Lyrischer Dialog

Hier ist Raum für gemeinsame unkommentierte Textfolgen
Nifl
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Beitragvon Nifl » 11.08.2006, 17:59

Liebe Schreibfanatiker,

ich möchte hier in diesem vitalen Forum einen "lyrischen Dialog" beginnen. Lyrische Dialoge sind kooperatives Schreiben, Gedichte, die (auf-)einander aufbauen. Das können inhaltliche Bezüge sein, oder es werden Worte des "Vorschreibers" aufgegriffen, oder man übernimmt einfach nur die Stimmung.
Hierdurch entstehen unkommentierte Gedichtfolgen. Die Form bleibt dem Autoren überlassen (zB. ob gereimt oder ungereimt ...)
Würde mich über rege Beteiligung freuen!

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Zuletzt geändert von Nifl am 30.08.2006, 19:10, insgesamt 2-mal geändert.

Nifl
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Beitragvon Nifl » 26.03.2018, 19:14

Mein Heimatmuseum ist beschädigt
und die Zischlaute dehnen sich

das Mitschlafen
wollen wird müder

ich sollte aufräumen
mir dann eine Unordnung vorstellen
Sonne Meer und ungemachte Betten

Von oben betrachtet liebe ich
die Pfeile werden abgebrochen
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Klara
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Beitragvon Klara » 27.03.2018, 12:10

Umwendungen kündigen sich an
Im Singsang verschlafener Vögel

Die weichen Socken lächeln
Als gebe es irgendeinen Schlaf

Aufgeräumt entgehst du mir nicht
Die Sonne versteigt sich zu Ungereimtheiten
Dein Bett liegt unberührt

Denn von unten bleibst du
In Hautnähe trifft weder Pfeil noch Blick

Nifl
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Beitragvon Nifl » 27.03.2018, 19:29

Dass Nähe nur eine Redensart ist

Endlich springt das Glas
von wundgemalten Bildern

Sie liegen im Kurvenlicht
fühlen sich umsichtig
kommen zusammen wie Sträflinge

Ein Wellengitter über allem
rot die Gipfel

Wir füttern uns mit fehlenden Verben
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

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birke
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Beitragvon birke » 28.03.2018, 01:32

.

und "dass nähe nur eine redensart
ist" ein gerücht
unsere verben gehen durch venen
durch und durch
gezeiten zeiten
wörter
nie reden wir artig
und das gewölk über uns
ist nur gewäsch
eine ausrede
für die nähe

.
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

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Hetti
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Beitragvon Hetti » 28.03.2018, 06:02

nähe wird überschätzt
wer distanz sucht
kann weite finden
der eine baut ein floß
die andere putzt die meilenstiefel
und dann
vielleicht
oben und unten neu errichten
austauschen, geben für nehmen
und andersherum
einfach mal treiben lassen

Klara
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Beitragvon Klara » 29.03.2018, 13:20

Kaffeehausbitzel

Wenn jemand so dahin redet, entferne ich mich
Manchmal weine ich nur auf einem Auge
Später sitze ich und frage mich
Warum
Ich streiche durch
esse Suppe und Salat
als wäre ich zu zweit

--

Und lese , was ich
Vor Tagen erst geschrieben habe
Was hat das mit mir zu tun!
Uralt bin ich
Und lebendig
Wie ein grad gebornes Tier
Ein kleiner Vogel oder Elch
Eine Landhausfledermaus
Ein frischer Fisch (Atlantik)
Oder

--

Sehnsucht nach Prosa
Und Zeit Der Laptop zittert neben mir in der Tasche
Der Ort scheint unpassend
LAPTOP stört schon als Wort
Gehört nicht in diesen Raum
In diese Intime Öffentlichkeit
die Zuhause und Zuflucht ist
In dunklen und in hellen
Und in beiden Stunden Denn Zuflucht
Braucht ein wundes Kind zu jeder Tageshelligkeit
wie Staunen

--

Der eine weilt in Hannover
Der andere in Übersee
Der dritte hat Besuch
Der vierte liegt bei seiner Frau
Den fünften kenne ich noch nicht
Der sechste mailt (eher karg)
Der siebte ist fort
Aus welchen Gründen auch immer

--

Sie werden zurückkehren
Mich auf ihre Art
Verehren Derweil
begnüge ich mich mit einer
Frau, die polnisch aussieht
Oder russisch, Stammgast wie ich
Blond, unter der Strickjacke ein rotes Kleid
Sie lächelt und schreibt viel oder liest
Offline Sie trinkt den Wein weiß, ich bin heute
Extravagent in rosé
Zur Feier des Freiseins ein Glück ist das Leben!

--

Die Zeitung hole ich nur
Pro forma oder aus Gewohnheit
Und stelle mir vor, wie einer von draußen
Durch die Scheibe nach mir schaut
Oder wie die blonde Lektorin oder Verlegerin
(sie nickt mir freundlich zu mit mildem Kaffeehauserkennen, in Papieren blätternd, ohne dass wir einander schon gestatteten, dezent das Glas zum Prost zu heben)
Mir aus reiner Sympathie ein Verlags-Angebot macht

--

Jetzt habe ich doch diesen Laptop
hervorgekramt
Brauche „Druckbuchstaben“, auch wenn es keine sind, um mich
Lesen zu können, obwohl das blaue Licht
Denkbar unangemessen flimmert
(Kompromisse sind unabdingbar
Auch für eine Person,
die mit jeder Minute, die sie lebt
radikaler wird)

--

Ich sitze und frage
Nur mich
Habe ich Angst vor dem Abend oder Angst vor der Angst vor dem Abend?
Schreiben geht immer oder? Nein. Fast. Klar. Schreibt geht gar nicht, vergeht nie
Wenn ich Fußball sehe, höre ich meine Lieblingsmänner
Die Söhne zuerst, wispern mir Erinnerungen ins Ohr MAMA
Ich gehe auch ins Kino und liebe Alfred Hader, zum Beispiel,
Menschen, die schauspielern, sind so schön nah

--

Die polnische Verlegerin erhebt sich
Ich werde nervös, traurig fast: Wird sie mich hier
Sitzen lassen? Doch ihr Glas, ihr Buch, ihre Papiertasche bleiben liegen
Sie raucht ein Häppchen vor der Tür Die Erleichterung darüber verwirrt und
Amüsiert mich Ich nehme mir die Verbündeten, die ich kriegen kann, habe keine andere Schlacht zu schlagen als diesen Abend mit Buchstaben und verlorenen Gedanken im Kopf
Die aufs Papier müssen, um sich nicht zu allein zu fühlen

--

Dann verschiebt sich der Blick
Ohne Plan gehe ich ins Bett
Und träume in roten Kästen

Nifl
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Beitragvon Nifl » 31.03.2018, 19:39

Bauschen
Kopfdichtung
Falschluft sagen
hin rauschen gerissen
steife Worte biegen
sich verstricken
warmmachen
abwickeln
die Spindel (der Schwindel)
Baum fällt!
mit seidenem Faden gegenhalten
Opportunist buchstabieren
das Gefühl suchen
im Heubaumhaufen
nur mal angenommen
fest wäre nicht mehr fest
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Klara
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Beitragvon Klara » 31.03.2018, 22:07

Nur mal angenommen
Halb wäre voll
und es gäbe keine falsche Luft
(auch wenn ich noch so oft
das behaupte
was ich gar nicht glauben will)
nur mal angenommen!
Du spinnst nicht

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birke
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Beitragvon birke » 31.03.2018, 23:23

.

nur mal angenommen:
halb ist (unter umständen)
so gut wie voll:
ein kurzes gedicht
kann mehr (sagen)
als eine ganze seite
voller worte
oder wenig reden
so viel mehr
als ein schwall
(bei dem dir die luft ausgeht)
ich schleiche mich
aus dem gedicht
doch vorher
noch ein wort, nur
ein wort
in einem atemzug

.
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Nifl
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Beitragvon Nifl » 31.03.2018, 23:39

Glaubenssätze
(die Luft füllt sich mit Federn (Atwood))
überstreifen den Nachhauseweg
in deinem Gottfinden sehe ich mich wieder
dafür auch mal dieses Blinde abspalten
und leichter entgegengehen
hier müssten die Worte kürzer werden
dann kommt das Gefühl zurück
wir streichen uns über die Haut als sei sie neu
ab da lassen wir uns sehen
entblößen das innere Lächeln
und spinnen es wieder ein
im Gedanken danach
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Eule
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Beitragvon Eule » 01.04.2018, 09:55

Die Töne der Kirchenglocken
in den Sprachen der
Herzen wenn Du sie
Hörst sprechen sie
Über Abschied und Wiedersehen.
Ein Klang zum Sprachspiel.

Klara
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Beitragvon Klara » 01.04.2018, 11:14

Ostern
zerplatzt eine Hoffnung an meiner Haut
kam der Glauben
abhanden
geht Regenschnee nieder über mir
an den ich glaube wie eine Ertrinkende
ans Meer

Wasser statt Wein singt der Vogel
Auf dem einbetonierten Teich fliegt seine Feder
weiß wie ein Boot

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birke
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Beitragvon birke » 02.04.2018, 00:51

.

ich glaube
an das meer im meer
an den wein auf der zunge
an die liebe zu dir
an die freiheit des vogels
und dass alles zerplatzt
bis aufs wort
das ich dir gab

.
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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 02.04.2018, 13:49




glaubenssätze krätze kriegen
krakelig gelübte meißeln
wir blüten in stein
schütteln die köpfe
über den schwindel
und kürzen ab
querfeldein l. und l.
wenn keiner hinsieht
schließen wir die augen
wohnen in den luftlöchern
eines traumes baden wir
im kühlen und fühlen
jedes wort pocht noch
wie ein herz im schoß
und du willst ihn einmal reimen
den schmerz der findlinge


Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)


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