Prosalog

Hier ist Raum für gemeinsame unkommentierte Textfolgen
Nifl
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Beitragvon Nifl » 23.07.2007, 18:09

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Foto A.P. Sandor et moi


Prosafluss - Geheime Nachrichten - Flüsterpost - Prosapool - ungebunden - verbunden - Prosadialog - Prosakette - Prosa rhei - ungebunden - verbunden - Prosa - Blitzlichter - Prosalog - Wort zu Wort Beatmung - Prosafolge - ungebunden - verbunden


Hier handelt es sich um einen Faden, in dem ihr euch prosaisch zurücklehnen könnt. Lasst euren Gedanken freien Lauf. Erzählt von euren Träumen, eurem Ärger, euren Problemen, euren Sehnsüchten, euren Beobachtungen, euren Wünschen, euren Phantasien, euren Ideen, eurem Kummer, eurer Wut, eurem Tag, euren Spinnereien … "Die Wahrheit" spielt dabei selbstverständlich keine Rolle.
Fühlt euch frei.

Lasst euch von bereits verfassten Texten inspirieren, greift das Thema auf, oder schreibt einfach "frei Schnauze"… alles ist erlaubt.

Ich bin gespannt!




Kleingedrucktes:

Damit eure Kostbarkeiten behütet bleiben, müssen folgende Regeln beachtet werden:

Bitte keine Kommentare
Keine direkten Antworten (zB. Gratulationen, Beileidsbekundungen, Nachfragen etc.)
Keine Diskussionen
Kein Smalltalk oder Talk überhaupt

Geht immer davon aus, dass alle Texte Fiktion sind.



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"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

derSibirier

Beitragvon derSibirier » 12.03.2010, 19:14

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 13.03.2010, 23:03

das innenleben einer erinnerung aus schlechtem hause

ein kopf-, hand- und unterschenkelfußloser körper kommt auf mich zu, ich liege, und ohne sich zu biegen setzt er sich auf mich. die brusthaare und inneren schatten und auch der hals sind schwarz weiß, der rest schweinerosa, er ist willenlos, da ist kein trieb, das ist eine maschine, die das mit mir macht, und sie macht es mit mir, weil ich mich verbunden fühle mit ihr.

die maschine ist mir entsprungen. es ist ein unkontrollierbarer, ein männlicher teil von mir, eine rückrufaktion, ein echo auf all das, was ich wurde, weniger noch als ein kadaver, ein widerauferstandener müll, ein aufbegehrender materiallisierter klumphaufen, ein fleischgewordener erstickter schrei. ich kann nicht mehr atmen von dem vielen fleisch in der luft, das kotelett in den lungen, die muskelpartien, die sehnen, die arbeiten, und kein bild tut sich auf.

nun bewegt er sich rhythmisch auf mir hin und her, strombetrieben, impulsplaketten an den nervensträngen, zuckig und in jedem ruck schauen augen auf mich, tausend augen, die augen gehen auf wie schwarze sonnen, sie holen mich auf die andere seite, ich höre schon den projektor, sie stellen die verbotenen fragen: was hast du unternommen? wie kannst du dir sicher sein, dass? willst du behaupten? wie kannst du es wagen.
die augen sind tote herzen. totherzen.

derSibirier

Beitragvon derSibirier » 14.03.2010, 09:34

Manchmal hast du genug von ihnen und gehst davon. Du siehst ein Schiff und Matrosen, die salutieren. Du denkst, es ist dein Schiff und du bist heimgekehrt. Aber es sind nur Gespenster, die dir zuwinken, dich angrinsen, weil sie sich freuen, dass du mehr tot als lebendig bist. Du siehst ein paar Fetzen Segel am Mast und Leichen an Deck. Den Anker schneidest du ab und wirfst ihn den Menschen vor die Füße. Deine kleine Schwester betet für dich und der Vater hängt tot am Seil daneben. Immer weiter und nicht zurück, verloren willst du sein.
Die Sehnsucht trägt dich raus und dann bist du dort. Deine Seele riecht nach Aas und der Riemenmann zieht dir rote Striche über die Haut. Ein schwarzer Engel steht am Bug und zählt die Zeit. Weiße Delfine schwimmen im Regen und der Himmel jagt hinterher. Du bist ein toter Hund am Ruder und träumst von warmen Händen, aber deine Sehnsüchte verwesen in der Dunkelheit. Das Leben ist nicht mehr wichtig und du verbrennst an den Lügen deiner Zeit. Du schmierst deine Träume auf ein Stück Papier und wirfst sie von Bord. Dann fällst du in die Leere und dein Tod berührt sie nicht.

Centa

Beitragvon Centa » 16.03.2010, 11:16

Das Brett, das meine Hände festhalten, wäre noch gut zu gebrauchen. Was man daraus doch nicht alles machen könnte. Doch in sein Fleisch sind Nägel geschlagen. Nägel die schon sehr lange dort sind und rosten.
Nachdenklich und berührt sehe ich es.
Entschlossen gehe ich in die Werkstatt. Dort greife ich achtsam nach der gleichfalls rostige Beißzange.
Irgendwann habe ich sie auf einem Feldweg gefunden. Sie hat dort auf mich gewartet, wohl schon einige Zeit. Ganz aus Eisen ist sie und von guter, schwerer Qualität. Keine Baumarktware.
Es macht mir Freude, sie zu benutzen und ich habe sie schätzen gelernt.
Ihre kraftvollen Zähne fassen die Fremdkörper. Einen nach dem anderen. Lustvoll bemerke ich das
Nachgeben der Hindernisse. Die beiden Hebel fest zusammengedrückt rollt die Zange in meinen Händen zur Seite, fasst nach, trennt, was nicht zusammengehört.
Meinst du, daß die rostfarbenen Löcher im Holz stören?
Was auch immer aus dem Brett werden wird, ich finde, es darf seine Geschichte erzählen.

Niko

Beitragvon Niko » 16.03.2010, 18:13

Wer seine Geschichte erzählt, hat etwas, woran er glaubt. Doch manchmal habe ich keine Geschichten, habe nichts zu erzählen und glaube nicht. Aber doch passiert es, dass eine Geschichte unerzählt jemand anderes erreicht. Und dieser sogar das erreichte glaubt.
Mir wird kalt bei dem Gedanken, dass jemand erfährt, was ich selbst nicht einmal glaube. Und doch macht es mir bewusst, dass, was immer ich tue und was immer ich nicht tue, Menschen mich erkennen. Im erzählen und im Schweigen.
Ein gutes Gefühl. Glaubwürdig sein. Erkannt sein, auch wenn man sich alle Mühe gibt, sich zu verstecken.

Max

Beitragvon Max » 19.03.2010, 22:06

Du glaubst doch nicht, sagt sie, als er erzählt, dass er sogar schon über ein Noviziat nachgedacht habe.
Es stimmt, denkt er, sein Glaube ist unglaubwürdig.
Und doch: Seine Fluchten führen ihn immer häufiger in Kirchen. Nicht in den Dom, in dem sich die Ströme pflichtbewusster Touristen stauen und er beim Altarbild mit dem letzten Abendmahl immer an das Vereinsheim des FC denken muss, in dem ein Bild der Meisterschaft von 1963 über der Vitrine mit einer Kopie der Meisterschale - er findet sich zumeist in dem gotischen Gotteshaus unweit des Doms wieder. Meist ist er allein. Er betet nicht (obwohl man meinen könnte, dass sein letztes Gebet erhört worden sei), sondern bewundert lieber die abgewetzten Kniebänke.

Wer hier wohl schon alles gekniet hat, denkt er, doch ihm fällt kein berühmter Bürger seiner Stadt ein, der religiös gewesen wäre.
Nach einer viertel Stunde oder einer halben wird ihm meist langweilig. Dann zündet er eine Kerze an (die Oma hätte es so gewollt) und geht.

derSibirier

Beitragvon derSibirier » 20.03.2010, 08:27

Manchmal ist es düster und es regnet, und manchmal ...

Ich fragte in unserer Straße ein vierjähriges Mädchen nach seinem bitterlichen Weinen und es antwortete: „Ich habe Zwiebeln geschnitten.“
Das Mädchen schämte sich seiner Gefühle und hatte gehört, dass man vom Zwiebelschneiden weinen musste. Es wurde ihm zur ernsten Ausrede. Jedenfalls dachte das Mädchen, es würde die Erwachsenen damit zufriedenstellen und alles erklären.
Lange Zeit begegnete mir das Mädchen nicht mehr.
Als ich es wiedersah, war das Kind etwa zehnjährig. Es weinte nicht mehr, aber in seinen Augen sah ich kein Glück.
„Mein Papa ist auch gegangen“, sagte es.
Es faltete vollgekritzelte Blätter zu Papierschiffchen und setzte sie in die Bordsteinrinne.
Wie ich eines vor dem Gulli retten und ihm zurückbringen wollte, lief es fort.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 22.03.2010, 00:51

Das Mädchen lief und lief. Es wusste nicht wohin, doch es wusste, warum es fortlaufen musste. Als der Papa gegangen war, hatte sie keine einzige Träne geweint. Sie schämte sich nicht. Aber sie schämte sich dafür, dass sie sich nicht schämte. Wenn der Papa gegangen ist, muss man doch weinen. Muss man doch. Doch sie konnte nicht. Sie weinte, wenn sie ein fast verhungertes Kätzchen sah. Sie weinte, wenn sie versehentlich einen Marienkäfer zertreten hatte. Aber als der Papa gegangen war, hatte sie nicht geweint. Aber man muss doch.
Jahre später erfuhr sie von der Mama, dass dem Papa nach seinem letzten Atemzug eine einzige Träne auf seiner linken Wange heruntergelaufen und über der Lippe liegengeblieben war.
Diese Träne gehört mir, dachte sie und konnte nicht mehr aufhören zu weinen.

Renée Lomris

Beitragvon Renée Lomris » 22.03.2010, 01:09

Das Mädchen lief davon und spielte. Es wusste nicht, dass es beobachtet wurde. Die einen sagten, es habe gespielt, als sei nichts gewesen. Keine Träne habe es geweint. Die anderen sagten, es sei auf die Leiche geklettert, habe mit den Fäusten auf den unbeweglichen Brustkorb der Mutter eingehämmert, habe wütend geschrieen, sie solle etwas sagen. Diese habe, versteht sich, nichts sagen können, und das Mädchen habe getobt und man habe es mühsam davon abhalten können, gewaltsam den Mund der Mutter zu öffnen. Die beiden Kieferhälften habe es schon auseinander gerissen. Die einen erschreckte das Verhalten des Kindes, die anderen sahen darin einen Beweis für seinen großen Schmerz. Dem Mädchen standen fortan zwei Parteien gegenüber. Es wuchs im Zeichen des Kreidekreises heran.

derSibirier

Beitragvon derSibirier » 22.03.2010, 17:22

Das Mädchen träumte in der Nacht von einem Jungen und einem großen Licht. Der Junge sagte, dass sie ihm folgen möge. Er wisse von einer Welt, die wunderschön sei. Draußen auf dem Meer, man brauche nur in sie einzutauchen und alles wäre schwerelos. Das Mädchen meinte, es fürchte sich vor dem Meer und der Tiefe und der Finsternis, und dass es ein Kind der Sonne und des Lichtes sei. Der Junge drängte nicht weiter und blieb bei dem Mädchen an Land zurück, versuchte seine Träume und die Schwerelosigkeit zu vergessen. Er hielt für lange Zeit die Hand des Mädchens.
Aber einmal kam das Licht ganz nahe, und als es wieder ging, trug es das Mädchen mit sich fort, dorthin wo die Sonne war. Der Junge war alleine und sehr traurig. So schwamm er auf das Meer hinaus und weit draußen tauchte er in die Tiefe hinab. Und auch als seine Luft zu Ende ging, blieb er in der Dunkelheit am Meeresgrund. Es wuchsen ihm Flossen und er brauchte nicht mehr zu atmen. Nur manchmal kommt er noch nach oben, an das Licht und die Farben. Dann blickt er hinauf in die Sonne und sucht das Mädchen im Licht. Doch bald lässt er sich wieder lautlos sinken. Nur ein glitzernder Blas und ein leichtes Kräuseln der Wellen lassen erinnern, dass er einmal da war.

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 26.03.2010, 10:03

"Wie das so ist mit den Träumen", sagte die Frau: "Manche versteht man, und manche versteht man eben nicht".
"Hm", sagte der Mann: "Ich habe schon lange nicht mehr geträumt, viele Jahre nicht". "Gute Nacht", sagte die Frau; "Gute Nacht", sagte der Mann.
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

walden

Beitragvon walden » 26.03.2010, 11:44

Er schläft. Sie ist noch wach.
„Hm.“
„Was sagst du?“
„Mh.“
„Was heißt das?“
„Wie?“, fragt er schläfrig.
„Du sagtest etwas, das wie ‚Hm’ und ‚Mh’ klang. Meintest du mich?“
„Hm?“
„Du musst doch wissen, was du sagst.“
„Hab' ich geschlafen?“
„Wie schön. Dann träumst du wieder?“
„Hm.“

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 26.03.2010, 17:38

Der Brief rutscht durch den Spalt unter der Wohnungstür, als sie gerade daran vorbeigeht. Ohne einen Laut schiebt sich das weiße Viereck ins Zimmer. Kein Klingeln an der Tür, keine Schritte im Flur, nur das weißt Kuvert auf dem Linoleum. Ohne Adresse darauf.
Die Klappe ist nicht zugeklebt und öffnet sich von selbst, als sie den Brief in die Hand nimmt. Der Umschlag ist leer bis auf ein Foto.
Sie setzt sich auf die Kante des durchgesessenen Sofas. In der Wohnung stehen kaum noch Möbel. Fast alles ist ausgeräumt. Das Bücherregal leer, die Türen des Kleiderschranks stehen offen. Ein einzelner Stuhl wendet dem dreibeinigen Tisch den Rücken zu, als wolle er nichts damit zu tun haben.
Als Kind hat sie Klavier gespielt, manchmal sogar in Schülerkonzerten mitgewirkt. Sie erinnert sich: Einmal ist mitten in ihren konzentrierten Spiel ein Journalist hinter sie getreten und hat sie fotografiert. Der plötzliche Lichtblitz aus der Kamera brachte sie aus dem Takt. Ihre Finger verhedderten sich, stolperten über ihren flinken Lauf auf den Tasten, sie hob die Hände und versuchte die Panik niederzukämpfen, und als sie die Finger wieder auf die Klaviatur legte, hatten sie keine Gelenke mehr und hingen kalt und steif an ihren Armen wie ein totes Gewicht. Mühsam und stolpernd brachte sie ihr Vorspiel zu Ende, es gelang nichts mehr. Seitdem hat sie es immer gehasst, fotografiert zu werden.
Seitdem hat sie kein Foto von sich ansehen können, ohne sich an diese Niederlage zu erinnern.
Sie betrachtet das Foto in ihren Händen. In der Türöffnung steht ein schwarzer Mann mit weißem Hemd.
Das ist aber nett, das Sie schon fertig sind, sagt er. Die wenigsten sind so entgegenkommend.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 29.03.2010, 17:29

Blaue Motivation

Bei manchen Briefen muss man aufpassen. Es kommt auf das timing an. Unser Briefträger damals war zum Glück recht zuverlässig. So wusste ich immer genau, wann er kam und wann ich aufpassen musste, um seine Briefe abzufangen, genauer gesagt, diese ganz bestimmten Briefe. Das war also einfach. Ebenso einfach fiel es mir, die Unterschrift meines Vaters nachzuahmen. Er hatte eine Sauklaue, genau wie ich. Seine Unterschrift war ziemlich lang, also sehr viel Sauklaue, aber Übung macht bekanntlich den Meister, in diesem Fall die Meisterin.
Dass meine Eltern kein einziges Mal an einem Elternabend teilnahmen, kam mir zugute. Auch diese blauen Briefe verfehlten ihre Wirkung nicht. Sie spornten mich an, immer zu Beginn des zweiten Halbjahres, waren sozusagen der Arschtritt, den ich brauchte, um zu lernen. Jedes Jahr wartete ich auf diesen Motivator, setze mich hin und büffelte. Vorher? Nee, wozu. So kam ich über die Runden und legte ein ordentliches Abitur hin und alle waren zufrieden.


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