Beitragvon Mucki » 28.08.2007, 03:17
Wie oft beachtet man nur die vermeintlich großen Ereignisse. Die kleinen geben dem Tag seine Geltung, lassen mich am Abend sagen: Ja, es war ein guter Tag!
War es ein guter Tag heute?
Er startet mit einem Presslufthammer im Kopf. Nicht gut, gar nicht gut. Die erste Tablette. Als der Schmerz erträglicher wird, lese ich Zeitung. Schlechte Nachrichten, immer nur schlechte Nachrichten. Warum lese ich die überhaupt. Noch keine Punkte gesammelt für den Satz. Nebenan wird die Horde aus dem Kindergarten ins Freie gelassen. Zwei Stunden Toben von dreißig Kleinkindern. Sie haben die Bobbycars in Beschlag genommen. Die kratzen mit ihren Plastikrändern ohrenbetäubend auf dem Asphalt. Begleitet wird dieses Geräusch von einem Quietschen, das sich anhört wie Fingernägel an der Tafel. Heute ist wieder ein Schreikind dabei. Moderne Erziehung. Sie lassen den Knirps schreien. Niemand kümmert sich. 90 Dezibel. Mindestens. Trotz nagelneuer Fensterfront, extra wegen den tollwütigen Ungeheuern eingebaut. Völlig umsonst, genau wie meine etlichen Gespräche mit den dort zuständigen Sozialpädagogen.
"Nein, wir lassen ihn schreien. Er muss lernen, dass er damit nichts erreicht. Gingen wir jedes Mal auf ihn ein, würde es nur noch schlimmer werden!"
Ja, schlimmer, auch meine Kopfschmerzen. Migränealarm. Ab in die Küche, wieder eine Pille. 13.00 Uhr. Hab noch nichts im Magen, kein Appetit. Was auch sollte mir Appetit anregen? Diese Welt ist ein einziger Appetithemmer. Wieso gibt es überhaupt dickleibige Menschen? Endlich höre ich mein tägliches Zuckerwort von nebenan: "Aufräumzeit!" Ruhe kehrt ein. Bis zum Nachmittag wird es still sein, bis die Bande wieder raus und auf mich losgelassen wird. Unsagbar herrliche Ruhe. Ich weiß sie zu schätzen, weil ich das Gegenteil kenne, genieße jede Minute. Innerlich flehe ich: bitte keine Geräusche, bitte, als Murphys Gesetz zuschlägt. Der Gärtner meiner Nachbarin hat heute seinen monatlichen Arbeitseinsatz. Er beginnt mit der elektrischen Heckenschere. Da er nur einmal im Monat kommt, dauert sein Werkeln den ganzen Tag. Um 16.00 Uhr gesellt sich die Kindermeute dazu, übertönt um Weiten den Rasenmäher, den er inzwischen in Betrieb genommen hat. Mir ist schwindelig. Immer noch nichts gegessen, außer Tabletten. Ein Minuspunkt nach dem anderen. Wo sind die positiven, damit ich den Satz aussprechen kann? Sieht schlecht aus. Wie kann all das aufgewogen werden. Müsste schon ein tonnenschwerer Pluspunkt sein. Anrufbeantworter ist angeschaltet, mein Handy aus. Ich möchte nicht erreichbar sein, nicht reden, bloß nicht reden. Ich flüchte ins Wohnzimmer, lege mich mit blanken Nerven auf die Couch, ziehe die Decke über den Kopf, bin dem inneren Hämmern ausgeliefert, spüre die Krämpfe im Magen, befinde mich kurz vor einer Hyperventilationsattacke, möchte brüllen, toben, schreien. Nicht auch noch das! Bitte nicht! Ich drehe mich schnell um, muss flach in den Bauch atmen. Unbedingt! Sonst droht ein Erstickungsanfall. Drücke den Kopf fest ins Kissen, kralle mich in die Seitenpolster, ringe nach Luft. Nein, es klappt nicht. Mein Notfallmedikament muss doch herhalten. Mühsam richte ich mich auf, als ich ein lautes Piepsen höre. Überrascht schaue ich zum Fenster. Ein bunt schillender, ziemlich großer Vogel sitzt auf der Bambusmatte. Er schaut mich direkt an und beginnt, unbeschreiblich laut und unbeschreiblich schön zu singen. Ich weiß nicht, was das für ein Vogel ist. Hab ich noch nie gesehen. Ganz langsam schleiche ich zum Fenster, möchte ihn doch nicht verscheuchen. Er bleibt hocken, wendet seinen Kopf zu mir, wippt ihn gleichmäßig auf und ab. Die blauen Schwanzfedern fächern sich auf. Fasziniert setze ich mich vor die Terrasse, bewege mich im gleichen Rhythmus wie mein unerwarteter Besucher, lausche seinem Gesang. Minutenlang. Schließlich gibt er noch einen Schlussfiepser von sich und fliegt davon.
Verblüfft stelle ich fest, dass ich völlig normal atme und sich meine Schmerzen in Luft aufgelöst haben. Ich gehe fröhlich in die Küche, um mir etwas Leckeres zu kochen.
Ja, es war ein guter Tag!
28.08.2007