Beitragvon jondoy » 02.07.2013, 00:32
"my body is strong. i am beautiful. i am young." zitat aus `vollmond´, einem tanztheater von pina bausch, das größtenteils im wasser spielt)
....erneut hat die Polizei heute abend auf dem Taksim Meydanı in Beyoğlue eine Demonstration engagierter Menschen gegen die derzeitige Politik, der AKP und seines Präsidenten Erdoğan aufgelöst, welche im Windschatten des von ihr propagierten Wirtschaftsaufschwungs schleichend den konservativen Lebensstil im Land installieren will und gezielt freigeistige Kulturzentren abreißen und sie durch Einkaufszentren ersetzen lässt, Kussverbote in U-Bahn-Stationen, Lippenstift-Verbot und Lange-Röcke-Pflicht für Stewardessen in Flugzeugräumen erlässt, Demenzverhalten von seinen Bürgern einfordert...
...meanwhile......leises Vogelgezwitscher aus der Luft und den Kronen der Bäume begleitet uns beide auf dem Waldweg, auf dem wir heute abend unterwegs sind. Eben hat er mit uns eine größere Lichtung erreicht und führt uns nun an seinen grünen Wiesen vorbei, auf der langstielige Margeriten mit ihren weißen Blätterkranzköpfen und dem gelbem Pollenkorbgesicht darin wachsen.
Zwei Weidezäune entfernt, drüben am Waldrand, lassen ein paar Schumpen, die friedlich in einer Wiese grasen, rhythmisch vom Klang der Glocke begleitet, die sie um den Hals tragen müssen, ab und zu ihren Schwanz hinter sich in der Luft hin- und her zischen, um lästige Fliegen zu vertreiben.
In der Luft liegt immer noch diese dampfige Atmosphäre, die anfangs zurückbleibt, nachdem ein heftiges Gewitter zuvor für Abkühlung von schwüler Luft gesorgt hat, es in den Wiesen noch stellenweise dampft, weil wärmere Luftschichten von unten und kältere Luftschichten von oben hier ein seltenes Rendezvous feiern und sich im Luftraum besteigen und lieben, bevor ihre unterschiedliche Temperamente bis zur Unkenntlichkeit verwischen.
Beim Gehen, wenn du sehr luftig angezogen bist, spürst du die ständigen Wechsel der Luftschichten auf deiner Haut, alle paar Meter, in jeder Senke verändert sich ihre Temperatur, das ist ein irrsinig feines Gefühl.
Der Weg führt uns an einer Holzbank vorbei, die unter einer Baumgruppe, welche Botaniker als Gemeine Fichten identifizieren würden, steht. Durch die Spalten der Sitzbretter dieser Sitzbank, an denen die Farbe abblättert, drängeln sich Brennesseln hindurch und recken frech ihre Köpfe empor.
Nur einige Meter weiter liegt ein großer Laubbaum in seinem hellgrünen Frühsommerblätterkeid, unter dem ein filigranes Äste-Zweige-Korsett verborgen ist, mitten in der Wiese.
Der Sturm in der Nacht zuvor hat ihn niedergestreckt, er liegt da wie ein Kind, das böse von hinten umgestoßen wurde und nun ausgestreckt auf dem Boden liegt, nur das der hier nicht mehr aufstehen kann, eher so aussieht, als wenn er sich zum Schlafen hingelegt hätte...
...im Land der schlafenden Bäume ziehen bizarre Wolkenschiffe über ihnen am Himmel hinweg und aus deren Takelage lugt immer wieder die Sonne heraus und führt eisern ihr Sommerregiment, sie lässt die Landschaft unter ihr von einem auf den anderen Moment plötzlich erstrahlen wie ein Scheinwerfer über der Bühne einen Sommernachtstraum....
"Komm, lass uns noch am See vorbeigehen". Wir entscheiden uns für die Abkürzung, nehmen den direkten Weg durch den Wald, folgen kleinen Rehpfaden, die durch flaches Heidelbeergestrüpp führen und sich wie ein Labyrinth in alle Richtungen verzweigen. Unten an den Füßen kitzeln und kratzen ihre Zweige, wir springen über zwei, drei Fuchsbaulöcher, schwer einzuschätzen, ob sie verlassen sind oder nicht, die schwarze Erde drumherum wirkt so frisch, treten über unzählige Wurzeln, steigen über dünnarmige Aststämme, die die Natur auf dem Waldboden zurückgelassen hat und erreichen bald darauf die ersten Moorlöcher, die das weitaus größte Moorloch, den nahen Moorsee, bereits ankündigen.
In diese bassingroßen Moorlöcher, in die meist ein dicker Ast gelegt wurde, damit keiner unterging, falls ihm die Kräfte schwinden sollten, sind Kinder einst voller Freunde reingehüpft, haben ihre Körper in dieser moorig-schwarzen, nach übelriechender Erde duftenden zähflüssigen Paste versenkt, um kurz darauf als schwarze Moorleichen wieder herauszusteigen, was oft gar nicht so einfach war, weil es am Rand dieser Moorlöcher keinen Halt gab, an dem man sich hätte leicht festhalten und rausziehen können, um gleich danach mit ihren schlammbedeckten Körpern am nahen See empfindliche Badegäste zu erschrecken.
Unter einer letzten Absperrschranke hindurch erreichen wir kurz danach die Liegewiese des Sees. Der liegt strahlend vor uns in der Abendsonne, seine Wasseroberfläche glitzert leicht, ein Phänomen, dass nur auftritt, wenn ihre Strahlen abends oder morgens in einem bestimmten Winkel auf diesen See fallen oder bei feinem Nieselregeln, der von Naturlicht beleuchtet wird.
Ein paar Frösche machen sich durch vereinzeltes leises Quaken bemerkbar, und von einem nahegelegenen Baum ruft ein Kuckuck, vielleicht das letzte Mal in diesem Jahr.
Vom Wasser her hört man fröhliches Lachen, es ist ein Pärchen, ein Mann und Frau, das nackt badet, die Tatsache ausnutzt, dass die medialen Wetterfrösche mit ihrer Prognose in dieser Region wieder mal absurd daneben gelegen haben und sich nach diesem metrologisch genau berechneten, von digital vernetzten Unken ausgesprochenen Zauberbann (...heftige Gewitter sorgen für Abkühlung....die Sonne macht ein paar Tage Pause...) keine weiteren Menschen heute hierher an diesen See verirren.
Er, von ansehlicher Statur, liegt ausgestreckt auf einer Holzplattform, die sich etwas drin im See befindet, auf die hat er sich hingelegt und genießt den Augenblick.
Sie, besser ihr Kopf, schwimmt um die Plattform herum wie eine Haifischflosse, kurz darauf steigt sie, hochgewachsen, aus dem Wasser, legt sich neben ihm hin, auf den Rücken, und stützt sich dann mit ihren Händen auf und hebt ihren Kopf in die Höhe, in dieser Position fällt ihr nasses, langes, schwarzes Haar gefällig an ihrem Nacken herab wie ein Umhang, sie sieht in dieser Position aus wie eine Meernixe mit Menschenbeinen.
Sie lachen miteinander und genießen die letzten Sonnenstrahlen, reden und schweigen miteinander und drehen sich schließlich zu uns uns um, auf den Bauch, und sehen uns lächelnd an.
Am Ufer haben wir uns hingesetzt, ins Gras der Liegewiese, genießen den Ausblick, den Anblick, den Ort, der solch kleinen Paradiese zulässt. Eine blaue Libelle, immer wieder in der Luft anhaltend, fliegt direkt vor uns vorbei.
Und, wie einst auf der Insel Avalon im nebelverhangenen See, ist ganz aus der Ferne, drüben vom anderen Ufer der Zeit, leises Kirchenglockengeläut zu hören.
Irgendwann stehen die beiden auf, nebeneinander, sie sind fast gleich groß, und drehen sich beide, im Nanokosmos zwischen natürlich und lasziv, ins Profil und verweilen dort, vielleicht, um vor uns ihre Sinnlichkeit auszukosten, es gefällt uns allen, das ist deutlich zu spüren.
Dann erst springt er kopfüber ins Wasser, sie folgt ihm kurz darauf mit einem einfachen Sprung ins Wasser nach. Im Wasser wartet er auf sie, bis sie an ihm vorbei geschwommen ist, dann schwimmen sie beide in Richtung Ufer.
Sie schwimmt vor ihm her, dreht sich auf einmal um um und ruft ihm laut in schönstem Einheimischenakzent die Frage zu: "Sag mir nochmals, wann du geboren bist."
Kurz bevor sie das Ufer erreichen, um aus dem Wasser zu steigen, lässt sie sich von ihm einholen und schwimmt dann hinter ihm dicht an ihn heran, schlingt ihre Arme um seinen Kopf und unter Wasser ihre Beine um seinen Rumpf. Dann lässt sich sie von ihm heraustragen, sie lachen fröhlich dabei, sie genießt es in vollen Zügen und wirkt ganz vergnügt.
Auf der Liegewiese setzt er sie ab, sie bleiben einander zugewandt stehen und zum ersten Mal umarmen sie sich einander. Nur einen langen Augenblick, dann löst er sich aus der Umarmung, beugt sich auf den Boden, hebt ein Handtuch auf und legt es ihr um die Schulter. Sie fasst es an der Hand, schlägt es auf und hüllt auch ihn damit ein.
So eingehüllt, stehen sie in der Abendsonne und sehen sich an. Sie haben nur noch Augen für sich, ihr fröhliches Lachen hört man bis zu uns rüber.
"Lass uns gehen. Die können sich ohne einander nicht mehr überstehen." Am Parkplatz, an dem wir kurz darauf vorbeikommen, stehen zwei Autos nebeneinander, ein großes und ein kleines. Das eine trägt das Kennzeichen von da, das andere von dort. Der Kuckuck hat aufgehört, zu rufen.