell. Wie in einem Mantel- und Degenfilm. Die Dreizack gewann und legte sich zufrieden auf meinen Ateliertisch. Kaum dort, sprangen Kobaltblau, Phtalotürkis und Kadmiumgelb aus dem Regal, warfen ihre Deckel ab und klatschten sich auf die jungfräuliche Leinwand. "Nein ich!", schrie das Blau und stürzte sich auf das Gelb. Es ergab ein schönes Grün, das dem Phtalotürkis echte Konkurrenz machte. Es fackelte nicht lange und schmiss sich mit einem großen Klecks daneben. "Sie will echtes Türkis!" Die Leinwand federte kurz vor und zurück. Die Dreizackspachtel sah sich das Getümmel an und piekste kurzerhand den Deckel vom Titanweiß auf, tauchte sich elegant hinein, nahm sich ein wenig heraus. Das Weiß erblasste kurz, verhielt sich jedoch still. Die spitze Ecke der Spachtel flößte ihr einen Heidenrespekt ein. Die Dreizack stellte sich in Position vor die Leinwand. "Haltet still!" Das Quietschen der Farben verstummte. Mit glatten Cuts setzte die Spachtel mit dem Weiß auf der Schneide gezielte Querlinien zwischen alle drei Farben. "Das will sie! Und jetzt trocknet, damit sie es nicht vergisst!", rief sie im Befehlston und machte es sich auf einem weichen Lappen bequem.

"Yeah, das ist es!", dachte ich heute Morgen und machte mich gleich ans Werk.

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 12.05.2009, 00:27

Ich bin Schriftstellerin. Letztes Jahr ist ein Buch von mir erschienen, das "Der siebenunddreißigste April" heißt. Es ist 551 Seiten lang (die erklärenden Anmerkungen am Schluss nicht mitgerechnet), der Maler Goya kommt darin vor, zwei Morde, ein sprechender Hund und ein Kircheneinsturz. Kurz gesagt, es ist wahnsinnig spannend. Trotzdem wollte kein Verlag es drucken, obwohl ich ein schönes Exposé ausgearbeitet hatte und die Lektoren immer sehr freundlich anschrieb. Meistens wurde die Ablehnung damit begründet, dass das Buch nicht ins Verlagsprogramm passe. Das war nur natürlich, denn ich wollte ja ein Buch schreiben, das es so oder vergleichbar noch nicht gibt.

Also habe ich das Buch auf eigene Kosten drucken lassen, und zwar in einer Startauflage von 8000 Stück. Wie man sich denken kann, bin ich finanziell unabhängig. Nachdem ich die Rechnung für den Druck der Startauflage beglichen hatte, blieb mir noch genug Geld übrig, einen kleinen Laden in meiner Stadt zu mieten. Der Laden ist unterhalb des Doms zu finden, zwischen einer Galerie und einem Weingeschäft. Diese Lage ist sehr günstig, weil die Kunden, die hier vorbeikommen, im allgemeinen zahlungskräftig sind offen für Neues.

Meine Buchhandlung ist schön und gemütlich eingerichtet mit allem, was dazugehört: Regale an den Wänden, Büchertischen in der Mitte, ein Wühltisch für Sonderangebote und hinten eine Sitzecke für Kunden, die in einem Buch ein wenig blättern möchten, ehe sie sich zum Kauf entschließen. Ich biete auch Kaffee oder Tee an, wenn jemand sich dort hinsetzt. Das kommt oft vor, denn meinen Kunden fällt die Wahl, welches Buch sie kaufen sollen, erstaunlich schwer. Die Bücher in meinem Laden sehen alle gleich aus. Auf dem Titelbild ist ein kleiner Hund. Sie sind professionell gemacht in guter Druckqualität; und den Inhalt kenne ich gut und kann daher meine Kunden optimal beraten. Bestimmt bin ich die einzige Buchhändlerin in der Stadt, die jedes Buch in ihrem Laden ganz genau kennt. Ich habe mir auch bunte Aufkleber besorgt mit dem Aufdruck: "Unser Buch des Monats" und "Empfehlung der Geschäftsleitung". Die meisten Bücher in meinem Laden haben einen solchen Aufkleber. Nicht alle, denn das ist sehr viel Arbeit. Ich klebe immer ein wenig zwischendurch, wenn ich Zeit habe.

Leider habe ich aber fast gar keine Zeit, weil meine Kunden so anspruchsvoll sind. Sie kommen herein, mustern erstaunt die Regale, ziehen sich hier und dort ein Buch heraus, betrachten die Exemplare auf dem Wühltisch und fragen mich, wo der neue Ken Follett stehe. Darauf antworte ich, dass ich den nicht habe, aber demnächst komme er vielleicht herein. Dann empfehle ich stattdessen den Roman "Der siebenunddreißigste April". Die Kunden setzen sich hinten in die Sitzecke und verlangen einen Kaffee, schlagen drei, vier Bücher auf und lesen ein paar Seiten. Wenn ihnen das Buch nicht gefällt, nehmen sie ein anderes und schlagen es etwas weiter hinten auf. Dann wollen sie meistens wissen, warum ich "nur dieses eine Buch" habe. Ich antworte darauf, dass ich mehrere tausend Bücher anbiete, und mehr kann ich nicht hereinstellen, da für noch mehr Bücher (zum Beispiel den neuen Ken Follett) kein Platz ist. Das können die Kunden nicht bestreiten; die vollen Regale sprechen für sich. Besonders Hartnäckige fragen dann, ob ich ihnen den Follett bestellen könne, aber das mache ich grundsätzlich nicht. Ich habe genug Bücher; wer darunter nichts Passendes findet, dem ist nicht zu helfen.

Nach Feierabend, wenn ich meinen Laden aufgeräumt und Kassensturz gemacht habe, setze ich mich meistens noch ein wenig hin, lege die müden Beine hoch und lese.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 13.06.2009, 18:57

Die Tür hinter mir schließen wie ein Kreisel sich dreht, mit diesem Schwerpunkt, dass man nicht hinter ihr stehen und sich niederlassen muss, sondern sie immer weiter fällt und fällt um einen herum. Mit dieser Richtung nach innen, dass man denken könnte, man sei ein guter Kern, weil man ein eigenes Gewicht spürt. Vielleicht flöge dabei ein Zopf durchs Schlüsselloch, der müsste nicht sprechen, müsste keine Brüste entblößen, müsste nicht gehirnen. Und wenn er feuchtete, so trocknete er.
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 17.06.2009, 00:59

heute fehlten alle kanten. selbst das unrunde war nicht kantig, obwohl ins eckige hineingespürt. das runde bisschen überrundete das kantige um vier eckige längen. wieviele runden das kantige sich wunden muss, damit es sich endlich unrund fühlen kann.

Nifl
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Beitragvon Nifl » 17.06.2009, 22:26

„Weißt du?“, sagt sie. Ich nicke wie ein Dreijähriger am Telefon. Ja, ich weiß, noch weiß ich. Die Böden kommen zum Schluss, nein, die Türen. Vielleicht wird dann alles besser. Meine Hände sind trocken. Ich habe mich schon erwischt, von Handcreme zu träumen wie der Verdurstende von dem offenen Cola-LKW in der Kinowerbung. Der Arbeiter ist auch ein Verdurstender und geht mir auf die Nerven mit seinem ewigen Biergesaufe (und ich dachte immer das sei Klischee). Mein linker Daumennagel ist blau. „Ja, wenn man als Linkshänder auch mit rechts den Hammer schwingt“ (ein kumpelhaftes: Höhö) Ich habe nichts Besseres zu tun, als den Staub vom Rahmen des Lichtschalters (polarweiß) zu wischen. Dabei ist mir zum Heulen zu Mute, weil ich doch so viel Besseres zu tun hätte. Lähmung. „Ne, es geht alles gut voran, kein Problem“.
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 18.06.2009, 09:06

Sie zieht sich ihre Lippen mit dem Lippenstift nach, den sie nie getragen hat. So ist alles, was sie tut. So ist alles, was sie ist. Eine Nachahmung in die Leere. Den geschenkten Weihnachtsstern kann sie nicht fortschmeißen, weil sie sich immer wieder sagen muss, dass es etwas Schlechtes ist, eine Pflanze nur deshalb wegzuschmeißen, weil nur noch grüne Blätter nachwachsen. Ihre Bewegung, die Pflanze zu sich auf Abstand zu bringen, hat aber keinen ästhetischen Grund, sie findet die roten Blätter nicht schöner, auch ist sie der Pflanze nicht böse, dass diese nur einer Weile ihrer Idee folgen kann, die die Menschen sich für sie ausgedacht haben. Der Grund für das Loswerdenwollen ist vielmehr die ständige Auseinandersetzung damit, dass sie sie ja nicht fortschmeißen kann, wie es anderen vielleicht leicht fällt, weil sie nicht in diesem Zustand sind, nicht das bedenken, finden, fühlen, was sie fühlt. Und es ist ein Fluch, dass die anderen dadurch sogar besser sind als sie, denn, sie denken ja nicht schlecht von sich, wenn sie die Pflanze aufgrund ihrer nicht mehr zufriedenstellenden Ausübung ihrer Funktion in den Mülleimer werfen und irgendwann einfach das nächste Weihnachtsfest kommt. Sie aber denkt schlecht von sich, wenn sie dauernd gegen den Drang ankämpfen muss, die Pflanze nicht wegzuschmeißen und alles in diese Nichtgeste fällt. Das Gießen, das Blätterzupfen, das Drehen zum Licht der verschiedenen Seiten, das alles ist keine Pflege, es ist einfach nur das tote Gegenteil vom Fortschmeißen. So hält sie die Pflanze in Einsamkeit, lässt sie nicht zu ihr, weil sie nicht zu den anderen kann. Denn es sind andere. Und ihre Annäherung an sie ist eine Nachahmung in die Leere.
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Max

Beitragvon Max » 12.07.2009, 22:47

Wir glauben an Märchen. An Rumpelstilzchen zum Beispiel. Nicht daran, dass es wirklich einen Zwerg gab und eine Königin und der Zwerg der Königin ihr Kind stahl. Aber an das Benennen glauben wir. Wenn ich einen Menschen beim Namen nenne, so kenne ich ihn. Ich weiß, was er denkt und wie ihm ist. Wir wollen nichts wissen von den Tränen, die der andere heimlich weint, das Gesicht Wand zugeneigt, wir wollen nicht hören von den Ängsten. Und sind erstaunt, wenn der anderer wirklich der Andere ist.

scarlett

Beitragvon scarlett » 12.07.2009, 23:06

Die Wand trägt alle Namen, um derentwillen ich geweint habe. Und den Menschen dahinter nicht sah. Das Kind braucht keinen Namen, sofern es geliebt wird. Der Zwang zur Klassifikation, zum Benennen, ist Teil der Naturwissenschaft. Ein liebendes Herz tickt anders.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 12.07.2009, 23:11

Shakuhachi

Der Sturm ist vorüber. Sie öffnet die Augen, atmet tief durch, fühlt das Fliehen der Schwere über der Ebene, legt ihre Beine über Kreuz.
Ich begleite dich mit dem Wind, der alles in sich trägt!
Ihr Spiel wirbelt sie in sich selbst hinein.


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