Prosalog

Hier ist Raum für gemeinsame unkommentierte Textfolgen
Nifl
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Beitragvon Nifl » 23.07.2007, 18:09

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Foto A.P. Sandor et moi


Prosafluss - Geheime Nachrichten - Flüsterpost - Prosapool - ungebunden - verbunden - Prosadialog - Prosakette - Prosa rhei - ungebunden - verbunden - Prosa - Blitzlichter - Prosalog - Wort zu Wort Beatmung - Prosafolge - ungebunden - verbunden


Hier handelt es sich um einen Faden, in dem ihr euch prosaisch zurücklehnen könnt. Lasst euren Gedanken freien Lauf. Erzählt von euren Träumen, eurem Ärger, euren Problemen, euren Sehnsüchten, euren Beobachtungen, euren Wünschen, euren Phantasien, euren Ideen, eurem Kummer, eurer Wut, eurem Tag, euren Spinnereien … "Die Wahrheit" spielt dabei selbstverständlich keine Rolle.
Fühlt euch frei.

Lasst euch von bereits verfassten Texten inspirieren, greift das Thema auf, oder schreibt einfach "frei Schnauze"… alles ist erlaubt.

Ich bin gespannt!




Kleingedrucktes:

Damit eure Kostbarkeiten behütet bleiben, müssen folgende Regeln beachtet werden:

Bitte keine Kommentare
Keine direkten Antworten (zB. Gratulationen, Beileidsbekundungen, Nachfragen etc.)
Keine Diskussionen
Kein Smalltalk oder Talk überhaupt

Geht immer davon aus, dass alle Texte Fiktion sind.



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"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

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Sethe
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Beitragvon Sethe » 22.09.2007, 23:25

Ich weiß nicht, was Melancholie ist.
Ich habe bislang nicht erfahren, wie es sich anfühlt, melancholisch zu sein.
Ich kenne dieses Gefühl – oder ist ein Zustand ?- nicht.

Früher habe mich ich deswegen verrückt gemacht. Gelesen was über Melancholie geschrieben wurde. An mir gezweifelt. Ja, mir fast schon befohlen, melancholisch zu werden, weil scheinbar alle dieses Gefühl kennen.

Funktionierte natürlich nicht. Wie auch, dafür bin ich viel zu stur und zu trotzig.
Melancholie auf Knopfdruck, weil alle wissen was das ist?
Nicht mit mir.

Muß ich wissen, was Melancholie ist, wie ist, melancholisch zu sein?
Nein, ich muß nicht.
Ich muß mich selber leben, meine eigenen Gefühle und Empfindungen kennen, erleben und mit diesen und durch diese leben.
Ich empfinde und fühle soviel.
Leid, Trauer, Frust, Ärger, Wut, Freude, Glück, Mitleid, Neid; ich kann meine Gefühle und Empfindungen gar nicht alle aufzählen, weil mir dazu oftmals die Worte fehlen, um sie zu beschreiben. Mein Leben ist prall gefüllt mit Gefühlen und Empfindungen.
Aber über etwas bin ich mir heute sicher:
Zwei menschliche Gefühle und Empfindungen kenne ich nicht:
Haß und Melancholie.
Mein Leben brauchte bis zum heutigen Tag die Melancholie nicht.
Dies ist aber heute kein Grund mehr für mich, in Panik oder in Selbstzweifel zu verfallen.

Ich hoffe nur eines: Nie in meinem Leben Haß zu empfinden.
Ohne Melancholie kann ich leben, mit Haß könnte ich nicht leben.
Was ich tu, das tu ich, was ich tat, das wollte ich tun.
(aus: "Ich schließe mich selbst ein" von Joyce Carol Oates)

Gast

Beitragvon Gast » 24.09.2007, 13:35

... das wird was werden Annette und Jenny

Gerade habe ich mit den Recherchen für ein neues Projekt begonnen und stelle mit Erstaunen fest, dass Annettes v. D-Hs Gedichte so übel nicht sind. Nicht mein Ding, dieses Religiöse, aber wenn ich bedenke wann sie gelebt hat und in welche Familie sie hinein geboren wurde, dann ist Verstehen möglich. Am meisten fasziniert mich die (fehelnde)Liebes(beziehung) in ihrem Leben. Wieder ein Beispiel aus der Literaturgeschichte, wie sehr Sehnsucht und Verzicht eine Dichterin beflügeln können, das kreative Schaffen voranbringen. Das Buch „Das Spiegelbild“ von Irina Korschunow, tat ein Übriges um den A-Mythos im Verhältnis zu Levin Schücking, bei mir zu manifestieren.
Was habe ich mir Anfang der Neunziger alles schon notiert, Lyrik in Stichworten was sonst. Ich bin nicht sicher, was ich daraus entwickeln werde, aber ich glaube die Zeit ist reif für dieses Thema, nachdem ich Hebbels „Elise“ hinter mir gelassen habe … sie kann nun laufen.
Fühle ich mich als „Autorin“?

GeЯdanken ins Unreine

Verstehe ich mich als Autorin? Wenn ich morgens aufstehe, nach 6 Stunden Schlaf, sofort den PC starte, dann schnell in der Küche einen Tee zubereite, ins Bad eile, Katzenwäsche mache um mich umgehend mit einem Pott Tee an den Schreibtisch zu setzen. Stunde um Stunde Recherche, Denken, Schreiben und Zermartern … Der Nackenschmerz setzt mir höllisch zu und ich weiß nicht warum ich schreibe ... und doch weiß ich, dass ich es tun muss. wieder so ein Extrem: Alles oder Nichts und bin die Karikatur meinerselbst am Mittag, jetzt. Ja, noch im Schlafzeug fahrig und immer noch, und wieder mit scheelem Blick über der Tastatur.

Aber je mehr ich schreibe je mehr fühle ich mich und dass ich lebe…

Rala

Beitragvon Rala » 24.09.2007, 23:49

Das Ich schneckt sich über die Unebenheiten der ruckelnden Zeit hinweg und sammelt dabei lose Herumliegendes an seiner Unterseite, alles Mögliche bleibt kleben, und dann, zwischendrin, wenn es sich zurückzieht in sein Haus, um ein wenig auszuruhen, findet es das Sammelsurium wichtiger und unwichtiger Dinge gleichberechtigt neben- und durcheinander, als seien sie bereit, in eine beliebige neue Ordnung gestellt zu werden.
Die möglichen Ordnungskriterien sind vielfältig, nahezu unbegrenzt, Farbe, Form, Größe, Gewicht, Muster, Alter ... was, wenn man seine Erinnerungen aus ihrer Chronologie herausnähme und sie nach Farben sortierte? Das Rosa der Wände des ersten Kinderzimmers neben das Rosa des ersten Lippenstifts und das des ersten selbstgemachten Erdbeereises. Grün alle Wiesen, vom ersten furchtsamen Kontakt mit dem Gras hinter dem Elternhaus über nächtliche Wiesen der Jugend bis zum eigenen Garten. Blau alle Wasser, rot alle Säfte, der eigene und der Himbeersaft und die Farbe der Kriege. Weiß der Schnee, das Papier und das Gedächtnis des Alters. Oder man nähme Themen, wie die Bewegung eines Rades, den Streit mit anderen, die Prüfungen, die Momente des Nichts und des Glücks. Oder Zahlen, gerade, ungerade, Primzahlen, Vielfache ...
Doch scheinen wir derart dem Ablauf der Zeit verhaftet, ihm zwanghaft verbunden, so lange wir leben, dass uns solche Neuordnungen allenfalls auf dem Papier gelingen, als theoretische Gedankenspiele, niemals jedoch vermögen wir unsere Erinnerungsschnipsel vollständig, also auch emotional, von ihrer chronologischen Position in unserem Leben zu trennen.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 25.09.2007, 01:06

Die Zeit, diese verfluchte Zeit ist mein Erzfeind. Nicht nur heute, ja, heute auch. Warum? Weil ich heute in einem Fort an die Fehler der vergangenen Zeit erinnert werde. Es gibt bestimmte Schritte, natürlich auch Orte, aber besondere Schritte, die ich gerne gehen würde, aber nicht gehen kann, weil die alten Fehler mir die Füße für diese Schritte abgehackt haben. Sie sind wie Geschwüre, diese Fehler, sich windende eklige Stricke, die sich um meinen Hals schlingen, mich erwürgen, mir immer wieder sagen: WARUM hast du das damals gemacht? Warum, warum, warum?
Hätte, könnte, wäre ... bla bla bla, bringt doch nichts. Und doch brechen sie immer wieder auf, diese Geschwüre und eitern ins Heute. Ins Heute ... ich leb überhaupt nicht mehr im Heute, hab mich einfressen, einsargen lassen vom Gestern, das ich einfach nicht auskotzen kann.
25.09.07

Mucki
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Beitragvon Mucki » 25.09.2007, 19:20

"Ein Tropfen hebt den Ozean"

Was für ein wunderbarer Gedanke mit so tiefer Botschaft. Sie spendet Trost und relativiert mein inneres Gefühl zum Positiven, führt die Waage meines Geistes ins Gleichgewicht. Wenn auch noch so winzig, so bin ich dennoch Teil des Ganzen. Und ich bewege doch! Gehöre dazu. Möge dieses Credo sich tief mit mir verschmelzen, auf dass ich nach diesem Grundsatz denke, handele und lebe, mir selbst bewusst werde:
Ich bin ein Tropfen.

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eva
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Beitragvon eva » 26.09.2007, 14:21

Tropfen auf dem heißen Stein? Was mache ich, wenn sich alle die Füße verbrennen? Vielleicht stelle ich doch noch ein Schild auf: UMLEITUNG. Dann brauche ich auch keinen Ster Holz besorgen und kein gutes Wetter. Jedenfalls gebe ich die Verantwortung zurück. Dein Zeh ist nicht auf meinem Mist gewachsen. Ein jeder ist seines Fußes Schmied. Blasen verboten. Ich bleibe zuhause und zünde mir eine Kerze an.
Jetzter wird's nicht. D. Wittrock

Klara
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Beitragvon Klara » 26.09.2007, 14:40

Die Sonne Das Herbstbunt Der Kloß im Hals
Die Sehnsucht Das Zittern Der Schmerz (dumpf natürlich)
Die Nächte Das Warten Der vergebliche Blick

Wie ein Hund, der es nicht mal wagt, Hund zu sein
dennoch hinnimmt (idiotisch):

Die Strafe, ohne dass er etwas getan hat

Klara
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Beitragvon Klara » 27.09.2007, 11:51

Ich habe nichts getan! Ist bitterer zu schlucken als Schuld: Das Schweigen bleibt sich gleich. Deshalb Halsschmerzen, die Glieder zerschlagen. Grippale Verleugnung. Ich ertrage dann keine Musik. Bloß keine Musik…

(Du bist so fern… Magst du mich nicht mehr? Bist du jetzt noch braver geworden? Ziehst du die Brauen hoch schon beim Gedanken an den Wind? Du hast so dunkle Augenringe, kleine Mondmatratzen untern Augen, was hast du denn nur!? Fehlt dir was?!)

Umsonst. Das große schwarze Loch ein paar Schritte entfernt ist das Gesetz. Es ist mir so vertraut: Ich kenne blind den Weg dorthin, wie geborgen in seiner Dunkelheit. Meine Dunkelheit… Es sind immer die falschen Helligkeiten und die falschen Augenbrauen und –blicke, die falschen Momente, Männer, Feigheiten, ist immer die falsche Moral. Ich wüsste gern, wie falsch etwas sein muss, ehe es richtig wird. Wie viele Fehler würdig sind. Das Große Fehlen zerrt an meinen Nerven. Man redet um den heißen Brei herum, bis der Brei nicht mehr heiß ist, und dann mag man den Brei nicht mehr. Ist es so?

(„Man darf keinen Mist machen.“ Warum habe ich das gesagt? Bin ich von allen guten Geistern verlassen? Die Wahrheit ist: Ich möchte dich, küssen, gleich. Ich werde es nicht wagen, und du wirst nur die Luft treffen, zum Abschied, so dass ich endlich verlösche, tonlos, ohne dass es jemand merkt, denn wir verbrennen uns nicht die Zunge: halten gekonnt wie Potemkinsche Waisen die Armut fest im leeren Arm.)

Gast

Beitragvon Gast » 27.09.2007, 14:47

26.09.2007
Als ich noch glaubte der Sopran sei die wichtigste Stimme im Chor, war ich etwa 18 Jahre alt. Ich sang im Städtischen Musikverein, natürlich im Sopran, wo sonst (heute hätte ich gern eine „tiefer gelegte“ Stimme), schwärmte ich, wie alle Frauen im Chor, natürlich für den jeweiligen Dirigenten. Damals war Raffael Frühbeck des Bourgos noch sehr jung. Raffi haben wir ihn heimlich genannt.
Auch hier wieder, ich wiederhole mich, ja, - aber ist nicht das ganze Leben in Schleifen angelegt? - musste es der Konzertchor der Landeshauptstadt sein. Nicht irgendein Kirchenchor der nächst besten Kantorei.

Als ich mich sehr viel später auf die Suche nach einem Kreis begab, der Literarische Texte las und diskutierte, war mir die örtliche Nähe ebenso suspekt, wie auch der Umstand, dass sich vorwiegend „Damen“ zum Lesekränzchen trafen. Welch ein Gräuel.
Ich fand vor vier Jahren eine Gruppe von Literaten bei denen es echt und wahrhaftig hergeht. Altlinke und -achtundsechziger inklusive.

27.09.2007
Gestern Abend war also wieder ein Treffen im Club Voltaire in F.
Der Gruppe bin ich sehr verbunden. Es ergeben sich natürlich auch persönliche Berührungspunkte. Gestern gab es einen „Brennpunkt“, über dessen Inhalt ich nicht weiter reüssieren will und muss. Es betraf einen meiner Texte.
Heute Morgen als ich wach wurde, war ich immer noch völlig ermattet, von dieser Sache, die beigelegt, aber nicht zu einem „Guten" Ende geführt hat.
Ich schlief dann noch einmal ein, schlafen kann ich besonders gut, wenn die Stimmung im Keller ist, letztlich bis 12:17!
Ich weiß nicht, wann mir das zu letzen Mal passiert ist.
Es ist kalt, mir ist kalt.
Allerdings weiß ich nun wenigstens ganz sicher, dass mein Text Bestand haben wird und fühle mich nicht mehr deprimiert trotz Regengrau und Kälte. Ich mache jetzt die Heizung an und gönne mir etwas Schönes.
Ich werde Pfannkuchen backen ... mit Nektarinen ...oben drauf kandierte Walnüsse mit Ahornsirup ... hm ... mir läuft das Wasser im Mund zusammen ... innere Wärme und Vorfreude stellt sich ein.
Zuletzt geändert von Gast am 27.09.2007, 16:30, insgesamt 2-mal geändert.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 27.09.2007, 15:37

Es regnet in Strömen. Mit angewinkelten Knien sitze ich dicht am Fenster und lausche dem Regen. Er spricht meine Sprache: die der Melancholie. Ich höre mir selbst zu. Habe viel zu erzählen. Wie war das mit dem Tropfen? Mit dem Finger folge ich der Linie eines Tropfens. Wie lange hält er den geraden Weg, wann schwenkt er zur Seite? Ob er nach links oder rechts abbiegt? Zählt jeder einzelne Tropfen? Was passiert, wenn einer einfach stehenbleibt? Stundenlange sitze ich da und höre mir zu. Das Glas zwischen uns verhindert, die Melancholie auf mein Gemüt zu übertragen. So erlebe ich sie anders. Sie ist weich, fließt Loslassen in mich. Ruhe, tiefe Ruhe spüre ich. Hoffentlich regnet es den ganzen Tag.
27.09.2007

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 27.09.2007, 18:12

Nachdem ich meinen Roman heute ausgedruckt habe, wate ich nun durch Versatzstücke. Mit Papierschere und Tesafilm krieche ich auf dem Teppich zwischen 200 A4 Seiten herum, schneide aus, klebe an, kille meine Darlings, von denen ich mich nur unter Tränen trenne und bete das Mantra: Es tut der Geschichte gut, loszulassen ...
Irgendwo ganz hinten im Hirnstübchen flüstert's: du kannst die Darlings ja noch anderweitig verwenden. Mit Gott!
270907
Schreiben ist atmen

Nifl
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Beitragvon Nifl » 27.09.2007, 20:09

Ich lerne Reiten. Hätte ich mir vor kurzem noch nicht vorstellen können und erst recht nicht, dass mir das auch noch Spaß macht. Aber es ist ein tolles Gefühl. Ein bisschen wie Loslassen oder Fallenlassen, weil man etwas von dem Kontrollzwang, der einen immer irgendwie verfolgt, ablegen muss. Natürlich versuche ich, die Schöne nach meinem Willen zu lenken (wenn ich das mal vergesse, motzt auch gleich die gestrenge Lehrerin). Dennoch ist man ein Stück weit machtlos. Das Gefühl des Ausgeliefertseins (sie könnte jederzeit durchgehen) sitzt direkt neben mir. Dann könnte ich mit meinem Schenkeldruck oder den Zügeln machen was ich wollte, es interessierte nicht mehr… Wo hat man das im Alltag schon noch? Das ist, als führe man mit einem Auto, bei dem jederzeit das Gaspedal verklemmen könnte. Das ist doch Wahnsinn! So gesehen. Ich sollte besser aufhören darüber nachzudenken. Die Gestrenge meint, meine Beine wären eh zu lang für die Lipizzanerin (und das sähe komisch aus) aber ich würde deshalb auch nicht allzu tief fallen. Mir kommt es aber vor, als säße ich auf einem hohen Wackelturm… Letztens haben wir Ausparieren geübt, da habe ich glatt das Atmen vergessen… "Ich will dein Atmen hören!"
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Rala

Beitragvon Rala » 27.09.2007, 22:49

Die Taube auf dem Dach pickt gelangweilt in ihrem makellosen weißen Federkleid herum, während sie beobachtet, wie unter ihr auf der Straße unzählige Spatzen herumgetragen werden. Man hält sie behutsam in der Hand, streichelt sie und wärmt sie und sieht gar nicht mehr nach oben. Die Taube auf dem Dach ist einsam. Gelegentlich setzt sich ein anderer Vogel in ihre Nähe, ohne sich weiter um sie zu kümmern. Viele fliegen auch einfach über sie hinweg. Ganz selten kommt ein Schornsteinfeger vorbei oder ein Dachdecker. Die sehen sie bewundernd an, aber nur aus respektvoller Entfernung. Man hat ihr gesagt, wenn du begehrt werden willst, darfst du es den anderen nicht zu leicht machen, an dich heranzukommen. Sei schön, sei attraktiv, sei unwiderstehlich, aber vor allem: tu so, als seist du unnahbar. Niemand darf mitbekommen, dass du dich eigentlich nach Aufmerksamkeit und Nähe sehnst. Wenn du aussiehst wie leichte Beute, wirst du schnell uninteressant. Und überhaupt ist nur derjenige deiner wert, der keine Mühen und Gefahren scheut, zu dir hinaufzusteigen, dich zu umwerben, der notfalls sogar bereit ist, sich vor dir zu erniedrigen. All dies hat sie beherzigt, nun sitzt sie da, wartet auf den Richtigen und fragt sich so nebenbei, was eigentlich das Erfolgsgeheimnis all dieser dummen, hässlichen Spatzen ist, die ständig dort unten vorbeigetragen werden.
Die Taube auf dem Dach ist verdammt einsam.

Klara
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Beitragvon Klara » 28.09.2007, 16:20

Ihr scheint, als habe sie immerzu ein Date, eins, bei dem sie versetzt wird. Sie hasst es, versetzt zu werden. Vertröstet. Verkannt.

Ihr kommt es sov vor, als müsse sie sterben, wenn sie nicht bald jemand wahrnimmt. Müsse elendig zugrunde gehen, und da hat sie sich für die Schuld entschieden, zumindest theoretisch, besser schuldig als tot, hat sie sich gedacht. Ihr Mann berührt sie nicht, er lässt sie frei, und in dieser Freiheit ist sie gefangen wie ein Tier im kleinsten Käfig, sie sind meilenweit voneinander entfernt, und es klappt alles wunderbar, der Alltag läuft wie am Schnürchen.

Sie würde ihm gerne sagen: „Weißt du, ich glaube, du bist zwei Personen.“
Dabei würde sie schlau lächeln, und er würde fragen: „Häh?“ Und sie würde erklären: „Du bist ein verheirateter braver Mann, der seiner Frau die Steuererklärung macht und dicke Kohle verdient und draußen immer abbricht, wenn’s gefährlich werden könnte – in dir drin mein ich.“
„Und was bin ich noch?“
„Was meinst du denn?“
„Sag schon.“
„Du bist einer, der eine tolle Stimme hat.“
„Aha.“ Er würde nicht wissen, was er sagen soll, damit würde sie rechnen. Aber sie wüsste es umso besser, denn sie hätte ja selbst den Dialog geschrieben. Zunächst würde sie schweigen, bis er mehr wissen will:
„Und?“
„Den mit der tollen Stimme bräuchte ich jetzt. Ganz dringend. Den anderen kann deine Frau gerne behalten.“
Und dann würde er sie küssen, endlich, und ein paar Minuten lang wäre ihr Leben ein Film, der nicht abgebrochen wird, sondern durchgespielt.

Aber er wird wieder lange vorher abbrechen, wie immer. Sie werden heute Abend keine Musik machen. Sie wünschte, dass er etwas sagt – er! Sie ist so müde vom Windmühlenjagen. Sie möchte, dass er in ihr Ohr flüstert, ein paar Worte nur für sie, damit sie sich am Leben fühlen darf. Sie möchte, dass er ihr ein Geschenk macht.

Aber so wird es nicht sein. Sie wird unheilbar traurig zurückschalten und sich fragen, warum schon wieder, immer wieder, nicht, und warum sie nicht zufrieden sein kann, sondern immer wünschen muss, immer wollen muss. Und sie wird die Antwort wissen: Sie ist so leer, so leer… Die Einsamkeit zerfrisst ihr die Seele, und er wird sie nicht gerettet haben, nicht mal einen Takt lang. Sie wird es taktlos finden und ihr Sehnen in der Nacht ersticken, mit dem Kopfkissen, und ihre Schuld wird noch gewachsen sein, ihr Körper ein hartnäckiger Betrüger, ihre Seele verwaist.


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