Prosalog

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Nifl
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Beitragvon Nifl » 23.07.2007, 18:09

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Foto A.P. Sandor et moi


Prosafluss - Geheime Nachrichten - Flüsterpost - Prosapool - ungebunden - verbunden - Prosadialog - Prosakette - Prosa rhei - ungebunden - verbunden - Prosa - Blitzlichter - Prosalog - Wort zu Wort Beatmung - Prosafolge - ungebunden - verbunden


Hier handelt es sich um einen Faden, in dem ihr euch prosaisch zurücklehnen könnt. Lasst euren Gedanken freien Lauf. Erzählt von euren Träumen, eurem Ärger, euren Problemen, euren Sehnsüchten, euren Beobachtungen, euren Wünschen, euren Phantasien, euren Ideen, eurem Kummer, eurer Wut, eurem Tag, euren Spinnereien … "Die Wahrheit" spielt dabei selbstverständlich keine Rolle.
Fühlt euch frei.

Lasst euch von bereits verfassten Texten inspirieren, greift das Thema auf, oder schreibt einfach "frei Schnauze"… alles ist erlaubt.

Ich bin gespannt!




Kleingedrucktes:

Damit eure Kostbarkeiten behütet bleiben, müssen folgende Regeln beachtet werden:

Bitte keine Kommentare
Keine direkten Antworten (zB. Gratulationen, Beileidsbekundungen, Nachfragen etc.)
Keine Diskussionen
Kein Smalltalk oder Talk überhaupt

Geht immer davon aus, dass alle Texte Fiktion sind.



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Zuletzt geändert von Nifl am 04.08.2007, 09:08, insgesamt 1-mal geändert.
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

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Eule
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Beitragvon Eule » 13.09.2017, 22:14

Es war während einer Werbepause. Die Spots über die Spots waren gut recherchiert, die Zeit rollte die Einfälle in verschiedene Kolorationen. Im Editional konnten die Zeichenzahlen bearbeitet werden, ich stolperte immer über das kleine Trommelmonster, das einer Spottkolumne entsprungen zu sein schien. Ein Texteklecks, aber nach der fünfzigsten Auflage liessen die Einschaltquoten nach. Ob jemand die Textreminiszenzen der simultanen Wortgeneratoren noch pflegte ? Manche Sendungen wollen auf Reisen gehen und sie schaffen es zu vielen Augenblicken wieder da zu sein, wenn alle auf Löschung bestehen.
Ein Klang zum Sprachspiel.

Nifl
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Beitragvon Nifl » 15.12.2017, 19:47

Ich habe mir eine Scheune gekauft. Sie ist schön groß und bietet viel Stellfläche. Nun kann ich endlich gescheit Volvos sammeln. Diese Sätze sage ich vor mich hin und forsche in mich hinein, ob es sich glücklich anfühlt. Und wenn ich gestorben bin, wird die Oldtimer-Praxis Fotos veröffentlichen. Ein sensationeller Scheunenfund, der die Szene in Aufregung versetzt! Auf einem Bild wäre ein völlig verstaubter 262er Bertone zu sehen. Auf der Motorhaube säße ein Huhn (Hertha) und wunderte sich über die Aufregung. Es würde mich erwartet haben.
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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 15.12.2017, 22:15



und zwischen dem weißen lack und dem schimmelblauen außenspiegel steht ein pferd, senkt den kopf und schnaubt. so kreuzen sich träume wie fallende blätter. das huhn auf dem eingedellten dach schaut schief; und was ist in den momenten, wenn man die daune zwischen den fingerspitzen dreht, hineinbläst, um das zittern zu sehen. oder wenn das licht durch die ritzen fällt und du nur noch den kopf auf seinen rücken legen willst. dem staub zusehen, wie er sich leise legt.

Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Nifl
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Beitragvon Nifl » 16.12.2017, 12:50

Der Vorbesitzer ist als Ökobauer pleite gegangen. Er hatte sogar ein Buch über seine Schweine geschrieben. In der Scheune ist eine erstklassige Bose Anlage installiert. Seine Schweine liebten Mozart. Irgendwann habe ich mal einen Roman gelesen (Titel natürlich vergessen), in dem die Bäuerin am Schlachttag an einem ruhigen Ort mit dem geliebten Schwein (Schweine hören auf ihre Namen) gekuschelt hat und im Moment der größten Behaglichkeit das lange Messer reinrammte. Traurigschön, meint Hertha. Wir hören Enya "Book of Days". Hier waren sicher Raumakustik Architekten am Werk. Nichts hallt oder scheppert. Hertha möchte immer wieder die Lyrics übersetzt haben. Es ist ihr egal, dass ich ein schlechter Übersetzer bin. "Meine Träume könnten morgen sein. Ein Schritt, ein Fallen, ein Straucheln." Das ist ihre Lieblingsstelle.

Hertha hatte sich bestimmt hinter dem Vorderrad vom aufgebockten Deutz F4 versteckt und wurde nicht wie die anderen abtransportiert. Da saß sie jedenfalls auch, als ich das erste Mal die Scheune betrat. Ich dachte an Ratten oder Mäuse bei den Raschelgeräuschen. Aber dann hatte sie kurz vorgelugt. Ich kratzte schnell Sonnenblumenkerne vom Brötchen. Denn eigentlich wollte ich mich pläneschmiedend in die Deutzsitzschale lümmeln und dabei ein Brötchen mampfen. Als ich ihr die flache Hand mit den Kernen hinstreckte, kam sie gleich hervor. Sie musste schon lange gehungert haben. Am Ende blieb mir nur die Käsescheibe. Aber ich hatte eine neue Freundin gefunden, sie folgt mir seither auf Schritt und Tritt.

Aber erst machte ich mir Gedanken, wo ich dieses Huhn loswerden könnte. Das angrenzende Bauernhaus wollte ich nämlich nur als Ferienhaus nutzen. Tiere konnte ich da nicht versorgen. Gerade wollte ich Hertha fragen, ob sie denn wisse, wo ihre Truppe gelandet sei, als mich ein tiefes Knurren jäh aus den Gedanken riss und abrupt meine sämtlichen Bewegungen eingefrieren ließ. Etwa 3m vor mir stand ein riesiger Hund und fixierte mich. Was nun? Ich versuchte langsam rückwärts zur Scheune zurück zu gehen, um mich dann dort verbarrikadieren zu können, aber bevor ich auch nur den ersten Schritt vollenden konnte, knurrte er wieder unmissverständlich. Okay, und nun?, fragte ich schön auf den Boden guckend, das hatte ich mal irgendwo gelesen. Aber auch das wurde gleich mit einem Knurren quittiert. Zum Quatschen war er offensichtlich auch nicht aufgelegt. Weit und breit war kein Hundehalter auszumachen. Na toll. Da gackerte Hertha los:
Ach, das ist doch nur Karl der Kangal.
Und ich dachte schon Karl der Käfer.
Er kommt nun schon das dritte Mal zurück.
Soll ich ihm den Grundbuchauszug zeigen?
Ich fürchte, das beeindruckt ihn nicht.
Was beeindruckt ihn dann?
Er ist eben ein sturer Kerl. Die wurden ja ewig so gezüchtet.
Langsam begann Hertha mir auf die Nerven zu gehen mit ihrer Klugscheißerei.
Also was?
Du könntest mich auf den Arm nehmen, dann weiß der Dickschädel, dass du nun hier sein darfst.
Wie gütig. Aber es klang so, als wäre es einen Versuch wert. Gerade wollte ich mich zu Hertha runter bücken, da hüpfte sie weg.
Erst versprechen, dass ich hierbleiben darf.
Hä? Aber, aber das geht doch nicht!
Karl knurrte wieder.
Also gut, komm her, wir finden schon eine Lösung.
Karl auch?
Was, dieses Ungetüm?
Er hat auch einen weichen Kern.
Erpresserin!
Knurr.
Ja ja!
Mit einem Satz hüpfte sie auf meinen Arm. Das kapierte Karl offensichtlich sofort. Er drehte ab und fläzte sich vor die Treppe der Haustür, als wenn nichts gewesen wäre.
Zuletzt geändert von Nifl am 01.01.2018, 14:48, insgesamt 3-mal geändert.
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Nifl
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Beitragvon Nifl » 22.12.2017, 19:33

Früher sind die Engel immer vom Dach gefallen. Ab heute nicht mehr. Ich vermisse das.
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Klara
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Beitragvon Klara » 01.01.2018, 11:18

Mondfahrt

Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin (1 Kor 13, 12)

Vorher war mir übel vor möglicher Liebe, jetzt ist mir schlecht vor der Unmöglichkeit. Das Virus hat mich seit Wochen im Griff, es wandelt sich, ich bleibe gleich, bin krank. Am Ende hatten wir trotzdem Sex. Ich weiß nicht, warum ich mich so ausdrücke, „Sex haben“, um ihn mir vom Leib zu halten? Das Virus, den Sex, und den Mann, den ich noch nicht aus dem Kopf bekomme, der mich ruft und wieder wegschickt, der mir seine Zweifel übergibt, seine Ungerührtheit, und seine Erregung, der alle Register von totaler Funkstille über einsilbige Nachrichten bis SMS-Bombardement zieht. Nur sein Körper konnte nicht lügen - aber wer weiß, ob das stimmt? Nach dem Sex, so hatte ich gehofft, würde es vergehen. Verblassen.

„Kommst du zum Kaffee? Ich hol‘ dich am S-Bahnhof ab“, schrieb er, nachdem ich zu dem Schluss gekommen war, es würde nichts „passieren“ zwischen uns – zu kompliziert. Wir hatten schon zu viel darüber gesprochen, während er mich berührte, am Rücken, an der Hand, Mund-zu-Mund, in der Seele, kurz, aber nicht flüchtig, unentschieden, aber nicht schlaff; hatten einander Ängste gestanden und Vorlieben, vorherige Erfahrungen hineingeschleppt in die Erwartung der Begegnung zweier Körper, uns in Missverständnisse eingewickelt, zum hinfälligen Schutz unsere jeweiligen Verkopftheiten aneinander gerieben, als ginge es bei jener Sache um eine hochgefährliche Expedition zum Mond, bei der jeder Griff stimmen muss und unzählige Vorbereitungen, Vorrichtungen, Vorkehrungen nötig sind. "Sex kann viel kaputtmachen", sagte er ängstlich über jene Sache, die immer wieder verschoben wird, wegen der Umstände, des Wetters, der Stimmung, der Kapazitäten, die fehlen, oder wegen der überflüssigen Worte… (wir Menschen sind furchtbar empfindliche Tiere!) Ich fragte mich, was er damit meinte: Es gab ja nichts kaputtzumachen zwischen uns als seelenvolle Körperlichkeit. Oder körperreiche Seligkeit. Keine Ahnung. Er lud mich zu sich in dem Moment, als ich also begann, mich damit abzufinden (Lüge!), dass Sex nicht „passieren“ würde (das ist sein merkwürdiges Wort dafür: passieren, obwohl es doch immer eine Entscheidung ist, eine Zuwendung, eine Öffnung, eine Einladung zur verletzlichsten aller Begegnungen: Sex wird immer erbeten, erfleht, erlitten – sein Pathos ist unheilbar), nach Wochen des aufreibenden Hin-und-Her, denn er ist kompliziert, ich bin kompliziert, es ist kompliziert, und die Welt ist in Wahrheit eine Scheibe, bei der man an jeder beliebigen Stelle runterfallen kann, ins Nichts. Ins Elend. Ins Dunkel. Er ist mein Dunkelmann. Meine dunkle Quelle der Sehnsucht. (Oh, ich bin sehnsuchtsgestählt!) Ich wollte kneifen. Ich wollte nicht. Ich wollte. Der Dunkle machte mir Angst, tut es noch. "Der tut dir nicht gut, Mama", warnte die Tochter. Doch fiel er mir wie ein stachliger Apfel in den Schoß, der war weit auf. Er kann nichts dafür. Ich kann nichts dagegen.

Sollte es beim Kaffee, (den es nicht geben würde), wider Erwarten (Lüge!) doch „passieren“, so stellte ich mir in idiotischer Hoffnung vor, würde mich der Sex heilen von dem Wissen, dass er zu mir gehört. Dass ich zu ihm gehöre. Dass wir, in aller Freiheit, heute und jetzt, in Dunkelheit und Freude, einander angehören. Etwas so klar zu wissen, gefangen in einem unhintergehbaren Spürwissen, habe ich noch nicht erlebt. Ich habe keine Ahnung von diesem Gefühl – oder ist es eine Einbildung? oder ist es eine Tatsache? – das man wahrscheinlich Liebe nennt. Aber was soll das in Wahrheit sein? In Wahrheit? Liebe? Ich weiß, was Sex ist: eine profane Sache, bei der man sich angewöhnt hat so zu tun, als bedeute sie entweder nichts oder alles, in die man Sakrales hineinstopft und auf Teufel-komm-raus eine wesentliche Sache draus macht oder aus der man alles Wesentliche entfernt und stöhnt, als ginge es um nichts als den Ton, die Stimmung, den Moment. Natürlich ist es unbedeutend. Natürlich geht es immer darum, einander zu erkennen. Wie in der Bibel. Mann und Frau. Mensch und Mensch. Natürlich ist es immer eine wahnsinnig wichtige Sache. Sex ist eine heilige Angelegenheit.

Aber kein bisschen elegant, eloquent oder erleuchtend, sondern ein Geschiebe und Gerucke und wenn es nicht klappen würde, nicht stimmig wäre, so stellte ich mir vor, wäre ich geheilt, käme ich heil raus aus dieser Nummer, weil der fremde Mund nicht schmeckte oder seine Finger in bester Absicht das Falsche täten, mich nicht spürten, oder seine Haut sich nicht richtig riebe an meiner, oder weil die Große Depression von der Decke hinge, direkt über dem Bett, oder weil der Mann total unsicher wäre und seine Unsicherheit mit meiner kopulieren ließe, so dass es peinlich spritzte, mir ins Auge, ins Gehirn, unauslöschlich, schmerzhaft; oder das Kondom nervte, oder mein Kopf hielte es nicht aus, dächte zu viel, verlöre sich in verschiedenen Zeitzonen, oder ich wäre, wie so oft, zappelig und täte das Falsche und traute mich das Richtige nicht oder wäre gelähmt oder wollte zu viel und zeigte zu wenig oder umgekehrt oder er bekäme keinen hoch und ich wäre zu alt, mein Körper zu weich, zu viel, zu wenig, zu grau, ungefällig mit all den Geschichten, die er erzählt, oder seine Augen sprächen hörbare Lügen oder, am schlimmsten, die Lust verpisste sich, krabbelte unter der Decke weg, verschwände durchs geschlossene Fenster, geisterhaft real, und ließe uns da liegen, mit den Phantomschmerzen einer Desillusion, einer unmöglichen Liebe –

So war es aber nicht. Es war schlimmer. Kein Kino, keine Enttäuschung, kein Scherz. Seine Hände fühlten sich in mir zuhause. Sein Atem gehörte mir. Er wollte mir nicht weh, sondern wohl. Unsere Körper probierten, schmeckten, fanden, ganz unspektakulär, als hätten sie seit langem nacheinander gesucht. Das klingt kitschig, doch ist es nur unmöglich. Die Befangenheit haben unsere Münder weggeküsst und weggelacht und so getan, als ginge es nur um Sex, als ginge es nur um den Moment, denn es ging nur um den Moment, weil jede Ewigkeit im Moment wohnt, so sichtbar auf einmal, dass es merkwürdig ist, dass ich das so selten erkenne: diese Ewigkeit im Moment. Ich trug mein Kreuz um den Hals, es berührte sein Geschlecht, es störte ihn nicht, (und das ist vielleicht das Erstaunlichste: ich störte ihn nicht, obwohl ich bei ihm lag, ihn berührte!) und zwischendurch hätte ich weinen mögen, weil er so zärtlich über mein Gesicht strich, dass da Liebe sein musste, unmögliche Liebe, aber eindeutig Liebe, ich war ja nicht blöd, nur verliebt, und die Berührung hatte nichts und alles mit dem zu tun, was man Sex nennt, (mag sein, dass ein anderer dazu in der Lage ist, oder dass der andere nicht anders können kann, als sich Sex abzuschneiden von seiner Seele, aber das ist noch kein Grund, dass ich von „Sex haben“ sprechen zu müssen meine, wie ich es auch eben wieder versuchte, weiter oben, zum Einstieg in diese unmögliche Erkenntnis.) Doch gleichzeitig weiß ich: Er meint gar nicht mich, weder, wenn er mich anschaut, noch wenn er von mir wegschaut. Er bleibt bei sich, mir fern.

Danach geht er auf Sendepause, betont desinteressiert, kurz angebunden. Abwesend. Kein Gruß, kein Kuss. Ich suche nach einer rationalen Erklärung, suche nach Fakten, die mein Wissen als Lüge entlarven. Ist er eine gespaltene Persönlichkeit? Kalt? Hat er kein Interesse? Ging es doch nur um Sex? Ist er ein zwanghafter Lügner, der mich für seine Selbstbestätigung nutzte? Jedenfalls wirkt er, als wäre er zwei verschiedene Personen, die eine ist mir los, zum Mond, die andere winkt lasch von unten, als gebe es keinen Mond und verweigert die Erkenntnis, dass da außer ihm auch noch jemand ist, der mit seiner Zwiespältigkeit nicht umgehen kann. Warum ist er mit mir losgeflogen, wenn der Flug ihm doch nur lästig ist? Wie konnte er zwischendurch einfach aussteigen? Wie soll ich jetzt allein landen? In dieser Geschichte. In diesen Schlusssätzen lande ich: Er ist Quartalslieber, aber Quartalsliebe reicht nicht fürs Fliegen, damit stürzt man ab. Warum macht er Liebe? Unmöglich? Wie macht man Liebe? Möglich?

Mucki
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Beitragvon Mucki » 07.03.2018, 18:33


Von einer Sekunde zur anderen fliege ich in meiner Alter ego. Traumzeiten sind so verdammt real. Rückkehr: schwarze Tinte, in Reliefen noch nachatmend. Stützend. Halte mich an ihnen fest.
Gedanken werden zu Traumgebeten, denen ich kein Amen setzen mag.

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Hetti
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Beitragvon Hetti » 25.03.2018, 10:56

Sonnenwarm der dunkle Asphalt. Hüpfen, laufen, fliegen - den Hügel hinab. Die Nachbarn lachen - nicht so schnell, rufen sie. Die Papiertüte in der Hand duftet verheißungsvoll, so duftet ein Frühlingsmorgen. Papa lehnt an der Kottentür, die Pfeife in der Hand. Er lächelt vergnügt, sein Gesicht ist ein wenig verschmutzt. Drücken, schmusen, voneinander lassen. Die Stutzen werden hochgezogen, bis ans Knie. Sie sind weiß, andernfalls wäre das Leben unerträglich. Sie stecken in braunen Schuhen. Ein Glück, die roten sind zu klein geworden. Die belegten Brötchen schmecken gut. Und erst die Schokolade.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 25.03.2018, 18:12


Ja, Schokolade, die weiße mit Nüssen und Krokant und Marzipan. Banane mit Nutella, Weißbrot mit Erdnussbutter, 2 cm dick und Erdbeergelee, Pfannkuchen mit Vanillesoße, heißen Kirschen und Sahne. Und und und. Das waren noch Zeiten. Sch... Laktoseintoleranz, die nur Verzicht toleriert.

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Hetti
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Beitragvon Hetti » 25.03.2018, 21:13

Langsam
Zeit seines Lebens habe ich mich von ihm verstanden gefühlt. Ich war zu jung, als er starb, um die Frage zu stellen, ob mein Gefühl mich trog. Wie hätte seine Antwort gelautet? Hätte er die Wahrheit überhaupt gekannt? Falsch. Ich war zu jung, um ihm die Frage zu stellen, ob mein Gefühl mich trog. ...Asphalt...Duft...die Socken...die neuen Schuhe...
Lösen.

Klara
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Beitragvon Klara » 29.03.2018, 14:17

Diese „aufgeschlossen“ wirkenden (wasfür ein Wort, by the way: AUFGESCHLOSSEN) lebenstüchtigen mittelalten bis jüngeren Männer, Alleinstellungsmerkmale in Serie, bevölkern die Stadt. (Ist das Geschriebene ein Affront? Denn es gibt sie ja gar nicht als Teil meiner fiktiven Gruppe. Es sind einzelne, INDIVIDUEN, unverwechselbare Exemplare der Spezies Mensch, Untergattung MANN. Ist es gestattet, jene unzulässige Verallgemeinerung nur zu denken, wie es schon Sünde wäre, Ehebruch nur fiktiv zu begehen, wie Jesus anscheinend sagte? Oder ist die Überlieferung Fiktion – und er meinte auch das im Scherz?)

Einer dieser Männer jedenfalls – es nervt schon , wenn man immerzu von den eigenen Gedanken abgelenkt wird! – sitzt am Steuer eines Münchner Wagens, es passiert weiter nichts, er fährt an mir vorbei, und in meinem Kopf beginnt ein Satz mit „Diese so und so attributiv ausgestatteten Männer…“. Einer ist Gast im Café, Cafés sind ohnehin Nester für diese Männer, die es als Gruppe nicht gibt, sondern nur hier, auf dem Papier. Ein anderer tippt auf sein Telefon in der Straßenbahn oder trägt einen Blumenstrauß, meistens haben sie einen Rucksack dabei, so wie jeder Mensch in den Städten, ich auch. Sie verführen mich dazu, sie in einen Schreibtopf zu packen und „diese netten wendigen mittelalten, vernünftigen, verantwortungsvollen (und noch vieler anderer Zuschreibungen würdigen) Männer zu denken und dann, rasch-rasch, bevor der Gedanke verschwindet und all sein Drumherum mit sich in den unbenannten Abgrund zieht, zu notieren.

In meiner diffusen Angst, plötzlich allein mit mir, zurückgeworfen auf die Buchstaben, bin ich mir für einige Momente nicht mal ganz sicher, ob ich mich traue, mich in ein Café zu setzen, denn dort besetzen sie, diese unangreifbar selbstsicheren Männer, die Atmosphäre. Ich musste mir meine Selbstsicherheit antrainieren, ein mühevoller Prozess, der auch nicht aufhört, sondern - klingt widersprüchlich - anhält. (Selbstbewusstsein dagegen habe ich zur Genüge, seit ich denken kann: Es macht befangen, sticht jede Geste, jede Empfindung, jede Möglichkeit eines Fehltritts wie unter einer Lupe ins innere Auge).

Doch ich schaffe es, fühle mich geborgen im öffentlichen Raum, man kennt mich von Ferne, lässt mich der verquere Mensch sein, der ich bin, weil die Frage nach dem Anderssein gar nicht gestellt wird. So stelle ich mir Holland vor.

Ich bräuchte Tage, Wochen, Monate, Jahre, dieses Diffuse, meine Sätze aneinanderzureihen, während draußen der Himmel rosig wird oder dunkel bleibt, die Zeit steht und geht, denn sie tut ja stets beides, stehen und gehen, nur VERgehen kann sie gar nicht und tut sie auch nie. Tage, bräuchte ich, Wochen, Jahre, diese Zeit zu fassen, mein Leben bräuchte ich, und ich nehme es, obwohl die „Erwerbsarbeit“ immer wieder dazwischen kommt, mich ablenkt mit ihren Notwendig- und Eitelkeiten. Immer wieder muss ich mich korrigieren, beten, zulassen, dass die Prosa wiederkehrt, zurückfährt in meinen willigen furchtsamen Schoß. Ich empfange diese Zeilen in scheuer Dankbarkeit, solange ich sie aushalte, die Prosa, die Zeit, weil nur der Teufel und Gott und die Zeit von Dauer sind, von welcher Dauer, der Geliebte wird gehen wie jeder Geliebte. Hemmungslos wie mein Herz, das für die Liebe nicht sehr geeignet ist.
Plötzlich erinnere ich mich, wie es war, als ich mir noch weniger zutraute. Das war, bevor der Himmel aufriss und mich nass machte, bevor ich Gott anrief und nicht ahnte, dass es in Ordnung ist, ich zu sein. Zumindest theoretisch. Da hatte ich noch mehr Mühe, mich in die Öffentlichkeit zu setzen, tat es trotzdem, und tue es, denn etwas Mühe bleibt, variiert von Tag zu Tag, ist offenbar notwendig. Die Mühe überspielte und -spiele ich und wunderte und wundere mich, dass es niemand durchschaut.
Tage, Wochen, Monate, wahrscheinlich Jahre bräuchte ich, um all das zu notieren, bevor es verschlammt, also schreibe ich schnell, schnell, schnell, werde wie immer zu früh müde. Ausruhen? Von meinen Kindern lerne ich, wie wichtig das ist.

Jeder Fehler, den ich mache, jede Entscheidung, dich nicht richtig war, lehrten mich. Das ist natürlich redundant, denn hätte ich die Entscheidungen nicht getroffen, die Fehler nicht gemacht, wäre das Lernen darum nicht nötig gewesen, aber was für eine Verschwendung wäre das gewesen! Welche Fülle an Fehlern noch auf mich wartet!

Die Prosa fließt wieder, fehlerhaft, jedenfalls tröpfelt sie, ein bisschen eingefroren vom langen Winter wie eine nur scheinbar versiegte Quelle, und „lange“ ist dabei relativ zu lesen, Tage oder Monate oder Minuten, in denen es Verse gab und Liebe und anderen Schmerz und goldfarbenes Glück. Auch sie bleiben. Prosa ist ungeeignet für Verliebte. Dass sie wiederkommt, habe ich nicht wirklich bezweifelt. Sie kommt mit der Sommerzeit wie eine überflüssige Stunde, liegt auf der Hand, wie brüchig sie sein mag. Eine brüchige Liebe wie die Selbstsicherheit, die ich mir antrainiert, Tag für Tag, Jahr für Jahr, Muskelaufbau der Seele, begleitet vom befangen machenden täppischen, läppischen Selbstbewusstsein eines versehrten Selbst. Wichtig ist das nicht, aber es ist.

Derweil laufen jene jüngeren oder auch „junggebliebenen“, selbstsicheren, sportlichen, schlanken Männer so selbstverständlich durch die Stadt, durch die Welt, die ihre ist, in Anzug oder Jeans. Auch sie sind nicht wichtig, aber auch sie sind, mir fremd, schön, unerreichbar gesund, in Wahrheit, in meiner ungesunden Wahrheit. Tröstet das Heile, lässt hoffen, macht traurig – doch locken sie mich nur in Ferne.
Zuletzt geändert von Klara am 31.03.2018, 09:59, insgesamt 1-mal geändert.

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 29.03.2018, 17:08

Neulich fuhr ich mit meinem französischen Herrenrad an einem Café vorbei, und erblickte da zufällig eine nette Bekannte; sie stand vor dem Café-Eingang. Sie erkannte mich auch. Über ihr schwebte ein Fragezeichen. Ich hielt an, stieg ab, grüßte, und meinte, dass das ein ganz schön auffälliges Fragezeichen sei. Ob ich einen Antwortversuch anbieten dürfe, fragte ich. Es seien mehrere Fragen, warnte sie. Schieß los, empfahl ich. Peng, die erste: "Aufgeschlossen -- was ist denn das für ein Wort, by the way?" -- "Hmm", dachte ich laut, "aufschließen ist wohl die Umkehrung von schließen, das Öffnen eines Schlosses". Ich war mir nicht sicher, ob diese Antwort sie befriedigte.

Ihre nächste Frage lautete: "Ist es eine unzulässige Verallgemeinerung, männlich wirkende Menschen als Männer zu bezeichnen?" Nein, sagte ich, natürlich nicht. Ich musste weiter ausholen: "Eine Verallgemeinerung eines einzelnen Attributs ist sowieso keine Verallgemeinerung. Mach dir also keine Sorgen. Alle nasenbesitzenden Wesen, etwa, sind Nasenwesen. Das ist die Wahrheit. Alle rauchenden Wesen sind Raucher. Das ist die Wahrheit. Eine Gruppe für das eine Attribut. Eine andere Gruppe für das andere Attribut. Ganz normal. Nur wenn man ein Attribut verknüpft mit einem zweiten, kann es schlimm werden. Wenn du zum Beispiel ein Nasenwesen siehst, das raucht, solltest du dich hüten vor der Annahme, dass alle Nasenwesen rauchen. Höchstwahrscheinlich tun das nicht alle. Die zwei Attribute 'Nase' und 'Rauch' sind erst dann ein immerwährendes Paar, wenn nachweisbar alle Nasenwesen Raucher sind. Das heißt, wenn du gegen das Rauchen protestierst mit einem Schild auf dem steht 'Nasenwesen raus!', dann wird dein Schild einigen unschuldigen Nasenwesen vor den Kopf stoßen. Und wenn es nur eine Minderheit ist. Es wäre unfair, ein nichtrauchendes Nasenwesen anzugreifen, nur weil ein anderes Nasenwesen raucht. Das wäre so, als würdest du einen Strafzettel bekommen, weil ein anderes, dir ähnlich sehendes Wesen, falsch geparkt hat. Einige nichtrauchende Nasenwesen protestieren wie du gegen das Rauchen. Also merke, Nasenwesen und Raucher sind zwei verschiedene Gruppen. Sie können eine Schnittmenge bilden. Aber die schneidet nur einen Teil der Gruppe an. Das Verknüpfen zweier Attribute nennt man übrigens Induktion. Also, das Schließen aus mindestens zwei beobachteten Attributen auf das Allgemeine. Bei einem allein gibts nichts zu schließen. Da kannst du nichts falsch machen. Eine Rose ist eine Rose; kein Problem. Rosen sind immer rot; falsch. Damit will ich nun schließen."

Klara
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Beitragvon Klara » 29.03.2018, 17:16

"Interessant, dass du unterstellst, dass ich von 'männlichen' Männern gesprochen habe", erwiderte auf all die Worte des mehr oder weniger männlichen Radlers die unbekannt Gewordene. "Übrigens habe ich dir gar keine Frage gestellt." Sie bestieg ihr Dreirad und radelte gen Osten. Es handelte sich vermutlich eine weibliche Person, die sich ungern belehren lässt und ihre Antworten lieber an Ort und Stelle der Frage abholt, wenn es welche gibt (was eher selten der Fall ist).

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 29.03.2018, 17:52

Neulich fuhr ich mit meinem französischen Herrenrad an einem Café vorbei, und erblickte da eine unbekannte Frau. Sie strahlte Zeichen in die Empfangswelt, in den Dialog, in Großbuchstaben; es waren Anspielungen auf ein paar meiner Thesen. Das lenkte mich für eine Sekunde ab, ich verlor das Gleichgewicht, und fiel vom Sattel. Dann überfuhr mich ein Münchner Wagen. Dann ein Dreirad. Und jetzt weiß ich nicht mehr, wo mein Kopf steht.


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