Beitragvon Peter » 09.10.2009, 10:35
Mein Nachbar, der Maler
Tot und doch lebendig -
wie gestern im Malen das Auge, das eher zufällig aus der rinnenden Farbe aufkam, sich aufschlug und wieder schloss.
Farbe, in der ein Bewusstsein ruht, das allseits glimmt in Rot und Blau. Und doch nirgends ganz herauszufinden, wie stark und lebendig auch sich die Farbschichten zeigen. Nirgends herauszufinden, desto drängender auch das Herz schlägt.
So hat der Nachbar seine letzten Tage verbracht.
Lebendig in einem Tod, der sich durch die Tage wie das trübe Wetter legte,
die Straßen mit schwarzem Regen beschlug, der feucht an die Fenster drängte -
wie warm es die letzten Tage wieder war, obwohl so spät im Herbst,
selbst eine Grille war noch mal zu hören, und auf dem Gartenweg ging ein warmer Wind
und der Kirschbaum rauschte und im Dunkel sah man seine braunen Blättern nicht
und die Lichter der Fenster waren noch mal gelb und die Gartenstühle noch mal warm.
In der Nacht saß der Maler am offenen Fenster.
Manchmal, dass ihm alles als derselbe Film erschien.
Ob er in den Fernseher sah oder zum Fenster hinaus, machte keinen Unterschied.
Ein ewiges Mit-Dasein, das nur aus Zuschauen bestand.
Ungeheur ungefähr war ihm das Leben zuletzt, ungeheuer, wenn er es zu rufen begann - er tat nichts anderes, wenn er malte - ; sacht und fast behütend schien es, wenn er schwieg.
Bis ans Herz war er sich ungefähr; Symbol und Schatten, und so bis ins Fernste aufgestellt.
Was ihm Weg und Atem, das das ganze Rätsel,
hätte sein sollen, wie drängte er danach!
kam ihm zuletzt nur noch als Verschlüsselung daher;
ungreifbar; ging vorüber; halbes Angesicht, dessen andere Hälfte in den Abgrund stürzte; strömend.
Wollte er nicht sagen, ein seltsamer Trost. Musik des Abgrunds, die ihn schauen ließ und schwindelte, aber ihn nicht ergriff und nicht mit sich zog.
Wollte er sagen, ein Entsetzen; denn nichts war sagbar und ihn gab es nicht.
Kein Wort für sein letztes Bedürfnis. Kein Wort - aber den Schmerz.
Aber der Schmerz, und aus dem Schmerz der Beweis.
Ja, er brauchte.
Er hatte gebraucht. Er brauchte immer noch. Er würde immer brauchen.
Farbe, Form, Beweglichkeit, die Linie unter den Dingen, die sich doch zu Zeiten in ihn schenkte.
Wie schmutzig jeder Ausdruck! Wie schmutzig seine Hände!
Wie trüb die Nacht, wie schief das Bild, das er aufgehängt hatte,
und an dem er wegsank und schlafen ging, an dem Tag, als er nicht mehr aufwachte:
das schiefe Bild -
aber die Linie.
Da hat ihn niemand mehr verstanden.
Um was geht es im Malen? - Um die Linie.
Was sind wir sonst, was sind wir denn!
Die Linie wollte er malen. - Welche? - Unter den Dingen!
Sie, die hervorkommt... Sie, die aufscheint.... Sie...: Atem ...
Merkwürdig, wenn ich mir vorstelle, dass er nun dort drüben liegt.
Der Wind ist noch immer warm, das Fenster ist offen.
Dort, im Dunkel, muss er liegen. An dem Nagel das schiefe Bild.