Prosalog

Hier ist Raum für gemeinsame unkommentierte Textfolgen
Nifl
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Beitragvon Nifl » 23.07.2007, 18:09

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Foto A.P. Sandor et moi


Prosafluss - Geheime Nachrichten - Flüsterpost - Prosapool - ungebunden - verbunden - Prosadialog - Prosakette - Prosa rhei - ungebunden - verbunden - Prosa - Blitzlichter - Prosalog - Wort zu Wort Beatmung - Prosafolge - ungebunden - verbunden


Hier handelt es sich um einen Faden, in dem ihr euch prosaisch zurücklehnen könnt. Lasst euren Gedanken freien Lauf. Erzählt von euren Träumen, eurem Ärger, euren Problemen, euren Sehnsüchten, euren Beobachtungen, euren Wünschen, euren Phantasien, euren Ideen, eurem Kummer, eurer Wut, eurem Tag, euren Spinnereien … "Die Wahrheit" spielt dabei selbstverständlich keine Rolle.
Fühlt euch frei.

Lasst euch von bereits verfassten Texten inspirieren, greift das Thema auf, oder schreibt einfach "frei Schnauze"… alles ist erlaubt.

Ich bin gespannt!




Kleingedrucktes:

Damit eure Kostbarkeiten behütet bleiben, müssen folgende Regeln beachtet werden:

Bitte keine Kommentare
Keine direkten Antworten (zB. Gratulationen, Beileidsbekundungen, Nachfragen etc.)
Keine Diskussionen
Kein Smalltalk oder Talk überhaupt

Geht immer davon aus, dass alle Texte Fiktion sind.



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Zuletzt geändert von Nifl am 04.08.2007, 09:08, insgesamt 1-mal geändert.
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Gast

Beitragvon Gast » 06.09.2007, 10:31

Über(s)Denken

Mich losreißen, loseisen, weg vom Bildschirm, weit weg vom Text, der nicht werden will. Das muss sein. Dringend.
Also schnüre ich die Laufschuhe und mache mich auf den Weg.
Abschalten, Ablenken, Nachdenken, Nichtdenken. Das Atmen bestimmt den Laufrhythmus, bestimmt das Denken. Oder bestimmt das Denken das Atmen, die Abfolge der Schritte? Die körperliche Bewegung klärt ab. Automatisch. Stellt andere Bezüge her. Kopf-Bein-Fuß-Herz. Locker werden. Durchatmen.
Dennoch, alles ist beherrscht von Denken. Jedes Abschalten, jedes Loslassen jedes Nichtdenken. Jede Entspannung und Anspannung. Das Phänomen, wenn man bewusst nicht denken möchte ...

Ich bleibe nicht stehen wie bei Spaziergängen mit dir, wenn unser Gespräch es geradezu herausfordert, dass wir uns in die Augen sehen, halte nicht inne. Ich will die Gedanken, die mich beschäftigen loswerden. Weg laufen, nicht vor ihnen, aber sie sollen an Schwere verlieren sich relativieren. Besonders jene über dich, die ich immer noch nicht beschreiben kann …

Klara
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Beitragvon Klara » 06.09.2007, 11:03

... oder wenn jemand Sex macht. Es ist eigen, bestimmt und allumfassend.

Das Innerste ist Tier und Gott.

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 06.09.2007, 20:24

Gerade, weil das Innerste Tier und Gott ist, zerfleischt oder unterwirft eins das andere.
Ethik ist eine anerzogene Sache, eine verdammt dünne Eisschicht über allem. Ganz schnell bricht sie da und dort auf, weil ein aufflammendes Zündholz fällt.

Wir haben immer noch nicht verstanden, hineinzugehen und die Fenster zu öffnen. Nein, wir bleiben draußen und schmeissen sie mit Steinen ein. In Wahrheit haben wir nichts dazugelernt. BZZZZZZZ....
Schreiben ist atmen

Gast

Beitragvon Gast » 07.09.2007, 15:37

Auch große Vordenker haben Erfahrungen durch Fehler gemacht. Diese sind nötig und menschlich. Was wäre denn, wenn wir bereites aus den Fehlern der Vorfahren gelernt hätten? Wenn sich in unserer DNS jede neue Erkenntnis abgespeichert und von Generation zu Generation fortgeschrieben hätte?
Gäbe es dann keine Klimaerwärmung, weil wir die letzte Eiszeit beispielsweise als abschreckendes Beispiel in den Genen spürten?
Würden wir unseren Planeten dann nicht mehr weiter verseuchen mit allerlei chemischen Ungeheuerlichkeiten, sei es im Spül- oder Waschwasser oder in großem industriellen Maßstab?
Wir wären wohl Wundermonster.
Aber wir sind nur Monster, die alle Fehler wiederholen und nur aus eigenen Erfahrungen lernen können, und das fällt schon schwer genug.

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 07.09.2007, 21:16

Ich möchte mir den Schädel einschlagen! Wenn ich doch so genau w e i ß, es wird wieder ein Fehler sein, warum begehe ich ihn dann? Weil es Obsession ist. Nachher reibe ich mir triumphierend die Hände. "Na bitte! Ich wusste es ja." Wie lächerlich bin ich eigentlich?
Schreiben ist atmen

Gast

Beitragvon Gast » 10.09.2007, 21:56

Ich war Walnüsse sammeln in deinem Garten. Unter dem Baum, dessen Äste bis auf den Boden reichen, war die Wiese über und über bedeckt. Bei jedem Schritt knackten die Schalen. Welchen Reichtum hat die Natur reifen lassen und schüttet ihn aus.
Ich sammelte in Gedanken - an dich - wen sonst - an Wunschküsse und kandierte Nüsse ...

scarlett

Beitragvon scarlett » 10.09.2007, 22:30

Dein Brief war eine harte Nuß für mich, weißt du das eigentlich? Die Häute waren längst getrocknet, nun reißen deine Worte auf. Ahntest du das, als du ihn schriebst, siebzehn Jahre zu spät? Kinder wurden geboren in dieser Zeit, dir und mir, nicht aber uns, nur die Sonne war stets die unsrige, auch wenn sie bei dir häufiger schien, scheint nichts, wie es ist.
Natürlich wurde die Sehnsucht an die Wand geschleudert, so lang, bis sie platzte, natürlich die Fragen gekeltert, so lang bis vergorener Wein daraus wurde (die Zu-Sätze setzten ihm zu, tu comprends?), und jetzt kommt die Antwort. Zu spät.
Der Wein ist längst ausgetrunken, chéri, er schmeckte bitter, aber nur das Etikett war falsch. Mein Etikett auf der Flasche.
A ta santé!

scarlett, 2007

Mucki
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Beitragvon Mucki » 13.09.2007, 00:01

Wann habe ich das letzte Mal einen Brief bekommen? Einen echten, handgeschriebenen. Nicht nur eine Geburtstagskarte mit vorgedrucktem Text und einem Namen darunter? Es muss sehr lang her sein. Ich versuche, mich zu erinnern. Hatte ich nicht einmal eine Brieffreundin? Ja, eine Argentinierin! Menschenskinder, wieso weiß ich ihren Namen nicht mehr. Damals brauchte ein Brief von Buenes Aires nach Deutschland über drei Wochen. Wir sandten uns auch Fotos, schrieben ellenlange Texte, erzählten uns, was wir erlebt hatten. Himmel, war das aufregend, wenn der Postbote mir einen hellblauen Brief mit rot-weiß-kariertem Rand brachte. Sie hatte mir immer besonders schöne Briefmarken draufgeklebt. Manchmal war die Adresse kaum lesbar, vom Regen verwischt. Ich weiß noch, dass ich ihr immer sofort antwortete, stundenlang in meinem Zimmer saß, um ihr von meinem Leben zu erzählen. Und es gab viel zu erzählen.
Alles vorbei. Wer schreibt heute noch Briefe.
13.09.07

Klara
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Beitragvon Klara » 13.09.2007, 11:17

Ich schreibe hin und wieder Briefe, allerdings fast nie per Hand (meine Schrift ist so gut wie unleserlich). An meine Oma schreibe ich (in 16 Punkt), an meinen Vater (ein seltenes Wagnis). Ich bekomme auch Briefe. Das ist dann manchmal schwierig. Einer schrieb mir nach einem geglückten One-night-stand und einem missglückten Second-night-stand von seinen schweren psychischen Problemen, und ich fühlte mich überfordert. Er hat mir nicht gereicht und war mir doch zu viel. Da war zu viel Eigensinn auf beiden Seiten. Aber interessant war er, so ein halbgebildeter Kluger, Verschwurbelter. Jetzt ist er Vater wider Willen, unser Kontakt eingeschlafen, weil ich nicht mehr schreiben mochte.
Briefe halten fern und holen ran, beides. Zugleich ist man bei sich, wenn man schreibt. Seine Sätze waren in ihrer Offenheit brutal, etwas wie Gewalt, nicht gegen mich, aber es hat sich nicht gut angefühlt. Nach der zweiten Nacht hatte er mir ein Bild geschenkt, das er gezeichnet hat, silbern gerahmt. Eine eckige Frau und ein eckiger Mann. Ich bilde mir ein, künstlerisches Talent darin zu entdecken. Er hat es nicht für mich gemalt, es sei schon ein paar Jahre alt, sagte er. Ich fühlte mich etwas unbehaglich, aber zugleich geehrt. Mir hat nie jemand ein Bild geschenkt (außer meine Kinder, deren Bilder füllen ganze Regale, und ich schaffe es ganz selten, auch nur eines davon wegzuwerfen, weil sie mir so ausdrucksvoll vorkommen, und weil ich ein schlechtes Gewissen hätte: Sie haben es mir doch geschenkt!). Ich denke manchmal an ihn, aber ich schaffe es nicht, ihm so intensiv zu schreiben, wie er es offenbar bräuchte.
Dann sind da die Liebesbriefe… von mir oder an mich… unbeantwortet. Einem, bei dem die Sehnsucht besonders lange dauerte, hatte ich sogar ein Buch beigelegt, „About a Boy“ natürlich, denn ich bin und bleibe dämlich, denn das Buch ist er (immer noch, nehme ich an), und die Hoffnung stirbt zuletzt. Ich habe keine Antwort bekommen, und immer noch tut es weh, wenn ich ihn sehe (manchmal auch, wenn ich ihn nicht sehe).
Ein anderer „alter Bekannter“, von dessen Bekanntschaft niemand etwas wissen darf (zuallerletzt seine Frau), schickt mir hin und wieder selbstgebrannte CDs mit Hinweisen auf bestimmte Songs. Zweimal am 6. Dezember, da hat er mit „Nikolaus“ unterzeichnet, doch ich wusste, wer der Nikolaus ist, weil nur er auf diese spezifische Weise meinen Namen falsch schreibt. Am dritten Nikolaus schrieb er dazu „it’s time to meet me“. Ich habe ihm eine ambivalente SMS geschickt, was eine Sünde ist, denn Briefe beantwortet man mit Briefen, und nicht mit faulen SMS! Doch ich hatte nicht seine aktuelle Nummer und bekam keine Antwort. Ich weiß nicht, wer den Mist dann via Satellit gelesen hat. Er war wahrscheinlich sauer. Dann habe ich ihn auf einem Fest getroffen, er war bekifft und drückte seine Schulter an mich, wollte tanzen, und ich fand ihn plötzlich wieder schön. Ein paar Wochen später kam wieder eine CD, und den dazugehörigen Brief musste ich zwischen den Zeilen lesen und beantworten. Es gäbe so viel zu sagen, und es sind oft nicht die Worte, die fehlen, sondern der Mut. Und das Wissen.
Briefe die verletzen, schreibe ich. Die fast zum Bruch führen. Briefe, die trösten. Briefe an mich selbst. Wütende, traurige Briefe an den immer noch geliebten Angetrauten, die ich nicht abschicke und auch nicht abgebe, sondern ausdrucke und zerreiße und hoffe, dass die Kopie im Computer sich irgendwann selbst unnötig macht.
Liebesbriefe habe ich schon lange nicht mehr geschrieben.

Gast

Beitragvon Gast » 13.09.2007, 12:31

Ein Brief

Am 09.09. 2007 bekam ich die von meinem geschiedenen Mann, Hans, per Email, angekündigte Post aus England. Ein Umschlag mittlere Größe, der unter anderem einen Brief enthalten sollte, den Hans Mitte des vorigen Jahres im Nachlass seines Vaters gefunden hatte, der Umschlag mit meiner Handschrift, jedoch ohne ein Postadresse: "An den lieben Robert".

Hans ließ mich das Auffinden zeitnah wissen. Allerdings geriet dieser geheimnisvolle Brief sowohl bei mir, als auch bei ihm in Vergessenheit. Es hatte ihn bisher auch niemand vermisst. Hans hatte ihn versehentlich so gut weggepackt, wie er mir am Telefon Anfang September 2007 erzählte, dass er den Brief erst beim Auspacken seiner Umzugskartons Ende August 2007 wiederfand.

Endlich also konnte der Brief, wenn schon nicht dem Empfänger zugestellt werden, weil wir nicht wussten, wohin es Robert nach rund 30 Jahren verschlagen hatte, wenigstens an mich, die Absenderin zurückgehen.

Natürlich hatte ich eine überzogene Vorstellung (romantisch halt), dass dieser Brief mir irgendetwas erzählen könnte, was mich berührt, mich ein bisschen durcheinander wirbelt. Ich habe an „Schicksal“ (unbelehrbar in Liebesdingen) gedacht, ich gebe es zu. Es musste einen Sinn machen, dass dieser Brief aufgetaucht ist und zu mir zurück fand.

Ich war gespannt und öffnete den größeren Umschlag. Ah, da, der kleinere, in dem für mich damals typischem Format. Tatsächlich, keine Anschrift, nur: „An den lieben Robert“ und zwei Glitzersternchen davor und dahinter, ungeöffnet, innen dann das Datum 22. 12. 1979!

Ein Weihnachtsliebesbrief, sechs Seiten handschriftliches Zeugnis einer heftigen Leidenschaft, die ich für Robert gehegt und die er auch erwidert hatte.

Ich werde niemals mehr erfahren, auf welch verschlungenen Wegen, dieser Brief in den Besitz meines verstorbenen Schwiegervaters geraten ist. (Ich finde, dass dieses nicht einer gewissen Komik entbehrt).
Gewiss, Hans und Robert, waren damals gute Freunde gewesen, bis in die Zeit hinein als ich 1978 mit Robert eine Liebesbeziehung begann, die aber im März 1980 ein jähes Ende fand. Robert war über alle Berge und ich verliebte mich Mitte 1980 in Hans. (Es war die Zeit, inder ich ständig auf der Suche nach dem Mann fürs Leben war, mit dem ich Kinder haben wollte. Die Kinder bekam ich und seit 1998 habe ich sie auch ganz für mich allein, so ist das Leben!).

Der Brief ist von 1979! und war ungeöffnet, Robert hat ihn nie erhalten.
Wir hatten damals die Angewohnheit uns Briefe zu schreiben, die wir uns meist persönlich überreichten, denn wir sahen uns fast täglich. (1979 hatte noch kein Privataushalt Internet). Robert konnte diesen Brief also nicht erwartet haben, demzufolge auch nicht vermissen.

Dafür, dass ich ihm diesen Brief niemals gab, habe ich keine Erklärung. Nicht einmal den Schimmer einer Idee, wie es dazu hätte gekommen sein können. Das Stück Papier kann mir nicht erzählen, wie es an den Platz kam, an dem es viele Jahre zubrachte und meine Liebesbeteuerungen fest verschlossen hielt.

Schade, wenn ich recht überlege, denn möglicherweise, würde dann eine ganz andere Geschichte beginnen ...

©GJ20070913

Klara
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Beitragvon Klara » 17.09.2007, 17:54

Fastentagebuch

1. Tag

Ich beginne mit einem Rückblick: Der so genannte Entlastungstag gestern – morgens Müsli, mittags gekochter Reis pur, Nachtisch: Kaffee (zum Abgewöhnen), nachmittags Apfel, abends wieder Reis– beginnt schleppend, hungrig, nachmittags besser. Das war beim letzten Fasten im Mai ähnlich: Der Entlastungstag war der schlimmste. Aber heute ist dieser erste Tag des Herbstfastens dann doch noch schwierig. (Wäre ja auch noch schöner, wenn es einfach wäre, nicht wahr. Dann würde ich nachher ja gar nichts geschafft haben! Futurum Zwo im Konjunktiv? Ich lächle, während ich dieses schreibe).
Morgens: Sauerkrautsaft. Wasser. Der Tag fängt gut an, aus müden Augen, aber mit ein, zwei Tassen schwarzem Tee lächelt er. Ich habe eine gute Leichtigkeit im Körper und im Kopf, schmiere mit etwas mulmigen Gefühlen die Schulbrote für die Kinder und wehre mich gegen die Ableck-Reflexe. Reststückchen von Wurst, Restglibber von Butter, Hände waschen.
Warum faste ich?
Halte ich das durch?
Die Mädchen verlassen das Haus.
Ich helfe den Jungen beim Anziehen und bringe sie in die Kita (montags schläft ihr Vater immer lange, weil er sonntags immer lange arbeitet). Die Luft ist weich, eine Septemberluft.
Ich gehe ins Badezimmer. Die Waage zeigt knapp 59 kg. Ich bin doch gar nicht so dick! Aber ein fünftägiges Schnellfasten ist ohnehin nicht zum Abnehmen gedacht. Da gehen ein paar Kilo runter, und dann auch rasch wieder rauf, wenn man wieder etwas isst. Mein Gewicht ändert sich öfter, schwankt um mehrere Kilo, manchmal von Tag zu Tag. Ich wog auch schon einiges mehr, und auch vor langer Zeit fast gefährlich weniger; das Nachdenken darüber, was man essen sollte, was man essen wollen soll, wie viel, wann, warum, das Anderswollen des Körpers ist eine Lebensbegleitung, wie wahrscheinlich für viele Frauen, aber im Moment leide ich nicht: das aktuelle Gewicht kommt mir angenehm und richtig vor: sieht ganz gut aus und fühlt sich ganz gut an. Mittlerweile habe ich vielleicht langsam akzeptiert, dass ich niemals eine Elfe sein werde, dass ich nun mal nicht all diesen Idealen entsprechen kann, die mir sowieso auf den Geist gehen, und dass mein Körper völlig in Ordnung ist für mein Alter und dafür, was er geleistet hat, und dass ich in den Spiegel schauen kann ohne rot zu werden. A propos Gesicht: Ein paar Falten im Gesicht machen mir aus ästhetischer Sicht mehr Sorgen als die nach den Geburten unveränderlichen Schwachstellen des Körpers, und dann schelte ich mich für diese Sorgen, denn was sollen das für Sorgen sein, wenn Afrika verhungert (nur mal als Beispiel), und wenn ich doch nun wirklich von Glück sagen kann etc., und außerdem: Was wäre die Alternative zum Älterwerden? Ich will noch ein bisschen leben! Notfalls mit Falten im Gesicht.
Bevor ich dusche, gebe ich meiner Haut eine trockene Bürstenmassage. Mein Gesicht bekommt eine Maske. Diese Woche soll eine Pflegewoche sein! Ohne Essen, aber mit Nahrung für Geist und Seele. Deshalb gönne ich mir schon an diesem ersten Tag eine Massage.
Mittags gibt es passierten Haferschleim (3 Esslöffel Haferflocken auf ½ Liter Wasser fünf Minuten kochen, durch Sieb passieren, trinken). Wärmt und tut dem Magen wohl. Der Tag strahlt voll und bunt. Ich fahre mit dem Rad zur neuen Schule meiner Tochter, um sie zum Geigenunterricht zu bringen, schaffe den miesen, langen Anstieg ohne Problem und frohlocke: Hach, es geht mir gut! Es ist angenehm, keinen Alkohol zu trinken und keinen getrunken zu haben; ein wenig fehlt der Kaffee, Ich spüre ein leichtes Kopfweh.
Dann kommt der Hunger.
Der Hunger ist hart.
Warum faste ich?
Als ich meine Tasche vom Rad nehme, entdecke ich darin einen Müsliriegel, den ich vergessen hatte. Ich gebe ihn meiner Tochter und schaue, wie sie kaut. Es ist nicht schlimm zu gucken, wie jemand isst, während ich nicht esse, aber in diesem Moment erst wird mir bewusst, auf was ich mich da schon wieder eingelassen habe: Fünf Tage lang nichts essen. Auweia! Nicht „wenig“. Nicht „aufpassen“. Nicht nur Salat. Sondern gar nichts. NICHTS. Nichts kauen. Nichts anderes schmecken als Saft, Schleim, Buttermilch. Beißen und Schmecken kommt mir wichtiger vor als der Brennstoff, der in der Nahrung steckt. Eine Weile läuft der Körper auf Reserve, ohne Brennstoff von außen. Aber das Leben schmeckt dann halt – anders. In Panik packe ich nicht nur die leichte Lektüre aus, die ich mitgenommen habe, um die Wartezeit zu überbrücken, sondern auch einen Gemüsesaft-Tetrapak (250 ml). Ich lese und trinke.
Das Salzige tut gut, das Salzige im Saft.
Aber der Hunger bleibt.
Ich trinke große Schlucke stilles Wasser.
Ablenkung! Ich brauche Ablenkung! Ich gehe für die letzte Unterrichtsviertelstunde hoch, wie ich das immer tue, und höre zu. Klingt überraschend unschräg diesmal. „Kaufen Sie Ihrer Tochter ein Stimmgerät“, schlägt der Geigenlehrer vor. Ich bin dankbar für diesen nicht essbaren Gedanken. Ein Stimmgerät. Was für ein Vorschlag von einem Geigenlehrer! Ich nehme mir fest vor, ein Stimmgerät zu kaufen.
Wir gehen zur Bushaltestelle (ich schiebe das Rad, die Geige hinten drauf). Ich sehe überall Leute essen oder Flüssigkeiten trinken, die ich nicht zu mir nehmen dürfte (Cola, Kaffee, Milkshake), die ich normalerweise auch gar nicht unbedingt haben wollte, auf dem Weg zum Bus – aber jetzt, wo ich gar nichts darf, fällt auch das Ungewollte so ungewollt auf… All die Läden, die Essbares verkaufen, drängen sich in meinen Blick, mit all ihren verschiedenen Sorten von Essen, und ich schaue weg. Der Geruch aus den Backstuben ist am schlimmsten, egal, ob sie darin nur Fertigteig aufbacken oder selbst backen. Ich liebe frisches Brot, noch lieber frisches Brötchen. Weißbrot auch manchmal, aber lieber das körnige. Ich brauche etwas zu beißen. Mir wird klar: Der Geschmack von Hefegebackenem in meinem Mund gibt mir Geborgenheit. Laugenstangen mit Kürbiskernen. Und wenn ich ganz verwegen bin, liebe ich auch Buttercroissant, doch das kaufe ich mir eigentlich nie – ich esse nur gerne meinen Söhnen die Hälfte weg.
Ich fahre zurück mit dem Rad – Emma winkt mir lachend aus dem Bus, der mich überholt –, und überlege fieberhaft, ob ich genug Säfte zuhause habe. Ich komme zu dem Schluss: Nein! Wenigstens geht es jetzt bergab, das Rad rollt von selbst. Ich halte am Bioladen und kaufe noch drei Flaschen Gemüsesaft.
Zuhause merke ich in der Küche immer wieder den Reflex des Essens: Eine übriggebliebene Mohrrübe zum Beispiel, die ich aus den Brotdosen der Kinder hole – fast zuckt meine Hand schon vor, ehe ich mich erinnern muss: Hey, du fastest! In meinem Fastenbuch steht, es sei schwer zu fasten, wenn man in der gewohnten Umgebung und im Alltag bleibt. Mir bleibt im Moment nichts anderes übrig, und ich werde nicht nur für die Schulbrote, sondern auch fürs Mittagessen der Schulkinder sorgen und das Abendessen kochen müssen. Außer heute. Heute kocht der Mann. Ich werde mich dazu setzen mit meinem Gemüsesaft und so tun, als mache es mir überhaupt nichts aus. Und ich glaube, das wird auch stimmen, weil ich es gerne mag, beim Fasten, wenn wenigstens die anderen essen. Es hat nichts mit Überlegenheit zu tun, sondern einfach damit, dass das Leben weiter geht. Die Sorge. Die Nahrung. Dass das bleibt. Und dass ich auch bald wieder „darf“.
Warum faste ich?
Ich werde froh sein, wenn Schlafenszeit ist, denn ich bin müde, und habe in ein paar Stunden diesen ersten Tag überstanden. Der erste ist immer der schwerste.

Edith

Beitragvon Edith » 17.09.2007, 23:24

Ich sehe oft dieses Bild von ihm, wie er da stand. Alleine der Anblick des Mannes, so groß, so klein, so aufrecht, so ängstlich. Er lässt mich noch immer erzittern. Und ich sehe es in seinen Augen. Er hat es gewusst. Immer vielleicht. Er schon. Ich nicht. Er wusste, dass ich scheitere, ich habe mir die Augen verbunden, um es nicht sehen zu müssen.
Vielleicht.
Oder vielleicht brauchen manche Dinge Vollendung.
Vielleicht.
Schön war ich und weinend vor Glück rannte ich ins Feuer, um mich mit Begeisterung brandzumarken. Tropfen auf den heißen Stein die salzigen Tränen.
Und er so ohnmächtig mich begleitend, so hilflos und so ergriffen von Liebe und Schmerz, dass beide ihn fast zerquetschten, obwohl er ein echter Revolvermann ist.
Immer wieder sehe ich dieses Bild und dazu brauche ich das Bild nicht auf Papier. Das Bild ist alles, was geblieben ist aus dieser Zeit.

Es ist vollendet. Wir können gehen. Er und ich.

Gast

Beitragvon Gast » 18.09.2007, 14:11

Es läuft immer auf Extreme hinaus, ganz gleich was ich auch anfange.

Als ich vor zehn Jahren Roger Waters „Amused to Death“ entdeckte, musste ich es tagelang immer wieder hören und dann wochenlang mindestens einmal pro Tag. Noch heute werfe ich mich in diese Musik, atme und heule mir ihr. Klar spielt die Vergänglichkeit einer Beziehung hier hinein.

Fast immer sind Trauer, Schmerz, große Leidenschaft bei mir an Musik gekoppelt und richtig gut ging das nie aus.

Meine jetzige Phase hat mich zurück zur Klassik gebracht, mit voller Wucht. Indirekt hat sogar Pavarottis Tod etwas damit zu tun, obwohl ich ihn nie so verehrt habe, wie viele. Aber sein Tod war Auslöser dafür, dass ich in die Welt der Klassischen Oper abtauchte und in ihr schwimme.
Ich traumsinge die tragischen Arien und Duette aus Puccini und Verdiopern und liege oft stundenlang wach …Mimi und Rudolfo im Ohr oder Violetta auch König Philipp.

Gestern habe ich beschlossen ausschließlich Instrumentalwerke zu hören, denn ich glaube es ist die menschliche Stimme, die mich so sehr aufwühlt und um den Schlaf bringt. Die Verknüpfungen der Tonworte mit meinem Erleben. Nun bin ich bei Dvorak gelandet, bei seinem Cellokonzert in H-Moll, das mich nicht retten wird.

Vielleicht wäre ja Kammermusik das Richtige …

Klara
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Beitragvon Klara » 18.09.2007, 15:20

Fastentagebuch

2. Tag

Merkwürdig ist, dass ich noch nie ein Fastentagebuch geführt habe. Fällt mir gerade so auf. Gefastet habe ich schon öfter, aber ich habe mich nie dazu durchringen können, die kleinen und großen Gemeinheiten und Schönheiten des Fastens schriftlich festzuhalten, obwohl ich es mir jedes Mal vorgenommen habe.
Mein Gewicht ist heute Morgen noch wie gestern: 58,8. Ärgert mich das jetzt? Ach, ist nicht so wichtig, mein Körper wird schon wissen, was er tut. Ich trinke einen Mate-Tee, auch wenn das gegen die Regel verstößt (kein Koffein und so). Der Hunger hält sich in Grenzen, ist aber klar spürbar. Sobald ich etwas lese oder mache, geht es gut. Der gestern beschriebene Ableck-Reflex beim Schulbroteschmieren ist heute weg. Nur ein klein wenig muss ich noch bewusst die Finger meiner Hand verpflichten, sich nicht ins Erdbeer-Crunchy-Glas zu versenken, wie sie das sonst gerne tun morgens, den ersten süßen Bissen, zerrieselt im Mund… nein! (Ich lächle, während ich dies schreibe). So wichtig ist es wahrscheinlich auch alles gar nicht. Essen oder nicht essen, Crunchies oder nicht – hah! Lüge! Ist wohl wichtig! Essen genauso wie Nichtessen. Und deshalb schreibe ich.
Warum faste ich?
Es regnet, etwas kühler heute, und ich finde es schön, dass es regnet. Morgens habe ich immer viel Hitze, und abends friere ich leicht. Das ist auch so, wenn ich esse, aber nun viel stärker. Als wären Batterien über Nacht aufgeladen und abends wieder fast alle, wie dieses Zeichen auf dem Handy, das ein Batteriesymbol erst voll grün zeigt, dann nur noch einen dünnen grünen Strich. Dann sollte man laden. Das Laden klappt bei mir mit Schlaf ausgezeichnet.

Ich gehe zur Friseurin, es war längst Zeit. Wie jedes Mal beim Friseur, seit ich eine Pause der Erwerbstätigkeit mache, kommt mir mein Hausfrauendasein so deutlich vor. Als spielte ich die Rolle einer Frau aus der begüterten Mittelschicht, die es sich nicht nur leisten kann, kein Geld zu verdienen, sondern auch, Geld auszugeben! Ich habe ein permanentes schlechtes Gewissen deswegen. Auslöser waren die unerträglich schmerzenden Handgelenke, die mir sagten: „Schluss mit dem Stuss“ (im Büro). „Schreib etwas anderes“, sagten sie mir. Ich ging nicht mehr ins Büro und schrieb etwas anderes, also: noch mehr anderes, als ich ohnehin immer schon schrieb. Ich lebe von Erspartem, Geschenktem und vom Geld meines Mannes. Und ich habe leider (wie erwähnt) keinerlei Probleme, Geld auszugeben! Das stresst mich. Ich mache alles Mögliche, schreiben, Musik, die Zeit rast davon, aber das schlechte Gewissen bleibt. Sobald ich eine gute Idee habe, diesen Zustand zu ändern, werde ich sie umsetzen. Ich müsste Geld verdienen, ohne dass meine Hände wehtun, die Kinder leiden und der Alltag leidet.
Wobei... wenn ich ehrlich bin: Im Grunde bin ich gerade ganz gern „zuhause“. Es tut mir gut, nicht diesem Zeit- und Leistungsdruck unterworfen zu sein, den man immer erst im Nachhinein richtig erkennt; der allgemeine Mutterverantwortungsdruck reicht mir im Moment völlig aus. Außerdem gibt es immer genug zu tun, man kennt das: Wäsche waschen, hängen, abhängen, falten (mein Mann liebt es, zur Entspannung sozusagen, ich vermeide es weitgehend, aber nicht weit genug). Spülmaschine einräumen, ausräumen (mag niemand, muss ich machen), Hausaufgaben helfen, Kinder hier oder dorthin bringen, Gesangsunterricht nehmen, mein Chor, meine Band, meine Texte zu Ausschreibungen schicken, die Erfolglosigkeit verkraften, das Leben achten, den Regen beschreiben, zum Elternabend gehen, und nochmal zum Elternabend, sich doch wieder zur Elternsprecherin wählen lassen, um das eben skizzierte schlechte Gewissen zu bekämpfen, aber es klappt nicht undsoweiter.

Letzten Sonntag, bei der ersten Nicht-Christiansen-Sendung, die also jetzt AnneWill heißt, ging es genau darum: um den Wert von Arbeit. Eine „Frau aus dem Volk“ sprach davon, dass sie täglich 130 km hin und zurück zum Callcenter fährt, für 5 Euro die Stunde. Also doch noch Hartz IV (oder wie das dann im Einzelnen heißen mag). Ein Psychiater, spezialisiert auf Burn Outs von hohen Chargen, erzählte über den Druck. Der Telekom-Chef (regulärer Gast) sah aus, als stünde er kurz vor die Einweisung in die Klinik dieses Pschiaters. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, dass ich mich nicht ausgebrannt fühle. Nicht SO. Dann kam das Thema auf Mindestlohn. Für "notwendige Arbeit", und in der Wirtschaft werde ja nur notwendige Arbeit geleistet. Stimmt das? Aber was wäre mit meiner Arbeit, hier, zuhause? Ist es notwendig, sich um die eigenen Kinder zu kümmern? Kriege ich dann den Mindestlohn? Und was hat das alles mit Fasten zu tun? Ich plappere. Wer nur was über Fasten wissen will, überlese bitte die Stelle, die er jetzt schon gelesen hat. Also: künftig. Beim zweiten Lesen. Mehr kann ich im Moment nicht anbieten. (Ich grinse wieder.)

Ob ich Kaffee oder Tee will, fragt mich die Hilfe beim Friseur nach dem Waschen. Sie sagt „üsch“ und „nüsch“, das macht mich ganz krank, weil es mich an meine Söhne erinnert, denen ich das gerade abzugewöhnen versuch, genauso wie: unvermittelt in der Gegend herumbrüllen, Sachen werfen, beim Essen schmatzen… argh! Da ist er wieder! Der allgegenwärtige Gedanke! Das Allgegenwärtige: Essen! Mein Magen knurrt, und das ist nicht nur so ein Ausdruck: Er knurrt tatsächlich. Ich bitte um Wasser. Es schmeckt angenehm kalt. Ich denke kaum noch ans Essen, und fast nur noch an meine Haare. Betonung liegt auf „fast“. Leider sprechen die Friseurinnen darüber, als sie die Hilfe einkaufen schicken, was sie vom Bäcker mitgebracht haben wollen. „Ein Schokocroissant – und wenn es das nicht gibt dieses Campingbrötchen, mit den Zuckerstreuseln drauf, weißt du?“ Ich weiß!
Außerdem tut mir die Friseurin Leid, sie hat einen Hexenschuss und läuft wie auf Eiern. „Da hat man ja ein schlechtes Gewissen, Sie hier so rumzuscheuchen“, sage ich vorwurfsvoll. Sie wehrt höflich ab. Ich komme mir noch mehr vor wie eine klassische Hausfrau in mittleren Jahren und Schichten. Vielleicht sollte ich diesen Zustand annehmen? Jedenfalls erstmal? Für heute? Ich gebe Trinkgeld, mein Kopf sieht gut aus und fühlt sich gut an.

Zuhause bereite ich mir zum Mittag wieder den Haferschleimtrunk. Direkt danach ist der Magen angenehm voll und warm. Aah! Diesmal habe ich Zeit, mich hinzulegen und die vorgesehene „Mittagsruhe“ – quel mot démodé! – einzuhalten (die Leber entgifte im Liegen besser, behauptet das Fastenbuch, und weil ich nicht weiß, ob ich Gift in meiner Leber habe, lege ich mich gerne hin). Ich döse ein wenig weg, höre die Kinder anderer Leute vom benachbarten Schulhof kreischen, als sie raus dürfen. Schulschluss. Zuerst klingt ihr Geschrei so, als wäre etwas passiert. Beim Aufstehen muss ich aufpassen, sonst wird mir schwindlig: nicht so schnell! Es geht alles etwas langsamer. Das Denken nicht, glaube ich, aber das Reagieren. Das Funktionieren.
Mein Bauch weiß immer noch gut genug, dass er nichts zu essen kriegt, aber es geht besser als gestern. Ich trinke viel Wasser, auch wenn es langweilig ist, Wasser zu trinken.
In unserer Brotaufbewahrung aus Steingut, die ohne Deckel auskommen muss – zuerst war er angebrochen, dann ein Stück rausgebrochen, und seit ein paar Wochen ist er ganz kaputt und weggeworfen – liegt dieses weiche Toastbrot, das die Kinder so mögen. Ich mag es auch. Aber ich lasse es liegen.
Kaffee fehlt mir doch noch arg. Wolken im Kopf, ähnlich dem leeren Gefühl, als ich aufhörte zu rauchen. Es hat aufgehört zu regnen, wird heller. Einsamkeitsgefühle, etwas niedergedrückt – warum? Man ist allein, wenn man nichts isst. Energiezufuhr von außen fehlt. Ich schließe mich selbst aus, von allem, wenn ich nicht esse. Gestern beim Abendessen bin ich spazieren gegangen, während die anderen aßen (danach ging es mir besser, die Luft war so mild!). Ich klinke mich innerlich weg. Versuche mich zu erinnern, dass auch nicht alles gut war, als ich noch aß. Als wäre das ungefähr ein Jahr her. (Ich grinse jetzt.) Gestern hatte die große Tochter plötzlich so starke Kopfschmerzen und Übelkeit, dass ich sie in den Schlaf kraulen musste wie früher.
Meine Kinder rühren mich noch mehr als sonst, wenn ich nichts esse. Als würde die Liebe wichtiger, wenn man sonst nichts hat. Die Jungen sind eine Augenweide, stehen in voller Kleinkindpower, auf direktem Weg ins Universum. Hoffentlich kommt nichts dazwischen. Ich bin abergläubisch. Und Emma ist so schön! Es ist unglaublich, wie schön sie ist. Hoffentlich weiß sie das nicht zu sehr. Sie lernt eine Szene für die Schauspielgruppe, ich frage sie ab, ich mache das gern, und sie ist so gut! Und Mütter sind unglaublich objektiv in Bezug auf die eigenen Kinder! (Früher, beim ersten Kind, habe ich nicht verstanden, wieso eine andere Mutter ihr anderes Kind so lieb haben können soll wie ich meines. Ich habe mich gefragt, wie das gehen soll: Meines ist doch so viel schöner, klüger, beweglicher, HELLER als das jeweilige andere, egal welches. In einer Gruppe STICHT es doch geradezu heraus! Mittlerweile bin ich etwas toleranter… ES gibt tatsächlich auch noch andere kluge, gewandte, angenehme Kinder außer meinen (ein paar), und es gibt sogar noch andere nette Mütter (sehr wenige), und rein rational begreife ich, dass sie ihre Kinder genauso lieben müssen wie ich meine – aber ich komme einem wirklichen Verständnis dieser Tatsache nur sehr langsam näher).

Ich habe warmen Kräutertee im Bauch. Davon mache ich mir jetzt noch eine Tasse. Ich trinke mehr Tee, als ich nach den Angaben im Fastenbuch darf, aber das ist ja wohl albern, oder? Dort steht, ich solle vormittags eine Tasse und nachmittags eine Tasse Tee trinken! Ich trinke ungefähr das Dreifache an Tee. Ist das schlimm? (Ich lächle, und mir fällt auf: Ohne Smileys einen Text exakt zu schreiben ist schwierig bei so einem flapsigen Stück Tagebüchlein wie diesem, das einfach so runtergeschrieben wird, ohne Rücksicht auf Verluste… Warum schreibe ich das überhaupt? Mitteilungsdrang in Richtung Unbekannt. Vielleicht hört ja jemand zu und ist bei mir. Vielleicht liest jemand mit, der fastet und sich freut, dass noch eine fastet, da draußen, in dieser weiten, wilden Welt...)
Warum faste ich?
Ich erinnere mich dunkel, dass das Essen – vor drei Tagen erst! – mich langweilte, dass ich eine Pause brauchte. Die habe ich jetzt. Ich könnte auch sagen: Das habe ich jetzt davon. Je nach Laune. Es ist ungewohnt, alles in „ich“-Form zu schreiben, aber das ist bei einem Tagebuch wohl unumgänglich. Ich merke, wie mir immer wieder ein „man“ reinrutschen will, um nur ja nicht zu persönlich zu werden. Dies hier ist rein persönlich! Privat! Ich-bezogen! Auf französisch würde man glaub ich sagen: „vain“. Es zählt nichts. Es ist egal. Es ist keine Literatur, erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, trägt keine Haftung. Oder erst recht: Haftung. Ist das nun eine meiner Hintertüren oder das Gegenteil? Jedenfalls ist es wie eine Übung für mich. Eine Fastenübung. Fließenlassen.
Meine Lippen sind trocken. Mein Gesicht sieht klar aus. Die Leute gucken mich auf der Straße an, als wäre ich etwas Besonderes. Aber das bin ich ja auch (Smiley).

Heute Abend koche ich frische Paprika und Möhren mit saurer Sahne und Zwiebeln zu Nudeln. Die Kleinen werden das Gemüse nicht essen, aber ich gebe nicht auf. Ich kann leider nicht gut kochen, aber manchmal macht es mir Spaß.
Wenn die Sehnsucht nach Nahrung zu stark wird, versuche ich mich zu erinnern an das letzte Fastenbrechen: Da war plötzlich eine Sehnsucht nach dem Fasten, ein Vermissen der Leichtigkeit... Man will immer das, was man nicht hat, klar. Und ich will am liebsten alles auf einmal: verzichten und genießen. Ich nehme mir also schlau vor, das Fasten zu genießen – die Ess-Tage kommen noch früh genug mit ihren Auseinandersetzungen und Lasten. Jetzt muss ich daran nicht denken. Jetzt kann ich loslassen, mich entspannen, mich ausruhen vom Essen und vielleicht auch anderen Ballast abwerfen. Blöde Gedanken. Blöde Gefühle. Blöde Gewohnheiten. Und vielleicht ein paar gute Ideen haben. Was das schlechte Gewissen betrifft zum Beispiel. Das Hausfrauengewissen. Ich liebe Ironie. Am liebsten hätte ich eine richtig gute Idee.


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