Prosalog

Hier ist Raum für gemeinsame unkommentierte Textfolgen
Nifl
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Beitragvon Nifl » 23.07.2007, 18:09

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Foto A.P. Sandor et moi


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Hier handelt es sich um einen Faden, in dem ihr euch prosaisch zurücklehnen könnt. Lasst euren Gedanken freien Lauf. Erzählt von euren Träumen, eurem Ärger, euren Problemen, euren Sehnsüchten, euren Beobachtungen, euren Wünschen, euren Phantasien, euren Ideen, eurem Kummer, eurer Wut, eurem Tag, euren Spinnereien … "Die Wahrheit" spielt dabei selbstverständlich keine Rolle.
Fühlt euch frei.

Lasst euch von bereits verfassten Texten inspirieren, greift das Thema auf, oder schreibt einfach "frei Schnauze"… alles ist erlaubt.

Ich bin gespannt!




Kleingedrucktes:

Damit eure Kostbarkeiten behütet bleiben, müssen folgende Regeln beachtet werden:

Bitte keine Kommentare
Keine direkten Antworten (zB. Gratulationen, Beileidsbekundungen, Nachfragen etc.)
Keine Diskussionen
Kein Smalltalk oder Talk überhaupt

Geht immer davon aus, dass alle Texte Fiktion sind.



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"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 08.09.2011, 23:49


Us ahl weed neu

Wenn isch male, kütt ed mir su vör, als trete isch en ahl Muster en. So jeht dat nid mih wigger. Alsu han isch mir ene Plan ausjedaach. Isch ignoriere, wie glei ming Atelier ess. Un knüpfe mir de janz jroße Formate us dä Rejalen. Dann tänzele isch hahl emmer öm de Bilder rum. Ess doch ejal. Ess doch su total ejal. Dat Hüpfe bringt mich en Form un isch fall us dä alte Mustään russ. En Anfang ess ed all mal. Han se schon bestellt, de jroße Dingeer. Un morje fang isch an.

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 09.09.2011, 00:41

Wortgesang

Er hat "Ulysses" in vierundzwanzig Stunden gelesen, behauptet er. Wovon es handelt, hat er nicht mitbekommen. Er war mit Lesen beschäftigt. Sich in der kurzen Zeit noch mit dem Wortsinn auseinanderzusetzen, überstieg seine Fähigkeiten. Aber die. Worte. Jedes Wort. Gelesen. Jedes.

Zentauren, Komposita, singen am lautesten. Hochzeitsdatum: schwingt sich in die Lüfte, weit mehr als "Hochzeit" allein. Kindertage sind lang und fallend, noch länger und fallender ist die Wendung "Seit Kindertagen". Politikverdrossenheit ist etwas, was man auf Fingerspitzen trägt, um es schließlich in den Dreck zu werfen. Erzählung schwingt sich weit nach außen, lässt aber den Endpunkt ahnen. Nacherzählung ist hingegen eine langweilige Angelegenheit, quasi durchs Fenster beobachtet. Noch langweiliger ist das Wort Angelegenheit. Das macht sich breit und quer, ohne eine Spur von Tiefe, es liegt einfach nur im Weg.

Fremdwörter haben keine Farbe, behauptet Bettina und gibt als Beispiel das Wort "stringent" an. Ich finde schon, dass stringent eine Farbe hat. Es ist ein zitronengelber Federstrich, mit so eng geschraubter Feder, dass die Tinte spritzt. Operette, das sind zwanzig Tischtennisbälle in einem Beutel, die leicht gegeneinander rappeln. Oper ist ein einziger Medizinball. Synästhetik: klingt irgendwie unanständig, ebenso wie Ästhetik oder Ästhet. Ich dachte früher, ein Ästhet sei so eine Art Sittenstrolch.

Prinz: ein Punkt oder vielmehr ein winziger Kringel. Campari: eine gerade Linie, mit einem Planscher in der Mitte, als ob man in eine Pfütze tritt. Dimension: hat einen schönen Schwung nach oben ins Ungewisse. Das Wort Rührkeule, das ich kürzlich kennen gelernt habe (es war der Titel einer Kurzgeschichte), ist klanglich ein Widerspruch in sich; es klingt wie ein Stampfer, der auf Zehenspitzen daher kommt. Dirigent ist leicht und luftig; man muss ihm nicht gehorchen, aber man macht es gern. Dirigat klingt schon erheblich strenger, da lauert die Peitsche im Hintergrund. Taten, egal ob gute oder schlechte Taten, sind immer etwas in die Luft Geworfenes, das noch keine Erdung gefunden hat. Taten - ein Schlag ans Hoftor und auf das Echo warten. Verona ist weich und sanft, Piemont in die Landschaft gestochen, Venedig und Neapel schweifen aufs Meer hinaus. Stockholm war auf dem Meer und kam wieder zurück. Helsinki ist nicht zu trauen. Der schönste Städtename ist St. Petersburg: Das schwebt so kompakt in der Luft wie das Eiland Laputa. (Apropos: Eiland ist ein geniales Wort; es ist klein und schwimmend und trotzdem etwas Festes im Dunst.) Leningrad klingt demgegenüber viel sachlicher, aber dieses "-grad" impliziert ein in die Luft geworfenes Lasso. (Das gilt auch für Stalingrad, unseligen Angedenkens.) Prag ist eine Münze im Schnee, Wien ein Sahnetuff, Barcelona eine Perlenkette, Toledo ein stolzer Obsidian. Kartoffel ist eine Spirale, Apfel der Schöpfungsmorgen, Wirsing eine Milchglasscheibe in den Herbst.

Und wovon handelt das Buch? Hab ich nicht mitbekommen. Aber "Buch" hat Tiefe. Ein schmaler Alkoven mit einem Guckloch ins Dunkle, wie ein Fernglas, das man umgekehrt ans Auge hält.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Klara
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Beitragvon Klara » 21.09.2011, 16:20

Ich beneide die Verkorksten und verwalte meine eigenen Macken: Es ist ein ständiges Kommen und Gehen in meinem Kopf.

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Eule
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Beitragvon Eule » 21.09.2011, 17:56

Blickwinkel


Gestatten, die Morgenraute. Sie ist aus zwei gleichschenkligen Dreiecken zusammengesetzt und wird im allgemeinen als positive Form gesehen, trotz der beträchtlichen Variabilität in Umriß, Inhalt und Zeitbezug. Möglicherweise, weil sie sowohl als zusammengesetzte, wie als Sonderausbildung anderer geometrischer Grundformen betrachtet werden kann, vielleicht auch, da sie an Hausdächer und Vorfahrtzeichen gleichermaßen erinnert. Oder sollte man morgens eher runde, elliptische, rechteckige oder quadratische Augen- oder Ausblicke bevorzugen ? Angenommen, es würde einen Augenblick dauern, bis Raum- und Zeitorientierung ins Bewußsein drängten, wären wir nicht ein winziges Quäntchen motivierter aufzustehen, ein klein wenig schneller in unseren Gedanken, ein bißchen fröhlicher und nachsichtiger, als wenn wir nur unser gewohntes diffuses, zylinder-, würfelförmiges, quadratisches oder rechteckiges Morgenlicht wahrnähmen ? Einen Versuch wäre es vielleicht wert.
Ein Klang zum Sprachspiel.

Gerda

Beitragvon Gerda » 23.09.2011, 13:11

Wenn ich wählen könnte, so würden alle Formen rund, in Harmonie und sanften Farben, von Licht durchflutet schimmern. Ein Strahlen wäre schon zuviel Ablenkung vom Wesentlichen. Ein Schimmer, der meine Gedanken, die wie Kletten sind, leicht machte, damit ich mich herauswinden könnte aus dem Geflecht, ich einen klaren Blick bekäme.
Dieses ständige Zurückschauen wirkt wie Klebstoff in den Synapsen, bewirkt ein Erstarren und Verharren und hemmt, selbst die Möglichkeit den banalsten Gedanken auf die Gegenwart zu richten. Oder ist es umgekehrt und die Untätigkeit der Nervenzellen beschwört dieses Verhalten erst herauf?

Mucki
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Beitragvon Mucki » 07.10.2011, 19:56


Quecksilbergedanken

Was quirlt da so in meinem Kopf herum. Meine Gedanken sind so sprunghaft, genauso wie ihre Konsistenz. Mal verdunsten sie, mal sind sie so schwer, dass Eisenwürfel auf ihnen schwimmen können, ohne unterzugehen. Bisweilen berühren sie giftig mein Gemüt, doch so richtig benetzen und besetzen können sie es zum Glück nicht. Kann sie nicht auffangen und ihre Form nicht halten. Ständig in Bewegung, ständig in Veränderung. So mancher Gedanke ist wertvoll für mich wie Gold, doch nach einer Weile verblasst er zu lebendigem Silber. Bin ich nervös, steh ich unter Strom, nur leicht, doch es reicht. Flüssig sind meine Gedanken, schwappen hin und her.
Was red ich hier. Ich beschreibe mein Leben bei Zimmertemperatur.

Kurt
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Beitragvon Kurt » 07.10.2011, 20:48

Von fernen, nahen Feldern

Es waren einmal zwei Tauben, Gerda und Mathilde. Sie waren Schwestern und schienen unzertrennlich. Bis eines Tages in ihrem Heimatland Lampions aus einem kleinen exotischen Staat importiert wurden, weil sie mit so wundervoll verzierten Taubenmotiven angeboten wurden. Bald leuchteten sie in allen Schlägen, Straßen und Gassen.

Und man machte eine erstaunliche Entdeckung. Auf jedem Brustgefieder der mausgrauen Tauben des hiesigen Landes zeigte sich, unter dem Licht der Laternen betrachtet, ein wunderbar gezeichneter Kreis. Fortan nannte man ihr Feld das derer mit den Kreisen. Nur auf Mathildes Federkleid schimmerte ein deutlicher Winkel. Die Tauben der Umgebung zeigten mit den Krallen auf sie, sagten, sie hätte einen genetischen Defekt und bezeichneten es als Winkel-Krankheit. Schwester Gerda schämte sich für Mathilde: „Eine Schande ist das!“ schalt sie. Dies betrübte Mathilde so sehr, dass sie tagelang weinte; schließlich flog sie fort aus dem Feld derer mit den Kreisen.


Fortsetzung weiter unten ...
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so, als hätten wir alles im Blick." (Kurt)

Jelena

Beitragvon Jelena » 08.10.2011, 07:33

Wie traurig muss ein Taubenkleid sein, wenn der Himmel sein Kissen ist. Der Regen klopft vergeblich.

Kurt
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Beitragvon Kurt » 08.10.2011, 10:28

... so sehr, dass sie tagelang weinte; schließlich flog sie fort aus dem Feld derer mit den Kreisen.

Fortsetzung: Von fernen, nahen Feldern

Gerda machte sich indessen große Vorwürfe und begab sich auf die Suche nach ihr. Sie wendete sich an eine hellseherische Waldohreule, die ihr den Weg zu Mathilde wies, in ein weit entferntes Feld.

Gerda fand ihre Schwester, entschuldigte sich bei ihr und bedauerte, sie wie eine Aussätzige behandelt zu haben. Sie gelobte, es nie wieder zu tun. Gerda hing an Mathilde, wollte sie gleich mit zurück ins Heimatland nehmen. Aber Mathilde fühlte sich in dem jetzigen Feld sehr wohl. So musste Gerda eben dort bleiben.

Auch hier hatte man jene Lampions eingeführt und staunte, dass bei allen Tauben ein Winkel auf dem grauen Gefieder erkennbar wurde, wie bei Mathilde; auf Gerdas Federn schimmerte aber ein Kreis. Rundherum im Feld derer mit den Winkeln sagten sie, dass Gerda einen genetischen Defekt hätte und es die Kreis-Krankheit wäre. Mathilde schalt Gerda. Dies betrübte Gerda so sehr, dass sie tagelang weinte; dann flog sie fort.

Bald bezweifelten aber einige fantasiereisende Tauben, die zwischen dem Feld derer mit den Winkeln und dem derer mit den Kreisen hin und her flogen, dass es sich um Krankheiten handelte. Denn befanden sie sich im jeweils fremden Feld, galten sie als krank, im Heimatfeld aber als gesund.

Gerda und Mathilde besuchten sich nun wieder gegenseitig. Am liebsten wären sie zusammengezogen. Aber sie fürchteten den noch immer währenden Gruppenzwang und die Ausgrenzung.

Die mit den Winkeln und auch die mit den Kreisen hatten sich aber unabhängig voneinander beträchtliche Kulturen geschaffen mit vielen Buchstaben, mit LSÜGIFUNHBZEKRAJÖTCDPWM.

Nach ihren gegenseitigen Besuchen begleiteten Gerda und Mathilde sich immer eine halbe Strecke, machten Halt an der Trinkwasserstation der alten Waldohreule, jener, die damals Gerda den Weg zu Mathilde gewiesen hatte.

Die Eule beobachtete die Beiden schon längere Zeit. Sie konnte nicht mehr mit ansehen, dass sie sich innerlich so sehr quälten. Nun war ja die Waldohreule eine Hellseherin, setzte sich auf ihre Ruhestange vor die Gästelounge, in der Gerda und Mathilde saßen, und sprach: „Das Misstrauen gegen Andersartige und gegen Fremde sitzt zu tief, als dass man es so einfach aufheben könnte. Aber wenn man sich konsequent miteinander austauschte, könnte sofort ein zukunftsweisender Satz entstehen.“

Etwas rätselhaft, fanden Mathilde und Gerda. Gleichzeitig erklang, mehr intuitiv, ein hoffnungsfroher Satz in ihnen, ein Satz mit einem Motto, nach dem sich immer mehr Tauben beider Felder gesehnt, aber auch davor gefürchtet hatten. Er blieb Gerda und Mathilde jedes Mal im Halse stecken. Es gelang ihnen nicht, ihn zu formulieren, so dass er klar und mitteilbar wurde, wollte nicht heraus aus ihren Schnäbeln.

Gerda schaute traurig auf Mathilde, diese ebenso auf Gerda. In dem Augenblick entzündete die Waldohreule ein Lampion und es erstrahlten das kreisrunde O auf Gerdas und das winkelige V auf Mathildes Gefieder. „Juuih“, jauchzten sie, „mit unseren alten neuentdeckten Zeichen könnten wir es bewerkstelligen“. Und in ihren Kehlen formten sich die passenden Laute dazu. Aus dem unaussprechlichen Satz, EINE H_FFNUNGS__LLE _ERKNÜPFUNG, ihres früheren Alphabetes,
gelang ihnen endlich, wie ersehnt,

„EINE HOFFNUNGSVOLLE VERKNÜPFUNG“.

Sie ließen das Los entscheiden, in welchem Feld sie ihre Tage bis ans Ende verbringen wollten.
Zuletzt geändert von Kurt am 09.11.2011, 18:11, insgesamt 7-mal geändert.
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Zefira
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Beitragvon Zefira » 09.10.2011, 00:39

Flaschen und Nahtod

Wie schön das von denjenigen beschrieben wird, die schon im Übergang begriffen waren und wieder zurückkamen: Ein Tunnel, von strahlendem Licht erfüllt, und am Rande des Weges warten unsere Freunde und Verwandten, die uns vorausgegangen sind, um uns in Empfang zu nehmen und sicher hinüberzugeleiten, wo alles Licht und Friede ist. Ja. Was aber passiert mit denen, die nicht dorthin gehen, wo Licht und Friede ist? In „Das Herz der Hölle“ beschreibt Grangé, wie der Polizist Luc, wohlversehen mit satanistischen Insignien, sich in den Selbstmord stürzt, um einen Blick auf die andere Seite zu werfen, die ganz andere. (Warum will er das bloß wissen?) Er beschreibt später seine Eindrücke: Das Licht, das er sieht, ist nicht hell, sondern rot; die Tunnelwände bestehen aus schreienden Gesichtern, und am Ende des Tunnels erwartet ihn das Gesicht eines alten Albinos, umgeben von phosphoreszierenden Haaren. Ja, klingt nicht übel. Komisch eigentlich, dass außer Grangé da noch niemand drauf gekommen ist.

Ich habe mir heute im Supermarkt, vor dem Automaten, der die Pfandflaschen zurücknimmt, ein ganz anderes Bild gemacht. Zunächst einmal nimmt der Automat die Flaschen nicht gern so, wie sie sind. Nicht, wenn sie zerbeult und platt gedrückt sind, dann gibt er sie mit der Bemerkung „gehört nicht zum Sortiment“ zurück. Man muss die Flaschen wie Luftballons aufblasen und alle Unebenheiten herausdrücken, um sie für den Automaten passend zu machen, und man muss sie richtig herum hineinschieben, nicht kopfvoran wie wir etwa zum MRT in die dröhnende Röhre wandern, sondern ärschlings, mit dem Kopf zuletzt. In der hellen Röhre werden die Flaschen gedreht und von allen Seiten beleuchtet, während ein magisches Auge darüber tickt und prüft, ob auch wirklich alles passt. Wer nicht passt, wird unbarmherzig wieder hinausgeschoben, zum direkten Weg in den Restmüll verdonnert. Wer halbwegs passt, wandert zentimeterweise weiter die Röhre entlang, während ihm am anderen Ende ein Licht aufmunternd entgegenstrahlt. Dieses Licht ist aber nur für Superflaschen da die glasharten, klirrenden, singenden. Die ganz normalen blubbrigen Weichplasteflaschen werden, just wenn es am schönsten ist, von einer Klappe, die von oben herabfällt, unbarmherzig seitwärts aus dem Weg gehauen und wandern … ja, wohin wohl? Da, wo laut Grangé die Tunnelwände aus Gesichern bestehen und ein albinohafter Greis mit elektrischen Haaren lauert? Wohl eher nicht, da steht wahrscheinlich auch wieder so eine Tonne, wie überall. Genau erfahren werden wir es erst, wenn wir selbst so eine Flasche sind. Zurechtgebeult und garantiert zum Sortiment gehörig, richtig herum einsortiert, von allen Seiten beleuchtet, gemustert und geprüft und kurz vor dem Ziel mit einem lockeren Schlag seitwärts aus der Bahn gehauen. Klack, macht es. Wohin des Wegs? Wer nimmt uns auf?
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Gerda

Beitragvon Gerda » 09.10.2011, 11:02

Es ärgert mich, wenn von "Entsorgung" gesprochen wird, bei der Abfuhr unserer oft vermeidbaren Müllprodukte. Was wird denn entsorgt? Welche Sorgen sind wir denn los?
Wir sortieren bis wir wirr im Kopf sind, ohne definitiv zu wissen wo die Dinge landen. Teilen alles ein. Es ist gut für unser Gewissen, unser Umweltgewissen, welches wir nicht entsorgen können, wie Wegwerfpackungen, leere Flaschen, Papier und Restmüll.
In manchen Momenten kann ich mir nicht vorstellen oder wenigstens hoffen, dass leere Joghurtbecher irgendeiner weiteren Verwendung zugeführt werden können. Ich sehe behandschuhte Hände, die aussortieren und mich befällt Ekel. Ekel davor, dass andere Menschen meinen Dreck ... Andererseits weiß ich es nicht (was mich nicht beruhigt, ich könnte ja nachforschen), hörte aber schon, dass eh alles auf eines großen Berg wandert. Aber bei Flaschen weiß ich, dass nur jene Plastikflaschen wieder befüllt werden, die Pfandflaschen sind. Wo landen die anderen? Durch das sogenannte Dosenpfand für Dosen und PET flaschen wird dem Käufer vorgegaukelt, dass es sich um echtes Pfand handelt (welch ein Hohn). Was geschieht wirklich mit ihnen? Stimmt es dass sie gepresst, containerweise exportiert werden, unsere Entsorgung wahrscheinlich dafür sorgt dass in Ländern der dritten Welt neue Sorgen zu neuer Not und neuen Seuchen führen?
Werde ich den Mut haben, den Dingen auf den Grund zu gehen?

Mucki
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Beitragvon Mucki » 09.10.2011, 13:03


Jahrelang fragte ich mich, ob die Mülltrennung wirklich Sinn macht, ob nicht doch alles auf einen Haufen geschmissen wird.
Jahrelang trennte ich den sorgfältig den Müll.
Jahrelang trug ich die gelben Säcke raus, stellte die Restmülltonne und die blaue Tonne raus.
Und jetzt erfuhr ich, dass demnächst ein großer, grauer Container bei uns hingestellt wird. Und die gelben Säcke werden abgeschafft. Alles wird zusammengeschmissen und verbrannt. Jetzt ist es offiziell.
Hab ich es doch gewusst. Und ich ärgere mich, dass ich Recht hatte.

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Eule
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Beitragvon Eule » 09.10.2011, 13:33

"welcome at the home of the sea", ein liedzitat, es bringt mich in den sénégal. dakar bei sonnenaufgang, ein willkommen in der nähe des flughafens, die cafés sind noch geschlossen. kurze interviews in mande-malinke-creole, dann weiter nach liberia, ein termin bei radio monrovia. wie lebt es sich dort im achten Jahr der Freiheit, welche Gefühle werden wach, drei Tage nach der Nobelpreisverleihung an die Präsidentin und eine mutige Friedensaktivistin ? aber ich kann auch hier nicht lange bleiben, auf meinen übernächtigten und impfgeschwächten körper wartet eine verabredung im steinernen herzen afrikas, auf dem harten grund der gegenwart.
Ein Klang zum Sprachspiel.

Gerda

Beitragvon Gerda » 12.10.2011, 12:27

Das Grau, war es anders als in den Jahren die hinter mir liegen?
Das Grau sah grauer aus, ich empfand es intensiver und bedrückender.
Es hatte denselben Ton, die gleiche Dichte und Temperatur.
Also war das Grau nicht anders.
Nicht das Grau.


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