Prosalog

Hier ist Raum für gemeinsame unkommentierte Textfolgen
Nifl
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Beitragvon Nifl » 23.07.2007, 18:09

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Foto A.P. Sandor et moi


Prosafluss - Geheime Nachrichten - Flüsterpost - Prosapool - ungebunden - verbunden - Prosadialog - Prosakette - Prosa rhei - ungebunden - verbunden - Prosa - Blitzlichter - Prosalog - Wort zu Wort Beatmung - Prosafolge - ungebunden - verbunden


Hier handelt es sich um einen Faden, in dem ihr euch prosaisch zurücklehnen könnt. Lasst euren Gedanken freien Lauf. Erzählt von euren Träumen, eurem Ärger, euren Problemen, euren Sehnsüchten, euren Beobachtungen, euren Wünschen, euren Phantasien, euren Ideen, eurem Kummer, eurer Wut, eurem Tag, euren Spinnereien … "Die Wahrheit" spielt dabei selbstverständlich keine Rolle.
Fühlt euch frei.

Lasst euch von bereits verfassten Texten inspirieren, greift das Thema auf, oder schreibt einfach "frei Schnauze"… alles ist erlaubt.

Ich bin gespannt!




Kleingedrucktes:

Damit eure Kostbarkeiten behütet bleiben, müssen folgende Regeln beachtet werden:

Bitte keine Kommentare
Keine direkten Antworten (zB. Gratulationen, Beileidsbekundungen, Nachfragen etc.)
Keine Diskussionen
Kein Smalltalk oder Talk überhaupt

Geht immer davon aus, dass alle Texte Fiktion sind.



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"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 11.03.2012, 19:58


Laut, ganz laut, erzählt er von weiten Ebenen, in denen er Berge geformt, Erde bewegt, Gletscher kalben, nicht von Menschenhand geboren. Leis, ganz leis verschweigt er verborgene Riten, geheimnisvolle Pfade, nie entdeckte Quellen, die er freigefegt. Leis, ganz leis bricht er weg. Und seine Stimme bleibt ungehört.
Mir wird kalt.

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 11.03.2012, 22:43

Ich sammle Wasserfälle. Sie müssen weder besonders breit noch hoch sein, aber jedenfalls mindestens doppelt so hoch und breit wie ich. Am liebsten mag ich die Sorte, die man auf Korsika „Piscia di Ghjaddu“, Hahnenpiss, nennt. Es gibt stahlharte Leute, die sich unter einen solchen Wasserfall stellen und sich fotografieren lassen. Habe ich früher auch gemacht. Heute schaue ich lieber in die Höhe und suche mir einen einzelnen Tropfen in der Wasserflut aus. Wenn er Glück hat (oder Pech), sprüht er weit über die Absturzkante hinaus und trudelt in einem atemberaubenden Regenbogen in den Gumpen hinab, um sich dort, wahrscheinlich außer Atem und verblödet vor Stress und Seligkeit, mit seinen Tropfenkumpanen zu vereinigen. Ich stelle mir vor, wie alle durcheinanderschnattern und jeder Tropfen unbedingt erzählen will, was er Tolles erlebt hat.

Aber es gibt auch die anderen, die gleich von Anfang an auf Seitenwege ausweichen. Sich ein behutsam niedergehendes Rinnsal am Rand suchen, durch Moos rieseln, Blätter benässen, vielleicht sogar ganz stehen bleiben, um als Vogeltränke oder Übungsplatz für Wasserläufer zu dienen. Ich schaue mir das gern an und denke nach, ob sich jeder Tropfen seinen Weg wählen darf, oder ob eine barmherzige Hand von oben vorher jedem Tropfen das zuteilt, was er verkraften kann. Vielleicht gibt es auch so etwas wie einen Tropfenmythos. „Hier links, wenn du Mumm hast“, mögen sie einander zuraunen, und „du bist zu sensibel für die Mitte, geh lieber rechtsrum, da ist es besser für dich“. Sicher bin ich jedenfalls, dass jeder Tropfen den Weg nur einmal gehen darf. Nur eine Gelegenheit. Wer ganz feige ist, bleibt in einer Pfütze oberhalb des Wasserfalls stehen und fragt sich, ob er eigentlich etwas verpasst hat oder nicht, bis ihn die Sonne aufgeleckt hat; oder bis ein Wanderer seinen Zigarettenstummel hineinwirft, so dass das Tümpelchen mit einer kleinen Wolke verzischt: Aus.


Bild
Powerscourt, Wicklow (Irland)
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

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Eule
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Beitragvon Eule » 11.03.2012, 23:01

Als wir im Wasser standen bis zum Hals spürten wir, wie der Druck auf unsere Körper zunahm. Wir wußten, es würde in ungefähr 10 Minuten über unseren Köpfen sein. Was war geschehen, hatte es sich wirklich gelohnt ? "Freie Auswahl !", hatte doch auf den Werbeplakaten gestanden und wir hatten das Angebot offenbar alle attraktiv gefunden. Und dann hatten wir uns so gut verstanden, dass wir kaum eine gemeinsame Veranstaltung verpassten und es war wohl auch der gute, alte Herdentrieb gewesen, der fast alle Teilnehmer unserer Reisegruppe zur heutigen Strandparty geführt hatte.
Ein Klang zum Sprachspiel.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 12.03.2012, 09:58

Lichtfälle

Ein Blitz. Draußendrinnen. Sie zuckt zusammen. Fast hätte sie den Satz vollendet. Laut auf der falschen Seite gesprochen. Wo es nach Irrsinn klingt. Eine Häuserschlucht, Kopfsteinpflaster, bröckelnder Putz, ein kleiner weißer Gartenzaun, frisch gestrichen, ihre Abdrücke darin, Fenster, durch die keiner sieht. Der Himmel grau. Es wird bald regnen. Schon malt sie es aus.
Und eben hatte er ihr noch die Worte aus dem Mund geliebt. Die Welt.
Zum Weinen | Zum Weinen
Sie atmet auf der Schwelle. Schlägt die Bettdecke darüber. Verrückt, wie die Haut lügt, als gäbe es kein Morgen oder der Morgen wäre schon da. Eine Nervengeschichte. Ein Klischee: In einer Berührung hatte sie alles verstanden. Als würde man den Vorhang zur Seite ziehen, um das Licht hereinzulassen, weil man einfach weiß: Es ist da.
Und es ist gut!!
(Zwei Ausrufezeichen, darüber müsste man so wütend werden!)
Jetzt rinnt es durch ihre Augen, tropft aufs Kissen, sickert ins Haar. Sie klammert sich an den Anblick eines Straßenschildes, das sie nicht entziffern kann. Als hinge das Leben davon ab. Verschwommen nur noch. Seine Hand. Wer verschwindet denn da? Sie. Er. Wo. Wohin. Jetzt fällt es hinab, das Licht, sie spürt es nur, sie sieht es nicht. Es sammelt sich in ihrem Rücken. Ein weißer Punkt. Unverwechselbare Linien. Der Zaun. Schon versucht sie ihn fortzuwischen, doch noch pocht es in ihrem Schoß.
Sie dreht sich um. Steht auf. Schüttelt den Kopf. Ein Blitz. Sie verschluckt den Donner. Ein Schritt.
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 13.03.2012, 00:36


Ein Schritt - eine Welt

Du fragt dich: kannst du das tun und gehst schon einen Schritt zurück, nur, weil du dich das fragst. Dann denkst du über deine Frage nach und bist wieder auf dem gleichen Stand. Wie machst du weiter? Wie denkst du weiter? Vor oder zurück? Angriff auf deine Festung ist die beste Verteidigung der Schritte in die Welt da draußen. Oder zumindest für einen Schritt, den entscheidenden Schritt. Also gut. Du reißt dich zusammen, lässt die Reißleine sein und drückst die Klötze weg. Ein Ausfallschritt, aber in die richtige Richtung. Und dann sitzt du im Auto und fährst los. Die Klötze bremsen noch ein wenig, aber du trittst ihnen das Gaspedal entgegen. Überholst auf der Autobahn mit 140 kmh mehrere LKW, ziehst an ihnen vorbei. Die Klötze fliegen und wie sie fliegen.
Heute bin ich tausend Schritte gegangen.

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Eule
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Beitragvon Eule » 13.03.2012, 08:23

Tausend Schritte. Er lächelte und dachte an Träume, Brötchenkrümel und LED-Anzeigen. Wieviel Schritte wohl ein Gedanke bräuchte, bis Platz für den nächsten wird ? Welcher Tag war heute denn nochmal ? Er hatte letzte Woche seinen 78.ten Geburtstag gefeiert. Wieviele Schritte brauchte er noch, oder wäre es besser, sich in Gedanken treiben zu lassen, irgendwohin. Er grübelte vielleicht zu viel, wollte heute noch etwas Gutes erleben und sich dann den neuen Fragen stellen, bis die Müdigkeit ihn wieder aufnahm. Es würden noch einige werden, Tage und Nächte. Er hatte zu tun.
Zuletzt geändert von Eule am 19.03.2012, 20:06, insgesamt 1-mal geändert.
Ein Klang zum Sprachspiel.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 17.03.2012, 17:38


Hybris

Gestern fuhr ich mit meinem Mann nach Limburg an der Lahn zum Eisessen. Traumwetter, 22 Grad, Sonne satt. Da muss man einfach raus. Limburg ist ein schönes Städtchen, doppelt so groß (auch an Einwohnern) wie Idstein, hat den gleichen mittelalterlichen Charme. Wir gingen auf kleinen Gässchen durch die Altstadt. Überall Kopfsteinpflaster. Gut, dass ich meine Boots anhatte. Cafés und italienische Restaurants wechselten sich ab. Und wie gut es duftete. Wir kamen an der Rückseite einer Bäckerei vorbei. Da lagen tausende von kleinen, mit Puderzucker bestreuten, ja was eigentlich, flache Teigwaren in einer Walzmaschine. Haben wir noch nie gesehen. Wie die wohl schmeckten? Der Bäckermeister lächelte uns entgegen. Ich fragte ihn kurzerhand, ob ich eines der Teilchen probieren könnte. "Aber natürlich!", meinte er freundlich und reichte mir eines. Köstlich! Warum können Männer eigentlich nie fragen? Nach dem Weg fragen, ist auch so ein Riesenproblem für Männer. Ich ließ ihn zumindest einmal abbeißen. Eisessen wollten wir. Es gab so viele Eiscafés, dass wir nicht wussten, welches wir wählen sollten. So liefen wir weiter und gelangten zu einer kleinen Galerie. Im Schaufenster war ein kleines abstraktes Bild aufgestellt. 20 x 20 cm, Rahmendicke 5 cm. Gebannt schaute ich mir dieses Bild an. Es kam mir so vertraut vor. Das hätte von mir sein können! Nur nicht so klein. Ich liebe große Formate, verschwende meine Zeit nicht für solche Miniformate. "Das male ich in zwanzig Minuten!", sagte ich meinem Mann.
Er runzelte die Stirn. "Schau doch mal", sagte ich ihm. "Kommt dir das nicht bekannt vor?" Er nickte. "Hängt so eines nicht bei uns an der Wand, aber in 1.40 x 1.20 m?" "Bingo!", meinte ich und erklärte ihm, welche Farben der Künstler gewählt und welche Techniken er angewendet hatte.
Wir gingen weiter, auf der Suche nach einem Eiscafé, das nicht in der prallen Sonne lag. Doch ich war in Gedanken immer noch bei diesem kleinen Bild. Wieso hatte es so eine große Anziehungskraft auf mich? Wieso wirkte dieses winzige Bild derart groß? Viel größer als mein 1.40 x 1.20 m - Bild? Ist es wirklich eine Verschwendung, so viele Farben und so viele Techniken auf 20 x 20 cm zu entfalten? Mir ging ein Licht auf. Nein, ist es nicht! Es ist die Liebe zum Detail. Der Künstler hat nicht wild drauf losgemalt, wie ich es tue. Er hat ganz fokussiert jeden mm gestaltet. Dieses kleine Bild ist ein Meisterwerk und so viel größer als meine "Riesenbilder". Nie könnte ich so etwas in zwanzig Minuten malen.

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 25.03.2012, 23:46

Vorbei sind die Zeiten, als der Gletscher beinahe täglich näher kam und uns mit seinem weißen Bauch auf die Pelle rückte. Heute hat er vorläufig aufgegeben und gibt uns immer mehr Land zurück, erdbraun und matschig oder grau und ausgelaugt von jahrhundertelangem Druck. Diese breiten Hänge mit zerknickten Bäumen sind eine noch größere Bedrohung als früher der weiße Riese. Wir müssen das Haus räumen, ehe es über uns zusammenstürzt. Wenn die Dachziegel abrutschen und schwarze Löcher öffnen, die Platten der Terrassen und Balkone splittern und sich heben und die Säulen auf der Veranda bröckeln, dann ist es an der Zeit, die zertrümmerten Tische und Stühle in allen Räumen gegen die Wände zu kehren und zu verschwinden, ehe es zu spät ist. Denn hat der Gletscher uns ganz verlassen, dann bleibt nur noch ein Spalt mitten durch die Welt.

[wie ein Riss quer über ein Gesicht mitten durch die Stirn, der Knochensplitter und grau-matschige Hirnmasse preisgibt, noch während das Gesicht die letzten Worte ausspricht]

[es könnte helfen, den Riss durch ein umgekehrtes Fernglas anzusehen; das macht das Übel kleiner, aber wir würden noch weniger verstehen als jetzt]

[es könnte aber auch sein, dass wir das Glas nur drehen müssten, und wie in einem Kaleidoskop würde alles an einen neuen Platz rutschen und den Blick in einen ultramarinen Garten öffnen, in dem alle Zerstörung herabgemünzt ist zu einer endlosen Rezitation kornblumenblauer Parolen]
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 29.03.2012, 00:12


Es war - Es wurde - Es ist

Es war einmal eine junge Frau, die ihr Leben liebte. Sie sprang jeden Morgen früh aus dem Bett, konnte es gar nicht erwarten, zur Arbeit zu fahren. Das erste Mal in ihrem Leben hatte sie einen Job, bei dem ihr Einsatz honoriert wurde. Das erste Mal fand sie wirkliche und wahrhaftige Anerkennung. Und die machte sich auch bezahlt. Nicht nur auf ihrem Konto. Das war nur ein netter Nebeneffekt. Sie stieg die Karriereleiter im rasanten Tempo nach oben, blieb jedoch immer mit der Basis verbunden. Sie mochte ihre Mitarbeiter und ihre Mitarbeiter mochten sie. Immer mehr Aufgaben wurden ihr übertragen. In immer mehr Projekte wurde sie einbezogen, konnte mitgestalten, mitreden, etwas bewegen. Man wollte ihre Meinung hören, weil man sie schätzte, ernstnahm. Sie wurde gesehen, als Mensch. Sie wurde wirklich gesehen. Und sie sah nicht, was da mit ihr geschah. Je mehr man sie sah, sie wertschätzte, und sie dies auch immer wieder wissen ließ, umso mehr arbeitete sie. Als erste betrat sie die Firma und ging als letzte. Es machte sich bezahlt. Mit einem viel zu hohen Preis. Sie überhörte die Signale. Nein, sie wollte sie nicht hören. Wer nicht hört ...
Der Riss ging wie ein schwarzer Graben durch ihre Seele.

Es wurde eine junge Frau, die ihr Leben abgrundtief hasste. Sie verbarrikadierte sich in ihrer Wohnung, verließ diese nur einmal im Monat, notgedrungen. Sie trug immer Schwarz und Sonnenbrille, im Sommer wie im Winter. Sämtliche Jalousien zog sie zu, im Sommer wie im Winter und schaltete indirektes Licht an. Welches Wetter draußen herrschte, wusste sie nicht. Sie kannte nur Eiszeit. Siebzehn Jahre lang lebte sie in und von ihrer Dunkelheit.

Es ist eine Frau, der eine Frage gestellt wurde. Diese Frage hat eine Lawine ausgelöst. Eine Lawine aus Licht, Hoffnung und Vertrauen.
Es ist eine Frau, die nicht mehr jung ist. Es ist eine Frau, die ein zweites Leben lebt.
Es hat gerade begonnen.

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Eule
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Beitragvon Eule » 01.04.2012, 13:13

Begonnen hatte alles einmal. Wie immer. Die Begeisterung von einer Idee, oder war es etwas ganz anderes ? Purer Egoismus mal wieder ? Nein, das konnte er ausschließen. Er wollte ja mit anderen darüber sprechen, den Weg durchs Leben suchen, keine Monologe führen. Mit anderen, nicht über. Deshalb ging er jetzt los, nur mit dem Nötigsten. Es gab viele Anfänge, viele Abschiede und noch viel mehr Möglichkeiten. Er schaute auf die Uhr: da stand noch fünf Minuten und 23 Sekunden. Er würde sie abzählen und diesmal könnte nichts mehr schief gehen, dachte er erleichtert. Und, tatsächlich, es war ein wunderschöner Tag.
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Lisa
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Beitragvon Lisa » 02.04.2012, 22:07

der zerfall schafft den dämon, den man (dann!) schon immer kannte

Hatte es einmal begonnen? Er konnte es nicht sagen. Er war zu fort davon.

(dieses zu ist schon etwas, was es für ihn nicht mehr gibt)

die außerirdischen, die kamen und die flugzeuge und autos nach oben zogen, waren schön. (seifenblasen). und dennoch war da dieselbe angst, als wären sie fürchterlich.

und sie waren ja auch fürchterlich, das kann in schönheit sein. und kann auch ruhig sein. in dem gefühl, das alles so gehört, wie es erscheint.

ich habe angst vor der frau, die ausschaut wie das, von dem ich fürchte, dass es das sein wird, was von mir übrig bleibt.

die schande.

ohne magie, ohne je etwas einzig gutes

in den händen für jemanden

weil ich immer nur gezählt hab, wie viele stehen bleiben

und dann konnte das nicht gelten

und ich habs (nicht) auszuhalten versucht zu behaupten

warum doch der und der und die bei genauer betrachtung nicht stehen geblieben ist

und dieses sagen hat das dann wahr gemacht

(den grund lass ich offen)

er jedenfalls geht durch dublin oder einen ähnlich feenhaften raum

und ist besser als ich
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 05.04.2012, 18:12


Der Dämon und ich

Sicher, er war schon immer da. Erkannt habe ich ihn, als ich ihn bezähmte. Teuflische Angelegenheit. Vor allem, wenn man viele Jahre Seite an Seite geht (Händchen haltend).
Hallo Dämon! Kennst dich doch aus in mir. Bist du mal wieder da. Komm nur rein. Mach's dir bequem. Weide mich aus, labe dich an mir. Ja, ja, mach nur! Friss, friss dich durch mich durch. Ich will es ja nicht anders. Der teuflische Pakt, den wir geschlossen haben, ja, ja, ich weiß. Der galt viele Jahre. Ich gab dir Kopffutter, genährt von der kalten Hand. Reichlich. Und du hast gierig zugegriffen. Unfreiwillig freiwillige Beute, wann ist dir das schon untergekommen (dumme Frage, es ist deine Existenzgrundlage).

Hey Dämon, erinnerst du dich, als ich, ja ich!, den Pakt in Fetzen riss? Deine Augen glühten vor Zorn. Ja, mein freier Wille. Der hat dich geschlagen. Mitten in deine hässliche Fresse (dabei fand ich dich vorher ausgesprochen anziehend, verteufelt anziehend. Hätte ich mich sonst von dir küssen lassen?).
Dieser Schlag war ein fürchterlich gutes Gefühl (wohl ziemlich einseitig).

Hey Dämon, das ist schon lange her. Manchmal klopfst du (ganz höflich) noch bei mir an. Doch deine Tür hab ich versiegelt. Mit einem Wort. Hey, sei nicht nachtragend. Wir hatten doch eine teuflisch gute Zeit miteinander.
Fare well, devil.

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 12.04.2012, 16:13

Die Schere ist riesengroß. Sie breitet sich über den Köpfen wie eine Drohung, aber immerhin mit den Spitzen nach oben; um ernsthaft den Hals zu bedrohen, müsste sie sich erst umkehren. Die Vierung von Scheren, die weit über Kopf in die Höhe ragen, ist dennoch bedrohlich genug.
Hier ist alles überdimensioniert. Hinter dem Chorraum ein Palmengarten und eine Riesenleinwand mit einem Künstler, der sich dreimal in Ölfarbe selbst abgedrückt hat: Jeans und Turnschuhe hat er an und eine Art Dornenkrone auf dem Kopf (schwer zu erkennen, eher an gewisse Motive aus dem „Herrn der Ringe“ gemahnend, ein steinerner Kopf mit Königskraut, weiß blühende Pflanzen), das Gesicht darunter schmerzverzerrt, vielleicht waren die Jeans oder die Turnschuhe zu eng.

Rechts ein Ausstellungsraum mit Fotos von Leuten, die an Glockenseilen zerren. Was, wie ich gehört habe, auch eine beglückende Erfahrung sein soll.

Links die Kinderspielecke und eine zweiflügelige Tür, die stoßweise Gruppen von Männern in bodenlangen Röcken ausspuckt. Die Röcke passen oft nicht so recht; sie machen den Eindruck, als seien sie vor vielen Jahren angepasst worden, als der Träger noch unschlüssig war, welche Form er annehmen würde. Jetzt sind die meisten der Röcke vorne zu eng und dafür hinten zu weit, als habe der Verlust an Rückgrat das Mehr an Bauch ausgeglichen. Einige passen aber noch haargenau. Das sind die besten Sänger, übrigens. Sie beziehen Position im Chorraum. Breiten ihre Notenblätter aus und singen. Einstweilen üben sie nur, noch ist es nicht der Ernstfall. Sie intonieren mit Disziplin und unbändiger Freude: fa, sol, la, si, do. Ha-ha-haa. Hohohoho. Haaaaa.

Der Chorraum gleicht einem Wohnzimmer. Jeder ausgepolsterte Sitz hat sein eigenes Schirmlämpchen. Unter jedem Schirmlämpchen liegen vier Bücher unterschiedlichen Formats. Die Sänger haben ihre Notenblätter einfach draufgeworfen. Sie üben stehend, obwohl es schöne Sitzkissen gibt, Hunderte Polsterkissen in satten Farben, ein jedes unterschiedlich bestickt:Vogelmotive (Möwen, Papageitaucher, canadian ducks), Blätter (oak leaf, ivy), Fabeltiere (unicorn, lion, Delfine mit phantastisch bezahnten Mäulern), keltische Knotenbänder, vielfach verschlungen wie Därme. Eine Harfe. Knoten. Clover. The Tudor Rose. Clover. Knoten wie Därme.

Neben dem Chorraum geht es durchgetretene Steinstufen hinauf zu ein Schild mit der Aufschrift: No drinking beyond this point. Dahinter nur noch die gemauerte Wand. Ein Hauch von Blinddarm an dieser Stelle.



Die Schere ist riesengroß, eine nackenzerbeißende Vierung; der Blick nach oben zerreißt das Rückgrat, bis sich alles Licht wieder in einem winzigen Zentrum in unerreichbarer Höhe bündelt. Man möchte an Todesstrahlen glauben oder an Lichtbrücken, auf denen Raumschiffe in fremde Dimensionen reiten. Wahrscheinlich auch wieder nichts beyond this point, aber Glaube ist ja umsonst (was fast dasselbe ist wie „kostet ja nichts“, aber eben nur fast).
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Zefira
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Beitragvon Zefira » 02.05.2012, 00:33

Beim Lesen eines alten Wallander-Krimis; einer von der Sorte, die in einem Zeitraum von fünfzehn Jahren etwa fünf Serienmörder in einer schwedischen Kleinstadt etablieren. (Ich umfahre diese Kleinstadt weiträumig, man weiß ja nie.)
:
Wie lange das her ist, diese Dramen alter Zeit. Die totale Sonnenfinsternis des alten Jahrtausends. Wir sind damals spontan nach Frankreich gefahren. Haben zur besten Zeit in den Himmel geschaut, mit Brillen auf. Ich erinnere mich an eine glasig-verblassende Helligkeit, plötzlich aufkommenden Wind; die Sonne tanzte am Himmel. Eine Minute in Gottes Goldfischglas. Wind und plötzliche Lautlosigkeit, als wäre jeder Laut im Luftstrom hinweg gerissen.
Die Katastrophe zur Jahrtausendwende ist dann auch nicht gekommen. Später spontane, ziemlich sinnlose Kapitalanlagen, weil der Euro im Sterben sei. Ist auch schon wieder vier Jahre her. Den Euro gibt es nach wie vor. Von zwanzig Sorgen, die wir uns im voraus machen, werden neunzehn nie zur bitteren Wahrheit, schreibt der Herr Ratgeber. Wir können uns eigentlich ganz beruhigt zurücklehnen.
Lasst Herkules tun, was er kann; die Katze wird miauen und der Hund wird seinen Lauf haben.
:
Herr Ratgeber verschweigt (oder gibt nicht zu), dass unsere schlimmste Bedrückung nicht aus der Sorge um die Zukunft entspringt, sondern aus den Orten der Vergangenheit, wo wir die Weichen falsch gestellt haben. Den Orten des Perfekts, wo wir hätten gewollt haben sollen. Eine glasig-verblassende Vergangenheit im Goldfischglas; ein Flossenschlag zuviel oder zuwenig; es wäre besser, wir hätten nichts getan. Uns auf unsere Hände gesetzt, den Kopf eingezogen; die Ohren verstopft, als wir den Ruf zu hören meinten.
:
(sowieso nur Einbildung.
Wir sollten uns an den Wind erinnern. Er sagt uns zu jeder Zeit, dass wir nicht gemeint sind.
(Wir sprechen Antworten, wenn die Fragen bereits lange verklungen sind.)
)
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