Prosalog

Hier ist Raum für gemeinsame unkommentierte Textfolgen
Nifl
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Beitragvon Nifl » 23.07.2007, 18:09

Bild
Foto A.P. Sandor et moi


Prosafluss - Geheime Nachrichten - Flüsterpost - Prosapool - ungebunden - verbunden - Prosadialog - Prosakette - Prosa rhei - ungebunden - verbunden - Prosa - Blitzlichter - Prosalog - Wort zu Wort Beatmung - Prosafolge - ungebunden - verbunden


Hier handelt es sich um einen Faden, in dem ihr euch prosaisch zurücklehnen könnt. Lasst euren Gedanken freien Lauf. Erzählt von euren Träumen, eurem Ärger, euren Problemen, euren Sehnsüchten, euren Beobachtungen, euren Wünschen, euren Phantasien, euren Ideen, eurem Kummer, eurer Wut, eurem Tag, euren Spinnereien … "Die Wahrheit" spielt dabei selbstverständlich keine Rolle.
Fühlt euch frei.

Lasst euch von bereits verfassten Texten inspirieren, greift das Thema auf, oder schreibt einfach "frei Schnauze"… alles ist erlaubt.

Ich bin gespannt!




Kleingedrucktes:

Damit eure Kostbarkeiten behütet bleiben, müssen folgende Regeln beachtet werden:

Bitte keine Kommentare
Keine direkten Antworten (zB. Gratulationen, Beileidsbekundungen, Nachfragen etc.)
Keine Diskussionen
Kein Smalltalk oder Talk überhaupt

Geht immer davon aus, dass alle Texte Fiktion sind.



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Zuletzt geändert von Nifl am 04.08.2007, 09:08, insgesamt 1-mal geändert.
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Gerda

Beitragvon Gerda » 15.08.2010, 11:17

passion II

sie trank den kaffee stets zu heiß / er verbrannte ihr zunge und gaumen / zu oft schnitt sie sich (mit mit dem messer) ins eigene fleisch / mischte sich ein / ungefragt / (re)agierte / äußerte ihre meinung / eckte oft an / sagte dinge / die andere menschen ignorierten oder für die sie keine worte haben wollten / tanzte / hüpfte / auch in fußgängerzonen / ohne rücksicht darauf / dass frau das nicht tut / versuchte aufrecht zu sein / wo andere (sich be)logen / hasste spieß- und bürgertümelei / gegen anpassung fand sie gründe / die sie auf den punkt brachte und manchmal auf die spitze trieb / amüsierte sich über die angst anderer / sich zu blamieren / was konnte ihr schon passieren / das leben / die einmalige chance / die es mich sich brachte / die wollte sie nutzen und genießen / zu verschenken hatte sie keine sekunde für überflüssigkeiten / aufgesetztes verhalten / sie lebte jetzt / schöpfte aus der tiefe ihrer leidenschaft / bis …
©GJ20090914

Niko

Beitragvon Niko » 15.08.2010, 13:05

am kenotaph

nur zum schein setze ich den spaten an. im gittergeflecht der bäume, wo sich die blicke kerkern, liegen die schatten begründet. in rinden ritzen ist zu abgeschmackt. so grabe ich nach deinen namen, die so irden und geerdet sind, dass sie versunken sein müssen.

aber kennt das glück namen, schatten, spaten? ich hab es beobachtet. wie es aus einem leeren abteil stieg und an mir vobei lächelte, als ob es mich meinen würde.
seitdem ist die erde ein kenotaph und ich stehe grinsend davor. und das glück, das weiß ich, ist nur eine nacht weit entfernt, wartet im welkenden wald auf den, der das lächeln verstand.

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 15.08.2010, 13:29

Schlucken

Ich konnte niemals richtig trinken. Nicht auf diese fröhliche, gesellige Art. Der Alkohol löste mir nie die Zunge, er half mir nur die schweren, ätzenden Worte, die meinen Mund besetzten bis ich kaum noch Luft bekam, hinunterzuschlucken und der nächste Schluck half, dass sie sich aufzulösen begannen und der letzte Schluck half mir zu vergessen, dass sie damit nicht besiegt waren, dass sie sich schon wieder an den Aufstieg machten und morgen von neuem in meinem Mund nisten würden, durch nichts auszulöschen, als durch diese klare Flüssigkeit, die ich immer allein zu mir nehme. Weil sie mir hilft zu vergessen, dass ich nicht allein bin. Nicht nur ich und die Flasche und die brennenden Worte, die immer wieder zurückfinden in meinen wehrlosen Mund.
Innen die Worte, die alles ausfüllen und außen der Blick auf meinen Mund. Und ich versuche trocken zu schlucken und mich auseinander zu setzen. Jedem den Teil zu überlassen, von dem er glaubt, er stünde ihm zu. In der Hoffnung alles wieder zusammensetzen zu können, später, wenn diese Flüssigkeit die Worte hinunterspült und etwas anderem Platz macht, wenn sich die Dinge verkehren und die Gedanken beiseite schieben, bis mir schwindelig wird und ich mich vergesse, bis ein Lächeln mit meinem Mund spielt, bevor ich mich übergeben muss.
Mich meiner Tochter übergeben muss, die eine russische Puppe ist, die will, dass ich alles von ihr sehe, immer wenn ich denke: jetzt ist es genug, wenn ich denke, geschafft, sagt sie: mach weiter, darunter ist noch etwas. Ich will, dass du mich siehst, ich will, dass du alles siehst, und ich spüre die Wörter, die sich ausbreiten, alles ausfüllen und sage: Entschuldige bitte, eine Hand in der Tasche, um mich zu vergewissern, dass das Gift noch da ist. Das Gift, das mir hilft mein Leben zu schlucken.
Zuletzt geändert von Xanthippe am 16.08.2010, 11:25, insgesamt 1-mal geändert.

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 15.08.2010, 22:56

Mit der Großartigkeit eines Naturschauspiels, zum Beispiel eines Wasserfalls in schöner Umgebung, steigt linear auch das Bedürfnis, sich davor fotografieren zu lassen. Erst sie ihn, dann er sie, am besten mehrmals in wechselnden Posen. Die Dämlichkeit des Fotografierlächelns korreliert überproportional mit den beiden bereits genannten Parametern. Der Kulminationspunkt der Peinlichkeit ist erreicht, wenn Vorübergehende angehauen werden, das Paar noch einmal gemeinsam abzulichten. Dazu muss erst noch die Kamera erklärt ("du drücken hier") und die passende Pose samt Lächelklimax eingenommen werden. Die erzwungene Pause gibt den Nachfolgenden, die wegen der Enge des Wegs nicht vorbeikommen, genügend Zeit, ihrerseits eine passend erscheinende Fotofolge zu verabreden, samt größenmäßiger Staffelung aller Beteiligten, damit auch die schicken Rucksäcke, Retriever Goldie und Dackel Pumuckel noch mit ins Bild kommen. Weitere Nachfolgende werden in die Pflicht genommen, schon mal die Kamera erklärt und per Taschenspiegel noch rasch die Ohren frisch gestylt, bis man endlich an der Reihe ist. Man kann sich nur wundern, dass dem Wasserfall selbst diese Schau nicht zu blöd wird. Dass sich nicht irgendwann der Berg herumdreht und sein Wasser auf der anderen Seite runterfallen lässt.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 15.08.2010, 23:33


Das weiße Blatt Papier möchte die Unendlichkeit an einem Zipfel erhaschen (und vielleicht auch festhalten). Das Schwarz-Weiß des Denkens setzt ihr endliche Grenzen. Der Zipfel wird zum Berg. Fokus fixiert das Sandkorn. Berg und Sandkorn. Wo ist der Felsen? Beschlagene Augen finden ihn nicht. Das Sandkorn zu klein, der Berg zu groß, der Felsen unsichtbar. Weil er grau ist, kein Platz in der Schwarz-Weiß-Welt.
Manchmal ist Grau die bunte Realität.

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 18.08.2010, 16:44

Natürlich gibt es diese Fäden an denen die Wirklichkeit hängt. Es regnet Bindfäden, sagte meine Mutter. Sie sprach. Der Regen fiel. Alles hing an einem seidenen Faden. Ich trank aus. Ich stand am Fenster. Der Regen fiel weiter, tiefer. Andere lagen längst unter der Erde. Einige fielen bevor sie aufgefallen waren und standen dann nicht mehr auf.
Werden sie zu den Farben im Regenbogen?, fragte ich meine Mutter. Ein Teil des Versprechens?
Nur ein Teil, sagte meine Mutter. Und vergiss nie: der Faden ist dünn.

Gerda

Beitragvon Gerda » 19.08.2010, 04:36

Da war das Gemälde mit der Kreuzspinne, die am Haltefaden hing - und in ihrem fein gesponnenen Netz ein Gewicht. Katjas Ansicht nach das beste. Kein Wunder, dass er die Spinne vergoldet hatte. Der Zusammenhang mit seiner Forschungsarbeit an der Spinnenseide, von der auf der Vernissage auch gesprochen worden war, lag nahe. „... und dass sich Max Albertis Erfindung einmal vergolden lassen würde“, dachte sie, „galt als ziemlich sicher".
„Gewichtig“, so der Titel des Kunstwerks. Auf dem „Unverkäuflich“ hatte, Alberti bestanden.
Katja erinnerte sich merkwürdigerweise an ein Gedicht, welches eine ihrer Freundinnen geschrieben hatte:


... dieser dünne faden,
an dem alles hängt
der macht mir angst
nichts was feiner wär
gesponnen...
es ziehen mächte
bis zum zerreißen
mich hier fort
leben liebe glück
zerronnen ...

©GJ2006/2003

walden

Beitragvon walden » 22.08.2010, 20:18

Die ganze Zeit suchte er. Das Heftchen musste doch auf der Kommode liegen, unter den Zeitungen, die er beim Hineinkommen dahingeworfen hatte. Da lag aber nur die Rechnung von den Stadtwerken.
Vorhin, im Restaurant, hatte sie gesagt, er solle es später öffnen. Von dort war er zu schnell nach Haus gelaufen. Hier in der Wohnung stand die Hitze, stülpte sich über seinen Kopf. Ein langsamer Schweißtropfen kitzelte ihn am Rücken. Sie wollte noch ins Kino gehen.

Er fühlte in der Gesäßtasche, spürte eine Ecke des Briefchens. Ob es wohl klamm geworden war, die Tinte abgefärbt hatte, verlaufen war? Es fühlte sich längst nicht mehr so hart an wie vorhin, als sie es ihm gegeben hatte. Er öffnete den Brief mit einem Schälmesser, ein sauberer, ehrlicher Schnitt. Innen steckten drei zusammengefaltete Din A4 Zettel.
Nicht einmal sprechen wollte sie mit ihm. Schreiben!
Das letzte, was sie zu ihm gesagt hatte, in einem Gespräch, wie sie es schon lange nicht mehr, wenn er jetzt so darüber nachdachte, wohl noch nie so richtig geführt hatten, das war, er würde trotzig spielen, hätte immer recht wie ein Kind im Sandkasten, das sagt, der Sandkuchen sei echt. Und aufstampfen würde er, wenn er recht habe, und sich beleidigt umdrehen, als sei genau dort, jetzt hinter ihm, etwas viel Wichtigeres als ihre Unterhaltung.

Er hatte damals geantwortet, sie könne kein Gespräch. Stimmte doch, konnte sie auch nicht. Und was kam von ihr?, sie hatte gesagt, sie habe das Gefühl, er sei nur halb da.
Aha; sie habe das Gefühl! Damit hatte sie ja immer recht. Wo dann seine andere Hälfte sei, hatte er zurückgefragt.
Im Trotz!
Wie, im Trotz?
Im trotzigen Nichtverstehen.
Er hatte sie dann wohl groß angeschaut, ja, er war getroffen gewesen. Bis dahin hatte sie stets reagiert, wenn er getroffen war, war sensibler geworden, doch hier, und das kam ihm neu vor, hatten sich ihre Augen verengt und sie gesagt:
Im trotzigen Nichtverstehen und schneidendem Beharren.

Er überflog den Brief. Viel zu lang, dachte er, konnte sich nicht darauf konzentrieren, weil er eine Passage suchte, die klar war, die ihm etwas Konkretes sagte.
Das Kind in dir ist dem Kind in mir sehr verschieden. Ja und?
Eine Beziehung ist Arbeit. Das fand er auch, im Moment besonders.
Er suchte weiter, kam zum Ende und dort stand, sag mir endlich, was du denkst. Mit wem sie wohl im Kino war.
Er drehte sich um und sah auf das Poster des Bildes mit den leeren Stühlen von Van Gogh. Sie hatte es aufgehängt. Auch das suchte er nicht.

Klara
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Beitragvon Klara » 25.08.2010, 21:12

Irre (In die)

Schrammt sie mal wieder am Abgrund (macht nichts, gibt nur
‘n paar Schrammen)
geht es gut, immer will sie
was Besseres
(Er behandelte sie wie einen Fremdkörper – nein: sich,
Sie ist ihm nur manchmal im Weg dabei)
genug gegessen, diesmal, nur das Richtige
fehlt
Ihr Date mit einem neuen Ort
bringt Aufregung im Vorhinein, als wär sie verliebt oder wäre es gern
(wann ist man das schon, wann wär' man das nicht)
Tage, Wochen im Voraus
Bis es passiert
Wird es wahrscheinlich genauso schief gehen wie andere Verabredungen,
die unter zu großen Erwartungen ächzen, (Amy W.: „Ein bisschen Magersucht, ein bisschen Bulimie. Es geht mir nicht total gut gerade, aber ich denke, das geht allen Frauen so.“)
Finden wir uns damit ab? Und sie? Findet sie sich?
Wo?

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 28.08.2010, 23:18

Ge(w)(s)ichtsverlust. Ein großes Wort, hat wohl in gewissen Branchen viel zu bedeuten; dort wo es zählt, was für ein Ge- x -icht man hat und wie unbeschädigt es ist. Ich habe nie viel darauf gegeben; wenn es um bestimmte schwerwiegende Entscheidungen ging, war mein Gesicht immer das Wenigste, was zu bewahren war. Der Klügere gibt nach. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Das mit den Augen und dem Sinn hat genau so lange funktioniert, bis es um mein eigenes Gesicht ging. Seit ich das nämlich aus den Augen habe, ist es mir wichtiger als je zuvor. Damit wir uns richtig verstehen: Oberhalb meines Halsausschnittes ist nichts mehr, jedenfalls sehe ich nichts im Spiegel. Da ist kein schwarzes Loch oder ein verschwommener Fleck oder sonst etwas, was mit Aneurysma oder Sehstörungen zu erklären wäre, sondern mein Spiegelbild endet einfach mit dem oberen Ende des Halses. Kompletter Gesichtsverlust. Nicht nur das, ich habe den ganzen Kopf verloren. Ich kann mich nicht mal anständig kämmen, weil der Spiegel mir keine Rückmeldung gibt; wenn es nach ihm geht, bin ich einfach kopflos.

Aber das tut so gut. Niemand ahnt, wie gut das tut, wenn man kein Gesicht mehr hat, auch keinen Kopf zu verlieren, nichts. Man lebt im luftleeren Raum, man fängt in jeder Stunde, ja in jeder Minute des Tages schlankweg von vorne an. Das ist auch so ein schönes Wort: "schlankweg". Es erinnert mich an ein Wort, das hin und wieder in Kochrezepten auftaucht: Man soll etwas "schlankrühren". Meistens handelt es sich um sauer Sahne mit Mineralwasser. Was damit gemeint ist, hat sich mir erst erschlossen, als ich den Gegensatz "dick rühren" bedachte. Schlankrühren. Das heißt, es flutscht ganz locker an den Rührbesen vorbei. Ich sehe es vor mir. Eine schön flexible Pampe, die unter den Rührbesen gefällige Spiralen bildet. Nicht dünn genug, um zu spritzen, und nicht dick genug, dem Mixer Widerstand zu leisten. Oder wie die Iren sagen: zu dick zum Trinken und zu dünn zum Pflügen.

Aber gerade dünn genug, über überall hinzukriechen, wo sich eine Ritze auftut. die ein Sehen verheißt. Das, denke ich, muss der Wunsch sein von allem, was schlank gerührt wird. Eischnee, der über Wasserdampf aufgeschlagen wird, oder Sahne in einem eisgekühlten Gefäß: Irgendwo ist Ende Gelände. Da, wo die Rührbesen schnarrend an die Schüsselwand stoßen. Hier ist Verheißung. Sich immer weiter nach oben aufzublasen, ist das Naheliegenste, aber wo wir wirklich hingehören, ist der Grund; sei es die heiße Herdplatte oder der mit Eiswürfeln gefüllte Pott, über dem die fettige Sahne gerinnen soll und nicht will. Ja.

Gerinnen. Entrinnen. Es ist wichtig, keinen Kopf zu haben, aber es ist nicht alles. Man sollte auch bedenken, wo man ihn wiederzufinden sucht. Am Grund der Schüssel. Genau da, wo es entweder hundert oder null Grad hat: Die Welt ist offen.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Klara
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Beitragvon Klara » 30.08.2010, 11:33

All meiner Mutter
müde Plattitüden
merk ich erst jetzt:
wie sie mich betrog (die geliebte Frau) ich nahm
ihre Widersprüche ernst
ihre Plastikwahrheiten als Richtung
in die ich mich verstieg
während sie sich in der vorläufigen Endgültigkeit ihrer erfahrungslosen Ratschläge ausruhte
an anderen austobte stets darauf bedacht
alles besser zu wissen nichts besser zu machen
sie käute ihr Schnüffelwissen aus zweiter Hand vor meinen Ohren
wider und wider, füllte meinen Kopf mit der
peinlichen Überschätzung ihres Intellekts
wieder und wieder flaggte ihre Spruchbänder
vollgesabbert mit Alkohol, sentimentalisiert sediert ausgeleiert
bis zum Erbrechen
von all den Wiederholungen
schnürt mir den Hals damit zu bis heute
weiß ich nicht
wer ich
wohin ich
was hab ich
gelernt
was kann ich
schreiben
als unleserliche
Notizen

walden

Beitragvon walden » 01.09.2010, 11:27

Wenn dünne Fäden der Erinnerung an mir nagen, wenn alte Geschichten wölkchenweise hochkommen,
verdammt, da hätte sie doch …,
denke ich, Halt!
Sie hat getan, was sie nun mal tat.
Musste sie denn?
Muss und muss, denke ich wieder.
Ja, Liebe sollte da sein, mein Schatz, könnte sie vorwurfsvoll sagen, zu dem Kind, zu dem sie mich immer noch machen will.
Mama, bist du ein Kind?, fragte mich mein Kind, und ich sagte, ja, ich bin ein Kind meiner Eltern. Bin ich das?
Und wenn ich anfange zu wiegen, ist alles Feder.
Oder was ich ins Wasser werfe, geht sicher unter.

Jederzeit könne sie anders, ja ja, kann und kann. Wieder so ein Gedanke, zu einer Erinnerung, die mir ihre Taten zeigt und mich mittendrin. Kopfschütteln, Fortschütteln. Gottgegeben? Als Kind glaubte ich, - ich wusste-, das X sei U, und sie selbst glaubte es dann noch mehr.

Verdammt, warum hat sie nicht aufgehört, verdammt.
Verdammt!
Wer kann, der macht, Mama, das hab ich gelernt, in meinem Leben, nach dir, nach den Abstürzen, die ich begleiten durfte, erst noch beschützend, helfend, doch mit den Jahren mehr und mehr traurig zuschauend, hilflos. Diese Gestalten, die du mitbrachtest, in unser Heim! Diliriumslallen, Schreie und dieser Atem, der heut noch in deiner Tapete steckt.

Dann kamen die Anrufe.
Weißt du, wie es sich anfühlt, wenn ein Satz am Telefon beginnt mit: Hier ist das Klinikum Süd, Ihre Mutter … Aber selbst das wird Gewohnheit. Weißt du, wie oft du mein Auto beschmutzt hast, als ich dich irgendwo abholte? Weißt du, was ich tat, als ich dich absetzte? Ich blitzreinigte alles, weil ich dich nicht weiter im Wagen ertragen konnte. Wärst du geblieben, ich hätte ihn verkauft.
Entferne den Zettel mit meiner Nummer, sagte ich, und schäme mich nicht.

Seltsam, so etwas, wenn einem überall gesagt wird, man sei nicht bereit, sich einzulassen. Du versperrst dich, sagten sie zu mir. Und dann wird es wieder seltsam, man überhört es fast , wenn da einer sagt, an dich kommt man nur über die Ecke ran. Mein Mann hatte einen Vater, doch ihn bedrängt die Erinnerung nicht wie mich. Ja, ich lebe mit meiner Familie, und wir sind zufrieden, trotz der Dämonen.

Mutter, so wie du das Zeug in dich kipptest, musste ich dich in mir verschütten, damit ich wieder stehen konnte. Nun, lass dir sagen, ich weiß sogar dich zu nehmen, als Mutter gehst du falsch, wankst durch meine Erinnerungen. Ob das Liebe ist, daran zweifle ich, aber es ist wie eine trockene Stunde vor und nach drei Wochen Regen. Ich lasse dich zu in mir.

Louisa

Beitragvon Louisa » 03.09.2010, 21:24

Die S-Bahn-Familie

Ich wandle einen Satz meines Vorschreibers um:

Ja, ich lebe auch ständig in einer Familie, sonst wäre ich tot - aber obwohl mein Leben in der Familie sich oftmals im Reich der Toten abspielt und das restliche Familienleben sich im Diesseits zuträgt, bin ich mit dieser Erfindung, der Familie, nicht immer zufrieden.

Nachdem ich zum Beispiel heute das Telefonat mit meinem Vater mit dem Satz: "Dann frag doch meine Cousine, ob sie deine Tochter werden will!" beendet hatte und mir die (Familien-)welt wieder einmal furchtbar verworren, blind und bösartig erschien, so ganz anders als in den Magarine-Werbungen - da stand ich am S-Bahnhof und ließ mich von einem Penner mit seinem Wortschwall berieseln. Das ganze hatte etwas sehr entspannendes. Ich glaube Penner haben mich schon immer entspannt. Einerseits sind sie schon so tief gesunken, dass man selbst sich als nahezu akzeptiertes Mitglied der Gesellschaft fühlen kann, andererseits ist ihnen selbst so etwas wie Gesellschaftsnorm und Ansehen dermaßen schnuppe, dass sie mir manchmal wie kleine Gottheiten der Sinnlosigkeit erscheinen. Oftmals wirkt ein wichtiger Mann im Nadelstreifenanzug mit Head-Set-Handy viel lächerlicher und verlogener als viele Penner. Auch mich scheinen wiederum die Penner zu mögen, da sie mir immer Heiratsanträge, Einladungen zum Essen, Lebensgeschichten und Fragen aufdrängen wollen.

Der Penner heute am S-Bahnhof erzählt weiter: "Und du, du darfst schon rauchen, hast du keinen Freund?"
"Der raucht auch."
"Ick habe keinen Freund, ick habe den Hund hier! Der wiederspricht nicht! Na, hast du gehört, was der Papa von dir erzählt hat? Na? Nee, ein super Vieh ist das! Oh, da ist der Rainer."

Rainer scheint ein Bahn-Beamter zu sein. Er erzählt dem Penner, der einen langen braunen Bart, ein von roten Flecken gespicktes Gesicht und zerschlissene Kleider trägt von einem Feuerwerk am Olympiastadion.
"Nee, Rainer, da kann ick nicht hin. Der Hund dreht sonst durch. Aber dir viel Spaß!" - Rainer verschwindet in einer S-Bahn.
"Na, wollen wir doch mal sehen, was uns der Rainer gegeben hat! Mensch! 30 Euro! 30 Euro! 60 Mark! Das ist ein Riesenhaufen Geld! Schau dir das mal an! Mensch! Das wird ein schönes Wochenende! 60 Euro! Oh, da ist schon die S-Bahn! Na, komm, mein Guter! Komm, wir steigen ein! Na, riechst du schon die Türken, haha! Mmmm....lecker, Türken!"

Verlegen lächelnd betrete ich neben dem Penner die vollbesetzte S-Bahn. Neben einer blonden, zierlichen, jungen Frau ist noch ein Platz frei. Gegenüber und neben uns sitzen jeweils zwei Menschen mit Fahrrädern, die so einige Sitzplätze blockieren. Ab und zu schreit der Penner etwas durch die vollbesetzte Bahn.
"Ick hab schon 10 Bier getrunken und bin immer noch nicht besoffen!"
Ich und die junge Blonde lächeln sich an.
"30 Euro hat mir ein Fremder gegeben! Das ist ein Batzen Geld, was? Na, was sagst du denn dazu?"
"Super." meint ein jüngerer Herr etwas verlegen und schaut aus dem Fenster. Weitere Menschen mit Head-Set-Handys, Blumensträußen, Kopftüchern und eine kleine Frau mit einem weiteren Fahrrad steigen zu. Mittlerweile ist die S-Bahn so voll, dass man kaum noch stehen kann.
Neben mir und der Blonden erhebt sich plötzlich eine korpulente Dame und bietet der kleinen Frau mit Fahrrad ihren Platz an. Die kleine Fahrrad-Frau entgegnet mit arabischem Akzent: "Nur sitzen bleiben! Ich nicht brauchen Platz!"
"Ich steige in zwei Stationen aus!" erwiedert die Dicke. In einer waghalsigen Aktion drängt sich nun die Dicke an der Frau mit Fahrrad vorbei - auch diese tänzelt unbeholfen um ihr eigenes Rad, um den ehemaligen Sitzplatz der Dicken einzunehmen. Der Zug fährt weiter.
"Ich bin am Herrmanplatz, mein Schatz!" spricht der junge Herr am Fenster in sein Handy.
"Stimmt nicht!" schreit der Penner.
Die kleine Fahrrad-Frau legt ihre Füße auf das Rad und entspannt sich.
"Die Leute habe Angst vor Fahrrad-Menschen, haha!" erzählt sie der Blonden. Draußen färbt sich gerade der Himmel rot. Wir halten erneut. Eine junge Frau, die offenbar am Down-Syndrom erkrankt ist und ihre Freundin steigen zu. Die beiden stehen in Mitten der Fahrräder. Ich denke: "Aha, das sind Menschen mit Down-Syndrom! Mit solchen darfst du in drei Jahren arbeiten!" und beobachte gespannt, wie sie sich gibt. Sie meint sehr leise, doch bestimmt: "Ich möchte hier durch!"
Alle Fahrrad-Inhaber ziehen ihre Vehikel an sich, um den Weg für die Frau freizumachen. Als sie sich endlich durch alle Räder gequetscht hat ruft ihre Freundin von der anderen Seite: "Hey, ich komme da nicht durch!"
"Doch, trau dich doch! Ich habs ja auch geschafft!"
"Wolle sie sitzen? Ich kann aufstehen! Ich aufstehen? Wolle sie sitzen?" fragt die Fahrrad-Frau. Ich beginne meine Hände zu falten und ruhig aus dem Fenster zu sehen.
"Ick kann die janze S-Bahn unterhalten!" schreit der Penner. Plötzlich sieht mich die Blonde von der Seite an und wir beide beginnen furchtbar laut loszulachen. Mit tränenden Augen wiederhole ich: "Ich hab den Eindruck wir fahren in ner mobilen Irrenanstalt!" und sie meint prustend: "Die ganzen Fahrräder, die hier stehen! Das ist doch nicht normal!"

Wir versuchen uns langsam wieder zu beruihgen. Die Freundin auf der anderen Seite der Fahrräder ruft immer noch zu ihrer Kumpanin herüber: "Ich komme hier nicht durch!" und wie auf einem Schlachtfeld erschallt es zurück: "Versuchs doch mal! Versuchs doch wenigstens!"
Endlich versucht es die Freundin, scheitert aber an ihrem Rucksack, der sich an einem Lenker verfängt. Schließlich hat sie den Irrgarten der Fahrräder überwunden.
"Die Menschen habe Angst vor Fahrrad, hehe!" meint die kleine Frau wieder. Weitere Fahrgäste steigen zu. Wir fahren weiter. Auf einmal nähern sich die beiden Freundinnen wieder der kleinen Fahrrad-Frau, was diese dazu bewegt plötzlich aufzustehen und ihr Fahrrad mit den Worten: "Wolle sie sitzen? Sie könne sitzen!" gegen die Frauen zu drücken.
Ich und die Blonde beginnen wieder aus vollen Kehlen zu lachen - bis zur Endstation, wo wir mit roten Wangen aussteigen und uns voneinander verabschieden, als wären wir auf einem schrägen Familienfest gewesen.

Gerda

Beitragvon Gerda » 11.09.2010, 10:45

valais

das auge sucht weite in luftiger höhe entlang des grats wo unterhalb des eises der karge fels noch warm / glockenblumen und wollgras fangen letzte sonnenstrahlen / berauscht vom fluss der gletschermilch den zu tal tobenden wassern zuhören / zwanzig minuten noch bis zur hütte auf dem plateau /
später baden die gipfel im süden über den wolken flamingofarben / die dunkelheit kommt heftig / zaghaft schimmert erstes sternensilber / surreal blinken ab und zu flugzeuge / eine sternschnuppe hat es eilig und fällt willkommen aus dem blauschwarzem samt / ich wünsche mir eine chance für uns /
kaum dass ich stundenweise schlaf finde auf dem harten lager / die kälte kriecht schweigend unter decken / lässt die glieder unbeweglich werden /
irgendwann wird es hell / dunst verzaubert die kulisse / in der frühen kühle schmerzt die raue schönheit / die naturgewalt / worte sind lässlich wenn sich die schleier lüften

©GJ 20080810


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